Predigt am 06.04.2003

- Passionssonntag, sd I cl -
(Kirche zum Mitreden, 06.04.2003)
Hebr 9,11-15; Jo 8,46-59

Im Schott heißt es zu dem heutigen Passionssonntag: "Das Evangelium offenbart die tiefe Spannung, die zwischen dem Heiland und den Juden bestand und die schließlich zum Gottesmord führte." Und in einem Kommentar zum heutigen Evangelium wird ausgeführt: "Müssen seine Gegner selbst bezeugen, dass er ohne Sünde ist, dann müssen sie auch seine Wahrhaftigkeit ohne weiteres anerkennen. Tun sie es nicht, wie es wirklich der Fall ist, so folgt wiederum mit zwingender Notwendigkeit, dass der letzte und tiefste Grund ihres Unglaubens in ihrer eigenen sittlichen Verfassung zu suchen ist. Wer Gottes Art an sich trägt und in Wahrheit, weil sein sittliches Verhalten ihm das Recht dazu gibt, ihn seinen Vater nennen darf, der hört auch Gottes Wort mit jenem inneren Verständnis, mit jener Empfänglichkeit, die instinktiv Art zu Art treibt. Eben darum liegt im Unglauben und Christushass der Juden der unwiderlegliche Beweis dafür, dass sie nicht von Gottes Art sind" (F. Tillmann, Das Johannesevangelium, Bonn 1916, 147).
Diese tiefe Spannung zwischen Christus und den Juden ergibt sich aus der Wahrheit, die in Jesus offenbar ist, und der Lüge, in der die Juden verharren. Diese Spannung von Wahrheit und Lüge durchzieht die gesamte Auseinandersetzung zwischen Christus und den Juden. Es wäre falsch, jede Ablehnung der Wahrheit immer gleich als unüberwindliche Unwissenheit restlos zu entschuldigen. Manchmal kann es auch Fälle geben, wo sich jemand ganz bewusst vor der Erkenntnis der Wahrheit verschließt. Man kann sich sogar in die Lüge hineinsteigern. Wenn Christus zu den Juden spricht: "Ihr habt den Teufel zum Vater und wollt nach den Gelüsten eures Vaters tun", dann will er die Juden damit nicht von jeder Schuld am Gottesmord freisprechen. So blind man auch gegenüber der Wahrheit sein mag - es kann eine verschuldete Blindheit geben, es kann eine Weigerung geben, sich mit der Realität auseinanderzusetzen, es kann eine Weigerung geben, die Wahrheit anzunehmen. Jesus erklärt das Verhalten der Juden: "Wer aus Gott ist, der hört Gottes Wort; darum hört ihr nicht darauf, weil ihr nicht aus Gott seid." In den Worten Jesu liegt eine zwingende Logik. Was haben die Juden dem entgegenzusetzen? Sie beschuldigen ihn, einen bösen Geist zu haben, und als diese Einschüchterungen nicht den erwünschten Erfolg haben, Jesus zum Schweigen zu bringen, heben sie Steine auf, um nach Jesus zu werfen.
Nehmen wir das heutige Evangelium ruhig einmal zum Anlass, über einige moraltheologische Bestimmungen nachzudenken, die das Recht auf den guten Ruf betreffen.
Es ist heute geradezu Mode geworden, andere mit Beschimpfungen zu belegen. Der Gegner wird - oft völlig zu Unrecht - hingestellt als jemand, der einen bösen Geist hat. Da man von Geistern oder gar bösen Geistern heute nichts mehr wissen will, nimmt man vergleichbare Beschimpfungen. Der Gegner wird dann beispielsweise zum Geisteskranken abgestempelt, weil er nicht das sagt, was die Mehrheit sagt, aber der Sinn und Zweck derartiger Beschimpfungen ist im Endeffekt ähnlich den Vorwürfen, der Gegner habe einen bösen Geist. Es geht gar nicht darum, die Wahrheit aufzudecken, vielmehr geht es darum, den, der die Wahrheit sagt, mundtot zu machen, damit die Wahrheit kein Gehör findet. Zunächst muss man sich also die Frage stellen: Habe ich mich vor der Wahrheit verschlossen? Habe ich gegen jemanden sogar Beschimpfungen geschleudert, habe ich jemanden privat oder öffentlich angegriffen, weil er im Recht ist, ich aber im Unrecht bin? Habe ich mich selbst in die Lüge hineingesteigert, habe ich nach den Gelüsten des Teufels gehandelt?
Das Verbreiten von unwahren Aussagen über eine Person ist dabei grundsätzlich eine schwere Sünde, es kann niemals erlaubt sein. Die Lüge ist nun einmal niemals erlaubt. Der Teufel ist der Vater der Lüge. Christus ist die Wahrheit. Wir müssen in der Wahrheit leben. So begeht also grundsätzlich derjenige eine Todsünde, der bewusst mit einer Lüge den gerechten guten Ruf eines anderen zerstören will.
Sehr ähnlich liegt der Fall, wenn man sehr leicht überprüfen kann, ob eine ehrverletzende Aussage über einen anderen wahr oder falsch ist. Wenn man diese Überprüfung nicht durchführt, verschließt man sich im Grunde auch vor der Wahrheit. Man will glauben, dass eine ehrverletzende Aussage richtig ist, man will nicht wahrhaben, dass man die Unwahrheit sagt, man betrügt sich eigentlich selbst. Deswegen gilt: Man darf auch dann eine Aussage nicht so ohne weiteres verbreiten, wenn man nicht wissen will, ob das, was man sagt, wahr ist oder nicht. So ist zum Beispiel der Satz unzulässig: "Es ist unsicher, ob Jesus die Wahrheit sagt oder nicht." Wer so etwas sagt, meint eigentlich: "Ich will nichts davon wissen, dass Jesus die Wahrheit sagt". Christus stellt ja an die Juden die Frage: "Wer von euch kann Mich einer Sünde beschuldigen?" Und die Juden verschließen sich vor der Tatsache, dass niemand Christus einer Sünde beschuldigen kann, sie schleudern statt dessen die Beschimpfung, Christus habe einen bösen Geist. Seien wir also immer zunächst ehrlich uns selbst gegenüber. Wenn es denn überhaupt nötig sein sollte, dass wir über andere reden, dann hüten wir uns nicht nur vor der direkten Lüge. Hüten wir uns auch vor dem Selbstbetrug, Tatsachen anzuzweifeln und vor uns selbst und vor anderen zu verschleiern, wo es vielmehr unsere Pflicht ist, uns selbst und anderen Klarheit zu verschaffen. Verschließen wir die Augen nicht vor der Wahrheit, und begnügen wir uns auch nicht mit einem getrübten Blick. Machen wir weder anderen noch uns selbst etwas vor. Klammern wir uns nicht an Nebelfelder in einem Sumpf von Ungewissheiten, sondern stellen wir uns mutig der Wahrheit. Und wenn wir etwas nicht wissen, dann handeln wir auch dementsprechend und äußern uns am besten gar nicht.
Dann gibt es allerdings auch Aussagen, die den guten Ruf eines anderen verletzen, die aber völlig sicher wahr sind. Doch selbst solche Aussagen darf man nicht verbreiten, wenn diese Verbreitung weder dem Allgemeinwohl noch dem Privatwohl dient. Man muss sich also fragen: Wem diene ich, wenn ich den guten Ruf eines anderen verletze? Kann ich dadurch die Öffentlichkeit oder eine einzelne Person vor Schaden bewahren, oder richte ich gar noch größeren Schaden an? Rede ich vielleicht sogar aus niederen Beweggründen gegen einen anderen? Es geht also darum, seine Zunge im Zaum zu halten und nur mit Bedacht über andere zu reden. Doch seien wir auch beim Hören sehr vorsichtig. Lassen wir uns nicht in die Irre führen, schenken wir nicht leichtfertig denen Gehör, die schlecht über andere reden, und vor allem schenken wir ihnen nicht leichtfertig Glauben.
Sicher muss diese Ablehnung, mit der die Juden Christus begegnen, uns erschüttern und betrüben. Und sie muss in uns den Entschluss festigen, dass wir uns nicht vor der Wahrheit verschließen, dass wir vielmehr freudig die Wahrheit annehmen, und dass wir die Wahrheit vertreten, selbst wenn alle um uns herum nur mit den schlimmsten Beschimpfungen gegen uns wüten und sogar mit Steinen nach uns werfen wollen. Amen.

S. auch:
Konvergierende Linien
Antijüdische Häresie?
Revisionisten-Seite

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