Kompromissbereitschaft

- Kapitulation angesichts des antichristlichen Terrors -
(Kirche zum Mitreden, 18.09.1999)
[PRHL] Bekanntlich hält sich der deutsche Staat für eine übergöttliche Instanz (s. z.B. Kaiser und Gott). Nicht mehr die göttlichen Gebote, sondern die menschliche Beliebigkeit setzt die Normen fest, was erlaubt und was verboten, was richtig und was falsch ist. In seinem unermüdlichen Kampf gegen Gott und die Kirche wendet der deutsche Staat hyperdrakonische Zwangsmaßnahmen an, um die Christen auszuschalten; am liebsten ist dem Staat wahrscheinlich, wenn der Christ sich unterwirft und damit in gewisser Weise aufhört, Christ zu sein (wenngleich der Taufcharakter unauslöschlich ist), aber es hat wohl auch so seine Reize, einen Christen öffentlich zu demütigen und zu zerbrechen.
Zur Ehrenrettung des Staates muss man einräumen, dass er den Christen die Möglichkeit lässt, auf das Bekenntnis des wahren Glaubens vollständig zu verzichten, den Staat öffentlich als den einzigen Gott zu propagieren und so weiteren hyperdrakonischen Zwangsmaßnahmen zu engehen. Redeker bot uns an, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben, Ink, Pilger und Schwill boten uns an, eine Verzichtserklärung zu schreiben, und außer ein paar tausend Mark wären wahrscheinlich keine weiteren Kosten auf uns zugekommen. Diesen verlorenen Betrag hätten wir möglicherweise bereits innerhalb von zwei Jahren wieder einnehmen können, dem Gefängnis und dem Hungertod wären wir möglicherweise entronnen.
Doch während sich Redeker, Ink, Pilger, Schwill etc. nun so vorkommen könnten, als ob sie die Herrschaft Gottes überwunden hätten, erscheinen sie uns doch nur als bedauernswerte Handlanger des Teufels. Das ist zugegebenermaßen ein vorläufiges Urteil, wir können nicht vor der Zeit richten, sondern sehen dem Jüngsten Gericht entgegen. Sollte unsere Einschätzung aber zutreffen, dann ist es für die Redeker etc. sehr angebracht, der Weisung Jesu zu folgen, umzukehren und Buße zu tun.
Betrachtet man nämlich die Unterlassungserklärungen, die uns von Redeker etc. abgenötigt wurden, im Licht der christlichen Botschaft, dann stellen sie eine Nötigung zum Verrat an Christus dar. Einer solchen Nötigung nachzugeben, bedeutet also, das ewige Heil wegzuwerfen, und deshalb stellt auch die Nötigung an sich eine schwere Sünde dar, womit sich Redeker etc. die Hölle verdient haben.
Damit uns niemand unterstellt, wir würden hier Theorien verbreiten, die dem Christentum völlig fremd und sogar entgegengesetzt sind, zitieren wir erneut aus dem Predigtbuch "Evangelium hier und heute. Frage und Antwort. Zweiter Teil", Regensburg 1937, von M. Laros (s. Evangelium hier und heute). Insbesondere die Ausführungen über die "Zettelmänner" ("libellatici") lassen sich – wie wir meinen - ausgezeichnet auf die gegenwärtige Situation in Deutschland übertragen, doch der geneigte Leser möge selbst den Text prüfen.
Interessant dürften die beiden Predigten aber auch für diejenigen sein, die sich als Maxime gesetzt haben, nur so lange katholisch zu sein, wie es keiner merkt, und die sofort dem Glauben abzuschwören bereit sind, wenn der Staat sie dazu nötigt. Wir haben erklärt, wir wollen bis zum letzten Atemzug beim Bekenntnis des katholischen Glaubens bleiben, sei es auch in Verfolgung und Not. Diese Haltung ist aber nur denjenigen verständlich, die sich nicht durch die Lockungen dieser Welt verblenden lassen. Wer sich nicht Tag für Tag in Gebet und Opfer übt, der wird spätestens dann sich von Gott verabschieden, wenn eine Grundsatzentscheidung gefragt ist, also z.B. wenn der Staat den Bürger vor die Wahl stellt, entweder den Staat anzubeten und in Frieden zu leben, oder aber den Staat nicht anzubeten und nicht in Frieden zu leben.
Dieses "Leben in Frieden", was der Staat zu bieten hat, ist aber im Grunde völlig armselig und sinnentleert, in dieser Erdenzeit bringt es schon bald nur Ekel und Überdruss, und schließlich gibt es nur die Aussicht, nach dem Tod in Hölle zu kommen. Dann schon lieber hier auf Erden quasi durch die Hölle gehen, aber immer in der Gemeinschaft mit Gott ein sinnerfülltes Leben zu führen, für das die ewige Freude im Himmel verheißen ist.

46.

GOTTESDIENST UND WELTAUFGABE

(Vierzehnter Sonntag nach Pfingsten)

"Niemand kann zwei Herren dienen." - Aber müssen wir es nicht? Ist das Geld nicht notwendig, um des Lebens Notdurft zu fristen, und ist nicht auch Kapital notwendig, um den heutigen Anforderungen der Wirtschaft zu genügen? Sind wir nicht in die Welt gestellt, um mit Aufbietung aller Kräfte unsern irdischen Beruf zu erfüllen? Muß nicht gerade heute die Sorge und die angestrengteste Arbeit sein, um unseren Posten in der Volksgemeinschaft zu erfüllen? Wie ist uns der Lebensraum beschnitten! Sind die Fragen nach Klei­dung, Wohnung, Nahrung nicht die ersten und letzten, die uns heute beschäftigen müssen, wenn wir unsere Pflichten gegen die Familie erfüllen wollen? - Aber auch abgesehen von der gegenwärtigen Notzeit, verdanken wir nicht gerade der diesseitigen Lebenseinstellung, der Liebe und Sorge für den Leib und das irdische Leben den Fortschritt menschlicher Kultur und Technik- Sind nicht die meisten Erfindungen aus einer tiefen Erdenliebe und Daseinsfreude geboren? Ent­springt nicht der Trieb und die Kraft zu allem Fortschritt dem hingebenden Dienst am Leben auf dieser Erde? Wo wäre die Menschheit hingekommen, wenn sie nach den Vögeln des Himmels und den Lilien des Feldes gesehen und danach gehandelt hätte? Ist dieses Evangelium nicht heute doch überholt?

Diese Fragen werden heute vielfach aufgeworfen und ver­wirren die Geister, obwohl man doch ein Ohr für die poetische Feinheit und tiefe Lebenskenntnis haben sollte, die in diesem Evangelium steckt. Die Fragen zielen alle am Sinn der Worte Jesu vorbei. Was sie Richtiges sagen wollen, wird im Evangelium nicht geleugnet, und was das Evange­lium behauptet, hebt nicht die richtige Erkenntnis auf, die in diesen Fragen steckt. Gottesdienst und Weltaufgabe schließen sich nicht aus, sondern ein. Der Dienst an Gott muß sich in der Aufgabe an der Welt und in der Welt bewähren und entfalten, und die irdische Aufgabe wird nur in der höheren Einstellung auf Gott und unser ewiges Ziel voll erfüllt. - Gottesdienst ist nicht allein Beten, und die Weltaufgabe ist nicht allein irdisches Arbeiten. Beten und Arbeiten gehören innerlich zusammen und sollen sich gegenseitig durchdringen und auf die volle Höhe des Menschentums und Christentums führen.
Was will der Herr sagen, und was will er nicht sagen? Er will nicht sagen, daß wir das irdische Leben gering schätzen sollen und nicht ernstlich dafür zu sorgen brauchen. Wie sollte er das, da doch Gott selbst uns dieses Leben mit seinen Gütern, Freuden und Leiden gegeben hat? Er hat uns doch als Vater auch in die gegenwärtige Notzeit kommen lassen, und was will er anders, als daß wir uns darin aufs beste wehren?
Er will auch nicht sagen, daß wir nicht zur Entfaltung und Gestaltung dieses Lebens in Kultur, Schönheit und Freude alle Kräfte einfetzen sollen. Hat Gott nicht selber der Menschheit in der Morgenstunde ihres Lebens den gro­ßen Auftrag erteilt, die Erde zu beherrschen und sich dienst­bar zu machen? Der Mensch erfüllt also Gottes direkten Auftrag nur, wenn er in rastloser Kulturarbeit, an welchem Posten er stehen mag, immer strebend sich bemüht, und alle Erfindungen, so großartig sie sein mögen und wer immer sie gemacht hat, sind mit seinem Willen und Segen gemacht.
Erst recht will der Herr nicht sagen, daß wir im Vertrauen auf Gott warten sollen, bis Küche und Keller sich von selber füllen, oder daß wir, wie die Vögel des Himmels, von der Arbeit und dem Überfluß anderer leben dürfen. Wenn er das meinte, dann wäre sein Evangelium in der Tat keine frohe Botschaft für die Starken, Gesunden, Arbeitsfrohen, Werteschaffenden, sondern nur für eine lebensmüde Gesell­schaft, deren innere Lebensform Anspruchslosigkeit und Ergebung, schwächliches Dulden und Verzichten und ein schwa­ches Hoffen auf das Gottesreich von oben ist.
So hat David Strauß, alte Klagen zusammenfassend, das Christentum beurteilt, und es ist seltsam, wie seine liberalen Gedanken auch in der neuen Zeit und ihren Lobrednern immer wiedererstehen. Ich will eine Stelle hersetzen und frage, ob sie nicht in allen möglichen Zeitungen und Zeitschriften dieser Tage zu lesen ist: "Das Evangelium hat keinen rechten Sinn und keinen wirklichen Segen für die berufsmäßige Pflege der Arbeit, für den Fortschritt im Wissen und Können, für das Ringen um Erkenntnis und Verwertung der Natur­kräfte. Wer waren denn die großen Erfinder und kühnen Entdecker? Was haben die Männer der Kirche und ihre gläu­bigen Vertreter, was hat vor allem die kirchliche Einstellung zum diesseitigen Leben für die großen Errungenschaften der Neuzeit getan? . . . Nur ein uraltes heiliges Vorurteil läßt das Evangelium dem modernen Geist immer noch als ver­ehrungswürdig erscheinen. In Wirklichkeit ist es keine frohe Botschaft für die Gefunden und Starken, sondern nur ein milder Trost für eine dahinfterbende Gefellschaft. Wir wollen kein Evangelium der lebensmüden Dekadenz, sondern des arbeits- und zukunftsfrohen Kulturfortschrittes."
Aber das ist alles nur ein elementares Mißverständnis und eine Einseitigkeit, die heute wirklich überwunden sein sollte. Sehen wir denn nicht an dem blutenden Wirtschaftskörper der ganzen Kulturmenschheit, wohin die rein irdische Gesinnung des modernen Menschen im ganzen Umkreis des Lebens, in Politik, Wirtschaft und Kultur uns alle gebracht hat? Wie hat die absolute Seligpreisung von Kultur, Arbeit, Besitz und Genuß die Menschheit innerlich arm und freudlos gemacht! Ist die Gefahr, vor der der Herr so eindringlich warnt, nicht furchtbar in Erfüllung gegangen, und erfüllt sie sich nicht noch heute erschreckend vor unsern Augen?
Nicht Gottesdienst und Weltarbeit sind ausschließende Gegensätze, sondern nur die Vergötzung von Geld und Gut, Arbeit und Besitz. Gott und der Götze Mammon, dem man wie ein Sklave um seiner selbst willen dient, das sind unvereinbare Feinde. Diesen beiden Herren kann man nicht zugleich dienen, nachdem Gott einmal gesprochen hat: Ich bin der Herr, dein Gott." Da gibt es kein Sowohl-als-auch, das eine tun und das andere nicht lassen, sondern nur ein unerbittliches Entweder-oder. Wir können nicht unser gan­zes Sinnen und Trachten nur auf Besitz und Erwerb, Ehre und Macht, Karriere und Wohlleben richten, als ob es unser ein und alles, unser Gott und unser Ziel wäre, und außer­dem da drüben noch ewiges Leben mit Gott erben. Wir können nicht sonntags Gott und werktags dem Mammon und allem, was damit zusammenhängt, anbetend dienen. Gebet und Arbeit gehören vielmehr zusammen. Berufsarbeit, Schaffen und Wirken auf dieser Erde und an ihren Aufgaben soll Gottesdienst sein, und Gott dienen heißt sich in und an den Weltaufgaben bewähren.
II.
Hier aber steigt die praktische Frage auf: Wie verbinde ich beide? Wo finde ich den rechten Ausgleich? Darin liegt ja die Gefahr, daß der notwendige Dienst an den Aufgaben dieser Welt zum Selbstzweck wird. Sparsamkeit wird leicht von selbst zum Geiz, Fleiß und Erwerbsfreude zur Habgier und Raffsucht, wie andererseits auch Gelassenheit leicht zur Schlam­pigkeit und Gebefreude leicht zur Verschwendung wird.
Jawohl, Maß und Mitte zu halten ist für den Menschen das Schwerste. Aber dafür ist sein Leben gerade in die Urpolarität gestellt, in der immer zwei entgegengefetzte Pole sich gegenseitig anziehen und doch wieder in Schranken halten und gegenseitig befruchten. Die Losung kann nur heißen: Bete und arbeite, beides in echter Polspannung. Es heißt nicht: Bete durch Arbeit; dein Gebet sei deine Arbeit, Arbeit ist das beste Gebet. Es heißt auch nicht: Arbeite durch Gebet; Beten ist die beste Arbeit. Für einzelne mag, in der Arbeitsteilung des Reiches Gottes die Berufung zu einem beschaulichen Orden vor allem das Gebet verlangen, so daß diejenigen, die dort eintreten, durch ein reines Leben des Gebetes des Lobes und des Dankes gegen Gott in harter Buße das ersetzen, was die übrige Menschheit in Genuß und Arbeit vergißt oder zu kurz kommen läßt. Es ist ein Ersatz für das­jenige, was die irrenden Brüder und Schwestern an Gebet und Gottesdienst fehlen lassen. Verkleinert oder schmähet mir darum diese Menschen nicht! Sie haben eine wichtige Funktion in dem großen Haushalt der Kirche. In der Gemeinschaft der Heiligen vertreten sie in einem heroischen Leben des Gebetes und der Buße, was ihr in eurer irdischen Gesinnung verabsäumt. Aber für die überwiegende Mehr­zahl der Menschen gilt dieser ausschließliche Beruf zum Gebetsleben nicht. Sie hielte ihn gar nicht aus. Darum kann es aber auch nicht heißen: Bete durch Arbeit, das heißt, zu beten brauchst du nicht, weil deine Arbeit hinreichendes Gebet ist. Das eben führt zu der irrigen Auffassung, daß die rein diesseitige Arbeitseinstellung für das Leben vollkommen genüge und daß Beten nur die Arbeit müßiger Leute fei.
Nein, beide Pole müssen in klarer Scheidung und Unter­scheidung gehalten werden, damit sie sich immer neu be­fruchtend einen können. Beides ist notwendig, Gebet und Arbeit im eigentlichen Sinne. Nur dann kann die Arbeit zum Gebet und das Gebet zur Arbeit werden, so daß mit beidem Gott gedient und sein heiliger Wille erfüllt werde, wie es der Christlichen Lebensordnung entspricht.
In der Geschichte vom reichen Jüngling hat der Herr für alle Zeit gesagt, wie groß die Gefahr des geteilten Dienstes zwischen Gott und Welt ist, wie sehr die Seele von den Lockungen des Reichtums und des Wohllebens bedroht ist und zu einer rein diesseitigen Gesinnung geführt wird: "Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als daß ein Reicher ins Himmelreich kommt. Bei den Menschen ist es unmöglich, nur bei Gott ist es möglich."
Das ist keine Verurteilung des Besitzes an sich, wie auch die Seligpreisung der Armut nicht die Besitzlosigkeit an sich als Ideal aufstellt. Es gibt Arme, die nur mit den Reichen die Rolle tauschen wollen und im Grunde Besitz und Genuß genau so als heimliche Götzen verehren, wie die verhaßten Wohlhabenden. Und es gibt Reiche oder Vermögende, die als gute Verwalter ihren Besitz im Sinne des göttlichen Eigentümers verwenden und in keiner Weise ihre Seele daran hängen. In der Verbindung mit Gott ist das durchaus möglich, wie auch Armut in christlichem Geist getragen wer­den kann und dann erst die Seligpreisung verdient.
Jesus zielt, wie immer, auf die Gesinnung und mahnt, die irdischen Güter und Arbeiten nicht als Selbstzweck zu betrachten und zu vergötzen, als ob sie ewig währten, sondern nur als Mittel zu dem eigentlichen höheren Zweck des ewigen Lebens zu benützen. Damit aber hat er aller Kultur­arbeit den größten Dienst geleistet, denn die Ku1tur der Seele ist die eigentliche Seele der Kultur. Sein Wort befolgen, heißt Gott dienen und unsere Welt­aufgabe aufs beste erfüllen. Wir müssen wieder die innere Ablösung von den irdischen Gütern lernen, damit wir sie wirklich beherrschen können.
III.
Damit beantwortet sich auch die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von Christentum und Vollmenschentum, vom Heiligen und Helden, die heute vielfach aufgeworfen wird und hinter der Frage nach dem Verhältnis von Gottes­dienst und Weltaufgabe steht. Rademacher hat das in seinem Buche "Religion und Leben" (Freiburg 1926) in ausgezeichneter Weise geklärt, so daß wir es nicht besser sagen können. Ich zitiere deshalb die Hauptstellen und weise zugleich auf das Buch selbst hin, das leider viel zu wenig Beachtung gefunden hat: Im Leben Jesu finden wir weltzugewandte Züge genug, um feststellen zu können, daß er nicht ein grundsätzlicher Gegner der Welt war. Er konnte es schon darum nicht sein, weil die Welt das Werk seines Vaters und der Schauplatz seiner Liebe und Großtaten war Wir sehen Jesus auch an weltlichen Veranstaltungen teilnehmen. Ein Welthasser hätte jede Gelegenheit wahrgenommen, seinen Gegensatz und Widerspruch gegen die Welt zum Ausdruck zu bringen. Jesus verbietet das Fasten nicht, sondern billigt es; aber er liebt nicht die finsteren Gesichte und rät den Fastern, das Haupt zu salben und das Gesicht, zu waschen, um das Fasten vor den Menschen zu verbergen. Jesus ist kein Lebensverneiner. So liebevoll kann keiner von Dingen der Welt reden, wie Jesus es tut, wenn er sie in Grunde verachtet. Wenn Jesus von Obrigkeit, Macht, Staat und Herrschaft redet, dann geschieht es mit einer Gelassenheit, die den Gedanken gar nicht aufkommen läßt, daß er solche Werte als wesenhafte Hindernisse für den Heilsweg eingeschätzt hätte. Ein grundsätzlicher Weltverächter hätte es sich nicht versagt, seine abwehrende Haltung jedesmal zu bekunden.
"Darum ist auch der Heilige der heilige Diesseitsmensch. Dem heiligen Diesseitsmenschen ist das Christentum nicht etwas Eignes und Selbständiges neben dem Leben, noch umgekehrt das Leben etwas Eignes und Selbständiges neben dem Christentum, sondern das Leben ist ihm das Christen­tum und das Christentum ist ihm das Leben. Der Gedanke an die Verbindung von Christentum und edlem Menschen­tum war dem Mittelalter geläufig; uns ist er zum Problem geworden, nachdem die Einheit durch die Renaissance tatsächlich zerrissen worden ist und die Gegensätze sich reiben und stören. . . ."
"Der Heilige braucht seine Natur, das heißt das, was sein Menschentum ausmacht, nicht zu verleugnen, noch zu er­töten. Die Gnade vergewaltigt die Natur nicht und am wenigsten in ihren höchsten Auswirkungen. Sie macht kein Schema aus dem Heiligen. Der Heilige bewahrt sein Temperament, seine Leidenschaft, seine Anlagen und sein Vor­leben auch als Heiliger. Er sucht nur alles Unedle, das heißt Unnatürliche und Ungöttliche, das dem Gnadenwirken sich hindernd in den Weg stellt, aus seiner Natur herauszu­schaffen. Nicht das Außerordentliche in dem Sinne des Außernatürlichen macht den Heiligen. Außerordentlich ist nur die Treue in der Berufserfüllung und in der Liebe zu Gott und den Menschen. »Communia non communiter«, das Gewöhnliche in einer nichtgewöhnlichen Weise tun, ist nach dem heiligen Bernhard der Inbegriff christlicher Vollkom­menheit. Die Übung der Standestugenden, für die Männer Nüchternheit, Selbstbeherrschung und treue Vorsteherschaft in der Familie, für die Frauen Sorge für die Hausge­nossen, Liebesdienste an den Fremden und Erfüllung aller Mutterpflichten sind nach dem heiligen Paulus der Weg zur Heiligkeit. Das religiöse Ideal geht nicht neben dem sittlichen einher, sondern schließt es ein ....
"Der Heilige ist nicht ein Wesen ohne Fleisch und Blut, ohne Geschichte und innere Entwicklung, ohne Kämpfe und Probleme, gleichsam ein Wesen aus einer andern Welt; volle Heiligkeit setzt vielmehr volles Menschentum voraus, und volles Menschentum ist erst ganz geöffnet für die Entfaltung der Heiligkeit."


 
47.

ENTWEDER-ODER!

(Fünfzehnter Sonntag nach Pfingsten)

Die Gedanken des letzten Sonntags drängen weiter einer grundsätzlichen Entscheidung, zum Entweder-oder, hinter der Frage nach dem Verhältnis von Gottesdienst und Weltaufgabe steht. Diese Entscheidung ist zwar jeder Zeit aufgegeben, und ein jeder hat sie an seiner Stelle, für sich und seine Ewigkeit zu treffen. Aber in Zeiten des Kampfes stellt sich das Entweder-oder in besonderem Sinn und erhöhter Schärfe, und keiner kann der Entscheidung ausweichen: Für oder wider Gott, und das heißt für oder wider den christlichen Glauben und seine sittlichen Gebote - ohne Wenn und Aber, ohne Abschwächung oder Verschmierung der Gegensätze. Jetzt stehen wir vor diesem unerbittlichen Entweder-oder, bei dem es kein Entrinnen gibt. Sollen wir das beklagen? Niemand liebt und will den Kampf; aber wenn er uns mit Gottes Willen aufgezwungen wird, wenn Gott selber das Entweder-oder ftellt, damit endlich das Hinken nach beiden Seiten ein Ende werde, dann beklag wir uns nicht, sondern gehen mutig in die Entscheidung.

I.

Man hat versucht, das christliche Entweder-oder untragbar zu verschärfen und es bis zur Harmlosigkeit abzumilden. Mir scheint, das Letztere war das weitaus schlimmere Übel, weil es das Christentum seines Ernstes entkleidet und weltförmig gemacht hat, bis es zur bloßen Form geworden ist, die dann, beim nächsten Sturmwind des Unglaubens, in Staub sinken mußte. Das war die besondere Gefahr des bürgerlichen Zeitalters, daß man die Worte Christi in ihren entscheidenden Punkten überhaupt nicht ernst genommen und auf sich selber angewandt hat. Wer hat z.B. die Berg­predigt in ihrem erschütternden Ernst verstanden und die acht Seligkeiten an sich erfahren wollen und erfahren? Wer hat daran gedacht, daß das Wort des Herrn auf ihn An­wendung finden könne, der Knecht sei nicht über seinen Herrn und der Jünger nicht über den Meister, daß wir also buchstäblich Verfolgung bis aufs Blut zu gewärtigen haben, weil wir Christen find oder sein wollen? Wer hat es für möglich gehalten, daß er sein Leben einsetzen, Posten, Karriere und noch manches andere verlieren könne, um sein tieferes Selbst wahrhaft zu gewinnen? Wer hat sich zum Be­wußtsein gebracht, daß das Wort des Herrn ernst gemeint ist: "Wenn dein Auge dich ärgert, dann reiß es aus und wirf es weg - wenn deine Hand oder dein Fuß dich ärgert, hau sie ab und wirf sie weg; es ist besser mit einem Auge und mit einer Hand ins Leben einzugehen, als mit zwei Augen und zwei Füßen in das höllische Feuer geworfen zu werden."
Das wurde alles so schön bildlich und uneigentlich ver­standen, daß damit überhaupt nicht Ernst gemacht zu werden brauchte. ja, wer hat wirklich an die jenseitige Welt geglaubt, die den ganzen Menschen in Anspruch nimmt und nehmen muß, wenn sie überhaupt da ist, und dann alle anderen Werte in sich umfaßt und unterordnet? Wer war wirklich innerlich überzeugt, daß er eine unsterbliche Seele hat und nach Hunderttausenden von Jahren leben wird, während der Leib mit all seinen Gütern und Lockungen längst vergangen ist? Wie anders hätte er dann für die Seele und die ewigen Güter sorgen müssen? Wie hätten sie im Mittelpunkt seines ganzen Sinnens und Trachtens gestanden! Wenn wir wirk­lich glaubten, daß Jesus im Allerheiligsten Sakrament zugegen ist und in der heiligen Kommunion unsere Speise werden will, wie ganz anders müßten wir da nach Ihm verlangen, für die Schönheit und Würde seines Hauses sorgen und in tiefster Ehrfurcht vor Ihn hintreten! Mit dem Munde wurde das alles bekannt und auch theoretisch anerkannt, wurde "geglaubt", was man so glauben nennt, aber im Grunde wurde es doch nicht ernst genommen. Das Entweder-oder wurde überhaupt nicht empfunden oder zu einem Sowohl-als-auch umgebogen. Wir haben es uns leider großenteils selbst zuzuschreiben, wenn die Gegner des Christentums jetzt wider uns aufgestanden sind und sagen: Seht, wie sie einander lieben! Sie glauben selber nicht an das, was sie vorgeben.
Demgegenüber sagt der Herr, und die Kirche wiederholt es unaufhörlich: Niemand kann zwei Herren dienen. Entweder wird er den einen hassen und den andern lieben, oder er wird dem einen anhangen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon (Mt 6,24). Unter Mammon ist hier der Weltdienst im allgemeinen verstanden; nicht der Dienst in der Welt, sondern die Dienstbarkeit an der Welt, und zwar der Welt als einer gottfeindlichen Macht, die Gottes Wahrheit und Gebote mit Füßen tritt und als Götze sich an Seine Stelle fetzen will. Der nächste Sinn des aramäischen Wortes Mammon - seine Herkunft ist unbekannt - bedeutet nach Hieronymus und Augustinus Geld, Habe, Vermögen; aber im Tieferen ist es der Exponent, der Ausdruck für alles rein irdische Streben, allen reinen Weltdienst, weil die irdischen Vergnügungen und Strebungen im Gelde ihr Mittel und ihren Stützpunkt haben. In dieser umfassenderen Bedeutung sagt also der Herr: Zwischen Gott und Welt muß der Christ sich entscheiden und wählen. "Es ist ein unerbittliches Entweder-oder, vor das die Jünger Jesu gestellt werden und das durch einen gleichnisartigen Spruch begründet wird. . . . Jesus stellt den Satz auf, daß es völlig unmöglich ist, nicht bloß untunlich oder gefährlich, zwei Herren zugleich dienen. Wir werden das Wort leicht verstehen, wenn wir die unerbittliche Strenge des Sklavenloses bei den Alten denken. Der Sklave ist ganz Sache seines Herrn geworden. ihm gehört sein Leben, seine Zeit, seine Kraft, sein Können. Bei dem Knechtsdienst, der den Menschen so völlig und rest­los mit Beschlag belegt, ist es ausgeschlossen, daß er außer­dem noch einem andern Herrn dienstbar wird. - Man darf auch nicht inhaltlich an dem scharfen Entweder-oder mäkeln und Abstriche machen und so dem Worte die Spitze abbrechen, deren Schärfe vom Herrn beabsichtigt ist. Jesus spricht vom Reichtum überhaupt, nicht bloß vom ungerecht erworbenen. Er macht auch nicht eine feine Unterscheidung zwischen Dienen und Besitzen, als wolle er sagen: Der Jünger dürfe Reichtum erwerben und besitzen, er dürfe sich nur nicht von ihm beherrschen lassen. Wie Jesus übe den Reichtum gedacht hat, in dem er mit vollem Recht eine große Gefahr für die Seele, ihre ewigen und wahren Aufgaben und Güter gesehen hat, das beweist sein Spruch von Kamel und Nadelöhr, das doch schließlich nichts andere sagt, als daß ein Reicher nur durch ein Wunder der Gnade Gottes gerettet werden kann.... Ist somit jeder Doppeldienst eine Unmöglichkeit, dann ist er es erst recht, wenn es sich um zwei Herren handelt, die so vollkommene Gegensätze darstellen, wie Gott und der Mammon. Seine Jünger müssen also von vornherein wissen, daß ihre Stellung zu Gott eine volle Absage an den Mammon bedeutet. Hier gibt es kein Hinken auf beiden Seiten; hier gibt es nur eine entschlossene und unzweideutige Entscheidung: Wer Gott dient, der muß notwendig den Mammon (die gottfeindlichen und christusfeindlichen Mächte) hassen, und wer dem Mammon (den Glaubensfeinden) dient oder sich von ihnen einfangen läßt, der muß notwendig Gott verachten und seinen Dienst vernachlässigen." (Tillmann.)
Von anderer Seite ist das Entweder-oder ungebührlich übertrieben worden, so daß die Kirche nur mehr eine esoterische Gemeinde von Helden und Heiligen wäre. Kiekegaard ist hier die repräsentative Gestalt, deren Bedeu­tung für die gegenwärtige Stunde nicht unterschätzt werden darf. Sein Anstoß war "das Christentum der Christenheit" im Gegensatz zum Christentum des Neuen Testamentes: "Wenn in diesen Zeiten der Pfarrer über Gott und Christus und die Ewigkeit predigt, so hört die Gemeinde zu wie ge­wöhnlich. Wenn er aber bloß sagt: In diesen Zeiten, jetzt, wo der Krieg . . . wuppdich! -, spitzt die Gemeinde die Ohren; das ist etwas, worüber zu predigen lohnt; man steht auf, um jedes Wort zu verstehen; die Damen nehmen die Hüte ab, damit ihnen nichts entgehe - aber was von Gott und Christus gesagt wird, damit nimmt man es nicht so genau. Die biblische Botschaft wird ja freilich verkündigt und angehört. Ein Heer predigender Pastoren ist in Funk­tion. Aber sie wird so ausgerichtet, daß die Menge der Men­schen schließlich gar nichts dabei denkt . . ., so daß das Höchste und Heiligste gar keinen Eindruck macht, sondern in den Ohren wie etwas klingt, das nun einmal, Gott weiß warum, wie so vieles andere Brauch und Sitte geworden ist.... Die Bibelerklärung der Mittelmäßigkeit erklärt und erklärt Christi Worte so lange, bis sie ihr Eigenes, das Geist­lose (Triviale) aus ihnen herausbekommt, und nun, da sie alle Schwierigkeiten entfernt hat, ist sie beruhigt und beruft sich auf Christi Wort.... Wir alle sind Christen, ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, was Christentum ist.... Daß nicht jeder Mann ein Genie ist, wird wohl jeder gerne einräumen. Daß aber ein Christ noch viel seltener ist als ein Genie - das hat man, spitzbübisch, ganz in Vergessenheit gebracht. Der Unterschied zwischen einem Genie und einem Christen liegt darin, daß das Genie das Außerordentliche auf dem Gebiete der natürlichen Begabung ist, wozu niemand sich machen kann. Der Christ aber ist das Außerordentliche (oder genauer gesagt: Das Ordentliche, das nur außerordent­lich selten ist) auf dem Gebiete der Freiheit, was jeder von uns sein sollte."
Kierkegaard will ganzes Christentum, mit dem Ernst des Lebens Jesu gefüllt und erfaßt, und seine Leidenschaft ist die absolute "Redlichkeit", die alles Vertuschen und Schönfärben verachtet und die "abgründige Kluft anerkennt, welche Kirche und offizielles Christentum von der apostolischen Predigt und der urchristlichen Gemeinde trennt". Daraus ist dann eine bittere Feindschaft gegen "das offizielle Christen­tum" entstanden; aber es ist verdächtig genug, daß gerade die Feinde des Christentums daraus die Folgerung gezogen haben, daß die Lehre Christi, wenn sie ernst genommen wird, doch Weltverneinung und Weltflucht fei, also für sie nicht in Betracht komme. "Taufende unserer sogenannten Gebil­deten lassen sich durch Tolstois Erzählungen, die das Ent­weder-oder ähnlich wie Kierkegaard übertreiben, an- und aufregen; aber im tiefsten Grunde find sie doch beruhigt und erfreut, denn nun wissen sie bestimmt, daß es sie nichts an­geht. Mit Recht find sie nämlich gewiß, daß ihnen diese Welt gegeben ist, um sich innerhalb ihrer Güter und Ordnungen zu bewähren. Verlangt das Christentum etwas anderes, so ist seine Widernatürlichkeit erwiesen." (Harnack.)
II.
Die Kirche hält zwischen beiden Extremen die schöpferische Mitte. Sie hält einerseits an der Unerbittlichkeit des Entweder-oder fest und lebt es in ihren Heiligen immer wieder so vor, daß auch die größten Eiferer davor die Fahne senken müssen. Was ist das Leben eines Tolstoi oder Kierke­gaard gegen das unserer Heiligen in allen Ständen und Formen der menschlichen Existenz! Kierkegaard war ehrlich genug, sich selber keinen Christen zu nennen, aber das Christentum der Heiligen vorbehaltlos als christlich anzuerkennen. Aber wodurch wurden sie heilig, wenn nicht in der Gemein­schaft des Leibes Christi, der Kirche? - Auf der andern Seite behält sie aber auch die Menschenwirklichkeit im Auge und weiß sich, gegen die Eiferer aller Zeiten, als die Kirche der Völker, nicht bloß der Helden und Heiligen. Gerade zu den Kranken und Sündern ist sie gesandt wie der Herr, und ihre Aufgabe ist es, den glimmenden Docht nicht auszulö­schen und das geknickte Rohr nicht zu zertreten. Sie weiß auch weiterhin, daß der Mensch in diese Welt gestellt ist, um in und an ihr sein Heil zu wirken und die Gemeinschaft heiligen zu helfen.
Beides hält die Kirche gleichermaßen fest, nicht um die Gegensätze zu verschmieren und schließlich doch ein Sowohl-als-auch daraus zu machen, sondern sie stellt beide in die urgegebene Polarität des Daseins und So­seins, unter der alles Geschaffene steht. Das Ideal bleibt als unerbittliche Forderung über jeder Menschenwirklichkeit stehen, und jeder hat in seiner individuellen Lage und mit seinen persönlichen Kräften das Ideal bestmöglich in sich zu verkörpern. Immer neu wird die Entscheidung für Gott verlangt, so daß der Gottesdienst alle Weltarbeit durch­dringt und die Weltarbeit zu echtem Gottesdienst wird. Das ist kein Sowohl-als-auch, sondern die letzte Erfüllung des Entweder-oder, in dem die beiden Pole, Ideal und Menschen­wirklichkeit, stets in klarer Scheidung und Unterscheidung stehen und sich immer wieder auf neuer Ebene in neuen Auf­gaben befruchten und einen. Denn das Ideal kann nur in der Menschenwirklichkeit selbst wirklich werden, und die Men­schenwirklichkeit kann nur in der Ausrichtung nach dem Ideal, in der unerbittlichen Entscheidung ihrer Vollendung entgegenreifen.
So verbindet die Kirche Strenge und Milde zu lebendiger Einheit und wird dadurch der menschlichen Existenz wie dem christlichen Anspruch in gleicher Weise gerecht. Sie bejaht einerseits die Notwendigkeit der Weltarbeit, wie kein philosophisches System der Welt sie klarer bejahen kann. ja, wir müssen alle Kraft einfetzen, um uns in der Welt zu be­haupten, um die Familie vorwärts zu bringen und unserm Volk zu dienen. Kapital muß sein, damit die Wirtschaft sich entfalten kann und die Arbeiter Verdienstmöglichkeit haben. Und weil Kapital sein muß, darum ist auch das Streben danach notwendig und erlaubt. - Sie bejaht auch die Lebens­freude und die weitere Tatsache, daß die Menschen in ihrer Mehrzahl auf die kleinen Freuden und Würzen des Lebens nicht verzichten können. Einzelne Heilige mögen es aus ihrer natürlichen Veranlagung und einer übernatürlichen Kraftquelle tun. Die große Mehrzahl der Menschen kann es nicht; auch nicht ein einzelner Stand. Heroische Lebens­führung kann niemals von der Masse der Menschen oder von einem zahlreichen Stande gefordert werden. Das muß heute gegenüber aller Predigt des Heroismus mit aller Festigkeit betont werden, und wenn das Christentum die heroische Forderung in diesem Sinne stellte, dann könnte es nur eine Religion für die ganz Wenigen, für Ausnahmeseelen sein; die große Masse der Menschheit aber wäre sich selbst und dem Verderben überlassen. Gerade das aber hat die Kirche immer aufs schärfste abgelehnt und betont, daß sie die Heim­- und Heilsstätte aller ist, die guten Willens find; aller, die auch mit geringerer Kraft, in den Notwendigkeiten des Lebens stehend, ihr Heil wirken wollen; gestiftet von der barmherzigen Liebe, die allen alles werden will und jeden an seinem Orte, in seinen besonderen Verhältnissen, mit der Gnade Gottes beseligen möchte.
Damit aber gibt sie den Anspruch des Entweder-oder nicht auf, sondern erfüllt ihn erst recht im Umfang der Menschen­möglichkeiten. Man darf nur die Worte des Heilandes nicht aus dem lebendigen Zusammenhang, aus der Situation herausnehmen, in die sie gesprochen find, und dann absolut setzen, so daß sie ihren eigentlichen Sinn verlieren. "Wahr­heiten können", wie ein Schriftsteller unserer Zeit einmal gemeint hat, "nur miteinander leben; eine allein stirbt. Wenn man seinen Blick ausschließlich auf eine Wahrheit richtet, ist sie in Gefahr, sofort zur Unwahrheit zu werden." Die Wurzel aller Häresie liegt darin, daß sie eine Wahrheit isoliert und absolut fetzt; nicht darin, daß sie keine Wahr­heit enthielte. Aber daß sie eine Wahrheit einseitig und aus­schließlich sieht und - mit Pascal zu reden - die entgegen­gefetzte Wahrheit übersieht, das ist ihr Unrecht und ihr Unglück, und der moderne Mensch ist in seiner Neigung zur Abstraktion und in der Loslösung aus dem lebendigen Zusammenhang der Kirche dieser Gefahr besonders ausge­setzt. Daraus entstehen all die Schwierigkeiten, die aller­orten gegen den Glauben aufstehen.
Aber Gottes Worte heben sich nicht gegenseitig auf. Das erste Gotteswort an die Menschen bleibt bestehen: "Seid fruchtbar, mehret euch, erfüllet die Erde und machet sie euch untertan!" (Gen 1, 28.) Dieser erste Auftrag des Schöpfers an die Menschheit ist im Neuen Bunde nicht aufgehoben, sondern ist für den Christen genauso verpflichtend, wie das Entweder-oder. Das Christentum ist also grundsätzlich das Gegenteil von Weltstucht und Lebensverneinung.
Eine positive Anweisung, wie dieser erste Gottesauftrag zu erfüllen fei, brauchte Jesus nicht zu geben. Wer das Wesentliche, die Arbeit am inneren Menschen, zu predigen hat, braucht das, was an sich schon in überreichem Maße geschieht, nicht noch eigens einzuschärfen. Er mußte die Gegenseite betonen. Aber seine Worte dürfen nur im Zusammen­hang des Lebens Jesu und in der Besonderheit seiner Mission und seiner Zeit verstanden werden; nicht um Abstriche zu machen und Schärfen abzuschleifen, sondern um die ganze, lebendige Wahrheit zu erfassen.
III.
Heute haben die Fragen nach dem Sinn des Entweder-oder eigentlich keinen Platz mehr. Klare Entscheidung ist das besondere Gebot dieser Stunde. jetzt muß gehandelt, ja oder Nein zu Gott und seiner Offenbarung gesagt werden.
Jetzt heißt es zunächst bekennen, nach dem Worte des Herrn: "Wer mich vor den Menschen bekennt, den werde ich auch vor meinem Vater bekennen, und wer mich vor den Menschen verleugnen wird, den werde ich auch vor meinem Vater verleugnen, der im Himmel ist" (Lk 12, 8). Da kann nicht gefragt werden: Nütze oder schade ich mir mit meinem Bekenntnis. Das ist eine Frage der bürgerlichen Zeit, in der eine solche Entscheidung nicht nötig war. Jetzt aber, wo die Alternative gestellt ist, da gibt es kein Sowohl-als-auch. Da muß sich zeigen, ob wir Gott oder der Welt dienen; ob wir an Gott glauben wollen oder nicht. Es kann auch nicht gefragt werden: Wie kann ich mich an der Entscheidung vor­beidrücken, indem ich nur scheinbar meinen Glauben verleugne, um meinen Posten nicht zu verlieren; im Inneren will ich ihm desto treuer anhängen und im Geheimen ihn fördern. Das ist nicht die Klugheit der Kinder Gottes, sondern der Kinder dieser Welt. Es ist Unwahrhaftigkeit und Feigheit zugleich, die der Christ niemals klug nennen kann. Schon in der alten Kirche haben das viele versucht. Der heilige Zyprian hat sie die "Zettelmänner" (libellatici) genannt. In Wirklichkeit haben sie den Götzen nicht geopfert, aber sich durch Bestechung von den untergeordneten Beamten die Bescheinigung auf einem Zettel ausstellen lassen, daß sie geopfert hätten. Diese Schlauheit der Überklugen hat die Kirche genau so abgelehnt, wie sie das wirkliche Opfer vor den Götzen verurteilt hat. Es mag sein, daß das Geschlecht der "Zettelmänner", die in ihrer Art sich auch heute am Entweder-oder vorbreidrücken wollen, nicht ausgestorben ist. Sie mögen wissen, daß sie sich von denen, die offen ab­gefallen find, nicht wesentlich unterscheiden und weder der Anforderung des Christentums, noch seiner Feinde gerecht geworden find.
Niemand wird natürlich eine solche Entscheidung von sich aus suchen und sein Brot mutwillig aufs Spiel fetzen. Auch für Vorposten und zweitrangige Werte kann das nicht ver­langt werden, sondern nur für den höchsten Wert, für Gott und seinen Glauben. Da aber muß die Entscheidung klar und ohne Wanken sein. - Der große Lordkanzler Thomas Morus hat dafür das herrlichste Beispiel gegeben. Bis zum äußersten hat er seine staatsbürgerlichen Pflichten erfüllt, in loyaler Treue seinem König gedient und sogar dessen Wunsch, keine große Rede auf dem Schaffott zu halten, willig entsprochen. Er hat auch alles vermieden, was den Gegnern Anlaß geben konnte, ihn einer staatsfeindlichen Gesinnung zu zeihen. Aber vor die letzte Gewissensentscheidung gestellt, die Oberhoheit der Kirche in England dem König oder dem Papst zuzuerkennen, war er unbeugfam, obwohl die Mehrheit der englischen Bischöfe schwach geworden ist und seine Frau ihn mit Berufung auf dieses Beispiel zur Nachgiebigkeit bestürmt hat.
Frage nicht: was nützt es, wenn ich den Kopf hinhalte, die andern es aber nicht? - An dich ist heute das Ent­weder-oder gestellt. Du mußt dich nach deinem Gewissen entscheiden. Kein Mensch auf der Welt kann dir deine Ver­antwortung abnehmen. An ihr allein hängt deiner Seele Seligkeit. - Aber seit wann fragt der Tapfere, was die andern tun? Heißt das nicht, wie in der bürgerlichen Zeit: "Hannemann, geh du voran"? In aller Welt nennt man das Feigheit. Kein Soldat, der auf Tapferkeit Anspruch macht, sieht im Kriege zuerst nach den andern. Er tut seine Pflicht, und die Unerschrockenheit seines Mutes wirkt dann befeuernd auch auf die andern. Warum soll es im Kampfe um Gott und Christentum anders sein? Ist das nicht wieder ein heimlicher Unglaube an Gott und die ewigen Dinge? -Heute gilt doch die Tapferkeit im bürgerlichen Leben zuhöchst, und Heldensinn wird überall gepredigt. Das ist gut so, wenn es ernst gemeint ist. jetzt ist die Zeit starker und tapferer Entscheidung für den Christen gekommen. Jetzt muß es sich zeigen, ob du deiner Religion wert bist, die zwar von Tapferkeit nie viel geredet, aber sie praktisch geübt und verlangt hat. Sich drücken oder sich ducken wollen ist heute Verrat, genau wie im Kriege die Drückeberger in der Stunde der Gefahr als Feiglinge und Verräter gegolten haben.
Wohl, für den Erfolg wäre es besser, wenn möglichst viele ein offenes Bekenntnis wagten und die Bedrückung auf sich nähmen, die vielleicht mit dem christlichen Bekenntnis ver­bunden ist. Gegenüber einer starken Front wahrhaft gläubiger Christen würde vielleicht manche Maßnahme oder Forderung unterlassen. Aber du sollst eben durch deine klare und sichere Haltung stärkend auf deine Brüder und Schwestern einwirken und so die christliche Front erbreitern helfen. Der Einzelne muß seine Pflicht tun, wie es dem Tapferen geziemt, als ob er ganz allein stände. Dann erst wird das christliche Entweder-oder wirklich erfüllt, und dann wird auch das Fähnlein der Aufrechten von selber wachsen.
Aber auch wenn der Getreuen nur wenige find, was bedeutet das für dich? Ist dann dein Opfer umsonst? War nicht das Blut der Martyrer in der Urkirche der Same neuer Christen? Hat nicht der Opfertod eines Thomas Morus und John Fischer die Taufende von Katholiken befeuert, daß sie ihrem Glauben treu blieben und den Samen des katholischen Glaubens über die langen Schreckensjahre hinübergerettet haben, so daß er im vorigen Jahrhundert wie ein zweiter Frühling (vgl. Newmans herrliche Predigt über den "zweiten Frühling") aufgehen konnte? Kein Mensch weiß, welche Schicksale unserer Kirche in Europa beschieden find; aber sicher ist, daß kein Opfer vergebens gebracht, kein tapferer Einsatz umsonst ist, auch wenn im Augenblick alles umsonst scheint. Darin erst werden wir dem Herrn ähnlich, der durch seinen Tod und die äußere Niederlage die Welt erlöst und die Sünde überwunden hat. "Das ist der Sieg, der die Welt überwindet, unser Glaube, . . . daß Jesus der Sohn Gottes ist", und daß wir das Leben finden nur in Seinem Namen, Seinem Kreuz und Seiner Auferstehung (1 Joh 5,4f).
Für diesen Sieg sind wir aber nur dann recht gewappnet, wenn wir auch dem inneren Feind ein gleiches Entweder-oder entgegenstellen, der sündhaften Neigung in uns selbst, die immer wieder Gott und dem Teufel zugleich dienen will. Hier ist zu allererst eine klare Entscheidung nötig, und nur, wer sich lebenslang in dieser Entscheidung geübt hat, wird dem äußeren Feind gegenüber in der Stunde der Bewährung fest bleiben. Tag für Tag haben wir dazu die Gelegenheit, den heroischen Geist in uns zu pflegen und dem ewigen Versucher ein entschlossenes Nein entgegenzu­fetzen. Wer dazu nicht den Mut aufbringt und dauernd durch Übung sich stärkt, der kann gar nicht hoffen, im äußeren Entscheidungskampfe, der natürlich auch sehr innerlich ist, die Stärke zu einem entschlossenen Ja für Gott und Nein gegen die widerchristlichen Mächte aufzubringen.
Und um dazu innerlich emporzuwachsen, ist wiederum notwendig, daß wir den Glauben in seinem tieferen Gehalt in uns realisieren und seine Wahrheit immer lebendiger in uns aufnehmen. Was heißt es z.B., eine unsterbliche Seele haben? Nur wenn wir ernstlich daran glauben und begreifen, daß wir eine unsterbliche Seele haben, so wie Newman es in seiner berühmten Predigt über "Die Unsterblichkeit der Seele" (Ausgewählte Predigten, übersetzt von G. M. Dreves, Kösel-Kempten 1907, S. 91-100) gezeigt hat, werden wir auch die Kraft in uns aufwachsen fühlen, um den Lockungen der Sinne zu widerstehen und den Drohungen äußerer Feinde ein Nein entgegenzufetzen. "Der Gerechte lebt aus dem Glauben" und kann nur im Glauben siegen. Nur so ist das christliche Entweder-oder heute praktisch zu erfüllen.


[Zurück zur KzM - Startseite]