Predigt am 02.11.2003

- 21. Sonntag nach Pfingsten, sd -
(Kirche zum Mitreden, 02.11.2003)
Eph 6,10-17; Mt 18,23-35

"So stehet also da, die Lenden umgürtet mit der Wahrheit, angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit". Stehen Wahrheit und Gerechtigkeit hoch im Kurs? Sind insbesondere diejenigen, die sich Christen nennen, umgürtet mit der Wahrheit und angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit? Man könnte jetzt viele konkrete Beispiele nennen, wo das durchaus nicht der Fall ist. Man könnte jetzt viele konkrete Namen nennen von lebenden und verstorbenen Personen, die für gute Christen gehalten werden wollen bzw. wollten und die auch von anderen als leuchtende Vorbilder für die Träger von Wahrheit und Gerechtigkeit gehalten und genannt werden. Doch wie kommt es dazu, dass statt Wahrheit und Gerechtigkeit Unwahrheit und Ungerechtigkeit regieren? Zu den beliebtesten Mitteln im Kampf gegen Wahrheit und Gerechtigkeit gehört der Subjektivismus. Die Wahrheit ist gemäß dem Subjektivismus keine objektive Größe, vielmehr ist sie der Willkür der Subjekte unterworfen: Ich habe meine Wahrheit, du hast deine Wahrheit, er hat seine Wahrheit, sie hat ihre Wahrheit. Dieser Subjektivismus feiert freche Triumphe in Parolen wie: "Ich verstehe zu wenig von anderen Religionen, um mich hier abschließend zu äußern. Ich will auch nicht - und bin dazu auch Gott sei dank nicht berufen - das Verhältnis zwischen dem Christentum und anderen Religionen beurteilen. Ob es also die für alle und jeden 'einzig wahre' Reigion gibt, diese Frage interessiert mich nicht" (Sven Stemmildt). Der Subjektivismus erscheint zunächst als das hartnäckige Desinteresse an der Wahrheit, entpuppt sich aber schnell als der abgrundtiefe Hass gegen die Wahrheit, in dem genannten Beispiel als Hass gegen das Dogma von der Heilsnotwendigkeit der Kirche. Weil die Welt so dermaßen vom Subjektivismus vergiftet ist, hat sich auch bei vielen, die sich für gute Christen halten, eine entsetzliche Gedankenlosigkeit breit gemacht. Objektive Normen, ja sogar Dogmen werden zum Spielball der subjektiven Neigungen. Mit beängstigender Leichtfertigkeit schrauben so gen. gute Christen nicht nur am Kirchenrecht herum, sie stellen sogar einen ganz und gar antikatholischen Kirchenbegriff als wahre Lehre hin und machen auch vor der Gotteslehre nicht Halt.
Das Glaubensbekenntnis des Subjektivismus wurde von einem vermeintlich "gut katholischen" Bischof (Günther Storck) 1976 in einer vermeintlichen "Doktorarbeit" so formuliert: "Die Transzendentalphilosophie leugnet gerade die objektive vom Bewußtsein unabhängige Selbständigkeit einer realen Außenwelt, indem sie den Nachweis führt, daß diese Welt nur als real und objektiv vorgestellt wird. Der objektiven Welt kommt also in Wahrheit keine Existenz an sich zu" (Storck 51 [104]). Das Subjekt stellt sich die Welt nur vor, erst das Subjekt gibt der Welt die Existenz. In der vermeintlichen Doktorarbeit wird dieser grobe Unfug penetrant behauptet, aber nirgends bewiesen, während das katholische Glaubensverständnis penetrant abgelehnt, aber nirgends widerlegt wird. Mit dem Subjektivismus erledigt sich sowieso jede Argumentation - man könnte ja auch sagen, der "Doktorarbeit" kommt in Wahrheit keine Existenz an sich zu. Dass unser katholischer Glaube durchaus von der objektiven Existenz der Welt ausgeht, erhellt z.B. aus dem Dogma: "Wer sagt, der eine und wahre Gott, unser Schöpfer und Herr, könne mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft durch das, was gemacht ist, nicht mit Sicherheit erkannt werden, der sei ausgeschlossen" (NR 49; cf. DS 3026). Zwar zitiert der vermeintliche "Doktor der Theologie" auch dieses Dogma, aber bezeichnenderweiser verkürzt er es genau um diesen Abschnitt: "durch das, was gemacht ist". Braucht man noch einen deutlicheren Beweis, dass dieser Bischof ganz gezielt die Wahrheit auf dem Altar des Subjektivismus geopfert hat und dass er ganz bewusst Tatsachen unterschlägt, um die Wahrheit gemäß seinen subjektivistischen Wünschen umzubiegen? Und trotzdem: Manche feiern ihn regelrecht als großartigen Bewahrer und Verkünder des wahren Glaubens, nennen ihn obendrein noch "Doktor der Theologie", obwohl dieser Bischof objektiv niemals diesen Titel besaß oder auch nur ein Anrecht darauf hatte. Einer der von diesem Bischof geweihten Priester (Eugen Rissling) veröffentlichte sogar vor einigen Monaten noch einen Text "Zum 10. Jahrestag des Heimgangs" des 1993 verstorbenen Bischofs. Darin heißt es einleitend: "Wenn auf das Leben eines Menschen Rückschau gehalten werden soll, muss man sich im Klaren sein, ihm unbedingt Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Und dies bedeutet - möchte man objektiv sein und bleiben -, dass man sich die Mühe machen sollte, möglichst in Erfahrung zu bringen, was ihn jeweils bewegt hat, was die Motivation, die Antriebsfeder für sein Denken und Handeln war." In dem Text kommen die Begriffe "gerecht" und "objektiv" häufig vor, ja der Priester versteigt sich sogar zu der energischen Behauptung: "Ich erinnere mich noch ganz lebendig, wie zentral es ihm in Abgrenzung zu den modernen Irrtümern immer darum ging, unmissverständlich darzulegen, dass es eine absolute und objektive Wahrheit und eine absolut verbindliche Moral gibt, dass Gott der absolut Heilige ist und sich aufgrund Seiner selbst moralisch rechtfertigt, dass man Gott in Wahrheit erkennen und lieben kann und soll! Niemals wurde von ihm etwas anderes gelehrt!" Die Wahrheit sieht allerdings bewiesenermaßen völlig anders aus. Der Priester ist also offensichtlich ganz bewusst in die ideologischen Fussstapfen seines Weihevaters getreten.
Zweifelsohne, es gibt sehr viele, die Verwirrung stiften, aber es gibt nicht sehr viele, die sich für Wahrheit und Gerechtigkeit einsetzen. Nun mag man meinen: Wenn sogar ein vom Glauben abgefallener Bischof als treuer Verkünder der Wahrheit gefeiert wird, wie soll man dann noch die Orientierung finden und behalten? Besteht nicht etwa Grund genug, ja sogar die Notwendigkeit, selbst im Strudel des Subjektivismus unterzugehen? Nein, dazu besteht keinerlei Grund, geschweige denn eine Notwendigkeit. Man muss allerdings die Bereitschaft aufbringen, sich mit der Wahrheit zu umgürten und den Panzer der Gerechtigkeit anzulegen. Fangen wir an bei den offensichtlichsten Dingen: Lügen wir niemals! Seien wir anderen gegenüber gerecht! Wenn wir erfahren, dass jemand Lügen verbreitet, dann weisen wir ihn je nach Möglichkeit zurecht, aber wenn er von seinen Lügen nicht ablassen will, dann meiden wir ihn und warnen ggf. auch andere vor dem Lügner. Ähnliches gilt, wenn wir sehen, wie jemandem Unrecht geschieht. Je nach Möglichkeit weisen wir den Übeltäter zurecht, und will er sein Unrecht nicht wiedergutmachen, meiden wir ihn. Wer diese ersten Schritte tut, der ist bereits auf dem besten Wege, wer allerdings diese Schritte nicht tut, der braucht sich nicht zu wundern, wenn in ihm das Gift des Subjektivismus seine zerstörerische Wirkung entfaltet. Mit der Wahrheit umgürtet, angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit, ergreift man auch das Schild des Glaubens, die wahre Lehre, so wie die Kirche sie in den Dogmen unfehlbar und unabänderlich gültig vorgelegt hat. So ist man gewappnet, wenn der Teufel und seine Diener mit verführerischen Parolen zum Abfall vom Glauben locken. Hassen wir die Lüge, hassen wir die Ungerechtigkeit, stehen wir treu im Glauben der Kirche, dann brauchen wir die Brandpfeile des Bösen nicht zu fürchten. Ja, es ist ein Kampf, den wir Christen führen müssen. Nehmen wir diesen Kampf ernst. Führen wir ihn mit der Waffenrüstung Gottes, mit Wahrheit und Gerechtigkeit, dann werden wir dereinst Anteil haben an der Freude des Himmels. Amen.

S. auch:
Der Fall Sven Stemmildt
"Alma mater"
König der Lügner

[Zurück zur KzM - Startseite]