foodwatch und die Kitas

- Pressemitteilung zum foodwatch-Newsletter "Lebensmittelkonzerne kochen in Kitas mit - wehren Sie sich mit foodwatch!"
(Kirche zum Mitreden, 10.03..2010)
Der gemeinnützige Verein foodwatch schreibt im aktuellen foodwatch-Newsletter ("Lebensmittelkonzerne kochen in Kitas mit - wehren Sie sich mit foodwatch!", 01.03.2010) in Sachen Kindertagesstätten:
»Als die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, eine Institution der Bundesregierung, Richtlinien für die Qualität des Essens in Kitas erarbeitete, schlugen die Lobbyisten der Nahrungsmittelkonzerne zu - erfolgreich: "ideologische Verbotsaussagen seien verhindert worden", brüstet sich der Lobbyverband der Nahrungsmittelindustrie, BLL [Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e. V., Anm. d. Verf.], in einem internen Schreiben an die Konzerne. [...] Es sei gelungen, so der Lobbyverband, die "nicht zu rechtfertigende Ausgrenzung von Geschmacksverstärkern, künstlichen Aromen und Süßstoffen wieder zu streichen". Allerdings sei dieser Erfolg leider nicht vollständig, klagten die Lobbyisten, denn "ideologische Forderungen" wie "keine Süßigkeiten in die Brotbox", würden nach wie vor in den Richtlinien stehen. [...] Kinder sind keine "kleinen Erwachsen". Kinder sind besonders schutzbedürftig. foodwatch will nicht, dass die Ernährung unserer Kleinen in den Händen von Nestlé und Unilever liegt!«
Dazu einige Anmerkungen:
1. In Deutschland gibt es ca. 1,9 Millionen übergewichtige Kinder und Jugendliche, davon 800.000 adipös (fettsüchtig); von den erwachsenen Frauen sind ca. die Hälfte, von den Männern ca. Zweidrittel übergewichtig resp. adipös. Selbst wenn man den daraus resultierenden volkswirtschaftlichen Schaden, die Milliardenkosten im Gesundheitswesen etc. pp. ignorieren mag: Das persönliche Elend der vielen Betroffenen verlangt nach sofortigen umfassenden tiefgreifenden Präventiv- resp. Gegenmaßnahmen.
2. foodwatch fordert bekanntlich seit langem nachdrücklich die Einführung der sog. "Lebensmittelampel" und verweist dafür z.B. auf einen Brief, den der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen, die Verbraucherzentralen, der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, die Bundesärztekammer, die deutsche Herzstiftung etc. am 01.02.2010 an alle  deutschen EU-Abgeordneten gerichtet haben, worin eine "Nährwertampel" als "leicht verständliche Orientierungshilfe bei der Auswahl von Lebensmitteln" sowie eine ausführliche Nährwerttabelle über die "Big Eight" (Energiewert, Eiweiß, Kohlenhydrate, davon Zucker, Fett, davon gesättigte Fettsäuren, Ballaststoffe, Kochsalz) gefordert wird. Diese Forderung ist tatsächlich unbedingt zu unterstützen: In dem verwirrenden Wust wohlklingender Werbeversprechen hat man damit objektive Anhaltspunkte für eine verantwortungsbewussten Ernährung.
3. Allerdings erklärte ausgerechnet die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) ("Wissenschaftliche Basis für Ampelkennzeichnung einzelner Lebensmittel fehlt", 25.09.2009): »Die wissenschaftliche Evidenz der für eine Ampelkennzeichnung notwendigen "Bezugsgrößen" ist nicht vorhanden. Zu große Spannen im Nährwertgehalt, die für die Farbgebung zugrunde gelegt werden müssten, machen eine Vergleichbarkeit von Lebensmitteln fast unmöglich.« Also: Was "fast unmöglich" ist, ist nicht völlig unmöglich. Und können die Vorbehalte der DGE gegen eine Ampelkennzeichnung schon an sich nicht überzeugen, dann erst recht nicht, wenn man zusätzlich noch die foodwatch-Widerlegung beliebter Argumente gegen die Nährwert-Ampel berücksichtigt.
4. Begrüßenswert hingegen sind die Vorbehalte der DGE gegenüber der sog. "empfohlenen Tageszufuhr" (»DGE-Stellungnahme zur Anwendung von "Guideline Daily Amounts" (GDA) in der freiwilligen Kennzeichnung von Lebensmitteln«, 24.01.2008): "Die Ableitung des GDA-Wertes ist wissenschaftlich nicht logisch und muss in jedem Fall revidiert werden." Gerade mit den verwirrenden GDA-Werten - und dort speziell mit den willkürlichen "Portionen" - verleitet die Lebensmittelindustrie viele Verbraucher zu unmäßigem Konsum.
5. Was foodwatch hier im kleinen Zusammenhang Kitas aufzeigt, ist also auch in großen Zusammenhängen wie Lebensmittelampel und GDA festzustellen: Forderungen nach einer harten Linie werden von der DGE enttäuscht - sowohl bei der Lobby als auch beim Verbraucher.
6. Die DGE ist eine öffentliche Einrichtung: "Etwa 30 % decken wir durch eigene Einnahmen aus Gebühren für Schriften und Medien, Beratungen und Lehrgängen sowie Mitgliedsbeiträgen. 70 % stellen Bund (BMELV) und Länder über öffentliche Mittel zur Verfügung" (Die DGE. Wir über uns, 2004-07-08). Die Frage muss erlaubt sein, ob die Industrielobby auf die Politik Einfluss hat - und inwiefern sich dies auf die DGE niederschlagen könnte.
7. Auch Kitas werden oft von Kommunen getragen. Die Lobby-Frage drängt sich also auch hier auf.
Fazit: foodwatch bewertet den Einfluss der Lebensmittellobby bereits in Sachen Kitas als "skandalös", wobei dies jedoch nur ein weiteres, wenn auch angesichts der jungen Opfer besonders alarmierendes Moment einer volksschädigenden Politik ist.
Inwieweit foodwatch nun der geeignete Partner ist, um sich gegen derlei Politik zu "wehren", mag hier dahinstehen. Jedenfalls gibt es auch in Sachen Ernährung viel zu tun, und insbesondere Eltern sollten nicht blind auf optimale Zustände in den Kitas vertrauen.

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