Das heutige Evangelium ist für die deutsche Gegenwart wie für andere Länder von besonderer Bedeutung. Nicht in politischer Beziehung - denn das Evangelium hat mit Politik gar nichts zu tun - sondern in rein religiöser Hinsicht. Wir sprechen darum auch heute in keiner Beziehung über eine politische, sondern nur über eine religiöse Frage, nämlich über die religiöse Beziehung des Christen zum Staat.
I.
An sich ist davon im heutigen Evangelium nichts gesagt. Die Frage des
Verhältnisses von Christ und Staat lag der unmittelbaren Predigt Jesu
noch fern. Sie taucht erst auf, als das Christentum die Grenzen Palästinas
überschritt und die Christen sich über ihr Verhältnis zum
römischen Staate klar werden mußten. Da hat der heilige Paulus,
als Zeuge und Träger der Tradition, dem Jesusworte die entscheidende
Auslegung und Anwendung gegeben, indem er an die Römer die lapidaren
Sätze schrieb: "Jedermann sei untertan der obrigkeitlichen Gewalt;
denn es gibt keine Gewalt, die nicht von Gott stammt, und diejenige, welche
besteht, ist von Gott eingefetzt. ... Die Obrigkeit ist Gehilfin Gottes,
und vollstreckt die Strafe an dem, der Böses tut. Deshalb muß
man ihr untertan fein, nicht um der Strafe, sondern um des Gewissens willen;
aus diesem Grunde zahlt ihr ja Steuern. Denn die diesem Dienste obliegen,
sind Beamte Gottes. Gebt jedem, was ihr schuldig seid: Steuern, wem Steuern;
Zoll, wem Zoll; Furcht, wem Furcht, und Ehre, wem Ehre gebührt" (13,
1-7). Also der Theologe unter den Aposteln hat schon zu Beginn des Christentums
einem heidnischen Staate gegenüber den Gläubigen das Recht aller
obrigkeitlichen Gewalt und ebenso die Pflichten der Untertanen auf Gott
gegründet und damit für alle Zeiten das Verhältnis des Christen
zum Staat klar umschrieben. Und doch wird man sagen müssen, daß
diese Lehre in dem kurzen Worte Jesu enthalten ist und nur seine Entfaltung
darstellt.
Um die Worte Jesu in ihrem ursprünglichen Zusammenhang zu verstehen,
müssen wir auf folgendes achten. Die Pharisäer stellen die Frage
aus innerer Auflehnung gegen die römische Staatsgewalt. Sie wollen
nur einem Fürsten aus Davids Geschlecht gehorchen und halten darum
die römische Kopfsteuer aus religiösen Bedenken für unrecht.
Nie waren Nationalismus und Religion so furchtbar mi einander verquickt
als bei den Juden, und diese Verquickung hat den Gottesmord erst möglich
gemacht.
Darin lag die Gefährlichkeit der Falle, die man dem Herrn stellte:
Entweder mußte der Herr mit der Beantwortung der Zinsfrage sich in
Gegensatz zum Glauben des Gottesvolkes setzen und seinen Messiasruf selbst
zerstören, oder er mußte mit der herrschenden Römergewalt
in Konflikt kommen. - Aber Jesus durchschaut nicht nur die Falle, sondern
auch ihre Voraussetzung, den religiösen Nationalismus, und trifft
mit feiner Antwort beide; nicht ausweichend, sondern positiv: Die Münze
zeigt das Bild des Tiberius Cäsar und dessen Umschrift, und auf der
Rückseite steht "Pontifex maximus" (Oberster Hoherpriester). Das verschärfte
noch die Fragestellung, und doch trägt der Herr kein Bedenken zu sagen:
"Gebet also dem Kaiser, was ihm gehört." Bild und Umschrift des Kaisers
auf der Münze bedeuten feine staatliche Oberhoheit, die, wie im sonstigen
Gebrauch dieser Münzen - sie trugen sie ja in der Tasche bei sich
-, so auch im Steuerzahlen anerkannt werden muß.
Aber das hindert nicht, ihre Pflichten gegen Gott zu erfüllen.
Politische Treue gegen den Kaiser verträgt sich durchaus mit religiöser
Treue gegen Gott.
Über das Verhältnis beider zueinander sagt der Herr zunächst
nichts; denn das ist nicht die Situation. Die jüdischen Nationalisten
fragen, ob der Kaiser oder ein Davidide herrschen solle. Aber diese Frage
interessiert den Herrn gar nicht, weil sie keine religiöse, sondern
eine politische ist. Die religiöse Pflicht, der Dienst Gottes und
das Heil der Seelen, kann in jeder Regierungsform erfüllt werden.
Was bedeutet die politische Frage neben der religiösen? Der Messias,
der lang ersehnte, der eigentliche Sohn Davids, der Sinn des Gesetzes und
der Propheten, steht mitten unter ihnen, um ihnen das Heil zu bringen.
Die Stellung zu ihm ist die einzig entscheidende Frage, von der das Heil
des Volkes und die Ewigkeit jedes Israeliten abhängt. Wer irdischer
Herrscher in Palästina ist, bedeutet dafür nichts.
Genau so der heilige Paulus. Auch er fragt nicht, ob die bestehende
obrigkeitliche Gewalt zu Recht oder zu Unrecht in den Besitz der Macht
gekommen ist, und macht davon auch den Gehorsam nicht abhängig. Der
politische Streit kümmert ihn gar nicht; den läßt er in
feiner Sphäre und in seinem Recht. Ihm gilt nur die sittliche Pflicht
der Gläubigen, in jeder Staatsform, gleichviel unter welchem Herrscher,
sogar unter einem heidnischen, ihr Heil zu wirken und ihre staatlichen
Aufgaben aus Gewissensgründen, nicht nur um des äußeren
Zwanges willen zu erfüllen.
II.
Damit ist ein Doppeltes gesagt: Erstens, daß jeder Christ, welcher
politischen Überzeugung er immer fei, der bestehenden Obrigkeit loyalen
Gehorsam schuldig sei, wie es dem gottgesetzten Untergebenenverhältnis
entspricht. Zweitens, dieses Verhältnis darf nicht nur ein äußerlich
erzwungenes sein und nur so weit reichen wie die Strafgewalt, so daß
man geheimen Verbänden oder Verschwörungen angehören dürfte,
welche die bestehende Staatsform stürzen wollen und ihr so weit entgegenwirken
wie nur möglich. Nein, die Unterwürfigkeit muß eine loyale
sein, die Staatsform und bestehende Obrigkeit auch positiv anerkennt und
ihren Gesetzen sich um des Gewissens willen, also auch im Geheimen und
überhaupt im Privatleben fügt, auch wenn die strafende Hand den
Staatsbürger nicht erreichen kann.
Die persönliche Überzeugung politischer Art über eine
bessere Staatsform oder eine bessere Obrigkeit bleibt dabei natürlich
unangetastet; auch das Recht, sie mit allen gesetzlichen Mitteln zu fördern.
Aber dieses Recht schließt Gewalt und Revolution aus, wie eine andere
Überzeugung als die herrschende auch nicht einen loyalen Gehorsam
ausschließt Wäre öffentliche Ordnung überhaupt möglich,
wenn jede nur dem Herrscher oder der Obrigkeit zu gehorchen brauchte, die
er für gut hält? Wäre das nicht vollendete Anarchie? Oder
wo kommen wir hin, wenn die Unterwerfung keine sittliche zu sein braucht;
wenn das Prinzip gilt, die Obrigkeit dürfe man betrügen, wo es
geht? Wenn dieses Prinzip einer Staatsform gegenüber anwendbar ist,
warum dann nicht auch jeder andern? Kann überhaupt ein Gemeinschaftsleben
bei allgemeiner Unmoral bestehen? - Man sieht, die Mahnung des Apostels
trifft mit der Notwendigkeit der natürlichen Ordnung zusammen, wie
überhaupt Gottes Gebote nicht aus irgendwelcher Willkür kommen,
sondern vom Schöpfer unserer Natur gegeben sind, der uns nur Gebote
geben kann, die den tieferen Anforderungen dieser Natur selbst entsprechen.
Dieses loyale Verhältnis gilt natürlich nur dem Amt der Obrigkeit,
ihrer leitenden Stellung, nicht den jeweiligen Personen. Denn das
Amt ist von Gott bestellt, nicht die einzelnen Amtsträger. Die Ordnung
selbst und die Ordnungsmacht ist im Willen Gottes begründet. Darum
lehrt der Apostel, daß auch einem heidnischen Kaiser und einem heidnischen
Staate gegenüber ein loyaler Gehorsam zu leisten ist. Die politische
Frage nach der Person oder Partei scheidet dabei vollkommen aus. Für
die religiöse Pflicht gegenüber dem Staate ist es also
völlig belanglos, ob die einzelnen Männer oder ihre Partei mit
Recht oder Unrecht an die leitende Stelle gekommen sind und wie sie sich
dafür eignen. Darum berührt der heilige Paulus diese Frage gar
nicht. Er urteilt nicht über Recht und Unrecht des römischen
Staates, sondern betont nur die religiösen Pflichten gegenüber
der bestehenden Staatsgewalt. Nur zu gut kennt er natürlich die Zustände
im römischen Reiche, und ihre Auswirkungen hat er am eigenen Leibe
ausgiebig erfahren müssen bis zu seinem Martertode; aber bewußt
entzieht er das gleichbleibende Verhältnis des Christen zum Staat
den wechselnden Streitigkeiten der Parteien und den persönlichen Fehlern
der Staatsbeamten, er stellt über ihnen einen festen, allgemeinen
Grundsatz auf, der bei aller Verschiedenheit der individuellen, politischen
Anschauungen den inneren Frieden wahrt und begründet und zur sittlichen
Pflicht jedes Christen macht. Das persönliche Urteil über die
Güte und Tüchtigkeit der Staatslenker und über die Eignung
der jeweiligen Staatsform läßt er vollkommen frei, wie auch
der Herr nicht nur gegenüber der weltlichen Macht in Rom, sondern
auch gegenüber den kirchlichen Machthabern in Jerusalem sein persönliches
Urteil sich durchaus vorbehält: "Auf dem Stuhle des Moses fitzen die
Schriftgelehrten und Pharisäer. Darum tut und haltet alles, was sie
euch sagen; nach ihren Werken aber richtet euch nicht" (Mt 23, 2-3).
III.
Nur an einem Punkte hat der loyale Gehorsam gegen den Staat feine Grenze,
nämlich an der Grenze feines eigenen Wesens und seiner eigenen Existenz.
Seine Begründung ist zugleich seine Begrenzung. Die Staatsordnung
- nicht die Staatsform oder die Amtsträger - ist von Gott selbst in
der Natur des Menschen und des menschlichen Zusammenlebens begründet,
und daraus folgt, daß der Gehorsam gegen den Staat für den Christen
sittliche und religiöse Pflicht zugleich ist. Wo aber der Anspruch
des Staates den Willen Gottes, seine geoffenbarte Wahrheit und seine Gebote
verletzt, da fehlt die Grundlage der staatlichen Verpflichtung, und ein
loyaler Gehorsam kann gar nicht geleistet werden. Denn ein Gehorsam
ist nur dann loyal und sittlich-religiös, wenn er letzthin im Willen
Gottes gründet, also Gehorsam gegen Gott ist. Dieser Gehorsam gegen
Gott verlangt demnach, daß die gegen das religiös-sittliche
Gewissen verstoßenden Forderungen der Staatsgewalt abgelehnt werden.
So haben die Christen aller Zeiten gedacht und gehandelt und, wenn
es nötig war, das Martyrium auf sich genommen. Allen voran der Apostelfürst
selber. Tempelhauptmann und Priesterschaft hatten den Aposteln verboten,
Jesum zu predigen. Die Apostel aber erfüllten den Auftrag ihres Herrn
und predigten weiter im Tempel das Wort Gottes. Vor den Hohen Rat gestellt,
erklärte Petrus: "Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.
Der Gott unserer Väter hat Jesus, den ihr ans Kreuzesholz gehängt
und getötet habt, auferweckt. Gott hat ihn zu feiner Rechten zum Herrscher
und Heiland erhöht, um Israel Bekehrung und Vergebung der Sünden
zu gewähren. Und wir sind Zeugen dieser Tatsachen wie auch der Heilige
Geist, den Gott denen verliehen hat, die ihm gehorchen" (Apg 5,29-32).
Hier haben wir den typischen Fall, daß Religion in den Dienst der
Politik gestellt wird, nicht Politik in den Dienst der Religion. Nicht
die Apostel treiben Politik auf der Kanzel, sondern ihre Gegner wollen,
daß auf der Kanzel ihre politische Lehre verkündigt werde, damit
sie die Massen bis ins Gewissen hinein beherrschen können. Die staatliche
Macht stellt sich gegen eine Forderung Gottes, und da ist kein religiöser
Gehorsam möglich. Der besteht gerade in der kategorischen Ablehnung
und in der Treue gegen Gott, die immer auch die wahre Treue gegen Volk
und Vaterland ist.
Das deutet indirekt auch der Herr an, wenn er den Gehorsam gegen Gott
und gegen den Kaiser nebeneinander stellt. Das kann natürlich nicht
heißen, daß Gott und der Kaiser irgendwie gleichgeordnete Größen
seien und daß der Gehorsam gegen beide sich die Waage halten müsse.
Das schließt der Gottesbegriff Jesu völlig aus. Es kann nur
heißen: Gebet dem Kaiser, was ihm gebührt, indem ihr ihm den
Gehorsam leistet, der seinem Amte zukommt, jedoch so, daß ihr Gott
gebet, was Ihm gebührt, nämlich die volle Hingabe eures Herzens
und Willens. Der Christ kann also dem Staat nur so weit Gehorsam leisten,
daß er den Ansprüchen Gottes nichts vergibt. Denn die Verpflichtung
Gottes geht unzweifelhaft vor, und die Verpflichtung der Menschen besteht
nur so weit zu Recht, wie sie auf dem Willen Gottes und der von Gott gesetzten
Naturordnung gründet. Wo diese Grenze überschritten wird, hört
die Gehorsamspflicht auf.
Das Gleiche gilt natürlich auch umgekehrt, wenn die Vertreter
der Kirche als der Sachwalterin Gottes - auch sie sind Menschen mit ihren
Fehlern und unterliegen der menschlichen Armseligkeit - Forderungen stellen
würden, die gegen die echten Belange des Staates find, also der wirklich
öffentlichen Ordnung, nicht nur was man aus politischen Gründen
so nennt oder vorgibt, widersprechen oder die gottgegebene Freiheit des
Einzelmenschen verletzen. Dann verträten sie eben nicht den Willen
Gottes, sondern nur ihren eigenen, und könnten dann keinen religiös-sittlichen
Gehorsam verlangen. Im Gegenteil, dieser Gehorsam bestände gerade
in der Ablehnung jener Forderungen, und man müßte auch da
Gott mehr gehorchen als den Menschen. Denn Gott hat sowohl die staatliche
Ordnung begründet als auch dem Menschen seine personale Freiheit gegeben,
die, in den rechten Grenzen verstanden, von niemand angetastet werden darf.
Wir geben also nur dann Gott, was Gottes ist, wenn wir auch dem Staate
geben, was ihm gebührt und in den Grenzen feiner Kompetenz liegt.
Das heißt praktisch: Wir können den Vertretern der Kirche nur
so weit wahrhaft gehorchen und diesen Gehorsam auf Gott gründen, wie
wir auch unsere staatsbürgerlichen Pflichten erfüllen, die ebenfalls
in Gott ihre letzte Grundlage haben.
Daß auch die Vertreter der Kirche ihre Kompetenz überschreiten
können, dafür gibt es Beispiele genug in der Geschichte der Kirche,
besonders aus der Zeit, als die Päpste und Bischöfe auch weltliche
Herrscher waren und kirchliche Machtmittel in den Dienst ihrer weltlichen
Politik gestellt haben, indem sie ihre politischen Gegner und deren Anhänger
mit dem Kirchenbann belegten. Ein anderes Beispiel wirtschaftlicher Art
ist der Versuch der päpstlichen Kurie, für die Alaunlager im
Kirchenstaat sich eine Art Monopol zu sichern und den Ankauf fremdländischen
Alauns, besonders aus der Türkei, unter kirchliche Strafen zu stellen.
Natürlich war das ein Mißbrauch der geistlichen Gewalt, der
seinen Grund in der Verbindung mit weltlicher Macht und irdischen Interessen
hatte; aber heute ist er nicht mehr so verwunderlich, seitdem wir die staatlichen
Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen zwischen den Ländern, mehr,
als uns lieb ist, kennengelernt haben. Das römische Staatssekretariat
hat also im Grunde nichts anderes getan, als was die heutigen Staatsmächte
selbstverständlich mehr oder weniger alle tun; - das Bedauerliche
liegt nur darin, daß für diese staatliche Maßnahme kirchlich-religiöse
Mittel eingesetzt wurden Jedoch waren die Christen im ganzen auch damals
schon reif genug, diese Verquickung von Religion und Politik praktisch
abzulehnen und ihre persönliche Freiheit zu wahren.
Aber diese Versuche eines Papacäsarismus sind viel, viel
seltener als die Beispiele des Cäsaropapismus, daß der
Staat in die religiöse Sphäre eingreift und die kirchlichen Kräfte
seinen politischen Zwecken absolut dienstbar machen will, ja dem kirchlichen
Glauben eine entgegengesetzte Weltanschauung gegenüberstellt und dafür
seine Machtmittel einsetzt. Das ist besonders dann der Fall, wenn der Staat
sich, wie in Rußland, selbst vergötzt und mit Hegel sich an
die Stelle Gottes setzen will. Dann erhebt er Totalitätsansprüche,
die nicht mehr Gott lassen, was Gottes ist, und so der Weisung unseres
Herrn widersprechen. Dem kann der Christ nur ein unbeugsames Nein entgegenstellen,
auch wenn er die Machtmittel des Staates am eigenen Leib zu spüren
bekommt. Dann heißt es tapfer fein, wie es der christlichen Haltung
entspricht, die im Schicksal des Herrn allen Mächten gegenüber
siegreich geblieben ist. Die Pforten der Hölle werden den wahrhaft
Gläubigen ebensowenig überwältigen, wie sie die Kirche Gottes
jemals überwältigen werden.