Die Wahrheitsfindung im Strafprozess
- Pressemeldung: Zur Unterscheidung von formeller und
materieller Wahrheit -
(Kirche zum Mitreden, 11.06.2014)
Im Artikel "Eine Frage der Wahrheit. Freispruch und Schadensersatz
im Fall Kachelmann" (lto.de, 19.11.2012) operieren Christian Wolf
und Hanna Schmitz mit der Unterscheidung von formeller und
materieller Wahrheit: "Im Strafprozess gilt das Prinzip der
materiellen Wahrheit. Nach dem dort geltenden Ermittlungsgrundsatz
ist das Gericht dazu verpflichtet, den relevanten Sachverhalt
vollumfänglich selbst zu ermitteln. Im Zivilprozess bilden hingegen
die Verfahrensgrundsätze der Dispositions- und Verhandlungsmaxime
das Fundament für den dort vorherrschenden formellen
Wahrheitsbegriff. Den Tatsachenstoff, aufgrund dessen der
Sachverhalt ermittelt wird, bringen ausschließlich Parteien bei.
Auch die Wahrheit, welche der Richter seiner Entscheidung zugrunde
legt, kann er also ausschließlich dem Vortrag der
Prozessbeteiligten entnehmen."
Dazu einige Begriffe aus der Theologie: Ein Dogma ist eine
unfehlbare Wahrheit, die a) von Gott geoffenbart und b) von der
Kirche mit Glaubensverpflichtung vorgelegt wurde. Sind diese beiden
Voraussetzungen (göttliche Offenbarung und kirchliche Verkündigung)
gegeben, handelt es sich um ein "formelles Dogma". Wer eine solche
Wahrheit bestreitet oder bezweifelt, ist ein Häretiker. Angenommen,
jemand glaubt nicht, dass die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche
heilsnotwendig ist: Weiß er nicht, dass diese Heilsnotwendigkeit ein
Dogma ist, ist er ein materieller Häretiker; weiß er es aber doch,
ist er ein formeller Häretiker wegen sog. "hartnäckiger Leugnung"
des Dogmas. Sowohl der formelle als auch der bloß materielle
Häretiker gehören deshalb nicht zur Kirche, auch wenn die
Schuldhaftigkeit und die Versöhnungsmöglichkeit unterschiedlich
sind.
In der BRD steht das Bekenntnis der Wahrheit, namentlich bzgl.
katholischer Dogmen, unter Strafe, zwar nicht formell (es gibt kein
dementsprechendes Gesetz, ganz im Gegenteil: z.B. verspricht GG Art.
4 die unverletzliche "Freiheit des religiösen und weltanschaulichen
Bekenntnisses"), aber materiell, d.h. es wird einfach so bestraft.
So wurde auch der Verf. mehrfach angeklagt und verurteilt, weil er
trotz ausdrücklichem staatlichen Verbot am katholischen Glauben
festhält. Der Verf. stellte deshalb einmal Befangenheitsantrag gegen
den Richter. Der Richter musste sich daraufhin rechtfertigen, warum
er gegen einen offenkundig Unschuldigen ein Strafverfahren führt,
u.z. obendrein in einer Sache, in der die staatliche Gewalt absolut
gar keine Entscheidungsgewalt hat, i.e. in der Festlegung
katholischer Dogmen. Zur Erinnerung: Für ein formelles Dogma ist die
Verkündigung durch die Kirche erforderlich. Der Staat kann also
weder Dogmen einführen noch aufheben. Der Richter rechtfertigte sich
dann folgendermaßen:
"Für die Entscheidung des Verfahrens ist es völlig unerheblich, ob
der Angeklagte in Glaubensfragen Unrecht hat oder nicht, ob er die
richtige katholische Kirche vertritt und die anderen nicht. Es geht
darum, dass die römisch-katholische Kirche, deren Mitglied der
Angeklagte ausdrücklich nicht sein will diejenige ist, die nach
Artikel 140 Grundgesetz, 137 Weimarer Verfassung die verfasste
Kirche ist und die daher den verstärkten grundrechtlichen Schutz
genießt. Das aus § 12 BGB sich ergebende Namensrecht und insofern
bestehende Recht zum Schutz des Namens steht dieser Kirche zu."
Diese Selbstrechtfertigung des Richters hatte Erfolg. Sie wurde
ausdrücklich von der zuständigen Untersuchungsinstanz akzeptiert
durch Fortsetzung des Verfahrens und blieb auch von der gesamten
BRD-Justiz unbeanstandet. Hier haben wir also das grundsätzliche
Selbstverständnis der Justiz in klaren Worten vorliegen, deren
Richtigkeit und Geltung sowohl explizit konkret als auch ex silentio
allgemein unmissverständlich endgültig bestätigt sind:
"Es ist völlig unerheblich, ob der Angeklagte Unrecht hat oder
nicht."
Hier ein kleiner Exkurs:
Thomas Darnstädt schreibt (Der Richter und sein Opfer: Wenn die
Justiz sich irrt, Piper 2013, 14.16): "Ralf Eschelbach, als Richter
am Bundesgerichtshof einer der mächtigsten und erfahrensten Juristen
Deutschlands, fällt über die Justiz ein vernichtendes Urteil. Es sei
die »Lebenslüge« der Justiz, schreibt der Mann, der seit 1988 als
Richter arbeitet, dass es »kaum falsche Strafurteil gebe«. Nach
Eschelsbach Schätzung ist jedes vierte Strafurteil ein Fehlurteil.
[...] Es ist der mit Justizopfern erfahrene Kölner Anwalt Ralf
Höcker, der bestätigt: »Letztendlich kann es jeden treffen«." Auch
Seiten wie falschbeschuldigung.org und blog.justizkacke.de geben zu
denken.
Also: Wahrheitsfindung scheint generell nicht immer das
Hauptinteresse der Justiz zu sein.
Die zahlreichen Zivil- und Strafprozesse gegen den Verf. mit ihren
vielen, oft sehr schweren Verurteilungen und Bestrafungen gewinnen
durch diese besondere Thematik, i.e. das katholische
Glaubensbekenntnis, eine unvergleichlich hohe Bedeutung. Nochmals:
Gem. katholischem Dogma ist die Zugehörigkeit zur Kirche
heilsnotwendig. Und ebenfalls ein formelles Dogma ist, dass die
Kirche nicht dem Staat unterworfen ist. Die BRD aber zwingt mit
ihren ganzen zivilrechtlichen und strafrechtlichen Zermürbungen und
Verurteilungen den Verf. dazu (bislang erfolglos), dieses Dogma zu
leugnen. Der Verf. soll der BRD das Recht zubilligen, einer
notorisch nichtkatholischen Gemeinschaft die Bezeichnung
"katholische Kirche" zuzuteilen. Laut BRD ist es "völlig
unerheblich, ob der Angeklagte in Glaubensfragen Unrecht hat oder
nicht, ob er die richtige katholische Kirche vertritt und die
anderen nicht." Tatbestand und Sachverhalt sind für die gesamte
BRD-Justiz ganz explizit vollkommen belanglos. Und wer ein
"rechtstreuer" Bürger sein will, der muss sich bedingungslos den
BRD-Entscheidungen unterwerfen. Er muss absolut rückhaltlos dem
katholischen Glauben abschwören. Er muss sich also ganz öffentlich
und vollständig von der heilsnotwendigen Kirche trennen.
Sicher, das ist ein Versagen der Justiz. Aber vielleicht ist es nur
ein Abbild dessen, wie groß das Interesse der Öffentlichkeit an der
Wahrheitsfindung ist - auch ganz konkret bzgl. der katholischen
Kirche.
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