Predigt am 30.03.2003

- Vierter Fastensonntag (Laetare), sd I cl -
(Kirche zum Mitreden, 30.03.2003)
Gal 4,22-31; Jo 6,1-15

Der Eröffnungsvers des heutigen Sonntags ist aus dem Propheten Isaias entnommen: "Laetare, Jerusalem" - "Freu dich, Jerusalem! Kommt alle zusammen, die ihr es liebt; froh überlasst euch der Freude, die ihr traurig waret; frohlocken sollet ihr und satt euch trinken an der Tröstung Überfülle, die euch quillt."
Vom Brauchtum und von der Liturgie her ist dieser heutige Sonntag ein Tag der Freude. Was das Brauchtum betrifft, so berichtet der Schott, dass man sich in Rom mit Rosen beschenkte und dementsprechend dieser Sonntag auch Rosensonntag genannt wird. In der Liturgie ist Blumenschmuck auf dem Altar gestattet, der sonst in der Fastenzeit verboten ist, außerdem darf der Priester ein rosarotes Messgewand tragen.
Wegen der zeitlichen und namentlichen Nähe des heutigen christlichen Rosensonntags in der Fastenzeit zum heidnischen Rosenmontag in der Vorfastenzeit sollte man sich über die fundamentalen Unterschiede zwischen beiden Tagen im klaren sein. Der Rosenmontag ist Bestandteil der Karnevalszeit, und Karneval ist, wie der Name bereits erkennen lässt, ein Fest für den heidnischen Götzen Dionysos oder Bakchos, den Gott des Weines. Zum Bakchoskult gehörten hemmungslose Fruchtbarkeitsriten; die Kultanhänger verkleideten sich als Tiere und tanzten dabei um ihren Götzen, gezogen auf einem Schiffskarren, lateinisch carrus navalis, davon abgeleitet Karneval. Bei diesem heidnischen Fest ging es - wie beim Karneval - um eine gewisse Art von Freude, eben die Ausgelassenheit, die das gesunde Maßhalten mißachtet und im besinnungslosen Taumel bis zur Erschöpfung versinkt. Alkohol und Unzucht waren zugleich Inhalt und Hilfsmittel für diese Art von Freude.
Der Rosensonntag ist damit also nicht wirklich zu vergleichen. Hier geht es um die Freude "an der Tröstung Überfülle", hier geht es um die Freude daran, dass Gott den Menschen seine Gnade schenkt. Unkontrollierter Alkoholmissbrauch und Unzucht haben hier keinen Platz. Es geht nicht darum, dass der Mensch sich zum Vieh degradiert und sich wie Vieh aufführt, es geht darum, dass man sich an der Gnade Gottes erfreut und anderen etwa durch das Geschenk der Rose Wertschätzung beweist. Dementsprechend braucht man sich auch nicht erst in einen hemmungslosen Taumel hineinzusteigern, vielmehr ist ein wacher Verstand nötig, um mit offenem Auge die Wohltaten dankbar zu erkennen, die Gott uns schenkt. Und wenn man einer hochgeschätzten Persönlichkeit anlässlich des heutigen Sonntags eine Rose schenkt, so sollte auch die Entscheidung wohlüberlegt getroffen sein.
Ein Einwand mag lauten, dass die heutigen Zeiten doch nicht unbedingt dazu einladen, sich froh der Freude zu überlassen und zu frohlocken. Für den Heiden mag solch eine Weltsicht erklärlich sein, weswegen er dann Hilfsmittel braucht, um sich kurzzeitig in eine bloß rauschhafte, trügerische Freude zu versetzen. Für uns Christen hingegen gibt es nicht nur keinen Grund, in Verzweiflung und Resignation zu versinken, es gibt eben den Grund zur Freude, dass Gott sein Volk mit Gnade beschenkt. Das heißt nicht, dass es nicht auch Momente der Traurigkeit geben kann, aber die Trauer hat eben nicht das letzte Wort. Was könnte den Menschen traurig machen? Vielleicht an erster Stelle der direkt erlittene körperliche oder seelische Schmerz, ob nun aus Krankheit, aus Unfall, aus Ungerechtigkeit; aber auch das Problem der eigenen Unzulänglichkeit, das Scheitern an Aufgaben oder der häufige Fall in die Sünde; dann auch das Leid in der Welt etwa bei Kriegen und Katastrophen, selbst wenn man den betroffenen Personen weder örtlich noch verwandtschaftlich nahe steht. Gerade angesichts all diesen Leides dürfen wir die göttliche Tugend der Hoffnung nicht aufgeben, dürfen wir den Kampf gegen Ungerechtigkeit nicht aufgeben, dürfen wir das Bemühen um ein Leben in der Freundschaft mit Gott nicht aufgeben. Wir müssen aus dieser Freude leben, zu der Jerusalem aufgerufen ist: "Freu dich, Jerusalem!"
Dann stellt sich natürlich die Frage: Wer ist Jerusalem? Die heutige Lesung aus dem Galaterbrief spricht von dem Jerusalem des Alten Bundes und dem Jerusalem des Neuen Bundes. Das Jerusalem des Alten Bundes ist das irdische Jerusalem, das unter der Knechtschaft steht. Das Jerusalem des Neuen Bundes ist das himmlische Jerusalem, das Reich Gottes, die Kirche, die auf Erden noch in der Pilgerschaft ist und die im Himmel ihre Vollendung findet. Das heutige Evangelium von der wunderbaren Brotvermehrung schließt mit einer kurzen Darstellung, wie die Menge auf das Wunder reagiert: "Da nun die Leute das Wunder sahen, das Jesus gewirkt hatte, sprachen sie: 'Dieser ist wahrhaft der Prophet, der in die Welt kommen soll!' Jesus aber erkannte, daß sie kommen und Ihn mit Gewalt fortführen wollten, um Ihn zum König zu machen. Er zog sich daher abermals auf den Berg zurück, um allein zu sein."
Das irdische Jerusalem ist gefangen in rein irdischen Hoffnungen, es träumt von einer politischen Herrschaft, krankt an überheblichem Nationalstolz und verschließt die Augen vor dem eigentlichen Sinn des Wirkens Jesu. Israel möchte einen politischen Herrschermessias, und dieser politische Führer soll Israel die Weltherrschaft bringen. Das Volk denkt daran, dass die Unterdrückung durch die römische Besatzung ein Ende haben soll, aber es denkt nicht an den Ruf Christi zu Umkehr und Buße. Später will das Volk vom Königtum Christi nichts mehr wissen. Als Pilatus an das Volk die Frage stellt: "Euren König soll ich kreuzigen", antworten die Hohepriester: "Wir haben keinen König ausser dem Kaiser". Und wenn Pilatus auf dem Kreuz den Schuldtitel anbringen lässt: "Jesus von Nazareth, der König der Juden", so tut er es, um das jüdische Volk zu verhöhnen, und die Juden wollen ausdrücklich nicht, dass Jesus als "König der Juden" bezeichnet wird.
So müssen wir den Sonntag Laetare mit seinem Aufruf "Freu dich, Jerusalem!", als Aufruf sehen, uns von Verstrickungen in rein irdische Dinge zu lösen. Wir dürfen nicht das Leben des irdischen Jerusalems führen, dass sich in Knechtschaft befindet, wir sollen im himmlischen Jerusalem leben, das frei ist vom alten Gesetz und das lebt im Gesetz der Liebe. Politischer Herrscherwahn, übersteigertes Nationaldenken sind Kennzeichen des irdischen Jerusalems, wir hingegen folgen dem König, dessen Reich nicht von dieser Welt ist und der denen, die ihm folgen, die Freude des Paradieses schenkt.
Deshalb können wir auch in schweren Zeiten den Aufruf vernehmen und ihm folgen: "Freu dich, Jerusalem! Kommt alle zusammen, die ihr es liebt; froh überlasst euch der Freude, die ihr traurig waret; frohlocken sollet ihr und satt euch trinken an der Tröstung Überfülle, die euch quillt." Amen.

S. auch:
Voller Erfolg aus vollem Rohr
Predigt vom 22.03.98

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