Pressemeldung 11.06..2012: Willi Geiger und
          das Würfeln bei Gericht
    
      Zu den beliebtesten Zitaten auf justizkritischen Seiten gehört
      vielleicht die Aussage von Richter am Bundesgerichtshof und
      Verfassungsrichter a.D. Prof. Willi Geiger (DRiZ, 9/1982, 325):
      "In Deutschland kann man, statt einen Prozess zu führen, ebenso
      gut würfeln. [...] Unter den in der Bundesrepublik obwaltenden
      Verhältnissen von den Gerichten Gerechtigkeit zu fordern, ist
      illusionär." Glücksspielmetaphern sind in Sachen Justiz
      anscheinend besonders beliebt, cf. Richter am BGH a.D. Wolfgang
      Neskovic (ZAP14/1990, 625): "Die Rechtsprechung ist schon seit
      langem konkursreif. Sie ist teuer, nicht kalkulierbar und
      zeitraubend. [...] Der Lotteriecharakter der Rechtsprechung, das
      autoritäre Gehabe, die unverständliche Sprache und die Arroganz
      vieler Richter(innen) im Umgang mit dem rechtsuchenden Bürger
      schaffen Mißtrauen und Ablehnung." Aber ist die Justiz wirklich so
      harmlos, dass man zumindest immer noch auf "Glück" vertrauen darf?
      Oder stimmt vielleicht eher die These von Hans Georg Möntmann in
      "Richter Roben Rechtsverdreher": "Die Justiz ist dumm, fahrlässig,
      sadistisch, unberechenbar, parteiisch, hilflos, bösartig; kurzum:
      sie ist in einem Zustand, der einen sofortigen Konkursantrag
      zwingend notwendig machen würde."
      1. Die ideologischen Wurzeln von Willi Geiger zeigen sich in
      seiner Dissertation (1941) "Die Rechtsstellung des Schriftleiters
      nach dem Gesetz vom 4. Oktober 1933" [sog. "Schriftleitergesetz";
      Gleichschaltung der Presse durch den Nationalsozialismus]: "Die
      Vorschrift hat mit einem Schlag den übermächtigen,
      volksschädigenden und kulturverletzenden Einfluß der jüdischen
      Rasse auf dem Gebiet der Presse beseitigt." Sonstige Daten zu
      Geiger: 1934 NS-Rechtswahrerbund; 1937 NSDAP; 1938
      SA-Rottenführer; NS-Staatsanwalt beim Sondergericht Bamberg (dort
      auch Todesurteile). D.h. Geiger war bei der Durchsetzung der
      NS-Ideologie äußerst aktiv - in Wort und Tat.
      2. Zu den wichtigsten Kennzeichen des Nationalsozialismus zählen:
      Abtreibungserlaubnis, Kruzifixverbot, Konkordatsbruch,
      Kirchenverfolgung. Das BVerfG hat Abtreibungserlaubnis,
      Kruzifixverbot, Konkordatsbruch und Kirchenverfolgung abgesegnet:
      Die Straffreiheit und damit faktische Erlaubtheit von Abtreibungen
      ist im BRD-Alltag klar allgegenwärtig. Das Kruzifixverbot ist -
      angesichts der fehlenden Kruzifixe - bis heute quasi überall
      augenfällig. Die Verteidigung des permanenten Konkordatsbruchs
      1957 ist zumindest in juristischer Fachliteratur noch gut
      dokumentiert. Die Kirchenverfolgung nun ist eigentlich ein
      Gesamtpaket, insofern die antimoralischen,
      gesellschaftszersetzenden BVerfG-Entscheidungen als solche immer
      auch antikirchlich sind. Explizite Kirchenverfolgung wiederum ist
      z.B. gegeben mit der BVerfG-Verkündigung der
      häretisch-katholischen Kirche (1 BvR 143/80): Eine notorisch
      nichtkatholische Gruppe soll die katholische Kirche sein (direkter
      Widerspruch - contradictio in adiecto).
      3. Zur Frage, ob Geiger resp. das BVerfG Einzelerscheinungen und
      deshalb vollkommen unbeachtlich sind, s. das "Braunbuch": "Am 2.
      Juli 1965 war das Braunbuch auf einer internationalen
      Pressekonferenz von Prof. Albert Norden der Öffentlichkeit
      übergeben worden. Es hat seitdem in der ganzen Welt großes
      Aufsehen erregt. Die Nachfrage nach diesem umfassenden
      Nachschlagewerk, in dem erstmals das ganze Ausmaß der
      Renazifizierung Westdeutschlands offenkundig gemacht wurde, wuchs
      von Jahr zu Jahr und machte wiederholte Nachauflagen und die
      Übersetzung ins Englische, Französische und Spanische
      erforderlich. Während die Verbreitung dieses Dokumentarwerkes im
      Ausland nicht behindert wurde, versuchten es allein die Behörden
      in der westdeutschen Bundesrepublik durch ungesetzliche
      Beschlagnahmung, rechtswidrige Verbote und skandalöse
      Gerichtsbeschlüsse in Acht und Bann zu tun. Die Bonner Hexenjagd
      auf dieses Buch wirft ein bezeichnendes Licht auf die Haltung der
      Regierung der Bundesrepublik zur Bewältigung der unseligen
      Nazivergangenheit" (Vorwort zur 3. Auflage, Berlin 1968).
      4. Die Justiz handelt grundsätzlich ohne Ansehen der Sach- und
      Rechtslage. Das gilt nicht nur für die ganz großen Rechtsbrüche
      wie den Konkordatsbruch 1957, sondern auf allen Ebenen. Im
      Beschluss vom 01.12.2010 - 1 BvR 1572/10 - erklärte das
      Bundesverfassungsgericht unanfechtbar, dass die Psychotherapie der
      Mutter nicht fortgesetzt zu werden braucht. Das Problem dieser
      unanfechtbaren Entscheidung: In diesem Fall ging es gar nicht um
      die Psychotherapie der Mutter, sondern des Kindes. M.a.W. kein
      einziger der mit dem Fall befassten Richter hat sich die Mühe
      gemacht, wenigstens die Akten zu lesen. Sach- und Rechtslage?
      Derlei Belanglosigkeiten liegen unanfechtbar unter der
      richterlichen Würde.
      5. Besteht angesichts dieser Blindheit der Justiz für die Sach-
      und Rechtslage immerhin noch Hoffnung, dass Gerichtsentscheidungen
      nicht aus Bosheit, sondern aus Zufall wie beim Würfeln / in der
      Lotterie gefällt werden? Nun, es gibt doch etwas, worauf die
      Justiz achtet: das Ansehen der Person. Dieser - auch gem.
      Grundgesetz (Gleichheitssatz Art. 3 Abs. 1 GG) verbotene - eifrig
      gepflegte Personenkult hat u.a. dazu geführt, dass praktisch alle
      dem Irrglauben huldigen, es gäbe einen "Tatbestand
      Beamtenbeleidigung". Mit dem Vorwand "Beleidigung" können Behörden
      jede berechtigte und notwendige Kritik im Keim ersticken, wobei
      das Justizopfer zusätzlich noch zum Straftäter abgestempelt wird:
      »Die Gesetzgebung wegen des Tatbestands der "Beleidigung" ist für
      Behörden sowie Industrie sehr nützlich, um unbequeme Bürger in die
      Falle zu locken: Sobald er auf eine Provokation mit einer
      "Beleidigung" reagiert, hat man ihn - für alles andere sorgen die
      untergeordneten Gerichte - auch für die Rechtsbeugung. Der Bürger
      wird sich im allgemeinen nicht wehren können« (Peter Briody,
      institut voigt, Die Beleidigungsgesetze in Deutschland,
      09.07.2008). Cf. Tröndle/Fischer, Kommentar zu StGB, 52. Auflage,
      München 2004, zu §185: »In der strafrechtlichen Praxis kann die
      Bedeutung des Ehrenschutzes mit dem Gewicht seiner theoretischen
      Ableitung schwerlich mithalten... Die Mehrzahl der
      Anzeigeerstatter wird ohne größeres Federlesen auf den
      Privatklageweg verwiesen und erleidet dort nach Zahlung von
      Sicherheitsleistungen (§379 StPO), Gebührenvorschuss (§379a),
      Kostenvorschuss für das Sühneverfahren (§380) und des zur Erhebung
      einer formgerechten Klage in der Regel verforderlichen
      Rechtsanwaltshonorars regelmäßig Schiffbruch (§383 II), in
      hartnäckigen Fällen eine Sonderbehandlung zur Abwehr des
      Querulantentums... Für das Legalitätsprinzip und das gesetzliche
      Normalverfahren bleibt ein kleiner Kern von Taten übrig, unter
      deren Opfer Amtsträger und öffentlich wirkende Personen
      überrepräsentiert sind.« Gerechtigkeitsforderungen sind nicht bloß
      "illusionär", sondern brandgefährlich. Die Justiz hat "den
      übermächtigen, volksschädigenden und kulturverletzenden Einfluß"
      von Gerechtigkeitsforderungen massenhaft "beseitigt".
      6. Wie geht das Volk mit diesem Zustand der Justiz um? Viele
      werden sich wohl darüber freuen, weil sie auch resp. erst recht
      dann auf Erfolg bei Gericht hoffen dürfen, wenn sie im Unrecht
      sind. Justizkritiker wiederum werden kurzerhand in den
      wirtschaftlichen Ruin und in die Psychiatrie getrieben. Viele
      weitere bemerken und bedauern zwar die Situation, aber aus Sorge
      um ihren gefüllten Kühlschrank nur heimlich. Die allermeisten
      trösten oder erfreuen sich einfach mit Gerichtsshows wie
      "Richterin Barbara Salesch" und "Richter Alexander Holt".
      Tatsächlich geben diese Shows den Justizalltag wieder, aber ist
      das tröstlich / erfreulich? Zum Stellenwert der EMRK (Europäische
      Menschenrechtskonvention) in deutschen Gerichtsshows s. Peter
      Briody, "institut voigt", Pariah-Staat Deutschland missachtet
      internationale Rechtsnormen, 01.11.2004: »Wer die
      Gerichtsprogramme "Barbara Salesch" oder "Alexander Hold" am
      Fernsehen ( SAT. 1 ) anschaut und etwas vom Thema versteht, wird
      die Formfehler und Missachtungen der EMRK nicht so schnell
      aufzählen können, wie sie begangen werden. Es fängt vor der
      Beweisaufnahme gleich an: Die empfindlichen schutzwürdigen Daten
      des Angeklagten, insbes. wieviel er verdient werden für das
      gesammelte Publikum instinktlos offengelegt. Genau wann und warum
      man im Rahmen eines Strafverfahrens solche Sozialdaten erfragen
      sollte, scheinen alle beide Fernsehrichter nicht zu verstehen.
      Zeugen werden regelmäßig im "Jerusalem-Spiel"-Verfahren zwischen
      Publikumsreihen und Zeugenstand so rasch hintereinander
      ausgetauscht, dass man nur schwindlig werden kann. Beweismaterial
      taucht regelmäßig auf, ohne dass die Herkunft geklärt wird und
      ohne korrekte Bescheinigung der Absicherungsmaßnahmen.
      Verteidigung und Anklage aus dem Hinterhalt sind häufig gesehene
      Praktiken. Die Liste ist ansonsten nahezu unendlich.«
      7. Fazit: Zitate bzgl. eines Glücksspiel-Charakters der Justiz
      sind sachlich unzutreffend und dürfen nicht als Justizkritik
      missverstanden werden. Sie sind vielmehr eine Warnung: Wer
      Gerechtigkeit fordert, handelt "illusionär" - und muss dafür mit
      Strafverfolgung bis hin zu Psychiatrisierung rechnen. Natürlich
      kann man immer noch frei entscheiden, wie man mit derlei Drohungen
      umgeht.