(1) Gegen eine rechtmäßige Regierung ist die
Revolution schlechthin unzulässig, auch wenn der Träger der
Gewalt persönlich schwere Sünden begeht oder einzelne
bedrückende und ungerechte Gesetze erläßt. Der Begriff
»rechtmäßig« besagt ja schon, daß diese
Regierung das Recht hat, Unterordnung zu fordern (Vergleiche den 63.
Satz des Syllabus Pius IX., Denzinger 1763).
(2) Gegen den ungerechten persönlichen Angriff von seiten
eines Regierenden darf man sich wehren, im äußersten Notfall
sogar bis zur Tötung des ungerechten Angreifers.
(3) Einer unrechtmäßigen Regierung schuldet man an
sich, wenn nicht besondere Gründe eine Ausnahme verlangen, keine
Unterwürfigkeit.
a) Eine Regierung kann unrechtmäßig sein durch die Art und
Weise, wie sie zur Macht kommt. Der Revolutionär, der sich gegen
seine rechtmäßige Regierung erhebt, wird nicht dadurch zur
rechtmäßigen Obrigkeit, daß er einen Teil des
Staatsgebietes tatsächlich unter seine Macht bringt.
Jeder Bürger ist verpflichtet, seiner rechtmäßigen
Regierung in der Abwehr gegen die Aufrührer zu helfen,
nötigenfalls auch durch Tötung der Usurpatoren im Verlaufe
dieses Abwehrkampfes. Es handelt sich in diesem Fall ja nicht um die
Tötung auf private Anmaßung hin - dies wäre unerlaubt
-, sondern um die Ausführung des Willens der
rechtmäßigen Autorität, beziehungsweise um eine
gesetzesgemäße Kampfhandlung.
Wenn der Usurpator tatsächlich die Staatsgewalt fest im Besitz
hat, darf die bislang rechtmäßige Regierung nur mehr zum
Kampfe aufrufen, wenn sie sich davon moralisch sicher Erfolg und auf
das Ganze gesehen eine Förderung des Gemeinwohles erwartet. Die
eigenen Ansprüche auf die Regierungsgewalt müssen
schließlich zurücktreten gegenüber der Rücksicht
auf die Wohlfahrt des gesamten Volkes.
Das Allgemeinwohl ist auch für das Staatsvolk der Maßstab
dafür, ob es die Regierung des Usurpators anerkennen soll oder
nicht.
b) Eine Regierung, die legal zur Macht gekommen ist, kann
unrechtmäßig werden durch äußersten
Mißbrauch ihrer Macht gegen das Allgemeinwohl, durch
Untergrabung von Religion und Sittlichkeit, von Recht und Gerechtigkeit.
Eine Regierung verliert jedoch ihre
Rechtmäßigkeit nicht schon durch schwere persönliche
Sünden der Regierenden und auch nicht durch einzelne schlechte
Gesetze, sondern nur durch die direkte Verkehrung des Sinnes und
Zweckes der Obrigkeit.
Wenn einmal grundsätzlich zugegeben ist, daß eine
Regierung ihre Rechtmäßigkeit durch den
äußersten Mißbrauch ihrer Macht verliert, dann ist
auch im Kern schon dem Volke das Recht zugebilligt, seine Sache selbst
gegen diese unrechtmäßige Regierung in die Hand zu nehmen.
Die Frage ist nur: Auf welche Weise?
Der passive Widerstand (die gewaltlose und geschlossene
Nichtbefolgung von Gesetzen) kann auch gegenüber einer
rechtmäßigen Regierung in Frage kommen in Bezug auf einzelne
Gesetze, die ungerecht sind und Böses verlangen. Erst recht ist
der passive Widerstand erlaubt gegenüber einer wesenhaft
schlechten Regierung.
Die schwierigere Frage ist, ob es einer Regierung gegenüber,
»die offenkundig zum Feinde des Volkes wird, die dauernd und in
schwerster Weise gegen das Gemeinwohl verstößt«, das
Recht zum aktiven Widerstande gibt. Dieses Recht hat neuerdings Max
Pribilla mit guten Gründen und in kundiger Auslegung der Schrift
und Tradition vertreten (M. Pribilla S. J., An den Grenzen der
Staatsgewalt, in: Stimmen der Zeit 141 (1948) S. 410-427;
Schlange und Taube, ebenda 148 (1951) S. 161-172). In
ähnlicher "Weise äußerte sich nach ihm Matthias Laros"
(M. Laros, Seid klug wie die Schlangen und einfältig wie die
Tauben. Frankfurt 1951).
Begründung: »Die gottgegebene,
naturrechtliche Ordnung darf die einzelnen und die Völker in
keiner Weise ohne rechtliche Hilfe lassen, so daß die
rechtlose Gewalt keine rechtliche Schranke gegen sich hätte. Ver
aber den aktiven Widerstand unter allen Umständen als unerlaubt
verurteilt, verweigert dem Volke das Recht zur Anwendung wirksamer
Mittel gerade in der höchsten Not, wenn es nämlich von seiner
eigenen Regierung zu Grunde gerichtet wird (M. Pribilla, in: Stimmen
der Zeit 141 (1948) S. 420). Nach mittelalterlicher Auffassung und
Praxis hatte der Papst das Recht, die Untertanen von ihrer
Verpflichtung zur Untertänigkeit zu entbinden, wenn der Herrscher
das Allgemeinwohl oder die Rechte der Religion schwer verletzte. Nach
allgemeiner Auffassung hat das Volk selber das Recht, einen
Wahlkönig beziehungsweise eine gewählte Regierung abzusetzen,
wenn diese sich nicht an die bei der Wahl eingegangenen Verpflichtungen
halten. Daraus folgert pribilla mit Theodor MEYER (Th. Meyer, Institutiones
juris naturallsII. Freiburg 1900) und MAUSBACH (Staatslexikon
Freiburg 1927, Bd. II, 402 ff.): »Wenn der gebrochene Vertrag den
Ständen das Widerstandsrecht gegen den Gewaltherrscher gibt,
sollte das, was positive, geschriebene Dokumente vermögen, nicht
in höherem Maße das gottgegebene, natürliche Recht des
Volkes zu leisten imstande sein? Jedenfalls scheint es widersinnig, dem
einzelnen das Recht der Notwehr unbedenklich zu gestatten, der
Gesamtheit aber das unter den gegebenen Uniständen einzig wirksame
Rechtsmittel zur Behebung eines äußersten Notstandes -
nämlich die Unschädlichmachung des seine Gewalt
mißbrauchenden Herrschers - zu verweigern« (Stimmen der
Zeit 141 (1948) S. 421).
Pribilla stellt für die Erlaubtheit des aktiven Widerstandes
folgende Bedingungen auf:
(1) Der aktive Widerstand kommt nur in Frage bei
außerordentlich großem Mißbrauch der Staatsgewalt,
wenn zum Beispiel die allerwesentlichsten Freiheitsrechte
unterdrückt, das Recht durch Gewalt, das Gemeinwohl durch
Parteienwirtschaft völlig verdrängt wird.
(2) Der aktive Widerstand ist erst nach Erschöpfung aller
friedlichen Mittel erlaubt.
(3) Es muß eine begründete Sicherheit vorhanden sein,
daß sich der aktive Widerstand tatsächlich durchsetzen kann
und daß voraussichtlich die Zustände nicht durch ihn noch
verschlimmert werden.
(4) Es darf nur soviel Gewalt angewendet werden, als die Abstellung der
Übel erfordert. (Pribilla sagt: »Der Sicherheit halber aber
eher zu viel als zu wenig« (l.c. S. 422)).
Die Entscheidung über das Recht und die Anwendung des aktiven
Widerstandes kann nie Sache irgend eines Privatmannes sein, sondern nur
der Urteilsfähigen und Berufenen, die imstande erscheinen, den
Widerstand erfolgreich durchzuführen. Die dazu Fähigen und
Berufenen sind bei der äußersten Not ihres Volkes wohl auch
dazu verpflichtet, selbst bei größter persönlicher
Gefahr.
Die Vertreter des aktiven Widerstandsrechtes gegen ein ungeregeltes
Gewaltregime können sich zweifellos auf Papst Plus XI. berufen,
der in seinem Rundschreiben Firmissimam constantiam vom
28.3.1937 (AAS 29 (l 937) p. 196 ss.) billigend, wenn auch vorsichtig
und unter Betonung der notwendigen Einschränkungen, von einer
solchen Auffassung redet. Die Haltung der spanischen Bischöfe 1936
und ihr gemeinsamer Hirtenbrief vom 1. 7.1937 steht eindeutig auf
dieser Linie.
Praktisch wird ein aktiver Widerstand unter Einhaltung der genannten
Bedingungen sehr selten möglich sein. Darum gilt der Grundsatz:
»Widerstehet den Anfängen! Sonst kommt die Heilung zu
spät«. Der Christ muß sich rechtzeitig um die Politik
kümmern.
Vielfach bleibt den Christen gegenüber einem tyrannischen Regime
nur die Waffe der Geduld und des Gebetes.
Von der Frage des aktiven Widerstandsrechtes ist wohl zu unterscheiden
der »Tyrannenmord« oder die
»Tyrannentötung«:
Die Tötung des Tyrannen kann im Verlauf des aktiven Widerstandes
des Volkes aus zwingender Notwendigkeit geschehen, wenn sonst keine
Aussicht auf den Erfolg der gerechten Sache bestünde oder wenn die
Kampfhandlungen dazu führen.
Aber es kann sicher nicht das Recht irgend einer Privatperson sein,
auf eigene Faust den Gewaltherrscher zu töten, auch wenn sie
überzeugt ist, daß diese Herrschaft von Anfang an oder durch
den schweren Mißbrauch der Gewalt unrechtmäßig ist.
Denn keine Privatperson hat das Recht, über einen ändern die
Todesstrafe zu verhängen, soweit es sich nicht um die aktive
Notwehr handelt.
Noch viel weniger als die Ermordung des Gewaltherrschers auf privaten
Entschluß hin (beziehungsweise ohne die Möglichkeit, dadurch
eine geordnete staatliche Obrigkeit einzusetzen) ist die Ermordung
politisch unliebsamer Gegner erlaubt, auch wenn man noch so sehr davon
überzeugt sein sollte, daß diese ein Unglück für
das Volk bedeuten.