Stecher, Wojtyla-Protestbrief
Nr. 1
Da ich mir einmal vorgenommen habe, kirchenkritisch notwendige Dinge
nicht als "mutiger Pensionist", sondern im Amt zu sagen, komme ich nicht
daran vorbei, zu diesem Dekret einige Gedanken zu äußern, bevor
ich den Stab weitergebe. Nicht so sehr zu den Details. Da werden ja Dinge
ausgesprochen, die festgehalten werden müssen. Es gibt nun einmal
den mit der Vollmacht zur Eucharistie ausgestatteten Priester - und diese
Vollmacht kann sich niemand nehmen oder von unten her bestätigen lassen.
Und es ist richtig, daß es in diesem Bereich bedauerlichen Wildwuchs
gibt, wenn sich das auch in dem in Rom so oft schlecht gemachten Österreich
in Grenzen hält. Kritisch könnte man zu den Details nur sagen,
man sollte auch im Unterschied von Priester und Laien nicht alles in einen
Topf werfen. Es ist ein Unterschied, ob man z.B. die eucharistische Vollmacht
verteidigt oder die Vollmacht, im Gottesdienst zu predigen. Wenn es - wie
heute häufig - zwar noch gelingt, von irgendwoher einen alten Priester
für die Eucharistie "einzufliegen", dann ist schwer einzusehen, daß
man einem theologisch vollausgebildeten und menschlich-spirituell geeigneten
Gemeindemitglied verbieten muß, in der Eucharistiefeier eine Predigt
zu halten (über Allerheiligen-Allerseelen mußte neulich mein
Generalvikar allein sieben Gemeindegottesdienste als aushelfender Priester
feiern!). Ich bin durchaus dafür, daß zur Verkündigung
jemand kirchlich bevollmächtigt sein muß. Aber die Verkündigung
in der Eucharistiefeier zu streichen, weil man für eine Ansprache
unbedingt geweiht sein muß, ist eine andere Sache. Niemand in den
Gemeinden versteht ein derartiges Verbot, wenn die Alternative das Nichts
ist.
Und hiermit stehe ich bei meinem eigentlichen Bedenken gegen dieses
wiederum nur restringierende Dekret, das den Laien, den Kommunionhelfer
usw. höchstens als widerwillig zugelassenen Notnagel für ein
paar Funktionen sieht, wenn's halt gar nicht anders geht. Mein Bedenken
liegt in dem "Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen" der pastoralen Situation bei uns
und in vielen, ja den meisten anderen Ländern der Erde - und in dem
"Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen" der theologischen Bedeutung der Eucharistie
für die christliche Gemeinde und die Kirche. Zu letzterem spricht
in großer Klarheit der Artikel von Wolfgang Beinert in Heft 11 der
"Stimme der Zeit", Jahrgang 1997, Seite 736 ff.
Um das Dilemma dieses Dekrets etwas plastischer darzulegen: Im Land
Tirol erhob sich vor einiger Zeit das Problem, daß bei der Betreuung
der vielen Zuckerkranken in den Wohnungen und Altersheimen nur Diplomschwestern
berechtigt waren, die entsprechenden rettenden Spritzen zu verabreichen.
Von diesen ausgebildeten Diplomschwestern gibt es natürlich viel zu
wenig. Die Standesgruppe der Diplomschwestern hat natürlich aus verschiedenen
Gründen dieses Standesrecht verteidigt, aber mit dem Blick auf die
Volksgesundheit wurde dann doch entschieden, daß entsprechend ausgebildete
Altershelfer/innen und Betreuer/innen diese Spritzen geben dürfen.
Die Kinder der Welt sind wahrhaftig klüger als die Kinder des Lichts.
Bei uns geht es auch um das Heil, allerdings um das Heil mit einer Dimension
in die Ewigkeit. Und bei uns ist es auch so, daß Diplomhelfer (Priester)
viel zu wenige sind und angesichts unserer klerikalen Alterspyramiden immer
weniger werden. Und es ist weiterhin klar, daß bei der Forderung
eines glaubhaft gelebten Zölibates diese Zahl immer klein sein wird.
Für den redlich gelebten Zölibat ist nun einmal verlangt, daß
der Betreffende den sexuellen und partnerschaftlichen Verzicht in einer
gesunden, nicht verdrängenden Weise umformt in spirituelle, pastorale,
soziale, geistige, dienende und kreative Entfaltung. Das ist und bleibt
aber die Sache derer, "die es fassen können". Und selbst in den Worten
Jesu liegt keine Spur einer Andeutung, daß diese elitäre Zahl
den pastoralen und theologischen Notwendigkeiten einer lebendigen Kirche
entsprechen muß. In unserer Zeit und ihrem Klima ist es noch einmal
schwieriger, dem zu entsprechen, wie z.B. in den Zeiten der Verfolgung
durch den Nazismus, in die meine Berufung gefallen ist.
Es ist immer etwas problematisch, wenn man an den göttlichen Heilsabsichten
und dem tiefsten theologischen Wesen des Sakraments vorbei menschliche
Ordnungen verabsolutiert.
Das genannte Dekret über die Laien begnügt sich also mit der
Verteidigung der "Diplomschwestern und Diplompfleger", will sagen der klerikalen
Vollmachten, Würden und Standesrechte. Die Volksgesundheit, d.h. das
Heil der Gemeinden, bleibt völlig aus dem Spiel. Für diese Gemeinden
hat man eigentlich stillschweigend schon längst einen Heilsweg ohne
Sakramente entworfen - was wiederum jeden auch nur in einer seriösen
scholastischen Theologie Gebildeten den Kopf schütteln läßt.
Die Heilsnotwendigkeit der Sakramente der Eucharistie und Buße bzw.
der Kranksalbung wurde dort sehr eindrucksvoll definiert.
Aber hier stoßen wir wiederum auf das Dilemma, wenn man die Bedingungen
für das eucharistische Amt in keiner Weise vom Heil der Gemeinden
her definiert, sondern nur von individuellen Zulassungsbedingungen, die
zum Teil eben rein menschlichen Rechtes sind, aber eben ohne jeden Blick
auf den allgemeinen Heilswillen Gottes und die wesentlich eucharistische
Struktur der Gemeinde durchgezogen werden. Dem Festhalten an diesem Amtsbegriff,
der eben so nicht aus der Offenbarung erwiesen werden kann, wird alles
geopfert. Vor einiger Zeit hat mir ein wegen seiner konservativen Gesinnung
bekannter Bischof lächelnd gesagt: "Ach, bei uns hat jeder Priester
drei Pfarren - das geht ganz ausgezeichnet..." Der betreffende hohe Würdenträger
hat allerdings in seinem Leben nicht einmal eine Pfarre geleitet, geschweige
denn mehrere. Wenn er es getan hätte, wäre er mit einer derart
kühnen Analyse wahrscheinlich etwas vorsichtiger. Ich habe in Frankreich
Priester, müde und resignierende Priester, kennengelernt, die sieben
bis zehn Pfarren herumrasend "betreuen". Auch wenn solche Priester hervorragend
theologisch gebildet sind, haben sie keine Chance, je in höheren Etagen
mitreden zu können. Der Stand der kleinen Frontpfarrer wird von der
bischöflichen Würde ebenso ferngehalten wie von jeder Mitsprache
in diesem Bereich. So werden die Erfahrungen und Frustrationen nur von
wenigen Bischöfen wahrgenommen und nach oben getragen. Nach unten
begnügt man sich bestenfalls mit verständnisvollen Seufzern und
einer bewegten Klage über fehlende christliche Familien, die eben
zölibatäre Berufe in genügender Anzahl zu fabrizieren hätten.
Und weiter oben begnügt man sich mit der Zementierung vorhandener
Ordnungen wie im vorliegenden Dekret. Die Not dahinter ist kein Thema.
Wenn beim Dialog für Österreich das Thema kommen wird (falls
es nicht gelingt, es schon vorher in einen Winkel zu verbannen), wird man
mit souveräner Würde darauf hinweisen, daß dieses Thema
eindeutig eine Sache der Weltkirche sei (was ja stimmt) und daher österreichische
Gläubige, Gemeinden, Seelsorger und Verantwortungsträger nichts
angehe.
Ich sage diese Dinge nicht, weil ich gegen den Zölibat bin oder
weil ich mir etwa einbilde, mit dem Stand der "viri probati" gäbe
es keine Schwierigkeiten. Die gibt es überall, wo Menschen sind. Es
ist überhaupt eine unbewußte oder bewußte Fälschung,
die hier vorgebrachte Frage als einen Disput über die Ehelosigkeit
um des Himmelreiches willen darzustellen. Die steht nicht in Frage. Das
Bestürzende liegt darin, daß die derzeitige Kirchenleitung einfach
ein theologisches und pastorales Defizit aufweist, so peinlich das zu sagen
ist. Das Amt in der Kirche ist von seinem biblischen Verständnis her
ein dem Heile dienendes Amt und kein sakraler Selbstzweck, dem es völlig
gleichgültig sein kann, ob Millionen und Abermillionen von Christen
überhaupt je die Möglichkeit haben, heilsstiftende Sakramente
zu empfangen und die Mitte ihrer Gemeinschaft, die biblisch und dogmatisch
die Eucharistie ist, in einer menschlich erlebbaren Weise zu pflegen. Es
heißt eben immer noch: "Propter nos homines et propter nostram salutem
descendit de coelis" und nicht "propter nostram auctoritatem et propter
stricte conservandas structuras ecclesiasticas descendit de coelis..."
Und man sollte nicht davon ausgehen, daß die Laien und der Großteil
der Seelsorgspriester in Österreich diese Dinge nicht zu durchschauen
imstande sind und daß man sie einfach bei einem Dialog, der ehrlich
gemeint sein sollte, als nichtkompetent abwimmeln kann. Diesen Laien und
eben diesen Seelsorgern verdanken wir zu einem guten Teil im höherem
Maße, daß es eine Kirche Österreichs noch immer und trotz
allem gibt - als manchen römischen Dekreten...
Die Tendenz, menschliche Ordnungen und Traditionen höher zu werten
als den göttlichen Auftrag, ist das eigentlich Erschütternde
an manchen Entscheinungen unserer Kirche am Ende dieses Jahrtausends. Es
scheint z.B. niemanden in den höchsten Gremien zu beunruhigen, wenn
buchstäblich Hunderte von Millionen Katholiken gar nicht mehr zu den
moralisch heilsnotwendigen Sakramenten der Vergebung kommen können
(-und weil sie nicht kommen können, nach einer Generation auch gar
nicht kommen wollen). Die Krankensalbung hätte heute eine Chance -
übrigens auch in der Umwelt einer stärker ganzheitlich-menschlichen
Medizin. Aber der sich im Sakrament zu den Kranken neigende Christus kann
auf Grund der zölibatär-restriktiven Vollmachtserteilung eben
zu Millionen gar nicht kommen. Daß die großzügig verfügte
regionale Pfarr-Zusammenlege-Praxis eine liebevoll begleitende sakramentale
Krankenpastoral unmöglich macht, stört die kirchliche Zentralgewalt
in keiner Weise. Und dabei ginge es wirklich um das Heil, das ewige Heil.
Am bedenklichsten ist für mich nach wie vor in dieser Frage der
Mißachtung göttlicher Weisungen der Umgang mit Priestern, die
geheiratet haben. Aus eigener Anschauung weiß ich, daß Gesuche,
die der Bischof mit dringenden, pastoral und menschlich begründeten
Bitten einreicht, zehn Jahre und mehr gar nicht angeschaut werden. Auch
das neueste Dekret ändert diese Praxis nur marginal. Es handelt sich
-wohlgemerkt - nur um Bitten der Versöhnung mit Gott und der Kirche,
um die Möglichkeit, eine christliche Ehe zu führen und machmal
auch um die Möglichkeit, nichtpriesterliche Dienste auszuüben.
Auch hier gibt es nur das unbarmherzige Nein. Und nun wiederum: Was hat
der Herr gesagt? Hat er nicht die Pflicht zur Verzeihung und zur Versöhnung
durch alle Lehren und Gleichnisse, Taten und bis zu den Gebeten am Kreuz
zur höchsten ethischen Pflicht gemacht? Hat er nicht dieses Gesetz
des Verzeihenmüssens mit der härtesten Sanktion belegt? Hat er
nicht gesagt: "wer nicht verzeiht, dam wird nicht verziehen"? Hat er nicht
dem Petrus persönlich eingeschärft, daß er nicht siebenmal,
sondern siebenmal siebzigmal am Tage verzeihen sollte? Diese Stelle scheint
in römischen Dekreten nie auf, nur Matthäus 16,18. Alle die,
die da so ihre Liebe zum Papst betonen und sich als die Papsttreuen belobigen
lassen - müßten sie angesichts der Worte des Weltenrichters
nicht erschrecken, wenn ein Papst mit Tausenden von abgelegten Gesuchen
und Bitten um Versöhnung stirbt? Was tun wir an einem Sterbebett,
wenn wir wissen, daß der betreffende Versöhnung verweigert?
Versuchen wir nicht, ihn zur Milde zu bringen, weil es auch um sein ewiges
Heil geht? Und was hielten wir von einem Priester, der zu einem Beichtenden
sagten würde: "Bei Deiner Art von Sünde -komm in zehn Jahren
wieder, vielleicht bin ich dann geneigt, Dir die Versöhnung zu gewähren?
Ist nicht theologisch evident, daß die Verweigerung von Verzeihung
und Versöhnung die viel größere Sünde ist als die
Verletzung des Zölibats? Die zweite betrifft ein menschliches Gebot
und ist eine Sünde der Schwachheit, die erst ein göttliches und
ist eine Sünde der Härte. Oder glaubt man vielleicht, juridische
Handhabungen in der Kirche unterstünden nicht den Geboten Jesu? Nimmt
man etwa an, daß in der Ordnung des Weltenrichters Schreibtischtäter
besser fahren als Detailsünder?
Auch hier zeigt sich diese immer wieder auftauchende Tendenz, die Weisung
Jesu kirchlichen Verwaltungspraktiken und menschlicher Autoritätsausübung
unterzuordnen.
In diesen Vorgangsweisen liegt auch die eigentliche Einbuße der
päpstlichen Autorität. Denn diese für die Kirche so notwendige
Autorität leitet ihr Gewicht nur von der Übereinstimmung mit
Christus her, wie es ja auch im innersten Wesen der Unfehlbarkeit zum Ausdruck
kommt. Aber die Geschichte lehrt, daß auch die Praxis des höchsten
Amtes von der Sache Jesu abirren kann. Diese heute gängigen Praktiken
gegenüber Einzelsündern widersprechen dem Geiste Jesu genau so
wie einst die Bannstrahlen und Interdikte gegen ganze Länder und Städte.
Und ich weiß, daß viele Priester und Laien, die ihr Christsein
ernst nehmen, unter diesen Widersprüchen leiden und sich nach einem
Papst sehnen, der in dieser Zeit vor allem die Güte verkörpert.
So wie das derzeit ist, hat Rom das Image der Barmherzigkeit verloren und
sich das der repräsentativen und harten Herrschaft zugelegt. Mit diesem
Image wird die Kirche im dritten Jahrtausend keinen Stich machen - da ändern
pompöse Millenniumsfeiern mit vielen schönen Worten gar nichts.
Es geht um Akzentverschiebungen in einigen entscheidenen Punkten der pastoralen
Praxis, sowohl was den Umgang mit dem allgemeinen Heilsauftrag Jesu als
auch den Umgang mit dem Sünder betrifft.
Und es darf um der Kirche willen nicht so sein, daß man von höchster
Stelle wohl um jeden Splitter an der Basis bemüht und besorgt ist,
aber den Balken im eigenen Auge nicht sieht.
Auch wenn ich diese in die pharisäische Auseinandersetzung der
Schrift hineinreichenden Defizite unserer heutigen Kirche beim Namen nenne,
nehme ich von meiner Hoffnung auf das Walten des Geistes und die Zukunft
der Sache Jesu nichts zurück. Aber die Sensibilisierung für die
wahren Intentionen muß in unserer Kirche deutlicher werden. Das Abirren
von solchen Grundsätzen hatte in der Vergangenheit schwerwiegende
Folgen. Auch in dieser Hinsicht müßte die Besinnung des Millenniums
Einsicht bringen.
Stecher, Wojtyla-Protestbrief Nr. 2
Versuch einer Antwort auf die im Zusammenhang mit meinem Statement
von österreichischen Bischöfen und anderen verbreiteten Vorwürfe.
Soweit ich diese Äußerungen überblicken kann, hat bei einigen
Mitbrüdern im Amte eine Sache die größte Empörung
ausgelöst: Meine Feststellung, daß die derzeitige Praxis des
regierenden Papstes gegenüber den Priestern, die am Zölibat gescheitert
sind, der Forderung Jesu nach Verzeihung und Barmherzigkeit nicht entspräche.
Es kann also - über alle rhetorischen Formen der Entrüstung hinweg
- nur um die eine Frage gehen: Ob das wahr ist oder nicht.
Eine Vorbemerkung zur Frage der "Öffentlichkeit" meiner Aussagen.
Da auch von Bischöfen anderes behauptet wurde, stelle ich noch
einmal fest: Mein Statement war an einen verhältnismäßig
kleinen Kreis gerichtet. Meine Absicht war es, meine Meinung zu dem "Dekret
über die Mitarbeit der Laien" wenigstens einigen kompetenten Leuten
zu sagen, weil ich daran interessiert war, daß der eine oder andere
vielleicht doch meine Bedenken auch ins Spiel bringen könnte. Ich
wußte ja, daß ich wenige Tage später mein Amt niederlegen
würde. Wenn ich an eine breite Öffentlichkeit gedacht hätte,
wäre es mir nie eingefallen, einen Text mit lateinischen Sätzen
zu versehen. Ganz abgesehen davon wäre es mir ein Leichtes, von meinem
Sekretariat her zu beweisen, daß ich niemals an Veröffentlichung
dachte. Trotzdem wird mir diese Absicht von Mitbrüdern unterstellt.
Ich habe mit der Veröffentlichung dieses Statements genau so viel
zu tun wie mit der Veröffentlichung jenes Briefes im Jahre 1997, den
ich unter "vertraulich" und "eingeschrieben" an die Mitglieder der Österreichischen
Bischofskonferenz sandte und den dann ein Bischof der Zeitschrift "News"
zugespielt hat.
Genauso lief es bei der Veröffentlichung der Kandidatenliste für
die Nachfolge in Innsbruck, die ich "sub summo sigillo" nach Rom gesandt
hatte (wobei in der eigenen Diözese weder ein Generalvikar noch ein
Sekretariat irgendeine Ahnung hatte). Etwa acht Monate vor der tatsächlichen
Ernennung hat die Zeitung "Die Presse" die Namen veröffentlicht. Auf
Rückfrage unseres Presseamtes, woher sie diese Information hätte,
erklärte die Redaktion der "Presse" freimütig: "Wir haben eine
Stelle im Vatikan, auf die wir uns immer verlassen können." Angesichts
derartiger Formen innerkirchlicher Diskretion mir auf den Kopf zuzusagen,
ich hätte natürlich von vornherein die Veröffentlichung
intendiert, gehört zu den Feinheiten dieser Affäre.
Ich habe meine Gedanken natürlich nicht mit einem "päpstlichen
Sigill der Geheimhaltung" versehen können (das auch nichts nützt).
Wahr ist, daß ich nach der Veröffentlichung erklärt habe,
daß ich von meiner Aussage nichts zurücknehme. Und dabei bleibe
ich.
Eine Vorbemerkung zur Behauptung, "ich hätte meine Vorwürfe
nicht an der richtigen Stelle angebracht".
Beide Anliegen, sowohl die Frage der Priesternot, des vir probatus
wie auch des Dispensproblems, habe ich schon längst bei den höchsten
Stellen mit Deutlichkeit vorgebracht: Die Notwendigkeit der Änderung
der Zulassungsbedingungen zur Weihe mit dem Blick auf heilsnotwendige Sakramentenpastoral
habe ich vor fünf Jahren dem heiligen Vater in einer Privataudienz
persönlich gesagt. Die entsprechenden Bitten des Diözesanforums
habe ich nach Rom weitergeleitet. Die Frage der Dispens für verheiratete
Priester habe ich in aller Deutlichkeit mündlich in der zuständigen
Kongregation vorgebracht, nachdem ich durch Augenschein festgestellt hatte,
daß die zehnjährige Zurückstellung eines von mir abgegebenen
Gesuches Tatsache war (natürlich mit unzähligen anderen aus der
Welt). Für die oberste Kirchenleitung in Rom hat also mein Statement
sachlich nichts Neues gebracht. Auch in der österreichischen Bischofskonferenz
gibt es genug Zeugen, die wissen, daß ich für diese beiden Dinge
immer eingetreten bin.
Die derzeitige Handhabung der Dispens für verheiratete Priester
Unter Papst Paul VI. wurde praktisch eine Frist von zwei Jahren für
die Dispenserteilung anberaumt - eine sehr vernünftige Distanz, die
sich rückwirkend, wie ich noch darlegen werde - als pastoral positiv
herausgestellt hat. Die am Zölibat Gescheiterten sollten nach einer
Zeit der Besinnung, die auch unterstrich, daß es sich um keine Formalität
handele, die Möglichkeit erhalten, mit Frau (und Kind) ein christliches
Ehe- und Familienleben aufzubauen.
Diese Praxis wurde unter dem gegenwärtigen Pontifikat radikal
geändert. Die Dispens wurde auf ein bestimmtes Lebensalter hinaufgeschoben,
was Fristen von zehn und mehr Jahren nach sich zog. In vielen Fällen
wurde damit die Einreichung eines Gesuches sinnlos - und sicher werden
in vielen Fällen gar keine Gesuche mehr eingereicht (statistisch wird
man das wahrscheinlich als "Erfolg" verkaufen).
Die Verantwortung für diese Regelung liegt zweifelsohne beim Papst
selbst (womit ich nichts über seine Motive sagen kann). Aber ich lehne
es ab, mich hier ablenkend auf eine "vatikanische Bürokratie" hinauszureden.
Das ist ebenso ungerecht, wie Finanzbeamte für eine Steuergesetzgebung
verantwortlich zu machen. Ich habe bei den "Bürokraten" sogar eine
menschlich betroffene und verständnisvolle Haltung angetroffen, wie
ich an das Gebot Christi erinnert habe. Es wurde mir aber auch klar bedeutet,
daß allerhöchste Weisung vorliege.
Aussicht auf frühere Erledigung besteht nur dann, wenn nachgewiesen
wird, daß der betreffende Priester schon bei der seinerzeitigen Abgabe
des Zölibatsversprechens dieses entweder nicht ehrlich gemeint habe
oder unter irgendwelchen Zwängen gestanden sei oder überhaupt
unter psychischen Störungen leide. (Man handelt hier also in Parallelität
zu einem Ehe-Ungültigkeitsverfahren). Zwänge oder schwere psychische
Belastungen könnten ja überhaupt auch die Gültigkeit der
Weihe in Frage stellen - und es ist sicher begrüßenswert, wenn
man da die Konsequenzen zieht. Aber andererseits ist es auch eine Tatsache,
daß Gesuche in diese Richtung frisiert werden, und es auch von den
Betroffenen als unredlich empfunden wird, wenn sie gestehen müssen,
daß sie damals charakterlich bedenklich gehandelt hätten oder
irgendwie nicht normal seien.
Wenn manche Bischöfe erklären, die Praxis "sei nicht so"
oder erzählen, daß man über entsprechend einflußreiche
Kreise im Vatikan eine günstigere Beurteilung eines Gesuches erreichen
könne - dann muß ich darauf aufmerksam machen, daß derartige
"Hintertüren" und "Beziehungen" die Sache in keiner Weise besser aussehen
lassen.
Die Gründe, warum mir die langjährige Verweigerung der Versöhnung
mit der Kirche und mit Gott das Gebot Jesu zu verletzten scheint:
1. Pastorale Gründe
Um was in den sicher Tausenden von Gesuchen gebeten wird, ist nur die
Möglichkeit für den gescheiterten Priester, nach einer gewissen
Besinnungszeit im Frieden mit Gott und Kirche eine christliche Ehe führen
zu können. Wenn dies über so große Zeiträume verwehrt
wird, ist der Betreffende (mit seiner Frau) gezwungen, sein religiöses
Leben sozusagen außerhalb der Kirchengemeinschaft zu führen.
Er muß - wie es ein Betroffener mir gegenüber einmal gestanden
hat - sein Verhältnis zu Gott auf die Hoffnung bauen, daß dieser
barmherziger als die Kirche sei und ihm eben eine Chance ließe. An
sich müßte man ja davon ausgehen, daß das Scheitern am
Zölibat keineswegs ein Scheitern im Glauben bedeutet. Die derzeitige
Verweigerungspraxis hat besonders schwerwiegende Auswirkungen bei den Frauen
bzw. bei den Kindern. Wenn letztere später draufkommen, warum die
von ihnen geliebten Eltern nie zu den Sakramenten gehen dürfen, ist
die Kirche für sie in vielen Fällen gestorben. Es fällt
mir schwer, über diese kirchlich fast erzwungenen Wege der Entfremdung
und Abstoßung mit jener Gleichgültigkeit hinwegzugehen, die
in manchen bischöflichen Aussagen der letzten Wochen zum Ausdruck
kommt.
Zur Unterstreichung von negativen und positiven Folgen der Dispenspraxis
erlaube ich mir eine Erfahrung einzufügen:
Ich habe als Bischof alle Priester der Diözese Innsbruck auf einen
Tag eingeladen, die im Verlauf der letzten 35 Jahre das Amt aus obigem
Grund verlassen haben. Sie sind mit Ausnahme jener, die zwingend verhindert
waren, alle gekommen. Sie haben im Gesprächskreis alle ihre Lebensgeschichte
geschildert. Es wurde für mich zu einem sehr bewegenden Tag. Natürlich
sind die Schwierigkeiten und Verletzungen zur Sprache gekommen, aber es
hat niemand das Amt eingefordert, das man eben unter der Zölibatsbedingung
angetreten hatte. Es hat sich aber herausgestellt, daß alle, die
die Dispens in angemessenem Zeitraum erhalten hatten, mit ihren Familien
aktiv in der Kirche standen und stehen. Zum Teil haben sie als Pfarrgemeinderatsvorsitzende
in priesterlosen Gemeinden das kirchliche Leben weitergetragen, oder sie
waren im Unterricht, im Bildungs- oder im Sozialbereich tätig. Bei
denen, die in die Epoche der Verweigerung kamen, blieb nichts als die Entfremdung
und Verbitterung. Und wenn sich solche Haltungen durch Jahre eingefressen
haben, sind sie schwer zu überwinden. Ich habe einen Bericht über
diese Begegnung nach Rom gesandt. Er dürfte in einer Ablage sein endgültiges
Ziel gefunden haben, wenn er es bis dorthin geschafft hat. Aber man muß
sich dann doch in allem Ernst fragen -was ist nun das Ziel einer Pastoral
- das geknickte Rohr zu brechen oder es aufzurichten?
Möglicherweise hat man sich in Rom von der harten Linie der Verweigerung
eine motivierende Festigung der zölibatären Lebensform erwartet.
Aber dazu muß man doch bedenken:
Die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen kann nur von einer entfalteten
Kultur der Liebe zu Gott und den Menschen leben.
Disziplinäre Maßnahmen oder Androhungen werden deshalb auch
zur Motivation der Getreuen oder der Schwankenden wenig beisteuern. In
der Pädagogik weiß man schon längst - und zwar empirisch
- daß nicht vindikative, sondern bejahende, fördernde, zuwendende
Umgangsformen Motivation bewirken.
Die langjährige Verweigerung birgt außerdem zwei Gefahren:
Es wird sinnlos, ein Gesuch einzureichen. Diese Aussichtslosigkeit verstärkt
die Entfremdung. Es könnte aber auch sein, daß ein in Schwierigkeiten
steckender Mitbruder offiziell im Amt bleiben und eben ein Doppelleben
führt, in ständigem Widerspruch zu seinem Versprechen. Sowohl
spirituell als auch psychologisch betrachtet, ist ein derartiger Zustand
schlechter und heilsgefährdender als das Fällen einer ehrlichen
Entscheidung, auch wenn sie zur Amtsniederlegung führt. Wenn in einer
Diözese ein Geist der Hilfsbereitschaft herrscht, dann ist mehr Chance
gegeben, daß eine solche Krise mit Bischof oder Stellvertreter offen
besprochen wird und vielleicht auch positiv überwunden werden kann.
Angedrohte Überstrenge hat dieselbe Wirkung wie angedrohte Verstoßung
aus der Familie durch überstrenge Eltern. Da wird es auch kein Gespräch
mehr geben.
Ich vermag in der derzeitigen Regelung keinerlei pastoral-positiven
Sinn zu erkennen. Die angedrohte Versöhnungsverweigerung ist der Löschhut
für glimmende Dochte - man kann es anders nicht sagen.
2. Moraltheologische Gründe
Auch von moraltheologischer Seite her betrachtet, scheint mir die jahrzehntelange
Verweigerung der Dispens unangemessen. Vielleicht kann ich das wieder mit
einer seelsorglichen Erfahrung unterstreichen:
Ich habe in meiner Diözese etwa 40.000 Beichten im Laufe meiner
seelsorglichen Tätigkeit gehört, weil ich sehr viel als Beichtvater
unterwegs war. Ich habe Ehebrecher, Glaubensabtrünnige, Kirchenverfolger,
Betrüger, Diebe und sogar Mörder losgesprochen. Aber einem Priester,
der geheiratet hat, konnte und kann ich den Frieden der Seele nicht geben
- auf Jahre hinaus nicht. Er ist schlechter dran als ein Mörder. Und
bei aller Hochschätzung des Zölibatsversprechens und ohne jede
Absicht, es zu bagatellisieren - Mord, Abtreibung und Glaubensabfall sind
größere Sünden.
Deshalb spreche ich von der moraltheologischen "Unangemessenheit" derartiger
Praktiken. Ein weiterer moraltheologischer Widersinn scheint mir darin
zu liegen, daß das redliche Eingeständnis von Schuld nicht "strafmildernd",
sondern eher "strafverschärfend" wirkt. Ich demonstriere das wiederum
an einem erlebten Beispiel:
Ein an sich in seiner Gesamthaltung sehr positiv zu beurteilender Priester,
der aus dem angegebenen Grund sein Amt niedergelegt hat, hat folgendes
geschrieben: "Ich sage nichts gegen den Zölibat. Ich halte ihn für
eine gute Sache. Ich sage auch, daß ich damals, als ich das Versprechen
abgab, es durchaus redlich meinte, keine Vorbehalte machte und unter keinem
Zwang stand. Ich muß nur gestehen, daß ich es nicht geschafft
habe...".
Mit dieser sehr ehrlichen Aussage, mit der er seine Schuld eingesteht,
hat er sich in Wirklichkeit den Weg zur Dispens verbaut. Wenn er durchblicken
lassen hätte, daß er schon damals die Dinge auf die leichte
Schulter genommen hätte und ihm beim Versprechen nicht ganz ernst
gewesen wäre und er ohne klare Entscheidung zur Weihe gegangen sei
- dann hätte er eine Chance. Dann könnte man nach formalistischen
und eben nicht moralischen Grundsätzen eine Ungültigkeit des
damaligen Versprechens konstruieren. So aber hat er einfach gesagt: Ich
gebe zu, ich bin schuld - ich hab's nicht geschafft. Und wiederum widerspricht
es jedem ethischen Empfinden, wenn jetzt eben sein Gesuch mit den vielen
anderen in einer römischen Stellage steht, und unter seinem Einreichungsjahr
1995 mit großen Lettern hingemalt ist "2005". Und man hätte
diesen Mann mit bestem Gewissen in kirchliche Dienste nehmen können.
3. Soziale Gründe
Normalerweise ist es heute in den meisten Staaten der Erde für
einen Mann mittleren Alters nicht leicht, einen Beruf zu finden. Sogar
wenn er eine entsprechende Ausbildung hat, wird er bei der Postenvergabe
von Jüngeren sehr leicht überrundet. Je höher das Alter
ist, um so aussichtsloser wird es. Daher kommt heute meistens der verheiratete
Priester mit seiner Familie in eine schwierige Lage (früher war das
einfacher - da gab es immer wieder Lücken und Nischen, in denen man
einen Broterwerb finden konnte). In anderen Ländern verschärft
sich die Lage noch. Das wird überall dort gelten, wo die Kirche sehr
geringe Mittel hat (in Brasilien gibt es nach mir vorliegenden Berichten
etwa 5000 verheiratete Priester). In Italien haben viele Priester ihr Abitur
in einem kleinen Seminar gemacht, dessen Abschluß keine staatliche
Anerkennung hat - d.h. der Priester, der sein Amt niedergelegt hat, steht
mit einem Pflichtschulabschluß in der Gesellschaft. Vor mir liegt
der Brief eines Priesters aus Italien: "Mein Fall ist sicher typisch für
viele. Ich habe jetzt 13 Jahre auf die Dispens gewartet. In meiner Not
habe ich versucht, einen Posten als Sakristan zu bekommen. Er wurde mir
mit dem Hinweis verwehrt, ich sei ja nicht kirchlich verheiratet und könne
daher im Rahmen der Kirche nicht angestellt werden."
Wird hier die Verweigerung nicht zum Zynismus? Dieselbe Kirche, die
verhindert, daß er kirchlich heiraten kann, verweigert ihm eine sicher
bescheidene Existenz mit der Begründung, er sei nicht kirchlich verheiratet.
Wie verträgt sich das eigentlich mit den so oft zitierten Grundsätzen
eines christlichen Familienethos? Liegen in derartigen Widersprüchen
nicht die Wurzeln von Unglaubwürdigkeit? Und will man wirklich behaupten,
hier ginge "kein Image von Barmherzigkeit" verloren? In unseren Breitengraden
könnte man auch heute noch sehr oft einen verheirateten Priester mit
gutem Gewissen im Bildungs- oder Sozialbereich der Kirche unterbringen.
Die langjährige Verweigerung der Dispens verhindert das alles. Man
kann nicht zehn Jahre und länger auf einen Posten warten.
4. Theologische Gründe
Angesichts des noch zu betrachtenden biblischen Befundes ist es natürlich
schwierig, theologische Begründungen für die jahrelange Versöhnungsverweigerung
anzubieten. Theologie hat ja etwas mit Auslegung oder Offenbarung zu tun.
Bischof DDr. Klaus Küng, dessen Aussagen sich auch einige andere Bischöfe
angeschlossen haben, versucht eine theologische Begründung für
die Dispensverweigerung zu geben. Er weist darauf hin, daß das Zölibatsversprechen
ähnlich wie das Eheversprechen zu sehen sei. Darum stehe der Ruf nach
Barmherzigkeit gegen die "Wahrheit", die "Wahrheit" sei eben, daß
dieser Priester sein Versprechen gebrochen habe (was ja niemand leugnet).
Und deshalb sei die restriktive Praxis dieses Pontifikates berechtigt.
Dieses "theologisches Argument" ist aber nicht haltbar. Die Kirche
hat die Unauflöslichkeit der Ehe im strengen Sinn immer mit der Sakramentalität
begründet und nur die gültig vollzogene sakramentale Ehe für
unauflöslich gehalten. Man kann doch nicht die Verbindlichkeit auf
der Ebene eines Sakraments anderen menschlichen Verbindlichkeiten und Gelübden
gleichsetzen. Die sakramentale, gültige und vollzogene Ehe kann keine
kirchliche Autorität auflösen - auch die höchste nicht.
Man darf denn doch nicht mit dem, was man gar nicht lösen kann, etwas
rechtfertigen, was man zwar lösen könnte, aber nicht lösen
will.
Ganz abgesehen - würde man den unpassenden Vergleich noch gründlicher
strapazieren, dann müßte man ja überhaupt jede Dispens
ablehnen. Durch lange Zeit wurde dies auch so gehalten (mit Ausnahme der
Fälle bei hochgeborenen Geschlechtern, deren Machterhaltung zuliebe
alle "theologischen" Bedenken verblaßten).
5. Biblische Gründe
Mein Statement hat von einigen Seiten sehr harte Verurteilung gefunden,
die von "schwerstem Unrecht", "Papstbeschimpfung" -"wünscht den Papst
in die Hölle". "Vorwurf der Unbarmherzigkeit völlig unberechtigt",
"Undankbarkeit" bis zu "Eitelkeit" und "emotionaler Überzogenheit"
reicht.
Die Vorwürfe sind fast immer ohne jedes Eingehen auf die Sachfrage
- wenn ich vom Brief Bischof Klaus Küng absehe, der wenigstens eine
theologische Begründung der harten Linie versucht. Aber sonst steht
nur ein Vorwurf im Vordergrund: Der der Ehrfurchtslosigkeit und des Ungehorsames
gegenüber dem Papst.
Dabei sind aber die emotionalsten, prägnantesten und unerbittlich
forderndsten Texte gar nicht meine Worte, sondern die von mir zitierten
Schriftstellen. Christus hat diese Worte an seine Jünger und in einer
Stelle an Petrus persönlich gerichtet (Mt 18,21 "Herr, wie oft darf
sich mein Bruder gegen mich verfehlen, daß ich ihm verzeihen muß
- etwa siebenmal?" Jesus antwortete ihm: "Ich sage dir, nicht nur bis zu
siebenmal, sondern bis zu siebzigmal sieben...") Zur Verstärkung dessen,
was der Herr meint, fügt er die Parabel vom unbarmherzigen Sklaven
an, bei dem noch pointierter das Thema "Verzeihung" und "Autorität"
angesprochen ist. Außerdem ist klar, daß das Thema "Verzeihung
und Versöhnung höchste Pflicht ist und zu den ethischen Grundaussagen
der Botschaft Jesu gehört. Ich kann mir die Aufzählung der Belege
hier ersparen. Mein "Verbrechen", für das man sich öffentlich
entschuldigt hat, bestand darin, daß ich gewagt habe, dieselben Worte,
die Jesus an Petrus gerichtet hat, an den Petrus von heute zu richten -
und dies im Zusammenhang mit den oben geschilderten Praktiken der Verzeihungsverweigerung
auf viele Jahre hinaus - und selbstverständlich in Tausenden von Fällen.
Aber das "Crimen laesae caritatis" (das Verbrechen der verletzten Liebe),
das in diesen vergeblichen Bitten der Bischöfe und Ordensoberen sichtbar
wird, hat für manche Bischöfe gar kein Gewicht. Sie sehen nur
das "Crimen laesae majestatis", wenn man einer hohen Autorität das
Wort Gottes vor Augen stellt. Und hier wird die Überzeugung vertreten,
daß eben alles, was ein Papst tut, selbstverständlich schriftkonform
und barmherzig sei. Ein näheres Eingehen auf eventuelle Diskrepanzen
wird gar nicht versucht oder erlaubt. Und so sind die oben geschilderten
Praktiken für diese Bischöfe eben "barmherzig" und gerechtfertigt.
Ich glaube nicht, daß diese Art von "Papsttreue" dem Papsttum einen
Dienst erweist. Es könnte sich einmal herausstellen, daß es
mir mehr um die wahre Autorität und Würde des Papstamtes gegangen
ist, das ich für unverzichtbar halte.
Organisatorisch formale Bedenken
Ich habe schon gesagt, daß ich mich hüte, einfach der vielgelästerten
"vatikanischen Bürokratie" Vorwürfe zu machen. Die Entpersönlichung
der Vorgänge und die "Bürokratie" ist eine selbstverständliche
Folge des angeordneten Verfahrens. Den Bischöfen und Nachfolgern der
Apostel, die von Christus am Ostersonntag die unmittelbare und uneingeschränkte
Vollmacht erhalten haben, Menschen mit Gott zu versöhnen, wird in
diesem Bereich weltweit diese Vollmacht weggenommen. Damit konzentrieren
sich natürlich alle Fälle einer Kirche, die über eine Milliarde
Menschen umfaßt, nach Rom. Für den Bischof, der seine Diözese
und seine Mitbrüder kennt, ist der mit diesem Problem anstehende "Fall"
ein Mensch. Er kennt ihn, meistens seine Herkunft und seine Eltern, sein
bisheriges Leben. Er kennt die Gemeinden und Seelsorger, die für ihn
sprechen, er kennt die beurteilenden Fachleute. Wenn nun das alles, in
Papiere gefaßt, nach Rom geschickt wird, wird aus dem Menschen notgedrungen
ein Akt, ein Akt unter Tausenden. Und wenn man diesen Akt dann mit dem
Vermerk "wird zehn Jahre nicht berücksichtigt" abstellt, ist aus dem
Akt Makulatur geworden. Das System, das wir hier vor uns haben, ist das
einer völligen Entpersönlichung. Ich erwähne das hier nur
- weil der Akt der Versöhnung und Verzeihung von seinem Wesen her
ein zutiefst personaler sein sollte - und nicht ein Vorgang, den man, weil
die Masse dazu zwingt, über Computer laufen lassen kann. Ich glaube,
daß man dieses System überdenken sollte. Ich erinnere mich daran,
daß damals, als ich als Theologiestudent im Gefängnis der Gestapo
in Innsbruck saß, mein zukünftiges Schicksal in eine Schreibmaschine
des SD in Berlin gehämmert wurde - von Menschen, die mich nie gesehen
hatten und die ich nicht kannte. Ich glaube, daß die entpersönlichenden
Vollzüge dem Wesen einer pastoralen Kirche zuwiderlaufen. Aber das
erwähne ich hier nur am Rande. Wenn die Vorgänge in einem Geist
der seelsorglichen Einsicht ablaufen, werden derartige Bedenken gar nicht
so virulent.
Eine kleine kirchenrechtliche Schlußbemerkung
Canon 212 § 3
"Entsprechend ihrem Wissen, ihrer Zuständigkeit und ihrer hervorragenden
Stellung haben alle Gläubigen das Recht und bisweilen sogar die Pflicht,
ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, den geistlichen Hirten
mitzuteilen und es den übrigen Gläubigen kundzutun."
Rum bei Innsbruck,
Dr. Reinhold Stecher,
Altbischof von Innsbruck