[PRHL] Bekanntlich hält sich der deutsche Staat
für eine übergöttliche Instanz (s. z.B.
Kaiser
und Gott). Nicht mehr die göttlichen Gebote, sondern die menschliche
Beliebigkeit setzt die Normen fest, was erlaubt und was verboten, was richtig
und was falsch ist. In seinem unermüdlichen Kampf gegen Gott und die
Kirche wendet der deutsche Staat hyperdrakonische Zwangsmaßnahmen
an, um die Christen auszuschalten; am liebsten ist dem Staat wahrscheinlich,
wenn der Christ sich unterwirft und damit in gewisser Weise aufhört,
Christ zu sein (wenngleich der Taufcharakter unauslöschlich ist),
aber es hat wohl auch so seine Reize, einen Christen öffentlich zu
demütigen und zu zerbrechen.
Zur Ehrenrettung des Staates muss man einräumen,
dass er den Christen die Möglichkeit lässt, auf das Bekenntnis
des wahren Glaubens vollständig zu verzichten, den Staat öffentlich
als den einzigen Gott zu propagieren und so weiteren hyperdrakonischen
Zwangsmaßnahmen zu engehen. Redeker bot uns an, eine Unterlassungserklärung
zu unterschreiben, Ink, Pilger und Schwill boten uns an, eine Verzichtserklärung
zu schreiben, und außer ein paar tausend Mark wären wahrscheinlich
keine weiteren Kosten auf uns zugekommen. Diesen verlorenen Betrag hätten
wir möglicherweise bereits innerhalb von zwei Jahren wieder einnehmen
können, dem Gefängnis und dem Hungertod wären wir möglicherweise
entronnen.
Doch während sich Redeker, Ink, Pilger, Schwill
etc. nun so vorkommen könnten, als ob sie die Herrschaft Gottes überwunden
hätten, erscheinen sie uns doch nur als bedauernswerte Handlanger
des Teufels. Das ist zugegebenermaßen ein vorläufiges Urteil,
wir können nicht vor der Zeit richten, sondern sehen dem Jüngsten
Gericht entgegen. Sollte unsere Einschätzung aber zutreffen, dann
ist es für die Redeker etc. sehr angebracht, der Weisung Jesu zu folgen,
umzukehren und Buße zu tun.
Betrachtet man nämlich die Unterlassungserklärungen,
die uns von Redeker etc. abgenötigt wurden, im Licht der christlichen
Botschaft, dann stellen sie eine Nötigung zum Verrat an Christus dar.
Einer solchen Nötigung nachzugeben, bedeutet also, das ewige Heil
wegzuwerfen, und deshalb stellt auch die Nötigung an sich eine schwere
Sünde dar, womit sich Redeker etc. die Hölle verdient haben.
Damit uns niemand unterstellt, wir würden hier
Theorien verbreiten, die dem Christentum völlig fremd und sogar entgegengesetzt
sind, zitieren wir erneut aus dem Predigtbuch "Evangelium hier und heute.
Frage und Antwort. Zweiter Teil", Regensburg 1937, von M. Laros (s.
Evangelium
hier und heute). Insbesondere die Ausführungen über die "Zettelmänner"
("libellatici") lassen sich – wie wir meinen - ausgezeichnet auf die gegenwärtige
Situation in Deutschland übertragen, doch der geneigte Leser möge
selbst den Text prüfen.
Interessant dürften die beiden Predigten aber
auch für diejenigen sein, die sich als Maxime gesetzt haben, nur so
lange katholisch zu sein, wie es keiner merkt, und die sofort dem Glauben
abzuschwören bereit sind, wenn der Staat sie dazu nötigt. Wir
haben erklärt, wir wollen bis zum letzten Atemzug beim Bekenntnis
des katholischen Glaubens bleiben, sei es auch in Verfolgung und Not. Diese
Haltung ist aber nur denjenigen verständlich, die sich nicht durch
die Lockungen dieser Welt verblenden lassen. Wer sich nicht Tag für
Tag in Gebet und Opfer übt, der wird spätestens dann sich von
Gott verabschieden, wenn eine Grundsatzentscheidung gefragt ist, also z.B.
wenn der Staat den Bürger vor die Wahl stellt, entweder den Staat
anzubeten und in Frieden zu leben, oder aber den Staat nicht anzubeten
und nicht in Frieden zu leben.
Dieses "Leben in Frieden", was der Staat zu bieten
hat, ist aber im Grunde völlig armselig und sinnentleert, in dieser
Erdenzeit bringt es schon bald nur Ekel und Überdruss, und schließlich
gibt es nur die Aussicht, nach dem Tod in Hölle zu kommen. Dann schon
lieber hier auf Erden quasi durch die Hölle gehen, aber immer in der
Gemeinschaft mit Gott ein sinnerfülltes Leben zu führen, für
das die ewige Freude im Himmel verheißen ist.
46.
GOTTESDIENST UND WELTAUFGABE
(Vierzehnter Sonntag nach Pfingsten)
"Niemand kann zwei Herren dienen." - Aber müssen
wir es nicht? Ist das Geld nicht notwendig, um des Lebens Notdurft zu fristen,
und ist nicht auch Kapital notwendig, um den heutigen Anforderungen der
Wirtschaft zu genügen? Sind wir nicht in die Welt gestellt, um mit
Aufbietung aller Kräfte unsern irdischen Beruf zu erfüllen? Muß
nicht gerade heute die Sorge und die angestrengteste Arbeit sein, um unseren
Posten in der Volksgemeinschaft zu erfüllen? Wie ist uns der Lebensraum
beschnitten! Sind die Fragen nach Kleidung, Wohnung, Nahrung nicht
die ersten und letzten, die uns heute beschäftigen müssen, wenn
wir unsere Pflichten gegen die Familie erfüllen wollen? - Aber auch
abgesehen von der gegenwärtigen Notzeit, verdanken wir nicht gerade
der diesseitigen Lebenseinstellung, der Liebe und Sorge für den Leib
und das irdische Leben den Fortschritt menschlicher Kultur und Technik-
Sind nicht die meisten Erfindungen aus einer tiefen Erdenliebe und Daseinsfreude
geboren? Entspringt nicht der Trieb und die Kraft zu allem Fortschritt
dem hingebenden Dienst am Leben auf dieser Erde? Wo wäre die Menschheit
hingekommen, wenn sie nach den Vögeln des Himmels und den Lilien des
Feldes gesehen und danach gehandelt hätte? Ist dieses Evangelium nicht
heute doch überholt?
Diese Fragen werden heute vielfach aufgeworfen und
verwirren die Geister, obwohl man doch ein Ohr für die poetische
Feinheit und tiefe Lebenskenntnis haben sollte, die in diesem Evangelium
steckt. Die Fragen zielen alle am Sinn der Worte Jesu vorbei. Was sie Richtiges
sagen wollen, wird im Evangelium nicht geleugnet, und was das Evangelium
behauptet, hebt nicht die richtige Erkenntnis auf, die in diesen Fragen
steckt. Gottesdienst und Weltaufgabe schließen sich nicht aus,
sondern ein. Der Dienst an Gott muß sich in der Aufgabe an der
Welt und in der Welt bewähren und entfalten, und die irdische Aufgabe
wird nur in der höheren Einstellung auf Gott und unser ewiges Ziel
voll erfüllt. - Gottesdienst ist nicht allein Beten, und die Weltaufgabe
ist nicht allein irdisches Arbeiten. Beten und Arbeiten gehören innerlich
zusammen und sollen sich gegenseitig durchdringen und auf die volle Höhe
des Menschentums und Christentums führen.
Was will der Herr sagen, und was will er nicht sagen?
Er will nicht sagen, daß wir das irdische Leben gering schätzen
sollen und nicht ernstlich dafür zu sorgen brauchen. Wie sollte er
das, da doch Gott selbst uns dieses Leben mit seinen Gütern, Freuden
und Leiden gegeben hat? Er hat uns doch als Vater auch in die gegenwärtige
Notzeit kommen lassen, und was will er anders, als daß wir uns darin
aufs beste wehren?
Er will auch nicht sagen, daß wir nicht zur
Entfaltung und Gestaltung dieses Lebens in Kultur, Schönheit und Freude
alle Kräfte einfetzen sollen. Hat Gott nicht selber der Menschheit
in der Morgenstunde ihres Lebens den großen Auftrag erteilt,
die Erde zu beherrschen und sich dienstbar zu machen? Der Mensch erfüllt
also Gottes direkten Auftrag nur, wenn er in rastloser Kulturarbeit, an
welchem Posten er stehen mag, immer strebend sich bemüht, und alle
Erfindungen, so großartig sie sein mögen und wer immer sie gemacht
hat, sind mit seinem Willen und Segen gemacht.
Erst recht will der Herr nicht sagen, daß
wir im Vertrauen auf Gott warten sollen, bis Küche und Keller sich
von selber füllen, oder daß wir, wie die Vögel des Himmels,
von der Arbeit und dem Überfluß anderer leben dürfen. Wenn
er das meinte, dann wäre sein Evangelium in der Tat keine frohe Botschaft
für die Starken, Gesunden, Arbeitsfrohen, Werteschaffenden, sondern
nur für eine lebensmüde Gesellschaft, deren innere Lebensform
Anspruchslosigkeit und Ergebung, schwächliches Dulden und Verzichten
und ein schwaches Hoffen auf das Gottesreich von oben ist.
So hat David Strauß, alte Klagen zusammenfassend,
das Christentum beurteilt, und es ist seltsam, wie seine liberalen Gedanken
auch in der neuen Zeit und ihren Lobrednern immer wiedererstehen. Ich will
eine Stelle hersetzen und frage, ob sie nicht in allen möglichen Zeitungen
und Zeitschriften dieser Tage zu lesen ist: "Das Evangelium hat keinen
rechten Sinn und keinen wirklichen Segen für die berufsmäßige
Pflege der Arbeit, für den Fortschritt im Wissen und Können,
für das Ringen um Erkenntnis und Verwertung der Naturkräfte.
Wer waren denn die großen Erfinder und kühnen Entdecker? Was
haben die Männer der Kirche und ihre gläubigen Vertreter,
was hat vor allem die kirchliche Einstellung zum diesseitigen Leben für
die großen Errungenschaften der Neuzeit getan? . . . Nur ein uraltes
heiliges Vorurteil läßt das Evangelium dem modernen Geist immer
noch als verehrungswürdig erscheinen. In Wirklichkeit ist es
keine frohe Botschaft für die Gefunden und Starken, sondern nur ein
milder Trost für eine dahinfterbende Gefellschaft. Wir wollen kein
Evangelium der lebensmüden Dekadenz, sondern des arbeits- und zukunftsfrohen
Kulturfortschrittes."
Aber das ist alles nur ein elementares Mißverständnis
und eine Einseitigkeit, die heute wirklich überwunden sein sollte.
Sehen wir denn nicht an dem blutenden Wirtschaftskörper der ganzen
Kulturmenschheit, wohin die rein irdische Gesinnung des modernen Menschen
im ganzen Umkreis des Lebens, in Politik, Wirtschaft und Kultur uns alle
gebracht hat? Wie hat die absolute Seligpreisung von Kultur, Arbeit, Besitz
und Genuß die Menschheit innerlich arm und freudlos gemacht! Ist
die Gefahr, vor der der Herr so eindringlich warnt, nicht furchtbar in
Erfüllung gegangen, und erfüllt sie sich nicht noch heute erschreckend
vor unsern Augen?
Nicht Gottesdienst und Weltarbeit sind ausschließende
Gegensätze, sondern nur die Vergötzung von Geld und Gut,
Arbeit und Besitz. Gott und der Götze Mammon, dem man wie ein Sklave
um seiner selbst willen dient, das sind unvereinbare Feinde. Diesen beiden
Herren kann man nicht zugleich dienen, nachdem Gott einmal gesprochen hat:
Ich
bin der Herr, dein Gott." Da gibt es kein Sowohl-als-auch, das eine tun
und das andere nicht lassen, sondern nur ein unerbittliches Entweder-oder.
Wir können nicht unser ganzes Sinnen und Trachten nur auf Besitz
und Erwerb, Ehre und Macht, Karriere und Wohlleben richten, als ob es unser
ein und alles, unser Gott und unser Ziel wäre, und außerdem
da drüben noch ewiges Leben mit Gott erben. Wir können nicht
sonntags Gott und werktags dem Mammon und allem, was damit zusammenhängt,
anbetend dienen. Gebet und Arbeit gehören vielmehr zusammen. Berufsarbeit,
Schaffen und Wirken auf dieser Erde und an ihren Aufgaben soll Gottesdienst
sein, und Gott dienen heißt sich in und an den Weltaufgaben bewähren.
II.
Hier aber steigt die praktische Frage auf: Wie verbinde
ich beide? Wo finde ich den rechten Ausgleich? Darin liegt ja die Gefahr,
daß der notwendige Dienst an den Aufgaben dieser Welt zum Selbstzweck
wird. Sparsamkeit wird leicht von selbst zum Geiz, Fleiß und Erwerbsfreude
zur Habgier und Raffsucht, wie andererseits auch Gelassenheit leicht zur
Schlampigkeit und Gebefreude leicht zur Verschwendung wird.
Jawohl, Maß und Mitte zu halten ist für
den Menschen das Schwerste. Aber dafür ist sein Leben gerade in die
Urpolarität gestellt, in der immer zwei entgegengefetzte Pole sich
gegenseitig anziehen und doch wieder in Schranken halten und gegenseitig
befruchten. Die Losung kann nur heißen: Bete und arbeite,
beides in echter Polspannung. Es heißt nicht: Bete durch Arbeit;
dein Gebet sei deine Arbeit, Arbeit ist das beste Gebet. Es heißt
auch nicht: Arbeite durch Gebet; Beten ist die beste Arbeit. Für einzelne
mag, in der Arbeitsteilung des Reiches Gottes die Berufung zu einem beschaulichen
Orden vor allem das Gebet verlangen, so daß diejenigen, die dort
eintreten, durch ein reines Leben des Gebetes des Lobes und des Dankes
gegen Gott in harter Buße das ersetzen, was die übrige Menschheit
in Genuß und Arbeit vergißt oder zu kurz kommen läßt.
Es ist ein Ersatz für dasjenige, was die irrenden Brüder
und Schwestern an Gebet und Gottesdienst fehlen lassen. Verkleinert oder
schmähet mir darum diese Menschen nicht! Sie haben eine wichtige Funktion
in dem großen Haushalt der Kirche. In der Gemeinschaft der Heiligen
vertreten sie in einem heroischen Leben des Gebetes und der Buße,
was ihr in eurer irdischen Gesinnung verabsäumt. Aber für die
überwiegende Mehrzahl der Menschen gilt dieser ausschließliche
Beruf zum Gebetsleben nicht. Sie hielte ihn gar nicht aus. Darum kann es
aber auch nicht heißen: Bete durch Arbeit, das heißt, zu beten
brauchst du nicht, weil deine Arbeit hinreichendes Gebet ist. Das eben
führt zu der irrigen Auffassung, daß die rein diesseitige Arbeitseinstellung
für das Leben vollkommen genüge und daß Beten nur die Arbeit
müßiger Leute fei.
Nein, beide Pole müssen in klarer Scheidung
und Unterscheidung gehalten werden, damit sie sich immer neu befruchtend
einen können. Beides ist notwendig, Gebet und Arbeit im eigentlichen
Sinne. Nur dann kann die Arbeit zum Gebet und das Gebet zur Arbeit werden,
so daß mit beidem Gott gedient und sein heiliger Wille erfüllt
werde, wie es der Christlichen Lebensordnung entspricht.
In der Geschichte vom reichen Jüngling hat
der Herr für alle Zeit gesagt, wie groß die Gefahr des geteilten
Dienstes zwischen Gott und Welt ist, wie sehr die Seele von den Lockungen
des Reichtums und des Wohllebens bedroht ist und zu einer rein diesseitigen
Gesinnung geführt wird: "Es ist leichter, daß ein Kamel durch
ein Nadelöhr geht, als daß ein Reicher ins Himmelreich kommt.
Bei den Menschen ist es unmöglich, nur bei Gott ist es möglich."
Das ist keine Verurteilung des Besitzes an sich,
wie auch die Seligpreisung der Armut nicht die Besitzlosigkeit an sich
als Ideal aufstellt. Es gibt Arme, die nur mit den Reichen die Rolle tauschen
wollen und im Grunde Besitz und Genuß genau so als heimliche Götzen
verehren, wie die verhaßten Wohlhabenden. Und es gibt Reiche oder
Vermögende, die als gute Verwalter ihren Besitz im Sinne des göttlichen
Eigentümers verwenden und in keiner Weise ihre Seele daran hängen.
In der Verbindung mit Gott ist das durchaus möglich, wie auch Armut
in christlichem Geist getragen werden kann und dann erst die Seligpreisung
verdient.
Jesus zielt, wie immer, auf die Gesinnung und mahnt,
die irdischen Güter und Arbeiten nicht als Selbstzweck zu betrachten
und zu vergötzen, als ob sie ewig währten, sondern nur als Mittel
zu dem eigentlichen höheren Zweck des ewigen Lebens zu benützen.
Damit aber hat er aller Kulturarbeit den größten Dienst
geleistet, denn die Ku1tur der Seele ist die eigentliche Seele der Kultur.
Sein Wort befolgen, heißt Gott dienen und unsere Weltaufgabe
aufs beste erfüllen. Wir müssen wieder die innere Ablösung
von den irdischen Gütern lernen, damit wir sie wirklich beherrschen
können.
III.
Damit beantwortet sich auch die grundsätzliche
Frage nach dem Verhältnis von Christentum und Vollmenschentum, vom
Heiligen und Helden, die heute vielfach aufgeworfen wird und hinter der
Frage nach dem Verhältnis von Gottesdienst und Weltaufgabe steht.
Rademacher
hat das in seinem Buche "Religion und Leben" (Freiburg 1926) in ausgezeichneter
Weise geklärt, so daß wir es nicht besser sagen können.
Ich zitiere deshalb die Hauptstellen und weise zugleich auf das Buch selbst
hin, das leider viel zu wenig Beachtung gefunden hat: Im Leben Jesu finden
wir weltzugewandte Züge genug, um feststellen zu können, daß
er nicht ein grundsätzlicher Gegner der Welt war. Er konnte es schon
darum nicht sein, weil die Welt das Werk seines Vaters und der Schauplatz
seiner Liebe und Großtaten war Wir sehen Jesus auch an weltlichen
Veranstaltungen teilnehmen. Ein Welthasser hätte jede Gelegenheit
wahrgenommen, seinen Gegensatz und Widerspruch gegen die Welt zum Ausdruck
zu bringen. Jesus verbietet das Fasten nicht, sondern billigt es; aber
er liebt nicht die finsteren Gesichte und rät den Fastern, das Haupt
zu salben und das Gesicht, zu waschen, um das Fasten vor den Menschen zu
verbergen. Jesus ist kein Lebensverneiner. So liebevoll kann keiner von
Dingen der Welt reden, wie Jesus es tut, wenn er sie in Grunde verachtet.
Wenn Jesus von Obrigkeit, Macht, Staat und Herrschaft redet, dann geschieht
es mit einer Gelassenheit, die den Gedanken gar nicht aufkommen läßt,
daß er solche Werte als wesenhafte Hindernisse für den Heilsweg
eingeschätzt hätte. Ein grundsätzlicher Weltverächter
hätte es sich nicht versagt, seine abwehrende Haltung jedesmal zu
bekunden.
"Darum ist auch der Heilige der heilige Diesseitsmensch.
Dem heiligen Diesseitsmenschen ist das Christentum nicht etwas Eignes und
Selbständiges neben dem Leben, noch umgekehrt das Leben etwas Eignes
und Selbständiges neben dem Christentum, sondern das Leben ist ihm
das Christentum und das Christentum ist ihm das Leben. Der Gedanke
an die Verbindung von Christentum und edlem Menschentum war dem Mittelalter
geläufig; uns ist er zum Problem geworden, nachdem die Einheit durch
die Renaissance tatsächlich zerrissen worden ist und die Gegensätze
sich reiben und stören. . . ."
"Der Heilige braucht seine Natur, das heißt
das, was sein Menschentum ausmacht, nicht zu verleugnen, noch zu ertöten.
Die Gnade vergewaltigt die Natur nicht und am wenigsten in ihren höchsten
Auswirkungen. Sie macht kein Schema aus dem Heiligen. Der Heilige bewahrt
sein Temperament, seine Leidenschaft, seine Anlagen und sein Vorleben
auch als Heiliger. Er sucht nur alles Unedle, das heißt Unnatürliche
und Ungöttliche, das dem Gnadenwirken sich hindernd in den Weg stellt,
aus seiner Natur herauszuschaffen. Nicht das Außerordentliche
in dem Sinne des Außernatürlichen macht den Heiligen. Außerordentlich
ist nur die Treue in der Berufserfüllung und in der Liebe zu Gott
und den Menschen. »Communia non communiter«, das Gewöhnliche
in einer nichtgewöhnlichen Weise tun, ist nach dem heiligen Bernhard
der Inbegriff christlicher Vollkommenheit. Die Übung der Standestugenden,
für die Männer Nüchternheit, Selbstbeherrschung und treue
Vorsteherschaft in der Familie, für die Frauen Sorge für die
Hausgenossen, Liebesdienste an den Fremden und Erfüllung aller
Mutterpflichten sind nach dem heiligen Paulus der Weg zur Heiligkeit. Das
religiöse Ideal geht nicht neben dem sittlichen einher, sondern schließt
es ein ....
"Der Heilige ist nicht ein Wesen ohne Fleisch und
Blut, ohne Geschichte und innere Entwicklung, ohne Kämpfe und Probleme,
gleichsam ein Wesen aus einer andern Welt; volle Heiligkeit setzt vielmehr
volles Menschentum voraus, und volles Menschentum ist erst ganz geöffnet
für die Entfaltung der Heiligkeit."
47.
ENTWEDER-ODER!
(Fünfzehnter Sonntag nach Pfingsten)
Die Gedanken des letzten Sonntags drängen weiter
einer grundsätzlichen Entscheidung, zum Entweder-oder, hinter der
Frage nach dem Verhältnis von Gottesdienst und Weltaufgabe steht.
Diese Entscheidung ist zwar jeder Zeit aufgegeben, und ein jeder hat sie
an seiner Stelle, für sich und seine Ewigkeit zu treffen. Aber in
Zeiten des Kampfes stellt sich das Entweder-oder in besonderem Sinn und
erhöhter Schärfe, und keiner kann der Entscheidung ausweichen:
Für oder wider Gott, und das heißt für oder wider den christlichen
Glauben und seine sittlichen Gebote - ohne Wenn und Aber, ohne Abschwächung
oder Verschmierung der Gegensätze. Jetzt stehen wir vor diesem unerbittlichen
Entweder-oder, bei dem es kein Entrinnen gibt. Sollen wir das beklagen?
Niemand liebt und will den Kampf; aber wenn er uns mit Gottes Willen aufgezwungen
wird, wenn Gott selber das Entweder-oder ftellt, damit endlich das Hinken
nach beiden Seiten ein Ende werde, dann beklag wir uns nicht, sondern gehen
mutig in die Entscheidung.
I.
Man hat versucht, das christliche Entweder-oder
untragbar zu verschärfen und es bis zur Harmlosigkeit abzumilden.
Mir scheint, das Letztere war das weitaus schlimmere Übel, weil es
das Christentum seines Ernstes entkleidet und weltförmig gemacht hat,
bis es zur bloßen Form geworden ist, die dann, beim nächsten
Sturmwind des Unglaubens, in Staub sinken mußte. Das war die besondere
Gefahr des bürgerlichen Zeitalters, daß man die Worte Christi
in ihren entscheidenden Punkten überhaupt nicht ernst genommen und
auf sich selber angewandt hat. Wer hat z.B. die Bergpredigt in ihrem
erschütternden Ernst verstanden und die acht Seligkeiten an sich erfahren
wollen und erfahren? Wer hat daran gedacht, daß das Wort des Herrn
auf ihn Anwendung finden könne, der Knecht sei nicht über
seinen Herrn und der Jünger nicht über den Meister, daß
wir also buchstäblich Verfolgung bis aufs Blut zu gewärtigen
haben, weil wir Christen find oder sein wollen? Wer hat es für
möglich gehalten, daß er sein Leben einsetzen, Posten, Karriere
und noch manches andere verlieren könne, um sein tieferes Selbst wahrhaft
zu gewinnen? Wer hat sich zum Bewußtsein gebracht, daß
das Wort des Herrn ernst gemeint ist: "Wenn dein Auge dich ärgert,
dann reiß es aus und wirf es weg - wenn deine Hand oder dein Fuß
dich ärgert, hau sie ab und wirf sie weg; es ist besser mit einem
Auge und mit einer Hand ins Leben einzugehen, als mit zwei Augen und zwei
Füßen in das höllische Feuer geworfen zu werden."
Das wurde alles so schön bildlich und uneigentlich
verstanden, daß damit überhaupt nicht Ernst gemacht zu
werden brauchte. ja, wer hat wirklich an die jenseitige Welt geglaubt,
die den ganzen Menschen in Anspruch nimmt und nehmen muß, wenn sie
überhaupt da ist, und dann alle anderen Werte in sich umfaßt
und unterordnet? Wer war wirklich innerlich überzeugt, daß er
eine unsterbliche Seele hat und nach Hunderttausenden von Jahren leben
wird, während der Leib mit all seinen Gütern und Lockungen längst
vergangen ist? Wie anders hätte er dann für die Seele und die
ewigen Güter sorgen müssen? Wie hätten sie im Mittelpunkt
seines ganzen Sinnens und Trachtens gestanden! Wenn wir wirklich glaubten,
daß Jesus im Allerheiligsten Sakrament zugegen ist und in der heiligen
Kommunion unsere Speise werden will, wie ganz anders müßten
wir da nach Ihm verlangen, für die Schönheit und Würde seines
Hauses sorgen und in tiefster Ehrfurcht vor Ihn hintreten! Mit dem Munde
wurde das alles bekannt und auch theoretisch anerkannt, wurde "geglaubt",
was man so glauben nennt, aber im Grunde wurde es doch nicht ernst genommen.
Das Entweder-oder wurde überhaupt nicht empfunden oder zu einem Sowohl-als-auch
umgebogen. Wir haben es uns leider großenteils selbst zuzuschreiben,
wenn die Gegner des Christentums jetzt wider uns aufgestanden sind und
sagen: Seht, wie sie einander lieben! Sie glauben selber nicht an das,
was sie vorgeben.
Demgegenüber sagt der Herr, und die Kirche
wiederholt es unaufhörlich: Niemand kann zwei Herren dienen.
Entweder
wird er den einen hassen und den andern lieben, oder er wird dem
einen anhangen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen
und dem Mammon (Mt 6,24). Unter Mammon ist hier der Weltdienst im allgemeinen
verstanden; nicht der Dienst in der Welt, sondern die Dienstbarkeit an
der Welt, und zwar der Welt als einer gottfeindlichen Macht, die Gottes
Wahrheit und Gebote mit Füßen tritt und als Götze sich
an Seine Stelle fetzen will. Der nächste Sinn des aramäischen
Wortes Mammon - seine Herkunft ist unbekannt - bedeutet nach Hieronymus
und Augustinus Geld, Habe, Vermögen; aber im Tieferen ist es der Exponent,
der Ausdruck für alles rein irdische Streben, allen reinen Weltdienst,
weil die irdischen Vergnügungen und Strebungen im Gelde ihr Mittel
und ihren Stützpunkt haben. In dieser umfassenderen Bedeutung sagt
also der Herr: Zwischen Gott und Welt muß der Christ sich entscheiden
und wählen. "Es ist ein unerbittliches Entweder-oder, vor das die
Jünger Jesu gestellt werden und das durch einen gleichnisartigen Spruch
begründet wird. . . . Jesus stellt den Satz auf, daß es völlig
unmöglich ist, nicht bloß untunlich oder gefährlich,
zwei Herren zugleich dienen. Wir werden das Wort leicht verstehen, wenn
wir die unerbittliche Strenge des Sklavenloses bei den Alten denken. Der
Sklave ist ganz Sache seines Herrn geworden. ihm gehört sein
Leben, seine Zeit, seine Kraft, sein Können. Bei dem Knechtsdienst,
der den Menschen so völlig und restlos mit Beschlag belegt, ist
es ausgeschlossen, daß er außerdem noch einem andern Herrn
dienstbar wird. - Man darf auch nicht inhaltlich an dem scharfen Entweder-oder
mäkeln und Abstriche machen und so dem Worte die Spitze abbrechen,
deren Schärfe vom Herrn beabsichtigt ist. Jesus spricht vom Reichtum
überhaupt, nicht bloß vom ungerecht erworbenen. Er macht auch
nicht eine feine Unterscheidung zwischen Dienen und Besitzen, als wolle
er sagen: Der Jünger dürfe Reichtum erwerben und besitzen, er
dürfe sich nur nicht von ihm beherrschen lassen. Wie Jesus übe
den Reichtum gedacht hat, in dem er mit vollem Recht eine große Gefahr
für die Seele, ihre ewigen und wahren Aufgaben und Güter gesehen
hat, das beweist sein Spruch von Kamel und Nadelöhr, das doch schließlich
nichts andere sagt, als daß ein Reicher nur durch ein Wunder der
Gnade Gottes gerettet werden kann.... Ist somit jeder Doppeldienst eine
Unmöglichkeit, dann ist er es erst recht, wenn es sich um zwei Herren
handelt, die so vollkommene Gegensätze darstellen, wie Gott und der
Mammon. Seine Jünger müssen also von vornherein wissen, daß
ihre Stellung zu Gott eine volle Absage an den Mammon bedeutet. Hier gibt
es kein Hinken auf beiden Seiten; hier gibt es nur eine entschlossene und
unzweideutige Entscheidung: Wer Gott dient, der muß notwendig den
Mammon (die gottfeindlichen und christusfeindlichen Mächte) hassen,
und wer dem Mammon (den Glaubensfeinden) dient oder sich von ihnen einfangen
läßt, der muß notwendig Gott verachten und seinen Dienst
vernachlässigen." (Tillmann.)
Von anderer Seite ist das Entweder-oder ungebührlich
übertrieben worden, so daß die Kirche nur mehr eine esoterische
Gemeinde von Helden und Heiligen wäre. Kiekegaard ist hier
die repräsentative Gestalt, deren Bedeutung für die gegenwärtige
Stunde nicht unterschätzt werden darf. Sein Anstoß war "das
Christentum der Christenheit" im Gegensatz zum Christentum des Neuen Testamentes:
"Wenn in diesen Zeiten der Pfarrer über Gott und Christus und die
Ewigkeit predigt, so hört die Gemeinde zu wie gewöhnlich.
Wenn er aber bloß sagt: In diesen Zeiten, jetzt, wo der Krieg . .
. wuppdich! -, spitzt die Gemeinde die Ohren; das ist etwas, worüber
zu predigen lohnt; man steht auf, um jedes Wort zu verstehen; die Damen
nehmen die Hüte ab, damit ihnen nichts entgehe - aber was von Gott
und Christus gesagt wird, damit nimmt man es nicht so genau. Die biblische
Botschaft wird ja freilich verkündigt und angehört. Ein Heer
predigender Pastoren ist in Funktion. Aber sie wird so ausgerichtet,
daß die Menge der Menschen schließlich gar nichts dabei
denkt . . ., so daß das Höchste und Heiligste gar keinen Eindruck
macht, sondern in den Ohren wie etwas klingt, das nun einmal, Gott weiß
warum, wie so vieles andere Brauch und Sitte geworden ist.... Die Bibelerklärung
der Mittelmäßigkeit erklärt und erklärt Christi Worte
so lange, bis sie ihr Eigenes, das Geistlose (Triviale) aus ihnen
herausbekommt, und nun, da sie alle Schwierigkeiten entfernt hat, ist sie
beruhigt und beruft sich auf Christi Wort.... Wir alle sind Christen, ohne
auch nur eine Ahnung davon zu haben, was Christentum ist.... Daß
nicht jeder Mann ein Genie ist, wird wohl jeder gerne einräumen. Daß
aber ein Christ noch viel seltener ist als ein Genie - das hat man, spitzbübisch,
ganz in Vergessenheit gebracht. Der Unterschied zwischen einem Genie und
einem Christen liegt darin, daß das Genie das Außerordentliche
auf dem Gebiete der natürlichen Begabung ist, wozu niemand sich machen
kann. Der Christ aber ist das Außerordentliche (oder genauer gesagt:
Das Ordentliche, das nur außerordentlich selten ist) auf dem
Gebiete der Freiheit, was jeder von uns sein sollte."
Kierkegaard will ganzes Christentum, mit dem Ernst
des Lebens Jesu gefüllt und erfaßt, und seine Leidenschaft ist
die absolute "Redlichkeit", die alles Vertuschen und Schönfärben
verachtet und die "abgründige Kluft anerkennt, welche Kirche und offizielles
Christentum von der apostolischen Predigt und der urchristlichen Gemeinde
trennt". Daraus ist dann eine bittere Feindschaft gegen "das offizielle
Christentum" entstanden; aber es ist verdächtig genug, daß
gerade die Feinde des Christentums daraus die Folgerung gezogen haben,
daß die Lehre Christi, wenn sie ernst genommen wird, doch Weltverneinung
und Weltflucht fei, also für sie nicht in Betracht komme. "Taufende
unserer sogenannten Gebildeten lassen sich durch Tolstois Erzählungen,
die das Entweder-oder ähnlich wie Kierkegaard übertreiben,
an- und aufregen; aber im tiefsten Grunde find sie doch beruhigt und erfreut,
denn nun wissen sie bestimmt, daß es sie nichts angeht. Mit
Recht find sie nämlich gewiß, daß ihnen diese Welt gegeben
ist, um sich innerhalb ihrer Güter und Ordnungen zu bewähren.
Verlangt das Christentum etwas anderes, so ist seine Widernatürlichkeit
erwiesen." (Harnack.)
II.
Die Kirche hält zwischen beiden Extremen die
schöpferische Mitte. Sie hält einerseits an der Unerbittlichkeit
des Entweder-oder fest und lebt es in ihren Heiligen immer wieder so vor,
daß auch die größten Eiferer davor die Fahne senken müssen.
Was ist das Leben eines Tolstoi oder Kierkegaard gegen das unserer
Heiligen in allen Ständen und Formen der menschlichen Existenz! Kierkegaard
war ehrlich genug, sich selber keinen Christen zu nennen, aber das Christentum
der Heiligen vorbehaltlos als christlich anzuerkennen. Aber wodurch wurden
sie heilig, wenn nicht in der Gemeinschaft des Leibes Christi, der
Kirche? - Auf der andern Seite behält sie aber auch die Menschenwirklichkeit
im Auge und weiß sich, gegen die Eiferer aller Zeiten, als die Kirche
der Völker, nicht bloß der Helden und Heiligen. Gerade zu den
Kranken und Sündern ist sie gesandt wie der Herr, und ihre Aufgabe
ist es, den glimmenden Docht nicht auszulöschen und das geknickte
Rohr nicht zu zertreten. Sie weiß auch weiterhin, daß der Mensch
in diese Welt gestellt ist, um in und an ihr sein Heil zu wirken und die
Gemeinschaft heiligen zu helfen.
Beides hält die Kirche gleichermaßen
fest, nicht um die Gegensätze zu verschmieren und schließlich
doch ein Sowohl-als-auch daraus zu machen, sondern sie stellt beide in
die urgegebene Polarität des Daseins und Soseins, unter
der alles Geschaffene steht. Das Ideal bleibt als unerbittliche Forderung
über jeder Menschenwirklichkeit stehen, und jeder hat in seiner individuellen
Lage und mit seinen persönlichen Kräften das Ideal bestmöglich
in sich zu verkörpern. Immer neu wird die Entscheidung für Gott
verlangt, so daß der Gottesdienst alle Weltarbeit durchdringt
und die Weltarbeit zu echtem Gottesdienst wird. Das ist kein Sowohl-als-auch,
sondern die letzte Erfüllung des Entweder-oder, in dem die beiden
Pole, Ideal und Menschenwirklichkeit, stets in klarer Scheidung und
Unterscheidung stehen und sich immer wieder auf neuer Ebene in neuen Aufgaben
befruchten und einen. Denn das Ideal kann nur in der Menschenwirklichkeit
selbst wirklich werden, und die Menschenwirklichkeit kann nur in der
Ausrichtung nach dem Ideal, in der unerbittlichen Entscheidung ihrer Vollendung
entgegenreifen.
So verbindet die Kirche Strenge und Milde zu lebendiger
Einheit und wird dadurch der menschlichen Existenz wie dem christlichen
Anspruch in gleicher Weise gerecht. Sie bejaht einerseits die Notwendigkeit
der Weltarbeit, wie kein philosophisches System der Welt sie klarer bejahen
kann. ja, wir müssen alle Kraft einfetzen, um uns in der Welt zu behaupten,
um die Familie vorwärts zu bringen und unserm Volk zu dienen. Kapital
muß sein, damit die Wirtschaft sich entfalten kann und die Arbeiter
Verdienstmöglichkeit haben. Und weil Kapital sein muß, darum
ist auch das Streben danach notwendig und erlaubt. - Sie bejaht auch die
Lebensfreude und die weitere Tatsache, daß die Menschen in ihrer
Mehrzahl auf die kleinen Freuden und Würzen des Lebens nicht verzichten
können. Einzelne Heilige mögen es aus ihrer natürlichen
Veranlagung und einer übernatürlichen Kraftquelle tun. Die große
Mehrzahl der Menschen kann es nicht; auch nicht ein einzelner Stand. Heroische
Lebensführung kann niemals von der Masse der Menschen oder von
einem zahlreichen Stande gefordert werden. Das muß heute gegenüber
aller Predigt des Heroismus mit aller Festigkeit betont werden, und wenn
das Christentum die heroische Forderung in diesem Sinne stellte, dann könnte
es nur eine Religion für die ganz Wenigen, für Ausnahmeseelen
sein; die große Masse der Menschheit aber wäre sich selbst und
dem Verderben überlassen. Gerade das aber hat die Kirche immer aufs
schärfste abgelehnt und betont, daß sie die Heim- und Heilsstätte
aller ist, die guten Willens find; aller, die auch mit geringerer Kraft,
in den Notwendigkeiten des Lebens stehend, ihr Heil wirken wollen; gestiftet
von der barmherzigen Liebe, die allen alles werden will und jeden an seinem
Orte, in seinen besonderen Verhältnissen, mit der Gnade Gottes beseligen
möchte.
Damit aber gibt sie den Anspruch des Entweder-oder
nicht auf, sondern erfüllt ihn erst recht im Umfang der Menschenmöglichkeiten.
Man darf nur die Worte des Heilandes nicht aus dem lebendigen Zusammenhang,
aus der Situation herausnehmen, in die sie gesprochen find, und dann absolut
setzen, so daß sie ihren eigentlichen Sinn verlieren. "Wahrheiten
können", wie ein Schriftsteller unserer Zeit einmal gemeint hat, "nur
miteinander leben; eine allein stirbt. Wenn man seinen Blick ausschließlich
auf
eine Wahrheit richtet, ist sie in Gefahr, sofort zur Unwahrheit
zu werden." Die Wurzel aller Häresie liegt darin, daß sie eine
Wahrheit isoliert und absolut fetzt; nicht darin, daß sie keine Wahrheit
enthielte. Aber daß sie eine Wahrheit einseitig und ausschließlich
sieht und - mit Pascal zu reden - die entgegengefetzte Wahrheit übersieht,
das ist ihr Unrecht und ihr Unglück, und der moderne Mensch ist in
seiner Neigung zur Abstraktion und in der Loslösung aus dem lebendigen
Zusammenhang der Kirche dieser Gefahr besonders ausgesetzt. Daraus
entstehen all die Schwierigkeiten, die allerorten gegen den Glauben
aufstehen.
Aber Gottes Worte heben sich nicht gegenseitig auf.
Das erste Gotteswort an die Menschen bleibt bestehen: "Seid fruchtbar,
mehret euch, erfüllet die Erde und machet sie euch untertan!" (Gen
1, 28.) Dieser erste Auftrag des Schöpfers an die Menschheit ist im
Neuen Bunde nicht aufgehoben, sondern ist für den Christen genauso
verpflichtend, wie das Entweder-oder. Das Christentum ist also grundsätzlich
das Gegenteil von Weltstucht und Lebensverneinung.
Eine positive Anweisung, wie dieser erste Gottesauftrag
zu erfüllen fei, brauchte Jesus nicht zu geben. Wer das Wesentliche,
die Arbeit am inneren Menschen, zu predigen hat, braucht das, was an sich
schon in überreichem Maße geschieht, nicht noch eigens einzuschärfen.
Er mußte die Gegenseite betonen. Aber seine Worte dürfen
nur im Zusammenhang des Lebens Jesu und in der Besonderheit seiner
Mission und seiner Zeit verstanden werden; nicht um Abstriche zu machen
und Schärfen abzuschleifen, sondern um die ganze, lebendige Wahrheit
zu erfassen.
III.
Heute haben die Fragen nach dem Sinn des Entweder-oder
eigentlich keinen Platz mehr. Klare Entscheidung ist das besondere Gebot
dieser Stunde. jetzt muß gehandelt, ja oder Nein zu Gott und seiner
Offenbarung gesagt werden.
Jetzt heißt es zunächst bekennen, nach
dem Worte des Herrn: "Wer mich vor den Menschen bekennt, den werde ich
auch vor meinem Vater bekennen, und wer mich vor den Menschen verleugnen
wird, den werde ich auch vor meinem Vater verleugnen, der im Himmel ist"
(Lk 12, 8). Da kann nicht gefragt werden: Nütze oder schade ich mir
mit meinem Bekenntnis. Das ist eine Frage der bürgerlichen Zeit, in
der eine solche Entscheidung nicht nötig war. Jetzt aber, wo die Alternative
gestellt ist, da gibt es kein Sowohl-als-auch. Da muß sich zeigen,
ob wir Gott oder der Welt dienen; ob wir an Gott glauben wollen oder nicht.
Es kann auch nicht gefragt werden: Wie kann ich mich an der Entscheidung
vorbeidrücken, indem ich nur scheinbar meinen Glauben verleugne,
um meinen Posten nicht zu verlieren; im Inneren will ich ihm desto treuer
anhängen und im Geheimen ihn fördern. Das ist nicht die Klugheit
der Kinder Gottes, sondern der Kinder dieser Welt. Es ist Unwahrhaftigkeit
und Feigheit zugleich, die der Christ niemals klug nennen kann. Schon in
der alten Kirche haben das viele versucht. Der heilige Zyprian hat sie
die "Zettelmänner" (libellatici) genannt. In Wirklichkeit haben
sie den Götzen nicht geopfert, aber sich durch Bestechung von den
untergeordneten Beamten die Bescheinigung auf einem Zettel ausstellen lassen,
daß sie geopfert hätten. Diese Schlauheit der Überklugen
hat die Kirche genau so abgelehnt, wie sie das wirkliche Opfer vor den
Götzen verurteilt hat. Es mag sein, daß das Geschlecht der "Zettelmänner",
die in ihrer Art sich auch heute am Entweder-oder vorbreidrücken wollen,
nicht ausgestorben ist. Sie mögen wissen, daß sie sich von denen,
die offen abgefallen find, nicht wesentlich unterscheiden und weder
der Anforderung des Christentums, noch seiner Feinde gerecht geworden find.
Niemand wird natürlich eine solche Entscheidung
von sich aus suchen und sein Brot mutwillig aufs Spiel fetzen. Auch für
Vorposten und zweitrangige Werte kann das nicht verlangt werden, sondern
nur für den höchsten Wert, für Gott und seinen Glauben.
Da aber muß die Entscheidung klar und ohne Wanken sein. - Der große
Lordkanzler Thomas Morus hat dafür das herrlichste Beispiel
gegeben. Bis zum äußersten hat er seine staatsbürgerlichen
Pflichten erfüllt, in loyaler Treue seinem König gedient und
sogar dessen Wunsch, keine große Rede auf dem Schaffott zu halten,
willig entsprochen. Er hat auch alles vermieden, was den Gegnern Anlaß
geben konnte, ihn einer staatsfeindlichen Gesinnung zu zeihen. Aber vor
die letzte Gewissensentscheidung gestellt, die Oberhoheit der Kirche in
England dem König oder dem Papst zuzuerkennen, war er unbeugfam, obwohl
die Mehrheit der englischen Bischöfe schwach geworden ist und seine
Frau ihn mit Berufung auf dieses Beispiel zur Nachgiebigkeit bestürmt
hat.
Frage nicht: was nützt es, wenn ich den Kopf
hinhalte, die andern es aber nicht? - An dich ist heute das Entweder-oder
gestellt. Du mußt dich nach deinem Gewissen entscheiden. Kein Mensch
auf der Welt kann dir deine Verantwortung abnehmen. An ihr allein
hängt deiner Seele Seligkeit. - Aber seit wann fragt der Tapfere,
was die andern tun? Heißt das nicht, wie in der bürgerlichen
Zeit: "Hannemann, geh du voran"? In aller Welt nennt man das Feigheit.
Kein Soldat, der auf Tapferkeit Anspruch macht, sieht im Kriege zuerst
nach den andern. Er tut seine Pflicht, und die Unerschrockenheit
seines Mutes wirkt dann befeuernd auch auf die andern. Warum soll es im
Kampfe um Gott und Christentum anders sein? Ist das nicht wieder ein heimlicher
Unglaube an Gott und die ewigen Dinge? -Heute gilt doch die Tapferkeit
im bürgerlichen Leben zuhöchst, und Heldensinn wird überall
gepredigt. Das ist gut so, wenn es ernst gemeint ist. jetzt ist die Zeit
starker und tapferer Entscheidung für den Christen gekommen. Jetzt
muß es sich zeigen, ob du deiner Religion wert bist, die zwar von
Tapferkeit nie viel geredet, aber sie praktisch geübt und verlangt
hat. Sich drücken oder sich ducken wollen ist heute Verrat, genau
wie im Kriege die Drückeberger in der Stunde der Gefahr als Feiglinge
und Verräter gegolten haben.
Wohl, für den Erfolg wäre es besser, wenn
möglichst viele ein offenes Bekenntnis wagten und die Bedrückung
auf sich nähmen, die vielleicht mit dem christlichen Bekenntnis verbunden
ist. Gegenüber einer starken Front wahrhaft gläubiger Christen
würde vielleicht manche Maßnahme oder Forderung unterlassen.
Aber du sollst eben durch deine klare und sichere Haltung stärkend
auf deine Brüder und Schwestern einwirken und so die christliche Front
erbreitern helfen. Der Einzelne muß seine Pflicht tun, wie es dem
Tapferen geziemt, als ob er ganz allein stände. Dann erst wird das
christliche Entweder-oder wirklich erfüllt, und dann wird auch das
Fähnlein der Aufrechten von selber wachsen.
Aber auch wenn der Getreuen nur wenige find, was
bedeutet das für dich? Ist dann dein Opfer umsonst? War nicht das
Blut der Martyrer in der Urkirche der Same neuer Christen? Hat nicht der
Opfertod eines Thomas Morus und John Fischer die Taufende von Katholiken
befeuert, daß sie ihrem Glauben treu blieben und den Samen des katholischen
Glaubens über die langen Schreckensjahre hinübergerettet haben,
so daß er im vorigen Jahrhundert wie ein zweiter Frühling (vgl.
Newmans herrliche Predigt über den "zweiten Frühling") aufgehen
konnte? Kein Mensch weiß, welche Schicksale unserer Kirche in Europa
beschieden find; aber sicher ist, daß kein Opfer vergebens gebracht,
kein tapferer Einsatz umsonst ist, auch wenn im Augenblick alles umsonst
scheint. Darin erst werden wir dem Herrn ähnlich, der durch seinen
Tod und die äußere Niederlage die Welt erlöst und die Sünde
überwunden hat. "Das ist der Sieg, der die Welt überwindet, unser
Glaube, . . . daß Jesus der Sohn Gottes ist", und daß wir das
Leben finden nur in Seinem Namen, Seinem Kreuz und Seiner Auferstehung
(1 Joh 5,4f).
Für diesen Sieg sind wir aber nur dann recht
gewappnet, wenn wir auch dem inneren Feind ein gleiches Entweder-oder
entgegenstellen, der sündhaften Neigung in uns selbst, die immer wieder
Gott und dem Teufel zugleich dienen will. Hier ist zu allererst
eine klare Entscheidung nötig, und nur, wer sich lebenslang in dieser
Entscheidung geübt hat, wird dem äußeren Feind gegenüber
in der Stunde der Bewährung fest bleiben. Tag für Tag haben wir
dazu die Gelegenheit, den heroischen Geist in uns zu pflegen und dem ewigen
Versucher ein entschlossenes Nein entgegenzufetzen. Wer dazu nicht
den Mut aufbringt und dauernd durch Übung sich stärkt, der kann
gar nicht hoffen, im äußeren Entscheidungskampfe, der natürlich
auch sehr innerlich ist, die Stärke zu einem entschlossenen Ja für
Gott und Nein gegen die widerchristlichen Mächte aufzubringen.
Und um dazu innerlich emporzuwachsen, ist wiederum
notwendig, daß wir den Glauben in seinem tieferen Gehalt in
uns realisieren und seine Wahrheit immer lebendiger in uns aufnehmen. Was
heißt es z.B., eine unsterbliche Seele haben? Nur wenn wir ernstlich
daran glauben und begreifen, daß wir eine unsterbliche Seele haben,
so wie Newman es in seiner berühmten Predigt über "Die Unsterblichkeit
der Seele" (Ausgewählte Predigten, übersetzt von G. M. Dreves,
Kösel-Kempten 1907, S. 91-100) gezeigt hat, werden wir auch die Kraft
in uns aufwachsen fühlen, um den Lockungen der Sinne zu widerstehen
und den Drohungen äußerer Feinde ein Nein entgegenzufetzen.
"Der Gerechte lebt aus dem Glauben" und kann nur im Glauben siegen.
Nur so ist das christliche Entweder-oder heute praktisch zu erfüllen.