Am heutigen Sonntag "Quinquagesima", dem letzten Sonntag der Vorfastenzeit,
stellt uns die Kirche bereits das Leiden, das Christus wegen unserer Sünden
auf sich genommen hat, vor Augen. Im Schott heißt es zum Evangelium
des heutigen Sonntags:
"In der Kraft, die wir uns durch die Feier der hl. Messe sichern, sind
wir entschlossen, mit dem Heiland durch die Zeit des Leidens hindurchzugehen,
in der hl. Fastenzeit der Welt und Sünde abzusterben, damit wir an
Ostern zu neuem Leben auferstehen können. Sind wir auch noch blind,
wie der Blinde des Evangeliums, der Heiland kann uns heilen."
Soweit das Zitat aus dem Schott. Es könnte scheinen, als ob im
heutigen Evangelium zwei Sinnabschnitte zusammengefasst wären, die
eigentlich kaum etwas miteinander zu tun haben. Zunächst sagt Jesus
voraus, welchen Erfolg er bei den Menschen haben wird:
"Er wird den Heiden ausgeliefert, verspottet, mißhandelt und
angespien werden; man wird ihn geißeln und töten."
Von daher sollte die Frage erlaubt sein, ob wirklich nur Erfolg bei
den Menschen als Beweis dafür dienen kann, dass eine Sache gut und
richtig ist. In diesem ersten Sinnabschnitt kündigt Christus auch
seine Auferstehung von den Toten an; die Jünger verstehen den Sinn
der Worte Jesu allerdings nicht.
Als zweiter Sinnabschnitt folgt dann der Bericht über die Heilung
des Blinden von Jericho. Der Blinde spricht gegenüber Jesus den Wunsch
aus: "Herr, mach, daß ich sehen kann". In dem Breviergebet, das die
Kleriker täglich verrichten müssen, wird am heutigen Sonntag
eine Predigt des hl. Papstes und Kirchenlehrers Gregor I. zu diesem Evangelium
zitiert. Der Papst sieht die beiden Sinnabschnitte nicht getrennt; die
Blindenheilung soll vielmehr eine Verständnishilfe für die Worte
Jesu über Tod und Auferstehung sein, die von den Jüngern nicht
verstanden wurden. Die Wundertaten Jesu dienen dazu, den Glauben zu wecken
und zu festigen, auch wenn die Worte Jesu nicht sofort vollkommen verstanden
werden.
Der Papst weist darauf hin, dass es bei der Wunderheilung nicht nur
konkret um eine Wohltat für diesen einen Blinden geht: Diese Wunderheilung
hat auch einen zeichenhaften Charakter. Der Blinde repräsentiert dabei
das Menschengeschlecht. Durch den Sündenfall Adams, dessen Folgen
auf all seine Nachkommen vererbt werden, lebt das Menschengeschlecht in
der Finsternis der Verdammung. Die Anwesenheit des Erlösers hingegen
schenkt demjenigen, der darum bittet, neues Licht und weist den Weg, die
verlorene Gnade wiederzuerlangen.
Wie der Papst weiter erklärt, bedeutet der Name der Stadt Jericho
übersetzt "Mond", wobei der Mond als Bild für die Gebrechlichkeit
des Fleisches dient. Das Abnehmen des Mondes verweist auf die menschliche
Gebrechlichkeit. Wenn sich nun der Erlöser Jericho, Bild der menschlichen
Gebrechlichkeit, nähert, dann schenkt er dem Menschen Licht. Wenn
die Gottheit unsere fleischliche Gebrechlickeit annimmt, schenkt sie dem
menschlichen Geschlecht das Licht und erhebt den Menschen in den Stand
der Gnade. Christus, der Sohn Gottes, der unsere menschliche Natur angenommen
hat, zeigt den Menschen den Weg zum Paradies. Ja, Christus ist der Weg,
die Wahrheit und das Leben. Durch die Sünde des Menschen kommt der
Tod, durch die Gottheit kommt die Auferstehung. Durch die Sünde des
Menschen kommt die Finsternis, durch die Gottheit kommt das Licht.
Wie wir diesen Weg gehen müssen, erläutert der hl. Paulus
in der heutigen Lesung: Es ist der Weg der Liebe. Die Liebe trennt sich
von der Sündhaftigkeit des alten Menschen, sie lebt in der Gnadenwelt
des neuen Menschen. Paulus schreibt: "Als ich noch ein Kind war, redete
ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind, urteilte wie ein Kind; als ich aber
ein Mann wurde, legte ich das Kindhafte ab." Diese Aussage des heiligen
Paulus steht auch rein sprachlich in keinerlei Gegensatz zum Wort Christi:
"Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr in das Himmelreich
niemals eingehen" (Mt 18,3). Im griechischen Urtext werden jeweils unterschiedliche
Vokabeln gebraucht. So wendet sich Paulus gegen das Kindische, Törichte,
während Christus von uns Gehorsam und Vertrauen verlangt.
So klar die Worte der Heiligen Schrift und die kirchlichen Texte auch
sind, es ist schwerlich zu übersehen, dass sich gerade gegen Ende
der Vorfastenzeit kaum jemand darum schert. Vom Ernst der Leidensvoraussagungen
Christi ist wenig zu spüren, und von einem Ablegen des Kindischen
auch nicht besonders viel.
Ganz besonders traurig ist das Bestreben jener, die es sich zur Lebensaufgabe
gemacht haben, die Heilige Schrift zum Märchenbuch zu erklären.
Konkret auf das heutige Evangelium bezogen heißt das, dass 1. Jesus
sein Leiden und seine Auferstehung nicht vorausgesagt hat und 2. dass Jesus
keinen Blinden geheilt hat. Eine solche radikale Verdrehung der Tatsachen
ist nur möglich, indem man die Gottheit Christi leugnet. Ist Christus
nur noch reiner Mensch, dann ist er auch kein Erlöser. Dann hat er
nichts von seinem bevorstehenden Leiden gewusst, auferstanden ist er sowieso
nicht, Wunder vollbringen konnte er natürlich auch nicht. In dieser
gottlosen Weltsicht musste Jesus erst so langsam verstehen, dass er von
den Menschen abgelehnt wurde. Er ist dann seinen Idealen treu geblieben,
hat dafür den Tod auf sich genommen, und das war´s dann auch
schon. Sein Leiden hat vielleicht einen besonders beeindruckenden Vorbildcharakter,
unterscheidet sich aber letztlich in nichts von dem Leiden anderer, die
für ihre Ideale den Tod zu erleiden bereit sind. Wozu auch einen Erlöser,
wenn man die Erbsünde leugnet?
Möglichkeiten, sich von der Wahrheit, vom Licht der göttlichen
Gnade zu trennen, gibt es also reichlich. Man kann sich mit der heidnischen
Welt in den besinnungslosen Taumel stürzen, man kann als Superkritiker
alles anzweifeln, was einem nicht gefällt, man kann in Verbitterung
und Resignation fallen, weil die Welt antichristlich ist. Aber auch hier
helfen uns die Worte des heiligen Paulus weiter, der über die Liebe
schreibt:
"Sie läßt sich nicht erbittern, sie denkt nichts Arges;
sie freut sich nicht am Unrecht, sondern hat Freude an der Wahrheit; sie
erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, duldet alles." Amen.