Pressemitteilung: Hassemer und die Ehrenmorde

- Anmerkungen zu Verbotsirrtum und Straffreiheit -
(Kirche zum Mitreden, 14.05.2009)
Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Winfried Hassemer, äußerte sich kürzlich z.Th. "Ehrenmorde" ("Folter gedeiht im Dunkeln", Spiegel Online, 13.05.2009): [Hassemer] "Ich finde, bei einer derartigen Tat müssen auch der soziale Kontext und die Sozialisation des Täters bedacht werden. Er lebt vermutlich nach anderen sozialen Mustern. Deshalb muss man auch einen Verbotsirrtum in Erwägung ziehen. [Spiegel] "Das heißt, wer von einem Verbot nichts weiß, geht straffrei aus. Wer es hätte kennen können, aber nicht gekannt hat, bekommt ein milderes Urteil." [Hassemer] "Genau. Ich denke, diese Frage muss man bei sogenannten Ehrenmorden beantworten."
Zu den Begriffen:
1. Verbotsirrtum: S. § 17 StGB: "Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden." Cf. Tatbestandsirrtum, § 16 StGB. Die Vermeidbarkeit des Irrtums ist also entscheidend, während im allgemeinen gilt: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.
2. Mord: Die Tötung eines anderen aus niederen Beweggründen ist schon naturrechtlich und somit für jedermann evident verboten. Die direkte Tötung eines Unschuldigen ist immer unerlaubt, und selbst für eine mögliche erlaubte Tötung von Schuldigen gelten sehr strenge Auflagen (z.B. Notwehr). Schon wegen der Evidenz des Naturrechts ist also Strafmilderung oder gar Straffreiheit hier ausgeschlossen. Zudem kann niemand ignorieren, dass Mord öfters bestraft wird.
Aus dem Justiz-Alltag:
1. Abtreibung: Abtreibung ist naturrechtlich immer Mord, bleibt aber in der BRD fast immer straffrei; hingegen ist es laut BRD strafbar, Abtreibung als Mord zu bezeichnen.
2. Beleidigung: Der ehrenamtliche Richter Dr.rer.pol.habil. Dr.phil. Richard Albrecht erläuterte dazu ("Beleidigung" als justitielles Konstrukt von Verfolgerbehörden, 2005): "Solange 'Beleidigung' nicht im Strafgesetz definiert ist, kann 'Beleidigung' gar nicht rechtserheblich ('justitiabel') sein. Jedem angeblichen Beleidiger muß entsprechend des Hinweises im Strafgesetzbuch auf 'Verbotsirrtum' (StGB § 17) 'die Einsicht, Unrecht zu tun', fehlen. Wer aber 'ohne Schuld handelt', darf nach Recht und (Straf-) Gesetz in Deutschland nicht betraft werden. Sondern muß als Unschuldiger nach dem zwingenden Rechtsgrundsatz 'Keine Strafe ohne Schuld' [nulla poena sine culpa] freigesprochen werden, weil nur der bestraft werden darf, der schuldhaft handelt." S. ferner Claus Plantiko: »Die Entscheidung des Richters muß auf rationaler Argumentation beruhen. Unabhängig davon ist der Tatbestand der §§ 185ff. StGB verfassungswidrig, weil inexistent, arg. Art. 103(2) GG. Das räumt selbst das BVerfG ein, s. E 93, 266, 292; 71, 108, 114ff., meint aber, wiederum selbst verfassungswidrig, der Begriff der Beleidigung habe durch >100jährige und im Wesentlichen einhellige Rechtsprechung einen hinreichend klaren Inhalt erlangt, der den Gerichten ausreichende Vorgaben für die Anwendung an die Hand gibt und den Normadressaten deutlich macht, wenn sie mit einer Bestrafung wegen Beleidigung zu rechnen haben. Das BVerfG übersieht dabei - ein unverzeihlicher Verstoß gegen das Gewaltentrennungsgebot der Verfassung! - daß Art. 103(2) GG eine gesetzliche Bestimmtheit der Strafe fordert und keine durch (verfassungswidriges!) Richterrecht. Daß letzteres verfassungswidrig ist, zeigt die reductio ad absurdum: wenn jedes Gesetz entbehrlich ist und durch Aussprüche von Richtern ersetzt werden kann, fehlt ihnen jede Vorgabe, an die sie sich halten müssen, und der Rechtsunterworfene ist wie „in ein steuerloses Boot“ (Klabund) geworfen, das die Richter, wie einst die Schildbürger, nach einer Marke steuern, die sie selber an den Bug ihres Schiffes nageln.«
Kurz: Der BRD-Alltag von willkürlicher Bestrafung bzw. Straffreiheit basiert auf einer "Rechtsprechung", die laut Ex-BGH-Richter Wolfgang Neskovic (ZAP 25.7.1990) "schon seit langem konkursreif", "teuer, nicht kalkulierbar und zeitraubend" ist.
Den allermeisten ist dieser Zustand völlig egal, ja sogar höchst angenehm. Trotzdem könnte der Hassemer-Skandal zum Anlass genommen werden, längst überfällige notwendige Schritte einzuleiten.

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