I. Radio Vatikan
04.05.2001
"Papst Johannes Paul II. hat heute den letzen Teil seiner Reise zu
den Stätten der Heilsgeschichte angetreten. Am Vormittag begann er
seine sechstägige Pilgerschaft auf den Spuren des Völkerapostels
Paulus in Athen, dem wohl schwierigsten Ort seiner Reise. Denn die Beziehungen
zur Griechisch-orthodoxen Kirche sind kompliziert und vielschichtig. Gleich
zu Beginn seiner Reise setzte der Papst ein deutliches Zeichen und bat
um Vergebung für die Verbrechen der Kreuzritter, die im Jahr 1204
die Stadt Konstantinopel verwüstet und zahlreiche orthodoxe Christen
getötet hatten.
[...]
Mit dem Besuch beim griechisch-orthodoxen Erzbischof von Athen und
ganz Griechenland, Christodoulos, begann dann der diplomatisch heiklere
Teil des Programmes. Im Vorfeld des Papstbesuches hatte es in Griechenland
zahlreiche Proteste gegeben, in den vergangenen Tagen hatte sich das Stimmungsbild
aber gebessert. Die Begegnung am Sitz des griechisch-orthodoxen Erzbischofs
verlief in einer herzlichen Atmosphäre. Erzbischof Christodoulos begrüßte
den pilgernden Papst. In seiner Ansprache ging er dann auf die zahlreichen
noch nicht überwundenen Spannungen und historischen Verletzungen zwischen
Rom und der Orthodoxie ein. Er erinnerte an die Kreuzzüge und sprach
die mit Rom unierten Kirchen des Ostens an, die der eigentliche Grund für
das Stocken des katholisch-orthodoxen theologischen Dialogs seien. Er hoffe,
so Christodoulos, dass der Besuch des Papstes in Griechenland dem Dialog
der Kirchen nützen werde. Auch der Papst ging in seiner Ansprache
auf die Schwierigkeiten im Verhältnis der Kirche ein. Nach einigen
Worten über die gemeinsamen Wurzeln des Glaubens der Kirchen stellte
er fest: Wir brauchen einen befreienden Prozess der Reinigung des Gedächtnisses.
'Für die Gelegenheiten in Vergangenheit und Gegenwart, in denen Söhne
und Töchter der katholischen Kirche sich mit Taten und Unterlassungen
gegen ihre orthodoxen Brüder und Schwestern versündigt haben,
bitten wir den Herrn um Vergebung.' Auch heute litten wir noch unter der
Last vergangener und gegenwärtiger Kontroversen und Missverständnisse,
fuhr Johannes Paul II. fort. 'Ich denke an die entsetzliche Zerstörung
von Konstantinopel, das so lange die Bastion des Christentums im Osten
war. Es ist tragisch, dass die Angreifer, die eigentlich den freien Zugang
der Christen zum Heiligen Land sichern sollten, sich gegen ihre eigenen
Brüder im Glauben gestellt haben.' Das Faktum, dass es sich dabei
um lateinische Christen handelte, erfülle die Katholiken mit tiefem
Bedauern, erklärte der Papst. Er rief Gott um Gnade an, um die Wunden
der Vergangenheit zu heilen. Johannes Paul II. brachte seine Hoffnung zum
Ausdruck, dass eine 'Ökumene der Heiligkeit' letztlich zur vollen
Einheit der Christen führen werde. Diese solle weder ein Absorbieren,
noch eine Fusion sein, sondern ein Treffen in Liebe und Wahrheit. Mit Blick
auf die unierten Kirchen des Ostens erklärte er: 'Wenn bestimmte Modelle
der Wiedervereinigung aus der Vergangenheit dem Einheitsstreben, das der
Heilige Geist neuerdings überall in den Christen geweckt hat, nicht
mehr entspricht, müssen wir umso offener und aufmerksam sein für
das, was der Geist den Kirchen jetzt sagt." Die anwesenden orthodoxen Bischöfe
antworteten auf die Rede des Papstes mit zustimmendem Applaus. Erzbischof
Christodoulos überreichte dem Papst abschließend als Geschenk
eine Marienikone und sagte: Er hoffe, dass der Papst oft Gelegenheit haben
werde, 'vor dieser Ikone für die Einheit unserer Kirchen zu beten'."
05.05.2001
"Gemeinsame Erklärung zu den christlcihen Wurzeln Europas
Der griechisch-orthodoxe Erzbischof Christodoulos und der Papst haben
gestern abend eine "Gemeinsame Erklärung zu den christlichen Wurzeln
Europas" veröffentlicht. Zentrale Themen darin sind die Einheit der
Kirchen, Gerechtigkeit und Friede, und der Respekt vor der Menschenwürde.
Beide sprechen sich für eine Überwindung der Kirchenspaltung
und eine Einheit im Geiste aus, und verurteilen in diesem Zusammenhang
Proselytenmacherei, Fanatismus und Gewaltanwendung. - Im Einigungsprozeß
Europas sei wichtig, dass die Identität der Völker und ihr religiöses
Erbe gewahrt bleiben. Die Globalisierung, so heißt es in der gemeinsamen
Erklärung, müsse in brüderlicher und christlicher Weise
vor sich gehen.
Gemeinsames Gebet am Freitagabend
Eine kleine Überraschung gab es gestern Abend: Nachdem die Beziehungen
den Tag über herzlicher geworden waren, schlug der Papst am Abend
Erzbischof Christodoulos im privaten Rahmen ein gemeinsames Vater-unser-Gebet
vor. Die griechisch-orthodoxe Seite ging darauf ein. Damit wurde, was öffentlich
vorher nicht denkbar gewesen war, doch noch Wirklichkeit.
Kardinal Kasper: Historischer Tag
Der Präsident des Päpstlichen Rates für die Einheit
der Christen, Kardinal Walter Kasper, hat gegenüber Radio Vatikan
den gestrigen Tag als historisch bezeichnet. Neben der Vergebungsbitte
des Papstes war für ihn besonders erfreulich, dass die griechisch-orthodoxe
Kirche den Wunsch geäußert hat, den theologischen Dialog wieder
aufzunehmen".
06.05.2001
"Der russisch-orthodoxe Patriarch Alexij II. hat die Vergebungsbitte
des Papstes gegenüber der Orthodoxie mit Zurückhaltung aufgenommen.
Man müsse die Worte des Papstes 'in ihrem Kontext sehen', sagte Alexij
II. am Wochenende bei einem Treffen mit dem griechisch-orthodoxen Erzbischof
von Athen, Metropolit Christodoulos. In erster Linie habe sich Johannes
Paul II. auf die Kreuzzüge bezogen. Jetzt müsse man abwarten,
wie sich diese Vergebungsbitte in konkreten Taten auswirke, meinte der
Patriarch."
II. Die antichristliche Presse stimmte in diesen Chor ein:
"Schwieriger Besuch des Papstes in Athen. Historische Hypotheken
belasten die Beziehungen" (NZZ 04.05.2001)
"Meist wird das Jahr 1054 als Zeitpunkt der Kirchenspaltung genannt.
In jenem Jahr hatte in Konstantinopel der päpstliche Legat, Kardinal
Humbert von Silva-Candida, in einem theatralischen Akt den Patriarchen
von Konstantinopel, Michael Kerularios, und dessen Parteigänger exkommuniziert.
Kerularios konterte, indem er den Kardinal nebst dessen beiden Begleitern
exkommunizierte. 1054 war aber nur ein Glied in der Kette zunehmender Entfremdung
zwischen westlicher und östlicher Christenheit, die bereits zuvor
eingesetzt hatte. Weitaus verheerendere Auswirkungen hatten die Kreuzzüge,
unter denen keineswegs nur die muslimische und jüdische Bevölkerung
des Nahen Ostens zu leiden hatte, sondern ebenso die orthodoxen Christen."
"Gesten der Versöhnung als Vermächtnis des Pontifex. Die
Papstreise dient der Verständigung unter den Religionen" (Stuttgarter
Zeitung 09.05.2001)
"In der zerstörten griechisch-orthodoxen Kirche von Kuneitra betete
er an einem der Brennpunkte des Nahostkonflikts für den Frieden. Dann
pflanzte er vor der Ruine einen Ölbaum und mahnte die feindlichen
Völker zu Toleranz. Dieses Bild wird im Gedächtnis bleiben, auch
wenn die Worte des Papstes bei den politischen Führern noch auf taube
Ohren stoßen und den Hass zwischen den Völkern zunächst
nicht besänftigen können.
Unmittelbarer allerdings wirken die Signale, die das Kirchenoberhaupt
auf religiösem Gebiet gibt. Hier formuliert der Papst quasi sein Vermächtnis:
In Athen etwa hat der Pontifex ein neues Kapitel in der Kirchengeschichte
aufgeschlagen, indem er sich bei der griechisch-orthodoxen Kirche für
die Untaten der Kreuzzüge entschuldigte. Diese Geste der Versöhnung,
öffnet den Weg für eine Zusammenarbeit der seit Jahrhunderten
verfeindeten Konfessionen. Das ist ein weiterer Schritt hin zu einer weltweiten
Ökumene, die der Papst für alternativlos hält angesichts
der fortschreitenden Säkularisierung."
"Unbehagen an der Papstreise" (Salzburger Nachrichten, 09.05.2001)
"Ohne Namen zu nennen, berichtete Messori, derartige Stimmen höre
man von einem Teil der römischen Kurie in Übereinstimmung mit
einem Netz von Bischöfen in der Seelsorge. Das erneute Schuldbekenntnis
für die Sünden der Katholiken gegenüber den Orthodoxen beim
Vierten Kreuzzug beunruhige jene Teile der Kirche, die Wahrheit und Gerechtigkeit
verteidigen wollten.
Messori gibt in seinem Artikel aber zugleich eine gewisse Sympathie
mit der Strategie des Papstes zu erkennen, der 'dem Stolz der Welt die
Bescheidenheit und vielleicht auch die Erniedrigung der Kirche entgegenstellt'.
Das Oberhaupt der orthodoxen Kirche von Griechenland, Erzbischof Christodoulos,
hat sich dankbar für den jüngsten Papstbesuch in Griechenland
geäußert. Der Besuch sei kurz, aber fruchtbar gewesen, betonte
der Erzbischof in einem Brief an Johannes Paul II. Der Papst und Erzbischof
Christodoulos hatten in Athen eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet,
in der 'Gewalt, Proselytenmacherei (Bekehrungseifer) und Fanatismus im
Namen der Religion' ausdrücklich verurteilt werden."
"Römisch III" (Frankfurter Rundschau, 19.05.2001)
"Dem männlich-kräftigen Woityla hätte man die Bitte
um Vergebung, die er kürzlich an die Repräsentanten der Ostkirchen
wegen der Kreuzzüge richtete, bloß als klugen diplomatischen
Akt abgenommen. Der Tattergreis aber brachte sie in einer Sinnlichkeit
zur Anschauung, die jede Reflexion unterband. Angesichts dieser Hinfälligkeit
konnte sich der Gedanke, die Bitte um Vergebung sei abzuschlagen, nicht
einmal probeweise einstellen. Oder der ironische Hinweis auf die unglaubliche
Zeitverzögerung: Gewiss würden sich die katholischen Schwulen
der Gegenwart freuen, wenn ihnen Rom auch nur ungefähr andeuten könnte,
in wie vielen Jahrhunderten die Kirche bei ihresgleichen um Vergebung für
das Verbot der Homosexualität einkommen werde?
Die Kreuzüge waren das erste große Massenschlachten aus
ideologischen Gründen, das von Europa ausging; die Christenverfolgungen
der Antike kamen da nicht mit. Konservative Kritiker der modernen Welt
dagegen behaupten gern, das Massenschlachten sei erst von der französischen
Revolution (und dann der russischen und dann dem NS) erfunden worden. Und
wir würden wieder friedlich und von der transzendentalen Heimatlosigkeit
geheilt, wenn wir uns der kirchlichen Autorität erneut unterwürfen.
Och nö."
III. Soviel zur antichristlichen Schlammschlacht. Die böse, böse vorkonziliare Kirche hat nur Verbrechen an Verbrechen gereiht, insbesondere mit ihrem bösen, bösen "Proselytismus", also ihrer Absicht, die Welt zu Christus zu führen. Doch damit ist nun endgültig Schluss, nun gibt es "unumkehrbar" die Ökumene, und jetzt wird nur noch gemeinsam ein Feind bekämpft, dafür aber umso heftiger: die katholische Kirche (s. z.B. den Völkermord-Prozess).
Was hat es nun wirklich mit den Kreuzzügen auf sich? Hier die Fakten:
J. Marx, Lehrbuch der Kirchengeschichte, Trier (8)1922, 396-399:
"Die Wallfahrten nach dem h. Lande dauerten fort, auch als die Muhammedaner
637 Jerusalem erobert hatten. Als nun seit dem Auftreten der Fatimiden
(969) die Pilger den Übermut und die Quälereien der Ungläubigen
schwer fühlen mussten, trat der Gedanke auf an die Befreiung der h.
Stätten, welche als gemeinsames Eigentum der Christenheit betrachtet
wurden. Nachdem im Abendlande das kirchliche Leben und die politische Kraft
erstarkt waren, musste man es als Schmach der Christenheit empfinden, dass
die h. Stätten in der Hand der Ungläubigen sich befänden
und von ihnen entweiht würden, und die Sehnsucht nach den Orten, wo
der Heiland gelebt und gelitten hatte, gewaltig sich steigern. Diese Stimmung
der gesamten Christenheit ward nun zur idealsten und grossartigsten Tat
der Christenzeit, den Kreuzzügen, welche in dem Mittelpunkte des christlichen
Lebens, dem Papsttume, ihre Anregung, Kräftigung und ihren Einheitspunkt
fand. Die Päpste von Urban II. bis Klemens V. lebten in diesem Gedanken
und setzten in unablässiger Arbeit alles daran, ihn zu verwirklichen;
in ihrer Brust loderte das Feuer, das immer wieder die Herzen der Christen
entflammte zu opferfreudigem und begeistertem Handeln. An 200 Jahre lang
zogen immer wieder bewaffnete Scharen nach dem h. Lande, 2 Millionen von
Menschenleben opferte die Christenheit dem h. Feuer der Begeisterung in
sieben grossen und einer grosseen Zahl kleinerer Züge. Mögen
auch manche von den Kreuzfahrern von Ehrgeiz, Selbstsucht und andern unedlen
Beweggründen geleitet gewesen sein, die Stimmung der Träger des
Kreuzes war im allgemeinen eine durchaus edle und erhabene.
Ein dreifaches Ziel erstrebte die abendländische Christenheit
in diesem gewaltigen Ringen: a) Die Gewinnung des h. Landes und die Tilgung
der Schmach, welche die Muhammedaner der Christenheit antaten, b) die Verteidigung
des Abendlandes gegen den anstürmenden Islam, der eben bei Beginn
der Züge wieder an den Toren Konstantinopels stand und Europa zu überschwemmen
drohte, c) die Wiedervereinigung der morgenländischen Christen mit
der Gesamtkirche, welche schon Gregor VII. als Ziel der Kreuzzüge
hinstellte und als Frucht derselben zuversichtlich erhoffte. Die treibenden
Kräfte der Bewegung waren edle: a) An erster Stelle war es der Einfluss
der kirchlichen Autorität, welcher sich betätigte. Die Päpste
und Konzilien riefen die Bewegung hervor und waren ohne Aufhören bemüht,
dieselbe in Fluss zu erhalten, und die Christenheit gab sich vertrauend
diesem Einflusse hin. Die Kirche war es ja auch, welche die grössten
materiellen Opfer im Saladinszehnten und den spätem Kreuzzugssteuern
von ihren Gütern brachte. b) Die damals herrschende Begeisterung für
die Ehre Gottes und des christlichen Namens, für die Grösse und
das Ansehen der Kirche war der Zündstoff, ohne den die Bemühungen
der kirchlichen Autorität bald nutzlos geworden wären. Die Fürsten
betrachteten es als eine Ehrensache, für die Kirche mit ihrer Macht
einzutreten, und sie wären der Verachtung ihrer Untertanen anheimgefallen,
hätten sie es nicht getan. Das Rittertum fand seine höchste Ehre
darin, sein Schwert für die höchsten Interessen zu schwingen,
und diese Anschauungen fanden ihren vollkommensten Ausdruck in der Entstehung
und dem Wirken der Ritterorden. Das christlich Volk war begeistert für
die Ehre und Grösse des christlichen Glaubens, wie kaum zu einer andern
Zeit. c) Der Eifer für das Heil der eigenen Seele war eine mächtige
Triebfeder. Den Tod im Kampfe betrachtete man als eine Art Marterttod,
weil man für Christi Ehre starb. Mühe, Leiden und Tod auf den
Kreuzfahrten waren Sühne für begangene schwere Sünden, und
die kirchliche Gewalt verlieh einen vollkommenen Ablass den Teilnehmern
und Förderern des Unternehmens, durch Gelübde verpflichtete man
sich zum Zuge. Der tatsächliche Erfolg des gewaltigen Ringens war
allerdings nicht der, den man erstrebte. Das h. Land wurde wohl erobert,
aber nur auf etwa 100 Jahre behauptet. Die Wiedervereinigung der Griechen
mit der Kirche, welche durch das kurzlebige lateinische Kaiserreich zu
Konstantinopel bewirkt wurde, war keine tiefinnerliche, und jene des Konzils
von Lyon (1274) nur von kurzer Dauer. Ein Teil der Armenier und die Maroniten
vereinigten sich mit der Kirche. Die Türken wurden wohl auf Jahrhunderte
von Europa ferngehalten, überschwemmten den Osten desselben aber doch
zuletzt. Die Schuld an diesem wenigstens teilweisen Misserfolge trug zuerst
das treulose Benehmen der Griechen, welche die Kreuzheere nicht unterstützten,
ihnen sogar manche Schwierigkeiten bereiteten. Dazu traten die Uneinigkeit
der Christen im Königreiche Jerusalem, ihre vielfach schlechten Sitten,
welche sich aus dem Umgang mit den im Königreiche zurückgebliebenen
Muhammedanern entwickelten, und die feindselige Stellung dieser Muhammedaner
gegen das Reich. Wohl siedelten sich im Königreiche Jerusalem viele
christliche Kaufleute an, aber die Kolonisten aus dem Abendlande blieben
aus. Dazu kamen die Zwistigkeiten zwischen den einzelnen neuentstandenen
christlichen Gebieten und zwischen den Ritterorden der Templer und Johanniter,
der Mangel der einheitlichen Leitung bei den Kreuzzügen und die Quertreibereien
der bloss ihren Vorteil suchenden venetianischen Kaufleute. Sehr wesentlich
war es endlich, dass im Augenblicke, wo man hoffen konnte, das Unternehmen
zu sichern, Kaiser Friedrich II. wortbrüchig seine so notwendige Hilfe
versagte.
Aber trotzdem der unmittelbare Zweck des Unternehmens nur in geringem
Masse erreicht wurde, hatte dasselbe doch für das kirchliche und soziale
Leben der christlichen Völker so viele bedeutsame gute Folgen, dass
die gebrachten Opfer belohnt waren. Im kirchlichen Leben wurde das Ansehen
des Papsttums mächtig gehoben, der Investiturstreit zu einem für
die Kirche günstigen Ausgange gebracht, der Missionseifer neu entfacht,
indem man nun wieder in Asien bis zum Stillen Ozean vordrang; der Opfergeist
wurde gewaltig gehoben durch die übernommenen Mühen und die Leistung
der Beiträge, das Einheitsbewusstsein der christlichen Völker
durch die gemeinsame Arbeit und den regeren Verkehr mit einander belebt
und gestärkt. Auf dem profanen Gebiete wurden durch die Kreuzzüge
Handel und Verkehr belebt, Handwerk und Gewerbe durch neue Kenntnisse vervollkommnet,
die Wissenschaft trat aus ihrer Kinderzeit heraus, die Künste wurden
durch neue Ideen mächtig gefördert. Die Bildung wurde eine viel
allgemeinere, als es früher der Fall war, das Rittertum zu seiner
Blüte geführt. Dass die Kreuzzüge eine sehr verschiedene
Beurteilung erfahren, ist begreiflich. Wenn auch Schillers Urteil: 'Die
Torheit und Raserei der Kreuzzüge hat guten Zwecken gedient, sie hat
ja dem vereinigten Elende der geistigen Einförmigkeit und politischen
Zwietracht einen Abzugskanal geboten', so ziemlich ganz von der besonnenen
Geschichtsforschung aufgegeben ist, so muss es ja doch dem Ungläubigen
seltsam erscheinen, wenn der Gläubige von Beweggründen, die sein
Glaube ihm bietet, zu grossen Opfern sich anfeuern lässt."
H. Wedewer, Grundriß der Kirchengeschichte, Freiburg (13)1913,
53f:
"Die heiligen Orte Palästinas wurden stets von Pilgern besucht
(Tätigkeit der heiligen Helena); dies war seit der Herrschaft der
seldschukkischen Türken, welche 1072 Jerusalem eroberten, erschwert
und verhindert; sie verwüsteten die heiligen Orte, mißhandelten
und töteten die Pilger. Deshalb war der Zweck der Kreuzzüge:
1. Schutz der Christen,
2. Befreiung der heiligen Orte, um sie vor Entweihung und Zerstörung
zu schützen,
3. Offensivstoß gegen diese Sarazenen, welche die Christenheit
immer mehr bedrohten.
[...]
Folgen der Kreuzzüge:
1. Sie bewirken einen religiösen Aufschwung; obgleich sie ihren
Zweck nicht dauernd erreichten, sind sie doch das großartigste Ereignis
des Mittelalters und geben dem Zeitabschnitt einen idealen, tief religiösen
Charakter; sie zeigen den Triumph des Christentums über den sinnlichen
Menschen, der alles verläßt, um ein ideales Gut zu erreichen;
2. sie retten und sichern Europa vor der mohammedanischen Weltmacht
für Jahrhunderte;
3. sie bringen einen Fortschritt der geistigen Bildung und einen neuen
Gesichtskreis, befördern Künste Gewerbe, geographische und naturwissenschaftliche
Kenntnisse, arabische und griechische Literatur;
4. sie veredeln das Rittertum (Blütezeit seit 1100), besonders
durch die geistlichen Ritterorden;
5. sie wecken den Gemeinsinn der Völker, beleben den Glauben und
die christliche Liebe (großartige Stiftungen, Orden etc.), vermehren
das Ansehen der Kirche und des Papstums;
6. sie befördern die Entstehung selbständiger Gemeinden,
die Entwicklung des Bürgertums, die Verminderung der Leibeigenschaft,
die Erledigung vieler Lehen und dadurch die Vergrößerung der
Hausmacht vieler Fürsten;
7. sie führen zu einem Aufschwunge des Handels, zur Blüte
der italienischen Republiken;
8. viele getrennte Orientalen werden zur Kirche zurückgeführt,
die Mission im Orient wird erleichtert."