Predigt am 02.03.2003

- Quinquagesima -
(Kirche zum Mitreden, 02.03.2003)
(1 Kor 13,1-13; Lk 18,31-43)

Der Menschensohn "wird den Heiden ausgeliefert, verspottet, mißhandelt und angespien werden; man wird ihn geißeln und töten."
Nicht wenige Menschen stellen die Frage: "Wenn das so stimmt, wie Jesus sagt, warum setzt er sich nicht durch?" Anders ausgedrückt: Nur derjenige ist im Recht, dessen Aussage sich durchsetzt. Wer die Mehrheit der Stimmen erhält, der hat recht. Wenn die Mehrheit sagt, die Erde ist eine flache Scheibe, dann ist die Erde nun einmal eine flache Scheibe. Jede weitere Untersuchung dazu ist unzulässig, weil die Mehrheit entschieden hat.
Jesus sagt sein Leiden voraus. Doch im Judentum wurde geträumt von einem Messias, der nur in Macht und Herrlichkeit erstrahlt. Von diesem jüdischen Denken sind auch die Apostel angesteckt. Als Reaktion auf die Leidensankündigung heißt es über die Apostel: "Allein sie verstanden nichts davon; diese Rede war für sie dunkel, und sie begriffen nicht, was damit gemeint war." Es passt nicht in ihr jüdisches Weltbild, dass der Messias, der Gesalbte Gottes, in Erniedrigung sein könnte. Wer im Wohlgefallen Gottes lebt, und das gilt insbesondere vom Messias, der kann nicht Opfer eines solchen Unrechtes werden, für den darf es keine Verspottung, erst recht keine Misshandlung, geschweige denn ein gewaltsames Ende geben. Trotzdem mussten die Apostel Zeugen werden, wie all das eingetreten ist, was Christus vorausgesagt hat.
Es mutet deshalb seltsam an, wenn auch heute noch die jüdischen Vorstellungen von der irdischen Wohlfahrt des gottergebenen Menschen begegnen. Der Gerechtigkeit ist nicht unbedingt dann schon genüge getan, wenn jemand ausgeliefert wird, wenn er verpottet, mißhandelt und angespien wird; wenn man ihn geißelt und tötet. Es kann auch sein, dass wenige Unschuldige einer unüberschaubaren Anzahl von Schuldigen gegenüberstehen. Wendet man das Mehrheitsprinzip an, ist die Sache einfach: Die Schuldigen haben, weil in der Überzahl, das Recht auf ihrer Seite, und die Unschuldigen sind im Unrecht. Hüten wir uns unbedingt vor diesem jüdischen Weltbild, zumal Christus auch für seine Jünger den Hass voraussagt, dem er selbst ausgesetzt war.
An die Voraussage des Leidens knüpft Christus die Voraussage der Auferstehung: "aber am dritten Tage wird Er wieder auferstehen." Bei der Auferstehung der Toten wird der Gerechtigkeit endgültig und vollkommen Genüge getan. Darauf muss sich stets unser Blick richten. Lassen wir uns nicht von dieser Welt gefangen nehmen. Hüten wir uns davor, in den Vergnügungen dieser Welt unterzugehen. Hüten wir uns davor, an den manchmal bitteren, furchtbaren Erfahrungen dieser Welt zu zerbrechen. Halten wir unseren Blick stets wach: Christus ist durch Leiden und Tod gegangen, um dann in Herrlichkeit zu erstrahlen.
Im weiteren Verlauf des heutigen Evangeliums steht die Wunderheilung des Blinden von Jericho. Zunächst fällt dieser Gegensatz zwischen dem Blinden und dem Volk auf. Das Volk sieht zwar mit den Augen, aber es sieht nicht die Wirklichkeit. Die Mehrheit des jüdischen Volkes bleibt blind für Christus. Das jüdische Volk verschließt den Blick vor der Realität und gefällt sich in Messias-Träumereien, die aus menschlichem Wunschdenken geboren, aber nicht aus der göttlichen Offenbarung gewonnen sind. Wie anders doch der Blinde von Jericho, der sich trotz der Schelte, er solle schweigen, mit noch lauterer Stimme an Christus wendet: "Sohn Davids, erbarme dich meiner".
In dieser Bitte liegt nicht der Vorwurf, der in unserer gottlosen Zeit so beliebt ist: "Wieso lässt Gott mein Leid oder das Leid von anderen zu?" Dieser Vorwurf wird dann gerne noch übersteigert in: "Weil Gott so böse ist, mein Leid oder das Leid von anderen zuzulassen, will ich nichts von ihm wissen." Statt dessen formuliert der Blinde mit Eifer und Vertrauen die Bitte um Erbarmen. Und als Christus den Blinden fragt: "Was soll ich dir tun", antwortet der Blinde: "Herr, daß ich sehe".
Während das jüdische Volk also mit der selbst gewählten Blindheit geschlagen ist, schenkt Christus denen, die ihn darum bitten, die Sehkraft. Nun ist die Frage, wie man seine Sehkraft nutzt. Worauf richtet man seinen Blick? Ist unser Blick getrübt, weil wir an die Stelle der göttlichen Offenbarung menschliches Wunschdenken gesetzt haben? Sehen wir Christus so, wie er uns im Evangelium begegnet, oder erträumen wir uns einen Messias, der mit dem Evangelium kaum etwas zu tun hat. Und wie sehen wir die katholische Kirche, die der mystische Leib Christi ist? Haben wir ein Kirchenbild, das der Lehre vom mystischen Leib Christi entspricht? Oder erträumen wir uns ein Zerrbild von Kirche, in dem u.a. auch das Mehrheitsprinzip regiert. Die Entscheidung ist unausweichlich: Ist das die Kirche, was von Christus als Gemeinschaft im wahren Glauben und in den wahren Sakramenten unter den rechtmäßigen Hirten gegründet wurde, oder ist das die Kirche, was die Mehrheit für die Kirche hält.
Und weiter: Haben wir unseren Blick gar mit Wohlwollen auf Böses gerichtet, haben wir uns an Gedanken und Ereignissen erfreut, die mit der christlichen Lehre unvereinbar sind? Gab es Blicke, die geprägt waren von Hass, Neid, Unreinheit, Gier? Wenn das der Fall war, setzen wir einen Schlussstrich. Sehen wir ungetrübt, wie und wie oft wir Gott beleidigt haben, richten wir unseren Blick wieder auf Christus und versuchen wir, unseren Blick künftig nicht mehr von ihm abzuwenden.
Der Blinde hat sich entschieden: Er pries Gott und folgte Jesus. So muss auch unsere Entscheidung aussehen, selbst dann, wenn uns vor Augen steht, dass wegen der Nachfolge Christi Spott, Misshandlung und gewaltsamer Tod drohen können. Wir brauchen und dürfen unsere Augen nicht davor verschließen, dass nach weltlichen Maßstäben Nachteile aus der Glaubenstreue entstehen können.
Öffnen wir die Augen für Christus, flehen wir ihn an, dass wir ihn als den Herrn erkennen, und dass wir die Begrenztheit dieser Welt erkennen. Richten wir unseren Blick auf die Ewigkeit, damit wir uns dereinst der beseligenden Anschauung Gottes erfreuen dürfen. Amen.
 

S. auch:
Der Staat als Satansdiener

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