Im Schott heißt es zu dem heutigen Passionssonntag: "Das Evangelium
offenbart die tiefe Spannung, die zwischen dem Heiland und den Juden bestand
und die schließlich zum Gottesmord führte." Und in einem Kommentar
zum heutigen Evangelium wird ausgeführt: "Müssen seine Gegner
selbst bezeugen, dass er ohne Sünde ist, dann müssen sie auch
seine Wahrhaftigkeit ohne weiteres anerkennen. Tun sie es nicht, wie es
wirklich der Fall ist, so folgt wiederum mit zwingender Notwendigkeit,
dass der letzte und tiefste Grund ihres Unglaubens in ihrer eigenen sittlichen
Verfassung zu suchen ist. Wer Gottes Art an sich trägt und in Wahrheit,
weil sein sittliches Verhalten ihm das Recht dazu gibt, ihn seinen Vater
nennen darf, der hört auch Gottes Wort mit jenem inneren Verständnis,
mit jener Empfänglichkeit, die instinktiv Art zu Art treibt. Eben
darum liegt im Unglauben und Christushass der Juden der unwiderlegliche
Beweis dafür, dass sie nicht von Gottes Art sind" (F. Tillmann, Das
Johannesevangelium, Bonn 1916, 147).
Diese tiefe Spannung zwischen Christus und den Juden ergibt sich aus
der Wahrheit, die in Jesus offenbar ist, und der Lüge, in der die
Juden verharren. Diese Spannung von Wahrheit und Lüge durchzieht die
gesamte Auseinandersetzung zwischen Christus und den Juden. Es wäre
falsch, jede Ablehnung der Wahrheit immer gleich als unüberwindliche
Unwissenheit restlos zu entschuldigen. Manchmal kann es auch Fälle
geben, wo sich jemand ganz bewusst vor der Erkenntnis der Wahrheit verschließt.
Man kann sich sogar in die Lüge hineinsteigern. Wenn Christus zu den
Juden spricht: "Ihr habt den Teufel zum Vater und wollt nach den Gelüsten
eures Vaters tun", dann will er die Juden damit nicht von jeder Schuld
am Gottesmord freisprechen. So blind man auch gegenüber der Wahrheit
sein mag - es kann eine verschuldete Blindheit geben, es kann eine Weigerung
geben, sich mit der Realität auseinanderzusetzen, es kann eine Weigerung
geben, die Wahrheit anzunehmen. Jesus erklärt das Verhalten der Juden:
"Wer aus Gott ist, der hört Gottes Wort; darum hört ihr nicht
darauf, weil ihr nicht aus Gott seid." In den Worten Jesu liegt eine zwingende
Logik. Was haben die Juden dem entgegenzusetzen? Sie beschuldigen ihn,
einen bösen Geist zu haben, und als diese Einschüchterungen nicht
den erwünschten Erfolg haben, Jesus zum Schweigen zu bringen, heben
sie Steine auf, um nach Jesus zu werfen.
Nehmen wir das heutige Evangelium ruhig einmal zum Anlass, über
einige moraltheologische Bestimmungen nachzudenken, die das Recht auf den
guten Ruf betreffen.
Es ist heute geradezu Mode geworden, andere mit Beschimpfungen zu belegen.
Der Gegner wird - oft völlig zu Unrecht - hingestellt als jemand,
der einen bösen Geist hat. Da man von Geistern oder gar bösen
Geistern heute nichts mehr wissen will, nimmt man vergleichbare Beschimpfungen.
Der Gegner wird dann beispielsweise zum Geisteskranken abgestempelt, weil
er nicht das sagt, was die Mehrheit sagt, aber der Sinn und Zweck derartiger
Beschimpfungen ist im Endeffekt ähnlich den Vorwürfen, der Gegner
habe einen bösen Geist. Es geht gar nicht darum, die Wahrheit aufzudecken,
vielmehr geht es darum, den, der die Wahrheit sagt, mundtot zu machen,
damit die Wahrheit kein Gehör findet. Zunächst muss man sich
also die Frage stellen: Habe ich mich vor der Wahrheit verschlossen? Habe
ich gegen jemanden sogar Beschimpfungen geschleudert, habe ich jemanden
privat oder öffentlich angegriffen, weil er im Recht ist, ich aber
im Unrecht bin? Habe ich mich selbst in die Lüge hineingesteigert,
habe ich nach den Gelüsten des Teufels gehandelt?
Das Verbreiten von unwahren Aussagen über eine Person ist dabei
grundsätzlich eine schwere Sünde, es kann niemals erlaubt sein.
Die Lüge ist nun einmal niemals erlaubt. Der Teufel ist der Vater
der Lüge. Christus ist die Wahrheit. Wir müssen in der Wahrheit
leben. So begeht also grundsätzlich derjenige eine Todsünde,
der bewusst mit einer Lüge den gerechten guten Ruf eines anderen zerstören
will.
Sehr ähnlich liegt der Fall, wenn man sehr leicht überprüfen
kann, ob eine ehrverletzende Aussage über einen anderen wahr oder
falsch ist. Wenn man diese Überprüfung nicht durchführt,
verschließt man sich im Grunde auch vor der Wahrheit. Man will glauben,
dass eine ehrverletzende Aussage richtig ist, man will nicht wahrhaben,
dass man die Unwahrheit sagt, man betrügt sich eigentlich selbst.
Deswegen gilt: Man darf auch dann eine Aussage nicht so ohne weiteres verbreiten,
wenn man nicht wissen will, ob das, was man sagt, wahr ist oder nicht.
So ist zum Beispiel der Satz unzulässig: "Es ist unsicher, ob Jesus
die Wahrheit sagt oder nicht." Wer so etwas sagt, meint eigentlich: "Ich
will nichts davon wissen, dass Jesus die Wahrheit sagt". Christus stellt
ja an die Juden die Frage: "Wer von euch kann Mich einer Sünde beschuldigen?"
Und die Juden verschließen sich vor der Tatsache, dass niemand Christus
einer Sünde beschuldigen kann, sie schleudern statt dessen die Beschimpfung,
Christus habe einen bösen Geist. Seien wir also immer zunächst
ehrlich uns selbst gegenüber. Wenn es denn überhaupt nötig
sein sollte, dass wir über andere reden, dann hüten wir uns nicht
nur vor der direkten Lüge. Hüten wir uns auch vor dem Selbstbetrug,
Tatsachen anzuzweifeln und vor uns selbst und vor anderen zu verschleiern,
wo es vielmehr unsere Pflicht ist, uns selbst und anderen Klarheit zu verschaffen.
Verschließen wir die Augen nicht vor der Wahrheit, und begnügen
wir uns auch nicht mit einem getrübten Blick. Machen wir weder anderen
noch uns selbst etwas vor. Klammern wir uns nicht an Nebelfelder in einem
Sumpf von Ungewissheiten, sondern stellen wir uns mutig der Wahrheit. Und
wenn wir etwas nicht wissen, dann handeln wir auch dementsprechend und
äußern uns am besten gar nicht.
Dann gibt es allerdings auch Aussagen, die den guten Ruf eines anderen
verletzen, die aber völlig sicher wahr sind. Doch selbst solche Aussagen
darf man nicht verbreiten, wenn diese Verbreitung weder dem Allgemeinwohl
noch dem Privatwohl dient. Man muss sich also fragen: Wem diene ich, wenn
ich den guten Ruf eines anderen verletze? Kann ich dadurch die Öffentlichkeit
oder eine einzelne Person vor Schaden bewahren, oder richte ich gar noch
größeren Schaden an? Rede ich vielleicht sogar aus niederen
Beweggründen gegen einen anderen? Es geht also darum, seine Zunge
im Zaum zu halten und nur mit Bedacht über andere zu reden. Doch seien
wir auch beim Hören sehr vorsichtig. Lassen wir uns nicht in die Irre
führen, schenken wir nicht leichtfertig denen Gehör, die schlecht
über andere reden, und vor allem schenken wir ihnen nicht leichtfertig
Glauben.
Sicher muss diese Ablehnung, mit der die Juden Christus begegnen, uns
erschüttern und betrüben. Und sie muss in uns den Entschluss
festigen, dass wir uns nicht vor der Wahrheit verschließen, dass
wir vielmehr freudig die Wahrheit annehmen, und dass wir die Wahrheit vertreten,
selbst wenn alle um uns herum nur mit den schlimmsten Beschimpfungen gegen
uns wüten und sogar mit Steinen nach uns werfen wollen. Amen.
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