Predigt vom 08.03.98: 2. Sonntag der Fastenzeit
1. Thess. 4,1-7; Matth. 17,1-9
Besonders in der Fastenzeit ruft Christus durch seine Kirche zu Umkehr
und Buße auf. Zu einem der Kirchengebote gehört die jährliche
Beichte, die in Hinblick auf die Osterkommunion am besten in der österlichen
Zeit abgelegt wird. Es ist daher sinnvoll, einige grundsätzliche Überlegungen
zu Fragen von Sünde und Bußsakrament anzustellen. Heute soll
es um zwei Dinge gehen, nämlich um die Frage, was wir unter "Versuchung"
zu verstehen haben, und dann, wie sie moralisch zu beurteilen ist.
Die Versuchung ist zunächst einmal etwas Äußeres, eine
wie auch immer geartete Gelegenheit, etwas Sündhaftes zu tun. Sehr
deutlich wird dies bei dem Bericht über die Versuchung unseres Herrn
Jesus Christus in der Wüste. Der Teufel tritt als Versucher an Jesus
heran und will den Herrn zu verschiedenen Sünden verleiten. Da unser
Herr aber ganz rein von allen Sünden war, darf man auch an dieser
Situation seines Lebens keine Sünde bei ihm annehmen. Die Versuchung
steht also erst im Vorfeld der Sünde. Wer unter einer Versuchung leidet,
ihr aber nicht nachgeben will, begeht keine Sünde. Sünde liegt
erst dann vor, wenn die Versuchung nicht gemieden oder sogar gewollt wird.
Zu dem Phänomen der Versuchung sagt unser Herr: "Es muß zwar
Verführung geben, doch wehe dem Menschen, der sie verschuldet."
Betrachten wir dies nun etwas genauer: Zu den Bestandteilen einer Sünde
gehören klare Erkenntnis, freier Wille und eine Materie, die darüber
entscheidet, ob überhaupt eine Sünde vorliegt und wenn ja, ob
es sich dabei um eine schwere oder leichte Sünde handelt. Im Zusammenhang
mit unserem Schuldbewußtsein, und dies berührt auch schon den
Bereich der Versuchung, stehen wir immer zwischen zwei Gefahren: Die eine
ist die des skrupulösen, die andere die des leichtfertigen Gewissens.
Ein skrupulöser Mensch beurteilt seine Gedanken und Handlungen zu
streng, d. h. etwas, das objektiv gesehen keine oder eine läßliche
Sünde darstellt, wertet er bisweilen als schwere Sünde; ein leichtfertiger
Mensch beurteilt seine Gedanken und Handlungen zu unbekümmert, d.h.
etwas, das objektiv gesehen eine Sünde, vielleicht sogar eine schwere
Sünde darstellt, wertet er bisweilen nicht als Sünde. Da beide
Fehlformen des Gewissens anzutreffen und deswegen zu korrigieren sind,
wollen wir auch darüber etwas ausführlicher sprechen.
Unser Herr weist in der Bergpredigt auf die große Bedeutung der
Gedankensünden hin. Da der hl. Paulus in der heutigen Lesung von den
Sünden der Unkeuschheit spricht, bleiben wir bei diesem Beispiel.
"Wer eine Frau auch nur anschaut, um sie zu begehren, hat in seinem Herzen
schon Ehebruch mit ihr begangen." Die Versuchung besteht in diesem Falle
darin, seinen Geist auf etwas hinzulenken, was der natürlichen Ordnung
des Geschlechtlichen widerspricht. In dem Text heißt es ausdrücklich:
"... wer anschaut, um zu begehren ...". Es geht dem Herrn also darum,
daß jemand bewußt diese ungeordnete Lust sucht. Wir müssen
demnach unterscheiden zwischen dem absichtlichen und dem unabsichtlichen
Entstehen von Begierde; nur im ersten Fall, also wenn jemand das Entstehen
von Begierde beabsichtigt, liegt eine Sünde vor, denn nur dann sind
klare Erkenntnis und freier Wille gegeben. Nehmen wir an, jemand wird durch
die schamlosen Darstellungen, mit denen man heutzutage fast in jedem Kaufhaus
und in jeder Tankstelle konfrontiert wird, zu unkeuschen Gedanken verführt,
so läge darin noch keine Sünde. Die allerersten Regungen, die
sich einstellen, liegen noch außerhalb der Schuldfähigkeit des
Menschen. Hier eine Sünde sehen zu wollen, wäre skrupulös,
Ausdruck einer Überängstlichkeit.
Doch ebenso falsch wäre es, diese Regungen zu verharmlosen. Schuld
läge dann vor, wenn jemand sich leichtfertig in Gelegenheiten begibt,
schamlose Darstellungen anzusehen - hier ist z.B. die Frage nach dem Freundeskreis
zu stellen - oder, wenn er diese schamlosen Darstellungen sieht, mit seinen
Gedanken dort zu verweilen. Man meint, dieses Verhalten sei heutzutage
so normal, daß es doch unmöglich Sünde sein könne.
Hier sollte man an die Sprichwörter denken: "Wehre den Anfängen",
und: "Wer die Gefahr liebt, kommt darin um."
Wie soll man nun handeln, wenn man Verführungen ausgesetzt ist.
Es empfiehlt sich, zunächst keine großen Anstrengungen für
den Kampf gegen Versuchungen aufzuwenden, da man sich sonst zu stark mit
den betreffenden Inhalten beschäftigen könnte. Vielmehr sollte
man direkt in einem kurzen Stoßgebet Gott um Kraft bitten, daß
aus diesen Verführungen keine Gefahr für das Seelenheil entstehe.
Der hl. Pfarrer von Ars hat empfohlen, die Momente der Versuchung in besonderer
Weise dem Herrn zu schenken und ihm gerade dann Liebe und Treue zu zeigen,
wenn es uns schwer fällt, dem Bösen zu widerstehen. Ja, durch
den Kampf können wir, wenn wir ihn nicht gesucht haben, sogar Verdienste
für den Himmel gewinnen. Oft läßt der Teufel von seinen
Einflüsterungen ab, wenn er sieht, daß sie die Gottesliebe nicht
vermindern, sondern vermehren.
Noch kurz einige Worte zu der Materie der Sünde. Es gibt Handlungen,
die objektiv immer schlecht und daher immer zu meiden sind. Sind dann die
beiden ersten Bestandteile, d.h. freier Wille und klare Erkenntnis gegeben,
so liegt immer Schuld vor; in dem betrachteten Fall der Unkeuschheit handelt
es sich dementsprechend immer um Todsünden, da die Materie selber
von so großer Tragweite ist. Dagegen wäre etwa im Falle der
Lüge die Tragweite und damit die Schwere der Schuld genauer zu prüfen.
Grundlegende Kenntnisse über die moralische Bedeutung bestimmter Handlungen
sind von daher notwendig. Die Gewissensbildung hängt somit eng mit
einer Wissensbildung zusammen. Man kann aus bestimmten allgemeinen Richtlinien
Rückschlüsse auf konkrete Einzelfragen ziehen. Auch der Gebrauch
eines guten Beichtspiegels ist sehr anzuraten. Ist man sich über die
Bedeutung eines Verhaltens nicht im klaren, kann man ggf. im Beichtstuhl
fragen. Nur durch klares Wissen in grundlegenden Fragen kann man den Gefahren
des überängstlichen und des leichtfertigen Gewissens entgehen.
Schließlich darf eine Wirkung der Beichte nicht vergessen werden:
Die würdige Beichte schenkt nicht nur die durch eine Todsünde
verloren gegangene Gnade wieder, sondern hilft auch, im Stand der Gnade
zu bleiben. Wer häufig beichtet, wird im allgemeinen weniger unter
Versuchungen leiden, sicherlich aber wird er leichter den Versuchungen
widerstehen können. Deswegen sollten wir das große Geschenk
des Beichtsakramentes in tiefer Dankbarkeit empfangen. Amen.
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