Predigt 14.09.2008

- Kreuzerhöhung, dm; Phil 2,5-11; Joh 12,31-36 -
(Kirche zum Mitreden, 13.09.2008)
Youtube-Video: http://www.youtube.com/watch?v=29eOE9Mnsus
Wörter: 1106
Eines der beherrschenden Themen der vergangenen Woche war die Verstaatlichung der großen Immobilienbanken Fannie Mae und Freddie Mac durch die US-Regierung. In einem Kommentar "Pleite verboten" der "Frankfurter Rundschau" (08.09.2008) heißt es zum Fall von Fannie und Freddie: "Das Publikum reibt sich verdutzt die Augen. Denn die Rettung kann den US-Steuerzahler locker 300 Milliarden Dollar kosten. Dagegen sind die acht Milliarden Euro (11,5 Milliarden Dollar), die Deutschland in die Mittelstandsbank IKB gepackt hat, im wahrsten Sinne des Wortes Peanuts. Bei aller Fassungslosigkeit: So funktioniert der Kapitalismus. Klar hätte Amerika seine beiden Immobilienbanken, die gut 5,5 Billionen - oder um es anschaulicher zu machen 5500 Milliarden Dollar - an Hypotheken refinanzieren, pleitegehen lassen können. Doch dann hätten die Banken heute rund um den Globus geschlossen, kämen die Menschen nicht mehr an ihr Geld, die Firmen nicht mehr an ihre Kredite ran und die Finanzminister weltweit hockten in Krisensitzungen. Die Rettung entspricht dem Lehrbuchbeispiel des "too big, to fail", zu groß, um pleitegehen zu dürfen." Soweit der Zeitungskommentar, der sich im wesentlichen mit dem deckt, was von anderen sog. Experten zu hören ist: Das Eingreifen der US-Regierung war richtig, und die Börse reagiert darauf positiv. Vor zwei Monaten hingegen gab es in der Börsen-Zeitung (14.07.2008) einen Kommentar "Der Sozialismus soll siegen": "Da heißt es stets, der Sozialismus sei tot - und nun machen sich ausgerechnet die USA zumindest im Hypothekenmarkt daran, den Kapitalismus endgültig zu überwinden. Das von Notenbank und Politik für Fannie Mae und Freddie Mac geschnürte Rettungspaket lässt kaum einen anderen Schluss zu. Zwar kündigt Finanzminister Henry Paulson an, den Steuerzahler zu schützen. Das wird ihm aber nur glauben, wer schon vergessen hat, dass Paulson noch am vergangenen Donnerstag unter Verweis auf die Aufsicht erklärte, Fannie und Freddie hätten genug Kapital." Und noch ein dritter Kommentar dazu, diesmal von Focus: "Bush stellt Kapitalismus auf den Kopf. Die Börse feiert die Verstaatlichung der US-Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac – dabei löst der Schritt kein einziges der akuten Probleme." Dieser Kommentar stammt wiederum aus der Zeit unmittelbar nach der Verstaatlichung von Fannie und Freddie: "Tatsächlich löst Paulsons Zweck-Sozialismus kein einziges der aktuellen Probleme [...] Mit der Verstaatlichung hat die vermeintliche Hochburg des Kapitalismus ein Tabu gebrochen. [...] Es ist ein Anachronismus, dass die USA ausgerechnet unter dem früheren Goldman-Sachs-Chef Hank Paulson solche planwirtschaftlichen Maßnahmen ergreifen." Diese ganze Debatte um Kapitalismus und Sozialismus, um Markt- und Planwirtschaft, ist allerdings ohne klare Begriffe unsinnig bis irreführend. Deshalb zur Begriffsbestimmung hier einige Ausschnitte aus dem Kapitalismus-Artikel im "Lexikon des katholischen Lebens" (Freiburg 1952): "Kapitalismus kann wissenschaftlich nur abgeleitet werden von dem Begriff des Erwerbskapitals als der Vermögenssumme, die in ein Unternehmen hineingegeben ist und zu deren Verzinsung und Mehrung das Unternehmen nach Absicht seines Trägers wirtschaftet. Deutlicher aber läßt sich Kapitalismus von seinen zerstörerischen Begleiterscheinungen oder Wirkungen her bestimmen. Es sind: (...) Herausbildung einer Klasse von Besitzenden neben einer viel größeren Klasse von eigentumslosen Lohnarbeitern; Absinken der letzteren auf die Stufe des Proletariats; (...) Gefahr der Beherrschung von Wirtschaft und Politik durch anonyme Geldmächte; (...) Verflüchtigung der persönlichen Verantwortlichkeit; (...) Zerfall der gegebenen Wertordnung durch Überschätzung der materiellen Werte, in ihrer Folge Glaubensarmut, Genußsucht, Egoismus; Zersetzung der natürlichen gesellschaftlichen Solidarität, Klassenkampf, allgemeines soziales Unbehagen, Unsicherheit, Existenzangst." Und Papst Pius XII. geht in einer Ansprache (27.04.1941) auf die Sozialenzyklika "Quadragesimo Anno" seines unmittelbaren Vorgängers Pius XI. ein: "In den rechten Grenzen erlaubt auch die Kirche die Verstaatlichung; sie sagt, daß gewisse Gruppen von Gütern rechtmäßigerweise der Staatsgewalt vorbehalten bleiben können, nämlich jene, die mit solcher Macht ausgestattet sind, daß sie nicht an einzelne übertragen werden können, ohne das Gemeinwohl in Gefahr zu bringen. Aber diese Verstaatlichung zur normalen Regel der öffentlichen Organisation der Wirtschaft zu machen, hieße die Ordnung der Dinge verkehren. Aufgabe des öffentlichen Rechts ist es, dem privaten Recht zu dienen, nicht, es zu absorbieren. Die Wirtschaft ist, wie übrigens ein jeder andere Zweig menschlichen Wirkens, nicht wesentlich eine staatliche Einrichtung, sondern im Gegenteil das lebendige Produkt freier Initiative von einzelnen und von frei gebildeten Gruppen. [...] Viele Industrielle, katholische wie nichtkatholische, haben ausdrücklich bei verschiedenen Gelegenheiten erklärt, daß nur die Lehre der Kirche imstande sei, die wesentlichen Elemente zur Lösung der sozialen Frage zu liefern. Ausführung und Anwendung dieser Lehre kann natürlich gewiß nicht von heute auf morgen geschehen. Von allen fordert ihre Verwirklichung ein vorausschauendes und klarsichtiges Verhalten, eine große Dosis gesunden Menschenverstands und guten Willens. Sie fordert vor allem, daß man mit allen Mitteln der Versuchung widerstehe, den eigenen Vorteil zu suchen, sei es auf Kosten der anderen - welcher Art und Natur auch immer die Beteiligung der anderen sein mag -, sei es zum Schaden des Gemeinwohls. Sie fordert endlich jene Uneigennützigkeit, die nur aus echter christlicher Tugend kommen kann, die von der Hilfe und Gnade Gottes gestützt ist." Soweit der Papst. So lustig die Diskussion um die Verstaatlichung von Fannie und Freddie bzw. um Kapitalismus und Sozialismus auch sein mag, im Endeffekt bleibt dabei doch das Wesentliche ungesagt. Es ist eine sehr große Schuld von einer sehr großen Masse von Menschen, dass immer mehr Menschen in immer schlimmere Armut abgleiten, während einige wenige Reiche noch reicher werden. Die paar Politiker und Wirtschaftsgrößen könnten nicht soviel zerstören, wenn die breite Masse wirklich etwas dagegen hätte. Die Welt zahlt die Zeche, dass sie das Christentum ablehnt. Wen interessiert es denn wirklich, dass ganz offen von Bankenkrise, Finanzkrise etc. gesprochen wird? Wen interessiert es denn, dass ganz offen immer schlimmere Entwicklungen vermutet werden. Jedenfalls interessiert das kaum jemanden genug, dass er sich wenigstens jetzt endlich um echte christliche Tugend bemüht. Ganz im Gegenteil: In blinder Selbstsucht wird weiterhin und sogar schlimmer zu jeder Form von Rücksichtslosigkeit gegriffen. "Ich nehme, was ich kriegen kann, und nach mir die Sintflut." Der dabei herrschende Grundsatz "Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht", lässt sich aber nicht charakterisieren als ein "vorausschauendes und klarsichtiges Verhalten, eine große Dosis gesunden Menschenverstands und guten Willens". Trotzdem: Uneigennützigkeit gilt fast allen als unverzeihlicher Fehler, der von der Gesellschaft aufs schwerste bestraft wird. - Die Kirche feiert heute das Fest Kreuzerhöhung. Wenn wir uns nicht vom Gift der Unersättlichkeit, von der maßlosen und rücksichtslosen Gier verderben lassen wollen, müssen wir auf das Kreuz schauen. Wir können und dürfen uns nicht verbissen an diese materielle Welt klammern, denn früher oder später werden wir sie ohnehin loslassen müssen. Vielmehr müssen wir darauf hinwirken, dass der Umgang mit dieser materiellen Welt nach christlichen Grundsätzen erfolgt. Unsere Motivation lautet nicht persönliche Gewinnmaximierung, sondern Stärkung des Gemeinwohls. So wichtig materielle Güter dabei sind, ungleich viel wichtiger sind die übernatürlichen Gnaden. Folgen wir also Christus auf dem heiligen Kreuzweg, damit wir dereinst teilhaben an der ewigen Freude des Himmels. Amen.

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