Predigt am 07.12.2003

- 2. Advent, sd I cl -
(Kirche zum Mitreden, 07.12.2003)
Röm 15,4,13; Mt 11,2-10

Die Messiasfrage, die der eingekerkerte Johannes der Täufer durch seine Jünger an Jesus stellt, hat vereinzelt zu der Auffassung geführt, Johannes sei wankelmütig geworden, ihm seien Zweifel gekommen an der Botschaft, die er während seines Wirkens am Jordan verbreitet hat: Jesus ist das Lamm Gottes, Jesus ist der Messias. Sollte Johannes wirklich mutlos geworden sein? Sollte er seinen Glauben an Christus verloren haben? Und hat wiederum Jesus an Johannes wegen der Messiasfrage Kritik geübt? Hat Jesus Johannes vorgeworfen, versagt zu haben? Wenn man die Bedeutung der Frage richtig verstehen will, ist es notwendig, die Antwort Jesu in die Betrachtung miteinzubeziehen. Denn das Wissen Jesu ist umfassend. Unser Wissen ist äußerst begrenzt. Wie leicht können wir eine Frage missverstehen, wie leicht können wir eine Antwort geben, die an der Frage vorbeigeht, die der Frage nicht gerecht wird? So eine Schwäche besteht bei Jesus nicht: Wenn er eine Frage beantwortet, dann wird er auch der Frage vollkommen gerecht, dann zeigt er auf, was mit der Frage eigentlich gemeint und was mit der Frage eigentlich bezweckt ist. Wenn ihm z.B. die Pharisäer Fangfragen stellen wie die Frage nach der Erlaubtheit der Steuer, dann stellt er seiner Antwort die Frage voran: "Ihr Heuchler, was versucht ihr mich?" So weiß Jesus auch ganz genau, aus welchem Grund Johannes die Messiasfrage stellt, und er gibt die Antwort, die der Frage vollkommen gerecht wird. Man könnte annehmen, die Messiasfrage sollte eine Aufforderung an Jesus sein, sich endlich offen als Messias zu erkennen zu geben, u.z. sowohl durch entsprechende Wundertaten als auch durch ein offenes Bekenntnis. Nun besteht die Antwort Jesu genau darin, auf die Wundertaten und die Verkündigung des Evangeliums zu verweisen: "Gehet hin und berichtet dem Johannes, was ihr gehört und gesehen habt. Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf. Armen wird die frohe Botschaft verkündet. Und wohl dem, der sich an Mir nicht ärgert." Also: Jesus wirkt Wundertaten und verlangt die Anerkennung seiner Autorität: Man darf an Jesus nicht Anstoß nehmen. Darin ist nirgends ein Wort des Tadels enthalten. Hätte Jesus nicht auch hier seiner Antwort eine tadelnde Bemerkung vorausgeschickt, wenn er die Messiasfrage für tadelnswert gehalten hätte? Tadelnde Bemerkungen hat Jesus ja nicht nur gegenüber den Pharisäern geäußert. Als Petrus ihn nach der Bedeutung eines Gleichnis fragt, stellt Jesus vor der Beantwortung die Frage an die Jünger: "Seid auch ihr noch unverständig" (Mt 15,16). Was aber meint Jesus mit der Bemerkung: "Und wohl dem, der sich an Mir nicht ärgert."? Ist das nicht auch auf den Täufer gemünzt? Ist das nicht eine Botschaft an den Täufer, etwa im Sinne von: Hör auf, an mir Anstoß zu nehmen, bekehre dich von deinen Zweifeln und glaube an mich? Wenn Jesus in seinen Äußerungen so direkt ist, dass er Petrus mit Worten anfährt wie: "Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt" (Mt 14,31), oder sogar: "Weg von mir, Satan! Du bist mir zum Ärgernis. Du hältst es nicht mit Gott, sondern mit den Menschen" (Mt 16,23), weswegen sollte er dann Kritik am Täufer so gut verpacken, dass so mancher noch nicht einmal auf die Idee kommt, Jesus wolle Johannes tadeln? Und erschwerend kommt noch hinzu, dass Petrus ja immer bei Jesus war, also dass Jesus Kritik an Petrus jederzeit ausführlich anbringen konnte. Johannes aber war eingekerkert, er konnte Jesus nur recht umständlich kontaktieren. Und gerade in solchen Fällen, wo man nur in sehr eingeschränktem Umfang Kontakt haben kann, ist es doch um so wichtiger, mit der äußersten Klarheit sein Anliegen zu formulieren. Sollte Jesus in einer Situation, wo Verständnisfragen keineswegs leicht gestellt und Erklärungen keineswegs leicht ausgeführt werden können, plötzlich der Meinung sein, man müsse andere im unklaren lassen, ob Kritik überhaupt geübt wurde? Und blickt man dann auf die Worte, die Jesus über Johannes spricht, nachdem die Jünger des Täufers weggegangen sind, liest sich dies auch nicht wie eine Kritik, ganz im Gegenteil. Jesus rühmt die Erhabenheit des Täufers: Johannes ist der Vorbote des Messias. Und Jesus fügt hinzu: "Unter denen, die vom Weibe geboren sind, ist kein größerer aufgetreten als Johannes der Täufer." Somit wird man die Messiasfrage nicht leicht als Zweifel des Täufers auffassen können. Johannes hat durch seine Frage und die entsprechende Antwort Jesu also wiederum darauf hingewiesen, dass Jesus der Messias ist. Gewissermaßen im Interesse seiner Jünger und überhaupt des Volkes stellt Johannes diese Frage, denn die Jünger des Täufers und das Volk sollten ja klar sehen, dass Jesus die Verheißungen erfüllte. Es gab wohl einige, die sich insgeheim die Frage stellten, ob Jesus der Messias sei oder nicht. Diese geheime Frage, diese geheimen Zweifel, die im Volk bestanden, artikuliert Johannes der Täufer nun offen, quasi stellvertretend für diejenigen, die sich hier noch keine Klarheit verschafft haben. Wenn die Jünger also die Antwort Jesu an Johannes überbringen, dann kann der Täufer ihnen sagen: Seht ihr, es ist, wie ich euch gesagt habe: Jesus erfüllt die Verheißungen. Und so ergibt es auch Sinn, dass Jesus nach Beantwortung dieser Frage und dem Weggang der Jünger des Täufers vor dem Volk ein großes Lob für Johannes ausspricht. Johannes hat immer auf Jesus verwiesen. Er hatte ein offenes Auge, und auch das Volk soll mit offenen Augen und offenen Ohren die Wahrheit vernehmen und anerkennen. Jesus lobt an Johannes, dass er kein Schilfrohr ist, das vom Winde hin und her getrieben wird. Ein solches Lob wäre wohl kaum angebracht, wenn Jesus Johannes als Zweifler hinstellen wollte. Und halten wir uns vor Augen: Johannes ist eingekerkert. Jesus lässt nicht die Botschaft übermitteln: Lass doch Herodes tun und lassen, was ihm gefällt; bitte ihn um Vergebung, zeig ihm deine Unterwerfung, damit er dich aus dem Gefängnis entlässt und du weiter die Wahrheit verkünden kannst. Auch sagt Jesus nicht zum Volk: Passt bloß auf, dass ihr euch nicht mit den Mächtigen anlegt. Unterwerft euch immer brav den Mächtigen. Wenn sie euch zwingen, die Wahrheit zu verschweigen oder gar zu verleugnen, dann fügt euch, damit ihr nur ja nicht wie Johannes eingekerkert werdet. Als man später Jesus die Nachricht von der Enthauptung des Täufers brachte, hat er auch keinen Kommentar abgegeben wie: "Wer so dumm ist, die Wahrheit zu bekennen und sich dafür unschuldig ins Gefängnis werfen zu lassen, der hat es nicht besser verdient, als dass er wegen der unkeuschen Gier eines Mächtigen ermordet wird. Es gibt allerdings Menschen, die so tun, als hätte Jesus solche Gedanken verbreitet, als hätte Jesus gefordert, man müsse die Wahrheit verschweigen und verleugnen, und wer sich gerichtlichen Beschlüssen und Anordnungen widersetzt, dem müsse der Vorwurf der bemerkenswerten Dreistigkeit gemacht werden, über den dürfe man nur Spott und Hohn ausgießen, gegen den müsse mit gnadenloser Härte vorgegangen werden. In Wahrheit hat Jesus aber gesagt: "Nehmt euch in acht vor den Menschen! Denn sie werden euch den Gerichten ausliefern und in den Synagogen euch geißeln. Ja, um meinetwillen werdet ihr vor Statthalter und Könige geführt werden, um Zeugnis zu geben vor ihnen und vor den Heiden" (Mt 10,17f). Hüten wir uns also, ein Schilfrohr zu sein, das vom Winde hin und her getrieben wird, wenn es für uns an der Zeit ist, für das Zeugnis der Wahrheit Schmach zu erleiden und sogar eingekerkert zu werden. Wenn unser Leben verleumdet und unsere Ehre zertreten werden, unsere Gesundheit ruiniert werden und uns ein qualvoller Tod bevorstehen sollte, dann zeigen wir Christus unsere unverbrüchliche Treue. Er ist der Messias, auf ihn setzen wir unsere Hoffnung. Amen.

S. auch:
Nummer 4 lebt nicht mehr!

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