Kirche zum Mitreden - Predigt

28.04.96, 3. Sonntag nach Ostern
(Internet, 05.05.98)
(1 Petr 2,11-19; Joh 16,16-22)
Am heutigen und an den folgenden Sonntagen der Osterzeit betrachtet die Kirche die Abschiedsworte des Herrn im Abendmahlssaal, nachdem der Verräter Judas den Kreis der Zwölf schon verlassen hat. Heute geht es um die Spannung zwischen Freude und Trauer; der Herr sagt voraus, daß sich die Trauer in Freude verwandeln wird.
Bisweilen wird gegen die christliche Religion der Vorwurf erhoben, hier finde eine Vertröstung auf das Jenseits statt. Echter Trost, also Hilfe gegen das Leid, werde nicht gegeben oder auch nur gesucht, vielmehr ginge es ausschließlich darum, die Trauer auszuhalten. Nun kann man die Worte des Herrn, die Trauer der Jünger werde sich in Freude verwandeln, auf verschiedene Situationen anwenden. Ganz konkret wird man dabei zunächst an Karfreitag und Ostern denken. In der Liturgie werden uns beide Ereignisse, Tod und Auferstehung des Herrn, immer wieder vor Augen gestellt. Die Erinnerung an beides spielt eine große Rolle, und für den Christen ist es immer wieder notwendig, nicht nur auf den eigentlich gegenwärtigen Zustand zu schauen, nämlich die Erlösung, sondern auch auf das Vorausgegangene, nämlich die Erlösungstat. Der Christ sieht nicht nur auf den auferstandenen, sondern auch auf den leidenden und sterbenden Christus. Für ein vollständiges Bild Christi darf man weder das eine noch das andere vergessen.
Doch wie die Liturgie jedes Jahr die Heilsereignisse wie Geburt, Leiden, Sterben und Auferstehung unseres Heilandes betrachtet und damit auch von Trauer und von Freude geprägt ist, so wird überhaupt das Leben jedes Christen auch von beidem geprägt sein. D.h. auch nach Ostern und nach Pfingsten gehört Trauer zu den Grunderfahrungen des Christen. Aber diese Art der Trauer unterscheidet sich grundsätzlich vom Weltschmerz, von der Trauer, die den Kampf aufgibt, die ohne Hoffnung ist, die in der Verzweiflung endet. Im letzten können wir nämlich nicht durch die Welt besiegt werden, weil Christus die Welt besiegt hat. Wir können leiden und unter der Last sogar zu Boden stürzen, aber wir können immer wieder den Kampf fortsetzen.
Das Gleichnis von der gebärenden Mutter verdeutlicht dabei den inneren, also notwendigen Zusammenhang zwischen Trauer und Freude. Der Geburtsschmerz gehört - infolge der Erbsünde - zur Geburt dazu, Trauer und Freude liegen hier eng zusammen. Ebenso ist das Leiden des Christen als Anteil an den Leiden Christi - wieder infolge der Erbsünde - wesentlich, um an der christlichen Freude teihaben zu können.
So können wir im Grunde zwei Kreise unterscheiden: Einerseits gibt es einzelne Situationen, in denen wir Leiden aushalten müssen, die aber später Freude zur Folge haben, wofür der Geburtsschmerz vielleicht das eindrücklichste Beispiel ist. Selbstverständlich ist es also für den Christen wichtig, sich über Ereignisse seines Lebens freuen zu können. Dann gibt es aber noch den großen Zusammenhang unseres Lebens, das durchgängig von Kampf und damit auch von Leid gezeichnet ist. Die Kirche hier auf Erden heißt ja - in Abgrenzung von den Seelen im Fegefeuer und den Seelen im Himmel - ecclesia militans, streitende Kirche. Die Freude über zeitliche Dinge dient gewissermaßen als Stärkung für den großen Kampf, den wir gegen die Welt zu führen haben. Und diese Trauer, die mit unserer erbsündlich belasteten Situation zusammenhängt, wird sich auch eines Tages in Freude verwandeln, wenn wir den guten Kampf kämpfen und dann vor den Richterthron Gottes gerufen werden.
So geht es darum, das Leben immer mehr unter dem Blickwinkel der Ewigkeit zu betrachten. Damit wird das Leiden transparent für die Freude, die uns verheißen ist, wenn wir treu bleiben. Lernen wir, in diesem großen Zusammenhang der Ewigkeit zu denken, und die zeitlichen Ereignisse werden sich alle als überwindbar herausstellen. Betrachtet man schwierige Situationen, könnte manchmal leicht die Kraft schwinden, ja sogar eine verwerfliche Todessehnsucht könnten auftreten. Im großen Zusammenhang, daß dieses Leben eben nicht alles ist, sondern daß wir einst den Herrn sehen werden, aber auch in der Gewißheit, daß niemand über seine Kräfte versucht wird, können wir dann dieses Leben meistern. Auch in diesem Zusammenhang werden wir die Worte des Herrn lesen müssen: Ihr habt jetzt Leid; aber ich werde euch wiedersehen; dann wird euer Herz sich freuen."
Wir Christen reden nicht einer bloßen Vertröstung auf das Leben nach dem Tod das Wort, sondern erkennen nüchtern die Begrenztheit irdischer Tröstungen. Das Schöne in dieser Welt kann nutzbar gemacht werden und in gewisser Weise auch Trost und Freude geben, aber es darf nicht den Blick für die Ewigkeit versperren. In unserer persönlichen Betrachtung ist es deswegen immer wieder wichtig, nicht nur den kleinen Kreis unserer aktuellen Sorgen und Nöte zu sehen, sondern auch den großen Kreis der Ewigkeit. Im Blick auf den leidenden und auferstandenen Heiland erkennen wir klar sowohl den Ernst als auch die Begrenztheit der irdischen Situation, denn diese Erdenzeit hat ein Ende. Und wenn wir den guten Kampf kämpfen, werden wir an der Freude des Herrn teilhaben, und diese Freude wird niemand mehr von uns nehmen. Amen.


Diese Predigt wurde veröffentlicht mit Blick auf neuere Zuschriften an uns (s. Leserbriefe dieser Ausgabe); am diesjährigen 3. Sonntag nach Ostern (03.05.98) feiert die Kirche die Liturgie vom Fest der Auffindung des heiligen Kreuzes. 

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