Schachtschneider und das Ende des Rechtsstaats

- Pressemeldung zur Ideologie von Karl Albrecht Schachtschneider -
(Kirche zum Mitreden, 10.05.2007)
Die BRD "ist kein Rechtsstaat mehr, in dem durch Gewaltenteilung und Rechtsschutz die Grundrechte gesichert sind." Das meinte Karl Albrecht Schachtschneider, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Nürnberg-Erlangen, in seinem Artikel "Ein Staat ohne Legitimation" (Welt, 26.03.2007). Nun ist es keineswegs ungewöhnlich, dass Deutschland die Rechtsstaatlichkeit abgesprochen wird: Justizbeobachter tun das seit Jahrzehnten permanent. Dass allerdings ein Professor sich dahingehend äußert, ist nicht ganz so gewöhnlich. Was hat es also mit Schachtschneiders Artikel auf sich?
Schachtschneider verwendet elementare Begriffe völlig falsch, und dementsprechend behauptet er auch wenigstens Ähnlichkeiten zwischen Begriffen, die objektiv einander ausschließen. Kurz: Seine Äußerungen sind bereits im Kern irreführend.
Das merkt man auch im Welt-Artikel: "Demokratie ist die politische Form der allgemeinen Freiheit. Die Gesetze müssen der Wille aller Bürger sein." Zunächst ist zu fragen, was Demokratie mit "allgemeiner Freiheit" zu tun haben soll, und insbesondere, inwiefern diese Bezeichnung so speziell charakteristisch für die Demokratie sein soll; oder anders: Was sollte eine Republik einer Monarchie voraus haben? Tatsächlich haben in Deutschland "alle Bürger" praktisch nichts zu sagen, außer dass sie in Abständen von mehreren Jahren neben einer - wie die ganzen Koalitionen unterstreichen - letztlich austauschbaren Buchstabenfolge ein Kreuz machen können, und selbst die Liste von Buchstabenfolgen ist schon eine bloße Auswahl, für die kein Bürger befragt wurde. In der Republik hat der Bürger bestenfalls noch die Rolle eines Statisten. Blickt man auf die jüngste Wahl in Sachsen-Anhalt, so gibt es eigentlich nur einen Wahlsieger: die Nichtwähler, die mit 63,5 Prozent souverän die absolute Mehrheit erreicht haben. Daraus ergibt sich klar der Wille der überwältigenden Mehrheit: nicht zu wählen. Ob angesichts von Bildungskatastrophe, Massenarbeitslosigkeit, Massenarmut etc. das Nichtwählen auf völlige Zufriedenheit wenigstens der absoluten Mehrheit schließen lässt, darüber mag man an anderer Stelle spekulieren. Und schaut man auf die massenhaften Verurteilungen von Bürgern, nur weil sie eine unbequeme Wahrheit thematisiert haben, beschränkt sich die Meinungsfreiheit anscheinend im wesentlichen darauf, die Meinung der Mächtigen zu übernehmen. All das ändert jedenfalls nichts an der objektiven Statistenrolle der Bürger. Und ist eine definitorische Zusammenstellung von "Demokratie" und "Freiheit" schon unsinnig, so ist der Nachsatz sogar noch problematischer: "Die Gesetze müssen der Wille aller Bürger sein." Es ist für ein Gesetz in erster Linie und v.a. unverzichtbar erforderlich, dass es im Naturrecht gründet, dem Naturrecht zumindest nicht widerspricht. Andernfalls kann ein Gesetz eben keine Rechtskraft erlangen, d.h. so ein Gesetz verpflichtet nicht nur nicht zum Gehorsam, sondern verbietet den Gehorsam sogar. Dabei ist es völlig unerheblich, wer ein Gesetz beschlossen hat, ob nun ein Kaiser in einem Erlass oder die gesamte Bevölkerung in einer Volksabstimmung. Recht bleibt Recht und Unrecht bleibt Unrecht. Niemand ist so "frei", dass er Unrecht zu Recht erklären kann - oder umgekehrt. Und ob die Mehrheit des Volkes immer über größere Weisheit verfügt als ein Monarch, also auch immer besser als ein einzelner Regierender entscheiden kann, was gerecht ist, ist auch noch die Frage.
Schachtschneiders Beschwören des "Willens aller Bürger" klingt sehr nach Kant. In der Tat äußerte Schachtschneider in einem früheren Interview ("Neue Solidarität", Nr. 22/2005): "Freiheit verstehe ich als politische Freiheit, das ist kantianisch konzipiert, durch und durch. [...] Sittlichkeit hat ein Gesetz, den kategorischen Imperativ: Handle jederzeit nach einer Maxime, von der du wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz sei. Also: Achte den andern als Menschen und lebe mit ihm im Recht, das aber gemeinsam gefunden wird. Diese Art von Sittlichkeit können Sie auch übersetzen - sehr christlich - als: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Der kategorische Imperativ ist nichts anderes als das christliche Liebesprinzip, und das heißt eben, den anderen als Menschen achten und ihn nicht unterdrücken."
Hier stellt Schachtschneider nun wirklich alles auf den Kopf. In Wahrheit ist der kategorische Imperativ die Verherrlichung des Subjektivismus, die Leugnung des objektiv höchsten Gesetzgebers und damit die Zerstörung der Grundpfeiler jeder Gerechtigkeit. Die Kirche hat sich stets gegen Kants Ideologie ausgesprochen; wenn Schachtschneider also Kants Ideologie trotzdem als christlich hinstellt, müsste er wenigstens Grundaussagen des Neuen Testaments nachweisen wie: "Nur wer den Willen der Mehrheit tut, wird gerettet werden", und: "Nur der breite Weg, den die Mehrheit geht, führt ins Leben." In der Tat hat eine Politik ohne resp. gegen objektive Normen insbesondere in Deutschland eine lange Tradition, z.B. Bismarcks Kulturkampf und Hitlers Vernichtungskrieg gegen die Kirche. Also wenigstens zeitweilig kann Kants kategorischer Imperativ sogar irgendwie "funktionieren". Aber er ist nicht christlich, ganz im Gegenteil.
Zusammengefasst: Schachtschneiders Ausführungen über den Rechtsstaat sind alarmierend ungenau bis grundlegend falsch. Deutschland ist kein Rechtsstaat, das bestreitet niemand ernsthaft, und da kann man Schachtschneider auch gerne frei zitieren. Aber Schachtschneiders subjektivistischer Ansatz à la Kant ist nicht die Lösung, sondern die Ursache des Problems.

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