Die "starke katholische Wurzel" des Nationalsozialismus

- Pressemeldung zu Dietrich Bronder, "Bevor Hitler kam" -
(Kirche zum Mitreden, 23.05.2007)
Dietrich Bronder triumphiert, der Nationalsozialismus habe eine "starke katholische Wurzel"; O-Ton Bronder: »Nach Angaben des Priesters Dr. Erhard Schlund (München) sollen in den Jahren 1933-39 in Deutschland über 900 katholische Geistliche aus der Kirche ausgeschieden und in den Dienst des Nationalsozialismus getreten sein - wobei sie oft zu "recht gehässigen Gegnern des Christentums" geworden sind (Der Jurist Ernst-Wolfgang Böckenförde - später Richter am Bundesverfassungsgericht - hat die erstaunnlichsten Belege und Tatsachen zu diesem Thema in der katholischen Zeitschrift "Hochland" Nr. 6/1961 rücksichtslos zusammengetragen und die römische Kirche damit bloßgestellt). Neben der Geistlichkeit seien die katholischen Laien innerhalb der NSDAP nicht vergessen, von deren Führern sie einen hohen Prozentsatz stellten, vor allem in den entscheidenden und ideologisch vor 1933 aufbauenden Ämtern, so daß man nicht zu Unrecht sagen darf, daß der Nationalsozialismus eine starke katholische Wurzel hat. So waren von den 26 NS-Reichsleitern, also der höchsten Führungsstufe der Partei, 12 bis zuletzt bekennende Katholiken, d. b. 46 % bei 1931 rd. 32 % Katholiken im deutschen Volke. Nennen wir nur Namen wie Hitler, den ehemaligen Chorknaben der Benediktiner, und Dr. Goebbels, der einst als katholischer Unitas-Student hatte Kardinal werden wollen« (Bevor Hitler kam, Genf (2)1975, 263f).
Dazu einige Überlegungen:
1. Wenn ein katholischer Geistlicher aus der katholischen Kirche ausscheidet, ist er logischerweise kein katholischer Geistlicher mehr. Und wenn er für seinen Dienst im NS aus der katholischen Kirche ausscheidet, dann ist das doch wohl ein unschlagbarer Beweis, wie absolut unvereinbar der NS mit dem Katholizismus ist. Was hingegen mit den treugebliebenen Priestern passiert ist, sollte auch nicht ganz vergessen bleiben: Allein in Dachau waren über 2.600 katholische Kleriker inhaftiert, wovon über 1.000 dort gestorben sind; in Auschwitz starb z.B. Pater Maximilian Kolbe: Weil der den Hungerbunker überlebt hatte, wurde er durch ein Phenolspritze ermordet. Die "Verbrechen" der Priester, weswegen sie eingekerkert und hingerichtet wurden, bestanden übrigens oft in angeblichen "Beleidigungen"; das sollte hellhörig machen, wenn heute katholische Priester wegen "Beleidigung" verurteilt werden.
2. Es stimmt, dass Böckenförde eine entsprechende Verleumdungsschrift gegen die Kirche geschrieben hat, und es stimmt, dass Böckenförde Richter am BVerfG war. Dazu ist allerdings zweierlei zu bemerken: a) Bereits 1963 schrieb Kurt Sontheim über den Böckenförde-Text: "Im Februarheft des Jahres 1961 veröffentlichte die katholische Zeitschrift »Hochland« einen Artikel von Ernst-Wolfgang Böckenförde über die Haltung des deutschen Katholizismus im Jahre der nationalsozialistischen Machergreifung. Der Münsteraner Assistent für öffentliches Recht hatte seine Darstellung im Untertitel als eine »kritische Betrachtung« bezeichnet. Sie wurde in der katholischen Öffentlichkeit als derart kritisch bzw. »unkritisch« empfunden, daß sie in großen Teilen der katholischen Öffentlichkeit und ihren Organen einen Proteststurm auslöste. [...] [Böckenförde musste] sich von einigen seiner Kritiker bescheinigen lassen, daß sein Beitrag »schlechthin unseriös« sei, daß seine Ergebnisse auf einer »außerordentlich primitiven Methode« der Sammlung und Auswahl von Zitaten beruhten, daß er seine Darlegungen in ein »scheinwissenschaftliches Mäntelchen« gehüllt und als vermeintlicher Historiker jedes Einfühlungsvermögen in die besondere Situation des deutschen Katholizismus im Jahre 1933 habe vermissen lassen."
b) Als Verfassungsrichter erklärte Böckenförde zur Legalisierung des Kindermords im Mutterleib: "Als Katholik habe ich zur Abtreibung eine deutliche Position, die sich nahezu ganz mit der Lehre der Kirche deckt. Aber das Gewissen mahnte mich nun nicht, diese Auffassung in der Beratung im Senat mit allen Kräften durchzusetzen, sondern gerade unabhängig von dieser Auffassung danach zu fragen und für das einzutreten, was das Grundgesetz in seinen verschiedenen Gewährleistungen zu diesem Problem selbst sagt oder sich aus ihm entnehmen lässt, auch wenn dies hinter meiner katholischen Überzeugung zurückbleibt, ihr womöglich sogar widerspricht. Warum wohl hat das Gewissen sich so und nicht anders gemeldet? Ich hatte, als ich das Richteramt übernahm, geschworen, als gerechter Richter das Grundgesetz und die Gesetze zu wahren und Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben. Dies und dies allein war in diesem Amt meine Aufgabe und Pflicht, nicht die Vertretung katholischer Belange. Und ich hatte diesen Eid mit der religiösen Beteuerung 'so wahr mir Gott helfe' geleistet."
Man vergleiche dies mit der kirchlichen Lehre: "Es gibt keine Majestät des Gesetzes vor der göttlichen im Naturgesetze sich offenbarenden Majestät. Dies muß die katholische Moral festhalten gegenüber den Behauptungen der historischen Rechtsauffassung, der menschliche Gesetzgeber solle zwar seine Prinzipien und Ideen aus Gottes Weltordnung schöpfen, kein ungerechtes, gottwidriges Gesetz machen oder bestehen lassen; aber wenn er es doch tue, so habe sein Gesetz Rechtskraft und verpflichte den einzelnen ebenso wie ein gerechtes Gesetz" (A. Göpfert, K. Staab, Moraltheologie, Erster Band, Paderborn (9)1923, 21f).
Und: Zur Erlaubtheit eines Schwurs ist u.a. nötig, "daß die Aussage sittlich erlaubt ist. Sündhafte Mitteilungen (Ehrabschneidungen, Großtun mit Sünden) beschwören, ist eine läßliche Sünde, auch wenn die Aussage wahr ist. — Etwas Böses eidlich versprechen, ist eine schwere Sünde, wenigstens wenn die versprochene Sache schwer sündhaft ist" (H. Jone, Katholische Moraltheologie, Paderborn (7)1935, 150). "Der Treueid oder Verfassungseid, wie er von Beamten usw. verlangt wird, besagt, daß man den staatlichen Gesetzen unterworfen sein, das Amt nach den Vorschriften der Gesetze führen und nichts Verbotenes gegen die rechtmäßige Obrigkeit unternehmen wolle, nicht aber, daß man sich zur Beobachtung aller Staatsgesetze durch einen Eid verpflichten wolle. Enthalten die Staatsgesetze einige Bestimmungen gegen göttliches und kirchliches Recht, so darf man den Eid nur leisten mit der Einschränkung: unbeschadet der göttlichen und kirchlichen Gesetze. Diese Klausel aber muß gewöhnlich (weil schon hinreichend bekannt) nicht ausdrücklich hinzugefügt werden, außer es wäre notwendig zur Vermeidung von Ärgernis" (a.a.O. 151).
3. Was nun die "bekennenden Katholiken" Hitler etc. betrifft, so kann man im römischen Katechismus nachlesen: "Daher kommt es, dass nur drei Menschenklassen von ihr [der Kirche] ausgeschlossen werden: erstens die Ungläubigen, dann die Häretiker und Schismatiker, endlich die Exkommunizierten ... Es ist jedoch nicht zu leugnen, daß sie unter der Gewalt der Kirche stehen, um von ihr vor Gericht gerufen, bestraft und mit dem Bannfluche belegt zu werden ... Von den übrigen aber, wenn auch noch so gottlosen und verbrecherischen Menschen, ist gar kein Zweifel, dass sie noch in der Kirche verbleiben ..." (Cat. Rom. I, 10,9). Nun leugnet der Nationalsozialismus sogar das absolut grundlegende Dogma von der Erbsünde, die explizit in eine Rassenlehre umgedeutet wird. Kurz: Nazis sind eben keine Katholiken. So ist auch heute nicht jeder "Taufscheinkatholik", selbst wenn er "bekennender Katholik" ist, wirklich Katholik.
Kurz: Die gesamte Argumentation hinsichtlich der "starken katholischen Wurzel" des NS basiert auf der Lüge, Nichtkatholiken als Katholiken auszugeben resp. darauf, die explizite Gegnerschaft der Kirche zum NS zu leugnen (cf. Enzyklika "Mit brennender Sorge"). Es ist dementsprechend in gar keiner Weise zu rechtfertigen, wenn man derlei notorische Verleumdungskampagnen, etwa auch den "Stellvertreter" von Rolf Hochhuth, billigt oder gar verbreitet.

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