Menschenopfer im Alten Bund?

(Kirche zum Mitreden, 10.08.1998)
- Zur Problematik Richter 11,30-40: Jephte opfert seine Tochter -

Die wichtigste Waffe der Feinde Christi ist die "historisch-kritische Methode", derzufolge jeder in die Bibel hineininterpretieren darf, was er gerade möchte; die Entscheidungen des kirchlichen Lehramtes zählen nichts mehr. Wie tief man in diesem Sumpf des Subjektivismus versinken kann, zeigt z.B. der Fall Hansjürgen Verweyen, der die Privatmeinungen irgendwelcher Phantasten über die Dogmen der Kirche stellt und diesen Irrsinn dann auch noch als "Wissenschaftlichkeit" verkauft.
Es ist aber nicht so, daß wirklich jede Frage zur Heiligen Schrift vom kirchlichen Lehramt bereits definitiv entschieden sei, so daß für exegetische Arbeit im Sinne eines tieferen Verständnis der Bibeltexte kein Platz mehr wäre. Die Möglichkeiten der katholischen Exegese lassen sich z.B. an dem Verständnis der Jephte-Perikope veranschaulichen. Diese Beispiel soll gleichzeitig helfen, einen Zugang zu einem alttestamentlichen Text zu finden, und einige Gefahren der sog. "Einheitsübersetzung" (EÜ) aufzeigen.

Die Geschichte

Jephte, ein unehelicher Sohn des Gilead, legt vor seiner Schlacht gegen die Ammoniter das Gelübde ab, das, "was immer mir (als erstes) aus der Tür meines Hauses entgegenkommt," solle "dem Herrn gehören" und als Brandopfer dargebracht werden, falls er siegen sollte. Als er dann tatsächlich siegreich zurückkehrt, kommt ihm sein einziges Kind, seine Tochter, entgegen, die er dann auch opfert. Am Schluß der Erzählung ist - laut EÜ - von einer jährlichen "Klage" der Töchter Israels um diese Tochter die Rede.

Charakteristik des Jephte in der Bibel

Am Beginn der Jephte-Geschichte (Ri 11,1) wird er als "tapferer Held" bezeichnet. Vor seinem Gelübde (Ri 11,29) heißt es, daß der "Geist des Herrn" über ihn kam. Seinen Sieg versteht er selbst als Gabe des Herrn (Ri 12,3). Samuel führt in seiner Abschiedsrede neben anderen auch Jephte als einen vom Herrn gesandten Befreier an (1 Sam 12,11). Paulus erwähnt ihn unter den Glaubensvorbildern des Alten Bundes (Hebr 11,32). Eine Kritik am durchgeführten Opfer wird nicht einmal angedeutet.

Traditionelle Deutungen

Bereits Augustinus (Quaestiones Veteris et Novi Testamenti, XLIII) stellt die Frage: "Cum Abraham filium immolare prohibitus est, cur Jephte filiae sacrificium persolvere non est prohibitus [Wenn Abraham verboten wurde, seinen Sohn zu opfern, warum ist Jephte nicht verboten worden, das Opfer seiner Tochter einzulösen]?" Augustinus weist bei seinen Ausführungen zunächst auf die Unterschiede beider Fälle hin: Abraham ist ein legitimer Nachkomme, der auf Geheiß Gottes seinen Sohn zu opfern bereit ist. Jephte hingegen ist ein Kind einer Dirne und bietet von sich aus in einem Gelübde Gott ein unbestimmtes Brandopfer an. V.a. die Unbestimmtheit, aber auch die Freiwilligkeit des Opfers tadelt Augustinus. Ferner bemerkt er, daß das Gelübde für das Verderben anderer gelobt wurde und durch göttliches Urteil auf Jephte zurückfällt, und zudem keine Versuche Jephtes erwähnt werden, dieses Brandopfer abzuwenden. Jephte wird für seine Torheit durch das Opfer seiner Tochter bestraft.
Thomas von Aquin (In epistolam ad Hebraeos, caput XI, lectio VII) übernimmt bei seinem Kommentar zum Hebräerbrief, wo Jephte unter den Glaubensvorbildern genannt wird, die Aussage des Hieronymus, "quod fuit (Jephte) in vovendo indiscretus, et in reddendo impius [daß (Jephte) bei dem Gelübde unbestimmt und bei dem Erfüllen (des Gelübdes) frevelhaft war]". Dabei unterscheidet Thomas zwischen der vom Geist des Herrn geweckten Regung, dem Herrn zu opfern, und der seinem eigenen Geist folgenden Regung, etwas Ungehöriges zu opfern. Nur die letztere Regung macht Jephtes Tun verwerflich. Thomas nimmt dabei an, daß Jephte seine Torheit später bereut habe.

Bemerkungen einiger Bibelkommentare

In der Jerusalemer Bibel wird die Perikope als ätiologische Erzählung, darin Texten wie Gen 32,23-33 ähnlich, vorgestellt: Sie "soll ein jährliches Fest erklären, das man in Gilead feierte, V. 40, und dessen wahre Bedeutung unbekannt ist" (S. 320). Allerdings wird die Problematik, wie sich dies mit dem Verbot von Menschenopfern vereinbaren lasse, nicht gelöst.
In der Echter Bibel ist die traditionelle Erklärung zu finden, derzufolge Jephtes Torheit getadelt wird. Zusätzlich wird noch betont, daß bei dem Gelübde nur an ein Menschenopfer zu denken sei, da das Entgegenkommen eines Tieres nicht zu erwarten und ein Tieropfer auch nichts Besonderes sei. "Jephte ist eben Kriegsmann, nach seiner Vergangenheit aber weder religiöse noch theologische Autorität" (S. 671).
Görg vermutet in der Perikope eine redaktionelle Zusammenstellung verschiedener Überlieferungen; so wären die Verse 30f ein Einschub, der durch die Erwähnung eines Gelübdes, das die Tötung entschuldigen könne, Jephte rehabilitieren solle. Dazu bemerkt Görg: "Die Darstellung erinnert an Gen 22, wo es ebenfalls um eine bedingungslose Treuehaltung gegenüber Gott geht, nicht um das Menschenopfer an sich. Die unerbittliche Konsequenz muß freilich in beiden Fällen ohne Schönfärberei ausgehalten werden" (S. 68).
Eine fast poetische Kommentierung gibt H. W. Hertzberg: "Die Erzählung ist übrigens von besonderer Schönheit, ja Zartheit. Vater und Tochter erscheinen als tragische Gestalten, und verstehend und mitempfindend folgt der Hörer der Schilderung" (S. 217). Es stellt sich allerdings die Frage, worin die "besondere Schönheit, ja Zartheit" eines Menschenopfers liegen soll, von der Hertzberg hier ausgeht, und wie der Leser "verstehend" folgen soll, wenn er von diesem Greuel hört, das an anderen Stellen ausdrücklich verboten ist.
Die EÜ möchte die Interpretation des Textes als Erzählung von einem Menschenopfer durch eine freie Übersetzung erleichtern. In Vers 37 wird übersetzt: "Laß mir noch zwei Monate Zeit, damit ich in die Berge gehe und ... meine Jugend beweine". In einer Fußnote dazu heißt es: "meine Jugend, wörtlich: meine Jungfrauschaft. - Jiftachs [die EÜ verwendet den Namen Jiftach statt Jephte] Tochter klagt, daß sie sterben muß, noch ehe sie Frau und Mutter werden konnte."
In diesen Ansätzen erschöpfen sich im wesentlichen die geprüften Kommentare. Alle gehen von einem Menschenopfer aus, das üblicherweise ätiologisch aufgefaßt wird.

Eine ungewöhnliche Lösungsmöglichkeit

1851 hat L. Reinke eine sehr umfangreiche Untersuchung des von Jephte [Reinke: Jephta] formulierten Gelübdes verfaßt, die aufgrund ihrer besonderen Eigenart noch angeführt werden soll. Reinke meint, daß "unsere Ansicht von dem Gelübde Jephta's die Beistimmung der heiligen Väter erhalten haben würde, wenn sie ihnen bekannt gewesen wäre und wenn sie geglaubt hätten, dass der Text derselben nicht entgegen stehe. Denn nach der von uns gegebenen Erklärung hat das Gelübde Jephta's keine Schwierigkeit, was aber mit der von mehreren Vätern gegebenen der Fall ist" (S. 424).
Die Struktur seiner Argumentation läßt sich grob so skizzieren:
Bei dem Gelübde ging es nicht um eine wirkliche, sondern nur um eine figürliche Opferung. Der metaphorische Gebrauch des Wortes "opfern" als Ausdruck einer inneren Gesinnung tritt an einigen Bibelstellen klar zutage, z. B. Ps. 51,17-19; ähnlich auch Röm 12,1. Die Weihe von Personen nun wurde durch Brandopfer versinnbildlicht, z. B. 1 Sam 1,24f. Bei dem Opfer Abrahams handelte es sich um einen zweideutigen Befehl: "Hätte Gott den Isaak als eigentliches Brandopfer von Abraham verlangt, so hätte er, der Wahrhaftige, seinen Befehl nicht wieder zurücknehmen und für Isaak einen Widder als Opfer verlangen können. Auch würde der h. Schriftsteller von Gott nicht das Wort: 'er versuchte', gebraucht haben. Denn hierdurch wird eine Uebung und Prüfung des Glaubens und des Gehorsams bezeichnet" (S. 473). Vielmehr sollte die Weihe Isaaks durch das Brandopfer des Widders symbolisiert werden. Ferner wird über keinen gläubigen Israeliten berichtet, er habe ein Menschenopfer dargebracht, und zudem werden Menschenopfer als Greuel verworfen. Nun kann man Jephte auch nicht als rohen Kriegsmann bezeichnen, da ja - bis auf seine Herkunft - nur Gutes über ihn berichtet wird. Wäre er aber der Religion bzw. des Verbotes von Menschenopfern tatsächlich unkundig gewesen, so hätten die Gläubigen ihn ja in den zwei Monaten vor der Opferung seiner Tochter warnen und ihn daran hindern können. "Diese Belehrung konnte ihm doch nur ganz willkommen sein, da die Erhaltung seiner einzigen Tochter die grösste Wohltat für ihn war" (S. 477).
Das Gelübde Jephtes kann die Weihe seiner Tochter für ein besonders gottgefälliges Leben in Jungfräulichkeit und Gebet bedeuten. Bereits im Alten Bund gab es solche gottgeweihte Jungfrauen, deren Leben dem christlichen Klosterideal ähnlich war (cf. Lk 2,37).
Es wird von keiner Schlachtung der Tochter berichtet, sondern heißt (nach der Übersetzung Reinkes) in Vers 39 nur: "Und er that ihr nach seinem Gelübde, was er gelobt hatte, und sie erkannte keinen Mann." Dazu kommentiert Reinke: "Wäre die buchstäbliche Auffassung die richtige, so wäre auf jeden Fall zu erwarten, dass der Erzähler, da er doch etwas ganz Ungewöhnliches, Gesetzwidriges und Schreckliches berichtet, den Tod durch den Vater wenigstens andeutet. Auch wäre der Zusatz, dass sie keinen Mann erkannt und Jungfrau geblieben sei, da sich dieses von selbst verstand, unnöthig gewesen" (S. 487f). N.B.: Die EÜ bietet in Vers 39: "... sie hatte mit keinem Mann Verkehr gehabt". Dann könnte man in der Tat sinngemäß ergänzen: bevor sie geschlachtet und verbrannt wurde.
Die Tochter klagt nicht über ihren Tod, sondern nur über ihre Jungfrauschaft: Im Falle eines Menschenopfers "ist kaum daran zu zweifeln, dass nicht die Ehelosigkeit, sondern der so frühe Tod der Gegenstand ihrer Klage und Trauer gewesen sein würde" (S. 489).
Gelübde finden sich zwar im Zusammenhang mit Lebensweihe, so z. B. 1 Sam 1,11 und, allgemein formuliert, Lev 27,2, jedoch nie im Zusammenhang mit Menschenopfern.
Der Brauch, jährlich die Tochter Jephtes zu preisen, würde mit einem Menschenopfer unvereinbar sein. Zwar wird das zugrundeliegende hebräische Verb in Piel von einigen Übersetzern mit "klagen" wiedergegeben, Reinke lehnt diese Version jedoch als unhaltbar ab.
Wenn Jephte diesen Greuel tatsächlich verübt hätte, wäre das mehrfache Lob ohne jede Kritik seiner Person nicht nachvollziehbar.
Reinke führt noch verschiedene Theologen an, die gleich oder ähnlich wie er selbst argumentiert haben. Auf die Einwände gegen seinen Ansatz, die er selbst noch entkräftet, soll hier nicht mehr eingegangen werden. Es ist schade und für die V2-Sekte symptomatisch, daß ein solcher Erklärungsversuch in den Kommentaren mit keinem Wort erwähnt wird und man sich damit begnügt, eine "dunkle" Stelle im Dunkeln zu lassen.
 

Kommentare:

Neue Jerusalemer Bibel, hg. von A. Deissler und A. Vögtle, Freiburg 1985
Echter Bibel. Das Alte Testament, hg. von F. Nötscher, Bd. 1, Würzburg 1955
M. Görg, Richter: Die Neue Echter Bibel Altes Testament, hg. von J. G. Plöger und J. Schreiner, Lfg. 31, Würzburg 1993
Das Alte Testament Deutsch, Bd. 9, Die Bücher Josua, Richter, Ruth, übersetzt und erklärt von H. W. Hertzberg, Göttingen 1953
Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, hg. im Auftrag der Bischöfe Deutschlands..., Stuttgart 21982
L. Reinke, Beiträge zur Erklärung des alten Testaments, Bd. 1, Münster 1851, 3) Ueber das Gelübde Jephta's Richt. 11, 30-40, S. 419-526

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