Im folgenden zitieren wir aus der umfangreichen Moraltheologie "Das
Gesetz Christi", 1. Auflage Freiburg 1954, 984-987, von Bernhard Häring
(gest. 1998). Sowohl das Datum als auch der Autor dieses Textes sind dabei
von Bedeutung.
1954 war das Tausendjährige Reich (1933-1945) den damaligen Autoren
sicher noch besser im Gedächtnis als den Autoren von heute. Die
deutsche Kultur, die Adolf von Österreich mit Hilfe seiner Schlägertruppen
und an erster Stelle den Millionen von begeisterten Mitläufern
herangezüchtet hatte, war ein abschreckendes Beispiel dafür, wie
ein Staat endet, der die göttlichen Gesetze verhöhnt: zu den
Eigenschaften der Nazi-Kultur gehörten: Verbot von Kruzifixen in öffentlichen
Gebäuden, Verbreitung einer antichristlichen Ideologie als
christliche Lehre, Verurteilung unschuldiger Kleriker wegen ihres
Bekenntnis des katholischen Glaubens, Wildwuchs einer "Justiz",
die sich selbst als übergöttliche Instanz verstand etc.
Häring greift für die Darstellung seiner Position besonders auf
M. Pribilla zurück, aber auch auf M. Laros, von dem wir bereits Texte
bei KzM veröffentlicht haben (s. Kompromissbereitschaft).
Überhaupt ist Härings DGS eine umfangreiche Sammlung von Zitaten
aus oder Querverweisen auf anerkannte christliche Quellen. Im
Namensverzeichnis fällt auf, dass Häring ausgiebig auf die
beiden letzten Päpste (Pius XI. und Pius XII.) und v.a. auf Thomas
von Aquin verweist. In sehr vielen Fragen erhält man also bei Häring
eine richtige Auskunft. Warum Häring DGS überhaupt geschrieben
hat, ist schwierig zu beantworten. Am plausibelsten erscheint uns die
Annahme, dass er quasi seinen Fuß in die Tür setzen wollte: Mit
so einem umfangreichen, zum Nachschlagen wirklich nützlichen Werk
konnte er sich eine ausgezeichnete Anerkennung verschaffen. Folgt man
dieser Annahme, so spiegelt DGS also kaum die Überzeugungen Härings
wider, sondern ist vielmehr als Blender konzipiert, um sich einen guten
Namen zu verschaffen. Bei Eröffnung von Vatikanum 2, d.h. nur acht
Jahre nach DGS, galt Häring ohnehin schon als "Liberaler",
dem von katholischer Seite Mißtrauen entgegengebracht wurde. Als
Ganzes wird man DGS schwerlich als liberales Machwerk verurteilen können,
aber gewisse Äußerungen lassen zumindest erahnen, dass in dem
Autor ein Kirchenhass steckt, wodurch er ja auch später bekannt
wurde, als er etwa seine "Erfahrungen mit der Kirche"
publizierte. Härings in DGS geäußertes Machtwort zum
Hexenwahn werden wir an anderer Stelle zitieren. DGS wurde erwartungsgemäß
eine Art Standardwerk und erfuhr noch einige Auflagen, wobei der beträchtliche
Textbestand dann in drei Bände aufgeteilt wurde. Nach Vatikanum 2
erklärte Häring im Vorwort zu DGS, dass er wegen "des
Konzils" z.T. erheblich von früher vertretenen Positionen
abgewichen sei, und schließlich benannte er sein Handbuch um in "Frei
in Christus". Einerseits haben wir also einen liberalen Autor,
andererseits haben wir katholische Quellen, nämlich Texte von
denjenigen, die während des Nazi-Terrors dem Massenwahn die Stirn
geboten haben.
Anfang des kommenden Jahres werden wir den Prozess gegen die Bundesrepublik Deutschland beginnen. Wie auch immer dieser Prozess ausgehen wird, wir werden uns niemals einem gottfeindlichen Regime unterwerfen, und am Ende der Zeit wird sich jedes Knie vor Christus, dem Herrscher des Weltalls, beugen müssen (cf. Phil 2,10).
(1) Gegen eine rechtmäßige Regierung ist die
Revolution schlechthin unzulässig, auch wenn der Träger der
Gewalt persönlich schwere Sünden begeht oder einzelne bedrückende
und ungerechte Gesetze erläßt. Der Begriff »rechtmäßig«
besagt ja schon, daß diese Regierung das Recht hat, Unterordnung zu
fordern (Vergleiche den 63. Satz des Syllabus Pius IX., Denzinger 1763).
(2) Gegen den ungerechten persönlichen Angriff von seiten
eines Regierenden darf man sich wehren, im äußersten Notfall
sogar bis zur Tötung des ungerechten Angreifers.
(3) Einer unrechtmäßigen Regierung schuldet man an
sich, wenn nicht besondere Gründe eine Ausnahme verlangen, keine
Unterwürfigkeit.
a) Eine Regierung kann unrechtmäßig sein durch die Art und
Weise, wie sie zur Macht kommt. Der Revolutionär, der sich gegen
seine rechtmäßige Regierung erhebt, wird nicht dadurch zur
rechtmäßigen Obrigkeit, daß er einen Teil des
Staatsgebietes tatsächlich unter seine Macht bringt.
Jeder Bürger ist verpflichtet, seiner rechtmäßigen
Regierung in der Abwehr gegen die Aufrührer zu helfen, nötigenfalls
auch durch Tötung der Usurpatoren im Verlaufe dieses Abwehrkampfes.
Es handelt sich in diesem Fall ja nicht um die Tötung auf private
Anmaßung hin - dies wäre unerlaubt -, sondern um die Ausführung
des Willens der rechtmäßigen Autorität, beziehungsweise um
eine gesetzesgemäße Kampfhandlung.
Wenn der Usurpator tatsächlich die Staatsgewalt fest im Besitz hat,
darf die bislang rechtmäßige Regierung nur mehr zum Kampfe
aufrufen, wenn sie sich davon moralisch sicher Erfolg und auf das Ganze
gesehen eine Förderung des Gemeinwohles erwartet. Die eigenen Ansprüche
auf die Regierungsgewalt müssen schließlich zurücktreten
gegenüber der Rücksicht auf die Wohlfahrt des gesamten Volkes.
Das Allgemeinwohl ist auch für das Staatsvolk der Maßstab dafür,
ob es die Regierung des Usurpators anerkennen soll oder nicht.
b) Eine Regierung, die legal zur Macht gekommen ist, kann unrechtmäßig
werden durch äußersten Mißbrauch ihrer Macht gegen das
Allgemeinwohl, durch Untergrabung von Religion und Sittlichkeit, von
Recht und Gerechtigkeit.
Eine Regierung verliert jedoch ihre Rechtmäßigkeit
nicht schon durch schwere persönliche Sünden der Regierenden und
auch nicht durch einzelne schlechte Gesetze, sondern nur durch die direkte
Verkehrung des Sinnes und Zweckes der Obrigkeit.
Wenn einmal grundsätzlich zugegeben ist, daß eine Regierung
ihre Rechtmäßigkeit durch den äußersten Mißbrauch
ihrer Macht verliert, dann ist auch im Kern schon dem Volke das Recht
zugebilligt, seine Sache selbst gegen diese unrechtmäßige
Regierung in die Hand zu nehmen. Die Frage ist nur: Auf welche Weise?
Der passive Widerstand (die gewaltlose und geschlossene
Nichtbefolgung von Gesetzen) kann auch gegenüber einer rechtmäßigen
Regierung in Frage kommen in Bezug auf einzelne Gesetze, die ungerecht
sind und Böses verlangen. Erst recht ist der passive Widerstand
erlaubt gegenüber einer wesenhaft schlechten Regierung.
Die schwierigere Frage ist, ob es einer Regierung gegenüber, »die
offenkundig zum Feinde des Volkes wird, die dauernd und in schwerster
Weise gegen das Gemeinwohl verstößt«, das Recht zum
aktiven Widerstande gibt. Dieses Recht hat neuerdings Max Pribilla mit
guten Gründen und in kundiger Auslegung der Schrift und Tradition
vertreten (M. Pribilla S. J., An den Grenzen der Staatsgewalt, in: Stimmen
der Zeit 141 (1948) S. 410-427; Schlange und Taube, ebenda 148
(1951) S. 161-172). In ähnlicher "Weise äußerte sich
nach ihm Matthias Laros" (M. Laros, Seid klug wie die Schlangen
und einfältig wie die Tauben. Frankfurt 1951).
Begründung: »Die gottgegebene,
naturrechtliche Ordnung darf die einzelnen und die Völker in keiner
Weise ohne rechtliche Hilfe lassen, so daß die rechtlose
Gewalt keine rechtliche Schranke gegen sich hätte. Ver aber den
aktiven Widerstand unter allen Umständen als unerlaubt verurteilt,
verweigert dem Volke das Recht zur Anwendung wirksamer Mittel gerade in
der höchsten Not, wenn es nämlich von seiner eigenen Regierung
zu Grunde gerichtet wird (M. Pribilla, in: Stimmen der Zeit 141
(1948) S. 420). Nach mittelalterlicher Auffassung und Praxis hatte der
Papst das Recht, die Untertanen von ihrer Verpflichtung zur Untertänigkeit
zu entbinden, wenn der Herrscher das Allgemeinwohl oder die Rechte der
Religion schwer verletzte. Nach allgemeiner Auffassung hat das Volk selber
das Recht, einen Wahlkönig beziehungsweise eine gewählte
Regierung abzusetzen, wenn diese sich nicht an die bei der Wahl
eingegangenen Verpflichtungen halten. Daraus folgert pribilla mit Theodor
MEYER (Th. Meyer, Institutiones juris naturallsII. Freiburg 1900)
und MAUSBACH (Staatslexikon Freiburg 1927, Bd. II, 402 ff.):
»Wenn der gebrochene Vertrag den Ständen das Widerstandsrecht
gegen den Gewaltherrscher gibt, sollte das, was positive, geschriebene
Dokumente vermögen, nicht in höherem Maße das
gottgegebene, natürliche Recht des Volkes zu leisten imstande sein?
Jedenfalls scheint es widersinnig, dem einzelnen das Recht der Notwehr
unbedenklich zu gestatten, der Gesamtheit aber das unter den gegebenen
Uniständen einzig wirksame Rechtsmittel zur Behebung eines äußersten
Notstandes - nämlich die Unschädlichmachung des seine Gewalt mißbrauchenden
Herrschers - zu verweigern« (Stimmen der Zeit 141 (1948) S.
421).
Pribilla stellt für die Erlaubtheit des aktiven Widerstandes
folgende Bedingungen auf:
(1) Der aktive Widerstand kommt nur in Frage bei außerordentlich
großem Mißbrauch der Staatsgewalt, wenn zum Beispiel die
allerwesentlichsten Freiheitsrechte unterdrückt, das Recht durch
Gewalt, das Gemeinwohl durch Parteienwirtschaft völlig verdrängt
wird.
(2) Der aktive Widerstand ist erst nach Erschöpfung aller
friedlichen Mittel erlaubt.
(3) Es muß eine begründete Sicherheit vorhanden sein, daß
sich der aktive Widerstand tatsächlich durchsetzen kann und daß
voraussichtlich die Zustände nicht durch ihn noch verschlimmert
werden.
(4) Es darf nur soviel Gewalt angewendet werden, als die Abstellung der Übel
erfordert. (Pribilla sagt: »Der Sicherheit halber aber eher zu viel
als zu wenig« (l.c. S. 422)).
Die Entscheidung über das Recht und die Anwendung des aktiven
Widerstandes kann nie Sache irgend eines Privatmannes sein, sondern nur
der Urteilsfähigen und Berufenen, die imstande erscheinen, den
Widerstand erfolgreich durchzuführen. Die dazu Fähigen und
Berufenen sind bei der äußersten Not ihres Volkes wohl auch
dazu verpflichtet, selbst bei größter persönlicher Gefahr.
Die Vertreter des aktiven Widerstandsrechtes gegen ein ungeregeltes
Gewaltregime können sich zweifellos auf Papst Plus XI. berufen, der
in seinem Rundschreiben Firmissimam constantiam vom 28.3.1937 (AAS
29 (l 937) p. 196 ss.) billigend, wenn auch vorsichtig und unter Betonung
der notwendigen Einschränkungen, von einer solchen Auffassung redet.
Die Haltung der spanischen Bischöfe 1936 und ihr gemeinsamer
Hirtenbrief vom 1. 7.1937 steht eindeutig auf dieser Linie.
Praktisch wird ein aktiver Widerstand unter Einhaltung der genannten
Bedingungen sehr selten möglich sein. Darum gilt der Grundsatz:
»Widerstehet den Anfängen! Sonst kommt die Heilung zu spät«.
Der Christ muß sich rechtzeitig um die Politik kümmern.
Vielfach bleibt den Christen gegenüber einem tyrannischen Regime nur
die Waffe der Geduld und des Gebetes.
Von der Frage des aktiven Widerstandsrechtes ist wohl zu unterscheiden
der »Tyrannenmord« oder die »Tyrannentötung«:
Die Tötung des Tyrannen kann im Verlauf des aktiven Widerstandes des
Volkes aus zwingender Notwendigkeit geschehen, wenn sonst keine Aussicht
auf den Erfolg der gerechten Sache bestünde oder wenn die
Kampfhandlungen dazu führen.
Aber es kann sicher nicht das Recht irgend einer Privatperson sein,
auf eigene Faust den Gewaltherrscher zu töten, auch wenn sie überzeugt
ist, daß diese Herrschaft von Anfang an oder durch den schweren Mißbrauch
der Gewalt unrechtmäßig ist. Denn keine Privatperson hat das
Recht, über einen ändern die Todesstrafe zu verhängen,
soweit es sich nicht um die aktive Notwehr handelt.
Noch viel weniger als die Ermordung des Gewaltherrschers auf privaten
Entschluß hin (beziehungsweise ohne die Möglichkeit, dadurch
eine geordnete staatliche Obrigkeit einzusetzen) ist die Ermordung
politisch unliebsamer Gegner erlaubt, auch wenn man noch so sehr davon überzeugt
sein sollte, daß diese ein Unglück für das Volk bedeuten.