05.10.97, 20. Sonntag nach Pfingsten
Eph 5,15-21; Joh 4,46-53
"Brüder! Sehet zu, daß ihr vorsichtig wandelt, nicht wie Toren,
sondern wie Weise. Nützet die Zeit aus, denn die Tage sind böse.
Seid daher nicht unverständig, sondern erkennet, was der Wille Gottes
ist. Berauschet euch nicht mit Wein, denn darin liegt Ausschweifung; werdet
vielmehr voll des Heiligen Geistes".
Die Lesung aus dem Epheserbrief enthält ein wichtiges Begriffspaar,
das bereits im Alten Testament von großer Bedeutung ist: Weisheit
und Torheit. Auch Paulus verwendet in seinen verschiedenen Briefen immer
wieder diese Begriffe.
Nach allgemeiner Auffassung gehören zur "Weisheit" zwei Elemente:
Zunächst einmal die Klugheit, die zu entscheiden vermag, was in welcher
Situation das Richtige ist. Der Kluge durchschaut Probleme und findet die
Lösung. Der Kluge handelt also nicht unüberlegt oder gar blindlings,
sondern analysiert zunächst die Situation und wägt dann verschiedene
Handlungsmöglichkeiten ab. In manchen Fällen kann es klüger
sein, nachzugeben, immer ist es klug, sich die Konsequenzen seines Handelns
vor Augen zu führen. Bildhaft spricht man oft von einem "klugen Schachzug":
Das Schachspiel bzw. der erfolgreiche Schachspieler lebt ja von vorausschauenden
Zügen; ein unüberlegter Schachzug kann das Schachmatt bedeuten.
Klug ist der jenige, der die Position, die er vertritt, untermauern
kann, der mit Fakten und logischen Argumenten aufwarten kann, der es versteht,
Gegebenheiten richtig zu deuten, der auf vorgegebenen, sicheren Bahnen
erfolgreich weiterbauen kann. Klugheit spricht man - natürlich keinesfalls
immer mit Recht - Wissenschaftlern zu, und ein Wissenschaftler verarbeitet
ja die Ergebnisse seiner Vorgänger und versucht, dadurch zu neuen
oder tieferen Erkenntnissen zu gelangen. Ein wichtiger Aspekt der Klugheit,
die ja die wichtigste der christlichen "Kardinaltugenden" (abgeleitet von
cardo (Türangel), also grundlegende Tugend, Dreh- und Angelpunkt des
moralischen Handelns) ist, darf dabei nicht vergessen werden: Weil die
Klugheit immer die Konsequenzen betrachtet, so kann niemals ein moralisch
schlechtes Handeln klug sein. Die Wahrheit, daß nur gute Handlungen
zulässig sind, steht gewissermaßen am Anfang des Denkens, und
wem diese Einsicht abgeht oder wer sich nicht an diese Wahrheit hält,
der handelt nicht klug.
Zur Weisheit gehört außer der Klugheit noch Lebenserfahrung;
so wird man zwar z.B. von klugen Kindern, nicht aber von weisen Kindern
sprechen. Ebensowenig wird man jedem, der z.B. mindestens 65 Jahre alt
ist, Weisheit zusprechen. Nicht nur die theoretische Durchdringung von
einigen wenigen Problemen, sondern die langjährige Auseinandersetzung
mit dem Leben und seinen grundlegenden Fragen führt zur Weisheit.
So kann es durchaus sein, daß ein 70jähriger "kein bißchen
weise" ist.
Die Weisheit ist ein Geschenk Gottes und wird den Freunden Gottes in
besonderer Weise geschenkt, so dem jungen König Salomon, der Gott
bittet: "Ich bin noch zu jung und weiß nicht, wo aus und wo ein ...
Schenke also deinem Knecht ein urteilsfähiges Herz, das dein Volk
regieren und zwischen Gut und Bös unterscheiden kann". Dann erhält
Salomon von Gott die Zusage: "Ich gebe dir ein weises und verständiges
Herz, so daß vor dir keiner war wie du und auch nach dir niemand
auftreten wird, der dir gleicht" (1 Könige, 3). Über Jesus Christus,
wahrer Gott und wahrer Mensch, heißt es in der Kindheitsgeschichte
Jesu: "Das Kind wuchs heran und erstarkte. Es ward voll Weisheit, und Gottes
Wohlgefallen ruhte auf ihm", und später: "Und Jesus nahm zu an Weisheit,
an Alter und an Wohlgefallen vor Gott und den Menschen" (Lk 2).
Die christliche Weisheit ist eine Gabe des Heiligen Geistes, und sie
wird denjenigen gewährt, die sich vor Gott als treu erweisen: Einerseits
durch Bemühen um vorausschauendes Handeln, andererseits durch die
Bereitschaft, sein Leben in Freundschaft mit Gott zu führen.
Rausch und Ausschweifung verbauen dagegen den Weg zur Weisheit. Weisheit,
Erkenntnis und Liebe Gottes werden schwerlich bei denen gedeihen können,
die für den Tag, ja für den kurzen Genuß leben. Es wäre
unsinnig, nun mit dem Finger auf die zu zeigen, bei denen gewissermaßen
offiziell die Lüge an die Stelle der Wahrheit getreten ist. Sicherlich
geht viel Schaden von denen aus, die in Sekten bis hin zum offenen Satanismus
organisiert sind, von den Protestanten, den Freimaurern, den Scientologen,
den Satanisten in allen ihren Spielarten, und auf diese Gefahren muß
man in aller Deutlichkeit hinweisen. Doch sollte man bei seinem Handeln
immer vorsichtig sein, einen klaren Kopf und ein waches Gewissen behalten
und so zu immer tieferen Weisheit aufzusteigen versuchen. Wer sich auch
nur in einem Bereich seines Lebens keine Klarheit über den moralischen
Wert seines Tuns verschaffen will, der handelt bereits wie ein Tor. Man
muß sich nüchtern die Frage stellen: Steht das, was ich tue,
im Einklang mit den Geboten Gottes? Oder will ich in einem Punkt unwissend,
torhaft bleiben, um mir keine Vorwürfe machen zu müssen, um mich
nicht von liebgewonnen Dingen trennen zu müssen. Wir Katholiken stehen
zweifellos in der Gefahr, uns von dem Sog dieser bösen Zeit einfangen
zu lassen. Hier müssen wir uns bewähren und entschlossen die
Weisheit anstreben. Amen.
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