Predigt am 04.05.2003

- Zweiter Sonntag nach Ostern, sd -
(Kirche zum Mitreden, 04.05.2003)
1 Petr 2,21-25; Joh 10,11-16

Der heutige Sonntag wird nach seinem Evangelium "Sonntag vom guten Hirten" genannt. Die heutige Liturgie enthält mehrfach das Bild vom Hirten und seiner Herde. Sowohl im Alleluja-Vers vor dem Evangelium als auch in der Communio vor dem Schlussgebet wird das Herrenwort vom guten Hirten zitiert. Die heutige Lesung aus dem ersten Petrusbrief schließt mit den Worten: "Denn ihr waret wie verirrte Schafe; jetzt aber habt ihr euch bekehrt zum Hirten und Bischof eurer Seelen."
Bereits im Alten Testament ist das Bild von Hirte und Herde bekannt. Der Prophet Jesaja schreibt über den kommenden Messias: "Er weidet Seine Herde wie ein Hirte; in Seinem Arm nimmt er die Lämmer. An Seiner Brust trägt Er sie und leitet sanft die Mutterschafe" (Is 40,11). Der Prophet Ezechiel verkündet die Worte Gottes: "Wehe über Israels Hirten, die nur sich allein geweidet haben. [...] Ich fordere aus ihren Händen Meine Schafe und mache ihrem Hirtenamt ein Ende. Die Hirten sollen nimmermehr sie weiden. Aus ihrem Munde will ich Meine Schafe reißen. Sie sollen ihnen nicht zur Speise dienen. ... Gleichwie ein Hirte sich um seine Herde sorgt, ... so nehme ich Mich Meiner Schafe an" (Ez 34,2.8.10f). Der mit Abstand längste der 150 Psalmen, das große Lob auf die Vorschriften Gottes, schließt mit dem Vers: "Ich irre wie ein Schaf, das verloren ging; suche deinen Knecht, weil deine Gebote ich nie vergaß" (Ps 119,176).
Das heutige Evangelium beleuchtet verschiedene Aspekte des guten Hirten. Zunächst wird die Hingabebereitschaft des guten Hirten dem feigen Egoismus des Mietlings gegenübergestellt. "Der gute Hirt gibt sein Leben für seine Schafe." Dieser kurze Satz sollte sich in unsere Seele einbrennen. In so wenigen Worten wird so vieles Wichtige gesagt, woraus wir Trost und Kraft schöpfen können und müssen. Niemand ist Gott gleichgültig. Dem Mietling bedeuten die Schafe nichts, sie sind für ihn nur Mittel zu dem Zweck, als Arbeiter Geld zu verdienen. Wie anders ist doch die Beziehung zwischen dem guten Hirten und seinen Schafen! Er lässt sie in der Gefahr nicht alleine. Er verteidigt sie mit seinem Leben. Er lässt nicht zu, dass der Wolf die Schafe raubt und zerstreut. Wer von einem anderen als dem guten Hirten Hilfe und Schutz in der Gefahr erwartet, wird also enttäuscht werden. Und wer in der Kirche am Hirtenamt Christi Anteil hat, der muss in besonderer Weise die Schafe vor den Gefahren schützen. Er muss bereit sein, sein Leben zu geben, wenn die Situation es erfordert. Er muss dem Wolf entgegentreten, um die Schafe zu retten, wie auch immer dies konkret auszusehen hat.
Der gute Hirte kennt seine Schafe. Dem Mietling sind die Schafe letztlich gleichgültig. Jesus aber, der gute Hirte, kümmert sich persönlich um seine Schafe, er kennt jedes seiner Schäflein ganz genau. Der Vergleich, den Jesus dabei nennt, muss uns regelrecht erschüttern: "Ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen Mich, wie Mich der Vater kennt und Ich den Vater kenne." Diejenigen, die zu Christus gehören, haben eine so tiefe, innige Beziehung zu Christus, dass diese Beziehung mit der innergöttlichen Gemeinschaft von Vater und Sohn verglichen wird. An dieser innergöttlichen Liebe der Personen des Vaters und des Sohnes, ihrer gegenseitigen Erkenntnis, dürfen und sollen wir Anteil erhalten. Darauf darf unsere Antwort nur in bedingungsloser Liebe und rückhaltlosem Vertrauen bestehen.
Schließlich spricht Jesus noch von den Schafen, die nicht aus "diesem Schafstall" sind, die aber zu der einen Herde herbeigeführt werden müssen. "Es wird ein Schafstall und ein Hirte werden". Hier ist also von der Kirche die Rede, zu der sowohl Juden als auch Heiden gehören.
Der Alte Bund ist zuende. Die Kirche ist hervorgegangen "aus der Seite des zweiten, am Kreuz gleichsam schlummernden Adam" (Leo XIII., Divinum Illud). Als Jesus starb, zerriss der Vorhang des Tempels von oben bis unten in zwei Stücke. Der Tempel war entweiht, er ist nicht mehr die Wohnstätte Gottes unter den Menschen. Er war nur ein Vorausbild des Opfers Christi. Nun ist das neue, vollkommene Opfer dargebracht, und die Abgrenzung von den Heiden hat ein Ende.
Ein Gedanke sollte schließlich noch besonders berücksichtigt werden. Es ist von einem Schafstall die Rede, davon, dass diejenigen, die zu Christus gehören, geeint sind. Wie verführerisch kann es doch sein, immer nur den Gedanken "Gott und meine Seele" zu betrachten, aber die Einheit, die in den Bildbegriffen Herde und Schafstall ausgesprochen ist, zu ignorieren. Wenn immer nur das Individuum, die eigene Seele in ihrem Verhältnis zu Christus betrachtet wird, ignoriert man den Gedanken der Kirche. Das Ausmaß dieser Abkapselung des Einzelnen von der Gemeinschaft, von der Kirche, ist bei manchen schon beunruhigend. In Extremfällen wird ein Zerrbild von Kirche entworfen, das mit der katholischen Lehre von der Glaubensgemeinschaft nicht in Einklang zu bringen ist.
Manchmal wird geradezu mit der größten Selbstverständlichkeit das Gebot der Nächstenliebe regelrecht mit Füßen getreten. Der Bruder oder die Schwester im Glauben wird mit Gleichgültigkeit betrachtet und manchmal sogar als störend empfunden, als Last, mit der man nach Möglichkeit gar nichts zu tun haben möchte. Die üble Nachrede, Beschimpfung und Verleumdung blühen und gedeihen. Kann man das mit dem Bild von der einen Herde unter dem einen guten Hirten in Einklang bringen?
Und wie sieht es mit dem Wort Christi aus: "Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Schafstall sind. Auch diese muß ich herbeiführen, und sie werden meine Stimme hören"? Die Heiden haben die Stimme Christi aus dem Mund der Apostel vernommen. Wie sehen denn unsere Anstrengungen aus, dass andere die Stimme Christi vernehmen? Haben wir ein wirkliches Interesse daran, dass andere die Lehre Christi hören und sich der einen Herde anschließen? Und wie heldenhaft sind diejenigen, denen das Hirtenamt anvertraut ist? Sind sie bereit, gleich dem guten Hirten Christus ihr Leben ganz in den Dienst ihrer Anvertrauten zu stellen, auch bis hin zu sehr großen Opfern, oder weiden sie nur sich selbst?
Wie denken wir eigentlich über die Struktur der Kirche? Sind uns die Kleriker nichts weiter als Sakramentenspender, oder sind sie uns auch Führer und Wegweiser, deren Autorität man anerkennt und deren Autorität man sich ggf. auch fügt? Will man die kirchliche Autorität überhaupt, will man die kirchliche Struktur, in der der Papst als Stellvertreter Christi regiert?
Betrachten wir oft das Bild vom guten Hirten, und denken wir oft darüber nach, dass Christus die Kirche als eine Herde unter einem Hirten will, als Gemeinschaft der Heiligen, die im Himmel ihre Vollendung erfährt. Amen.

S. auch:
Enzyklika Mystici Corporis
Willkommen im Club

[Zurück zur KzM - Startseite]