Eines der beherrschenden Themen der vergangenen Woche war die
Verstaatlichung der großen Immobilienbanken Fannie Mae und
Freddie Mac durch die US-Regierung. In einem Kommentar "Pleite
verboten" der "Frankfurter Rundschau" (08.09.2008) heißt es zum
Fall von Fannie und Freddie: "Das Publikum reibt sich verdutzt die
Augen. Denn die Rettung kann den US-Steuerzahler locker 300 Milliarden
Dollar kosten. Dagegen sind die acht Milliarden Euro (11,5 Milliarden
Dollar), die Deutschland in die Mittelstandsbank IKB gepackt hat, im
wahrsten Sinne des Wortes Peanuts. Bei aller Fassungslosigkeit: So
funktioniert der Kapitalismus. Klar hätte Amerika seine beiden
Immobilienbanken, die gut 5,5 Billionen - oder um es anschaulicher zu
machen 5500 Milliarden Dollar - an Hypotheken refinanzieren,
pleitegehen lassen können. Doch dann hätten die Banken heute
rund um den Globus geschlossen, kämen die Menschen nicht mehr an
ihr Geld, die Firmen nicht mehr an ihre Kredite ran und die
Finanzminister weltweit hockten in Krisensitzungen. Die Rettung
entspricht dem Lehrbuchbeispiel des "too big, to fail", zu groß,
um pleitegehen zu dürfen." Soweit der Zeitungskommentar, der sich
im wesentlichen mit dem deckt, was von anderen sog. Experten zu
hören ist: Das Eingreifen der US-Regierung war richtig, und die
Börse reagiert darauf positiv. Vor zwei Monaten hingegen gab es in
der Börsen-Zeitung (14.07.2008) einen Kommentar "Der Sozialismus
soll siegen": "Da heißt es stets, der Sozialismus sei tot - und
nun machen sich ausgerechnet die USA zumindest im Hypothekenmarkt
daran, den Kapitalismus endgültig zu überwinden. Das von
Notenbank und Politik für Fannie Mae und Freddie Mac
geschnürte Rettungspaket lässt kaum einen anderen Schluss zu.
Zwar kündigt Finanzminister Henry Paulson an, den Steuerzahler zu
schützen. Das wird ihm aber nur glauben, wer schon vergessen hat,
dass Paulson noch am vergangenen Donnerstag unter Verweis auf die
Aufsicht erklärte, Fannie und Freddie hätten genug Kapital."
Und noch ein dritter Kommentar dazu, diesmal von Focus: "Bush stellt
Kapitalismus auf den Kopf. Die Börse feiert die Verstaatlichung
der US-Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac – dabei
löst der Schritt kein einziges der akuten Probleme." Dieser
Kommentar stammt wiederum aus der Zeit unmittelbar nach der
Verstaatlichung von Fannie und Freddie: "Tatsächlich löst
Paulsons Zweck-Sozialismus kein einziges der aktuellen Probleme [...]
Mit der Verstaatlichung hat die vermeintliche Hochburg des Kapitalismus
ein Tabu gebrochen. [...] Es ist ein Anachronismus, dass die USA
ausgerechnet unter dem früheren Goldman-Sachs-Chef Hank Paulson
solche planwirtschaftlichen Maßnahmen ergreifen." Diese ganze
Debatte um Kapitalismus und Sozialismus, um Markt- und Planwirtschaft,
ist allerdings ohne klare Begriffe unsinnig bis irreführend.
Deshalb zur Begriffsbestimmung hier einige Ausschnitte aus dem
Kapitalismus-Artikel im "Lexikon des katholischen Lebens" (Freiburg
1952): "Kapitalismus kann wissenschaftlich nur abgeleitet werden von
dem Begriff des Erwerbskapitals als der Vermögenssumme, die in ein
Unternehmen hineingegeben ist und zu deren Verzinsung und Mehrung das
Unternehmen nach Absicht seines Trägers wirtschaftet. Deutlicher
aber läßt sich Kapitalismus von seinen zerstörerischen
Begleiterscheinungen oder Wirkungen her bestimmen. Es sind: (...)
Herausbildung einer Klasse von Besitzenden neben einer viel
größeren Klasse von eigentumslosen Lohnarbeitern; Absinken
der letzteren auf die Stufe des Proletariats; (...) Gefahr der
Beherrschung von Wirtschaft und Politik durch anonyme Geldmächte;
(...) Verflüchtigung der persönlichen Verantwortlichkeit;
(...) Zerfall der gegebenen Wertordnung durch Überschätzung
der materiellen Werte, in ihrer Folge Glaubensarmut, Genußsucht,
Egoismus; Zersetzung der natürlichen gesellschaftlichen
Solidarität, Klassenkampf, allgemeines soziales Unbehagen,
Unsicherheit, Existenzangst." Und Papst Pius XII. geht in einer
Ansprache (27.04.1941) auf die Sozialenzyklika "Quadragesimo Anno"
seines unmittelbaren Vorgängers Pius XI. ein: "In den rechten
Grenzen erlaubt auch die Kirche die Verstaatlichung; sie sagt,
daß gewisse Gruppen von Gütern rechtmäßigerweise
der Staatsgewalt vorbehalten bleiben können, nämlich jene,
die mit solcher Macht ausgestattet sind, daß sie nicht an
einzelne übertragen werden können, ohne das Gemeinwohl in
Gefahr zu bringen. Aber diese Verstaatlichung zur normalen Regel der
öffentlichen Organisation der Wirtschaft zu machen, hieße
die Ordnung der Dinge verkehren. Aufgabe des öffentlichen Rechts
ist es, dem privaten Recht zu dienen, nicht, es zu absorbieren. Die
Wirtschaft ist, wie übrigens ein jeder andere Zweig menschlichen
Wirkens, nicht wesentlich eine staatliche Einrichtung, sondern im
Gegenteil das lebendige Produkt freier Initiative von einzelnen und von
frei gebildeten Gruppen. [...] Viele Industrielle, katholische wie
nichtkatholische, haben ausdrücklich bei verschiedenen
Gelegenheiten erklärt, daß nur die Lehre der Kirche imstande
sei, die wesentlichen Elemente zur Lösung der sozialen Frage zu
liefern. Ausführung und Anwendung dieser Lehre kann natürlich
gewiß nicht von heute auf morgen geschehen. Von allen fordert
ihre Verwirklichung ein vorausschauendes und klarsichtiges Verhalten,
eine große Dosis gesunden Menschenverstands und guten Willens.
Sie fordert vor allem, daß man mit allen Mitteln der Versuchung
widerstehe, den eigenen Vorteil zu suchen, sei es auf Kosten der
anderen - welcher Art und Natur auch immer die Beteiligung der anderen
sein mag -, sei es zum Schaden des Gemeinwohls. Sie fordert endlich
jene Uneigennützigkeit, die nur aus echter christlicher Tugend
kommen kann, die von der Hilfe und Gnade Gottes gestützt ist."
Soweit der Papst. So lustig die Diskussion um die Verstaatlichung von
Fannie und Freddie bzw. um Kapitalismus und Sozialismus auch sein mag,
im Endeffekt bleibt dabei doch das Wesentliche ungesagt. Es ist eine
sehr große Schuld von einer sehr großen Masse von Menschen,
dass immer mehr Menschen in immer schlimmere Armut abgleiten,
während einige wenige Reiche noch reicher werden. Die paar
Politiker und Wirtschaftsgrößen könnten nicht soviel
zerstören, wenn die breite Masse wirklich etwas dagegen
hätte. Die Welt zahlt die Zeche, dass sie das Christentum ablehnt.
Wen interessiert es denn wirklich, dass ganz offen von Bankenkrise,
Finanzkrise etc. gesprochen wird? Wen interessiert es denn, dass ganz
offen immer schlimmere Entwicklungen vermutet werden. Jedenfalls
interessiert das kaum jemanden genug, dass er sich wenigstens jetzt
endlich um echte christliche Tugend bemüht. Ganz im Gegenteil: In
blinder Selbstsucht wird weiterhin und sogar schlimmer zu jeder Form
von Rücksichtslosigkeit gegriffen. "Ich nehme, was ich kriegen
kann, und nach mir die Sintflut." Der dabei herrschende Grundsatz "Wenn
jeder an sich denkt, ist an alle gedacht", lässt sich aber nicht
charakterisieren als ein "vorausschauendes und klarsichtiges Verhalten,
eine große Dosis gesunden Menschenverstands und guten Willens".
Trotzdem: Uneigennützigkeit gilt fast allen als unverzeihlicher
Fehler, der von der Gesellschaft aufs schwerste bestraft wird. - Die
Kirche feiert heute das Fest Kreuzerhöhung. Wenn wir uns nicht vom
Gift der Unersättlichkeit, von der maßlosen und
rücksichtslosen Gier verderben lassen wollen, müssen wir auf
das Kreuz schauen. Wir können und dürfen uns nicht verbissen
an diese materielle Welt klammern, denn früher oder später
werden wir sie ohnehin loslassen müssen. Vielmehr müssen wir
darauf hinwirken, dass der Umgang mit dieser materiellen Welt nach
christlichen Grundsätzen erfolgt. Unsere Motivation lautet nicht
persönliche Gewinnmaximierung, sondern Stärkung des
Gemeinwohls. So wichtig materielle Güter dabei sind, ungleich viel
wichtiger sind die übernatürlichen Gnaden. Folgen wir also
Christus auf dem heiligen Kreuzweg, damit wir dereinst teilhaben an der
ewigen Freude des Himmels. Amen.