Am heutigen Fest der Unschuldigen Kinder wird von manchen Kreisen gerne
auf die zahlreichen Abtreibungen hingewiesen, die seit Jahrzehnten massenweise
und mit staatlicher Förderung in diesem unseren Lande stattfinden.
So beschloss vor einigen Jahren eine Firma, jedes Jahr am 28. Dezember
eine Viertelstunde lang die Glocken läuten zu lassen als eine Art
"Demonstration gegen Abtreibungen". Was ist von diesem "Mahnläuten"
zu halten?
Zunächst könnte es scheinen, als ob es letztlich um die gleiche
Sache ginge: Kinder werden ermordet, in Bethlehem und in der Bundesrepublik.
Aber die Unterschiede zwischen den Massenabtreibungen in Deutschland, denen
jährlich ungefähr 300.000 Kinder zum Opfer fallen, und dem Kindermord
in Bethlehem, dem vielleicht 20 Kinder zum Opfer fielen, sind doch recht
erheblich. Der Evangelist Matthäus erinnert an das Wort aus dem Propheten
Jeremias: "Ein Rufen hört man zu Rama, viel Weinen und Wehgeschrei:
Rachel beweint ihre Kinder und läßt sich nicht trösten,
denn sie sind nicht mehr." Wer beweint die Kinder, die durch Abtreibung
getötet werden? In den seltensten Fällen weinen doch die Mütter
über ihre toten Kinder, vielmehr sind es nicht selten die Mütter
selbst, die die Ermordung ihrer Kinder ausdrücklich gewünscht
oder wenigstens gebilligt haben. Die Unschuldigen Kinder sind Märtyrer,
ihr Fest wurde bereits im 5. Jhd. gefeiert. Das Sterben der Kinder in Bethlehem
war ein Sterben für Christus, ein Blutzeugnis, und die Kinder erfreuen
sich der Seligkeit des Himmels. Die abgetriebenen Kinder hingegen haben
üblicherweise gar keinen Bezug zu Christus, sie haben üblicherweise
keine Taufe empfangen, d.h. sie sind noch mit der Erbsünde belastet.
Die Theologen sprechen deshalb von einem eigenen Ort der ungetauften Kinder,
dem Limbus. Während das Fegefeuer ein vorübergehender Zustand
ist, ist der Limbus ein bleibender Zustand. Die Kinder im Limbus erlangen
niemals die Seligkeit des Himmels. Sie sind jedoch frei von den Strafen
der Hölle und besitzen eine natürliche Vollendung. Es mag also
zunächst verwundern, dass ausgerechnet am Fest der Unschuldigen Kinder
gegen Abtreibungen demonstriert wird, und sei es auch nur durch ein "Mahnläuten",
wo es doch so grundlegende Unterschiede zwischen den Ereignissen in Betlehem
und in der Bundesrepublik gibt. Blickt man hingegen etwas genauer hin,
erkennt man in diesem Mahnläuten durchaus einen Grund. Die Gruppe,
die da mahnläutet, zeichnet sich durch Handlungen und Lehren aus,
die dem katholischen Glauben radikal zuwider sind. Die Lehre der katholischen
Theologen über den Limbus wird von den Mahnläutern grundsätzlich
abgelehnt. Weil die Lehre vom Limbus kein Dogma ist, meinen die Mahnläuter,
man solle überhaupt nicht mehr vom Limbus sprechen. Dem ist zu entgegnen,
dass die Lehre vom Limbus durchaus sinnvoll ist. Denn sie fügt sich
gut in die Lehre von der Heilsnotwendigkeit der Taufe ein. Papst Innozenz
III. legte ein Glaubensbekenntnis vor: "Wir billigen die Taufe der kleinen
Kinder. Wir bekennen und glauben: wenn sie nach der Taufe sterben, bevor
sie eine Sünde begehen, so werden sie gerettet. In der Taufe werden
alle Sünden vergeben, die Erbsünde und die Sünden, die willentlich
begangen sind" (NR 435). Dementsprechend hat die Kirche oft ihrem Wunsch
Ausdruck gegeben, dass schon die kleinen Kinder getauft werden sollen,
eben weil es die Erbschuld gibt. Von der Mahnläuter-Gruppe hingegen
wird gerne versichert, dass auch die Ungetauften in den Himmel kommen,
und fragt man die Mahnläuter, was denn mit der Lehre von der Erbsünde
ist, erhält man die klare, wenngleich häretische Antwort: "Der
Begriff der Erbsünde ist mißverständlich. Denn es wird
dabei nichts 'vererbt'." Die katholische Lehre hingegen lautet: "Erbsünde
ist die erbliche, wenn auch nicht persönliche Schuld der Nachkommen
Adams, die in ihm gesündigt haben (Röm. 5, 12.), Verlust der
Gnade und damit des ewigen Lebens, mit dem Hang zum Bösen, den jeder
durch Gnade, Buße, Kampf, sittliches Streben zurückdrängen
und überwinden muß." Also wollen die Mahnläuter die Unschuldigen
Kinder und die abgetriebenen Kinder durchaus auf eine Stufe stellen, indem
sie einerseits die Erbsünde leugnen und andererseits versichern, dass
ungetaufte Abgetriebene die himmlische Seligkeit erlangen. Und wer die
Fakten betrachtet, wird feststellen, dass die Mahnläuter nicht nur
keine Gegner der Abtreibung sind, sondern energische Unterstützer
der Abtreibung. Die Mahnläuter setzen sich aktiv für die Straffreiheit
von Abtreibung ein, je nach Situation zwar auch mal ein wenig verdeckt,
aber noch immer eindeutig. Dabei stören sich die Mahnläuter nicht
im geringsten an der furchtbaren Schwere des Verbrechens, das eine Abtreibung
ist, selbst wenn ein solches Lippenbekenntnis bisweilen abgegeben werden
mag. Was zählt, ist die Realität, und was soll man davon halten,
wenn hehre moralische Werte gepredigt werden, aber das Handeln im radikalen
Gegensatz dazu steht? Das ist Heuchelei, bewusste Täuschung von Menschen,
die oberflächlich genug sind, dass sie von der Wahrheit nichts wissen
wollen.
Noch eine Anmerkung zum Ernst des heutigen Festes: Nur wenn das Fest
der Unschuldigen Kinder auf einen Sonntag fällt, ist die Liturgie
so wie bei anderen Märtyrerfesten auch, d.h. die liturgische Farbe
ist Rot und das Gloria wird gebetet. Fällt das heutige Fest aber auf
einen anderen Wochentag, ist die liturgische Farbe Violett, und das Gloria
entfällt. Der Schott erklärt dazu: "Die Kirchenfarbe ist heute
Violett (an Sonntagen Rot), die Farbe des Kummers und der Betrübnis;
die Kirche fühlt gleichsam den Schmerz der bethlehemitischen Mütter
nach, die ihre Kinder verloren haben. Deshalb versagt sie sich auch das
Gloria, das sonst der Weihnachtszeit zu eigen ist." Also mitten in der
Weihnachtsoktav ist gewissermaßen ein Tag des Kummers und der Betrübnis.
Selbst in der Weihnachtsoktav dürfen wir nicht ganz vergessen, dass
es im christlichen Leben auch Kummer und Betrübnis geben kann. Gott
lässt es zu, dass Herodes die Anordnung des Kindermordes gibt, Gott
lässt es zu, dass die Untergebenen des Herodes die Anordnung des Kindermordes
ausführen. Immer wieder hat Gott es zugelassen, dass das Blut Unschuldiger
vergossen wurde, und sehr, sehr oft war es die staatliche Obrigkeit, die
damit äußerst schwere Schuld auf sich geladen hat. Wie verhalten
wir uns, wenn wir selbst Zeugen oder gar Opfer staatlicher Verbrechen werden?
Wie verhalten wir uns, wenn wir - und sei es auch am eigenen Leib - erfahren,
wie der Staat seine Macht missbraucht und ganz bewusst gegen diejenigen
vorgeht, die ihm die Grenzen seiner totalitären Willkür aufzeigen?
Was wäre, wenn heute gerichtliche Verbote und Beschlüsse erlassen
würden, die die Vernichtung des Christentums zum Ziel haben, so wie
die Anordnung des Kindermordes durch Herodes die Vernichtung des göttlichen
Kindes zum Ziel hatte? Die Vernichtung des Christentums wird nicht gelingen,
so wie die Vernichtung des göttlichen Kindes nicht gelungen ist. Unschuldige
Opfer wird es aber geben. Zeigen wir Christus also auch dann unsere Liebe,
wenn dies mit großen Opfern verbunden ist, und sei es auch das Opfer
unseres Lebens, damit wir dereinst teilhaben an der Freude des Himmels.
Amen.
S. auch:
katholisch.net: Klageschrift und "Verurteilung"
Mundus vult decipi