Wahlrecht und Wahlpflicht

- Pressemitteilung -
(Kirche zum Mitreden, 29.07.2009)
"Ich gehe nicht wählen." Dies verkündete der Nachrichtensprecher Jan Hofer am 20.07.2009 in einem Video, in dem auch andere Prominente zum Wahlboykott aufrufen. Viele empörten sich über diesen Boykottaufruf. Nun, eine Woche später, wurde von den Machern des Videos behauptet, dass dieser Aufruf nur ironisch gemeint gewesen sei, aber - so kommentierte der MTV-Moderator Patrice - es gebe wohl "jede Menge Idioten, die Ironie nicht verstehen". Es mag hier unerörtert bleiben, was erfreulicher ist: Dass die vermeintlichen (?) Argumente für den Wahlboykott auf viele überzeugend wirkten, oder dass in Deutschland "jede Menge Idioten" wählen dürfen resp. sollen. Fakt ist: Mittlerweile setzen sich immer öfter die Nichtwähler als stärkste Fraktion durch, gerne sogar mit absoluter Mehrheit. Speziell nach der Europawahl (Wahlbeteiligung in der BRD: 43,3%; EU-weit: 42,9%) Anfang Juni 2009 wurde deshalb sogar verschiedentlich der Ruf nach Wahlpflicht geäußert, z.B. vom SPD-Bundestagsabgeordneten Jörn Thießen: "Wir Politiker müssen im Parlament abstimmen – das kann man auch von den Wählern bei einer Wahl verlangen. Wer nicht zur Wahl geht, sollte 50 Euro Strafe zahlen."
Objektiv besteht allerdings bereits grundsätzlich mit dem Wahlrecht auch schon die Wahlpflicht, cf. B. van Acken (Konvertiten-Katechismus, Paderborn (15)1957, 309): "Wahlrecht ist Wahlpflicht. Es wäre eine sträfliche Nachlässigkeit, nicht zur Wahlurne zu gehen".
Allerdings kann eine Wahl unmöglich Selbstzweck sein, sondern muss dem Gemeinwohl dienen, d.h. dem Aufbau und Erhalt einer gerechten Gesellschaft. Dementsprechend heißt es im Katechismus weiter: »und es wäre eine sündhafte Handlung, einer Partei die Stimme zu geben, die in ihrem Programm den Grundsatz vertritt: "Religion ist Privatsache." Jeder Christ sollte wissen, was dieser Grundsatz praktisch bedeutet. Nach diesem Grundsatz wird Gott und Religion aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen. Eine Partei, die die heiligsten Rechte Gottes nicht achtet, kümmert sich noch weniger um die Menschenrechte. Das ist eine traurige Erfahrungstatsache. Einer solchen Partei darf daher kein Christ seine Stimme geben.«
Deshalb hat die Kirche z.B. bereits vor Hitlers Machtergreifung nicht bloß auf die Wahlpflicht hingewiesen, sondern zusätzlich auch darauf, dass die Hitler-Partei unwählbar ist. Die katholischen Bischöfe haben "eines Sinnes" die NSDAP ausdrücklich verurteilt, s. z.B. Adolf Kardinal Bertram, Ein offenes Wort in ernster Stunde, Tremonia Nr. I, 01.01.1931. Und bereits am 30.09.1930 hatte das Bischöfliche Ordinariat Mainz in einer Antwort an die NSDAP die Predigt von Pfarrer Weber (Kirschhausen) verteidigt, der verkündet hatte: "Jedem Katholiken ist es verboten, eingetragenes Mitglied der Hitler-Partei zu sein." Als Beispiel für eine positive Wahlempfehlung s. Senn (Halt! Katholizismus und Nationalsozialismus, München 1932), der einen Pfarrer aus Gelsenkirchen zitiert: "Am Jüngsten Tag wird unser Herrgott vor euch stehen, mit dem Wahlzettel in der Hand. Wer nicht Zentrum wählt, der ist verflucht."
Nun entsprechen sich die damalige und die heutige Situation nicht vollkommen; z.B. gibt es das damalige "Zentrum" nicht mehr, und die heutige "Zentrumspartei" erklärt über sich selbst: "Unsere politische Grundhaltung ist weder konservativ noch christlich fundamentalistisch".
Es ist zwar durchaus richtig, wenn Politiker fordern, dass Bürger nicht der Politikmüdigkeit verfallen. Nur: Wer heute wählen gehen will, sieht sich mit äußerst zahlreichen, schwerwiegenden Problemen konfrontiert, wovon die Frage nach der Wählbarkeit einer bestimmten Partei noch das allergeringste Problem darstellt. Die schlimmste Form der Politikmüdigkeit wäre es, sich damit zu zufriedenzugeben, einfach eine Buchstabenfolge aus einer vorgefertigten Liste anzukreuzen. Jedenfalls kann eine Wahlpflicht unter den gegebenen Verhältnissen nicht bestehen, geschweige denn aufgezwungen werden. Eine Rückbesinnung auf die eigentlichen Aufgaben des Staates ist heute absolut unverzichtbar.

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