Der Eröffnungsvers des heutigen Sonntags ist aus dem Propheten
Isaias entnommen: "Laetare, Jerusalem" - "Freu dich, Jerusalem! Kommt alle
zusammen, die ihr es liebt; froh überlasst euch der Freude, die ihr
traurig waret; frohlocken sollet ihr und satt euch trinken an der Tröstung
Überfülle, die euch quillt."
Vom Brauchtum und von der Liturgie her ist dieser heutige Sonntag ein
Tag der Freude. Was das Brauchtum betrifft, so berichtet der Schott, dass
man sich in Rom mit Rosen beschenkte und dementsprechend dieser Sonntag
auch Rosensonntag genannt wird. In der Liturgie ist Blumenschmuck auf dem
Altar gestattet, der sonst in der Fastenzeit verboten ist, außerdem
darf der Priester ein rosarotes Messgewand tragen.
Wegen der zeitlichen und namentlichen Nähe des heutigen christlichen
Rosensonntags in der Fastenzeit zum heidnischen Rosenmontag in der Vorfastenzeit
sollte man sich über die fundamentalen Unterschiede zwischen beiden
Tagen im klaren sein. Der Rosenmontag ist Bestandteil der Karnevalszeit,
und Karneval ist, wie der Name bereits erkennen lässt, ein Fest für
den heidnischen Götzen Dionysos oder Bakchos, den Gott des Weines.
Zum Bakchoskult gehörten hemmungslose Fruchtbarkeitsriten; die Kultanhänger
verkleideten sich als Tiere und tanzten dabei um ihren Götzen, gezogen
auf einem Schiffskarren, lateinisch carrus navalis, davon abgeleitet Karneval.
Bei diesem heidnischen Fest ging es - wie beim Karneval - um eine gewisse
Art von Freude, eben die Ausgelassenheit, die das gesunde Maßhalten
mißachtet und im besinnungslosen Taumel bis zur Erschöpfung
versinkt. Alkohol und Unzucht waren zugleich Inhalt und Hilfsmittel für
diese Art von Freude.
Der Rosensonntag ist damit also nicht wirklich zu vergleichen. Hier
geht es um die Freude "an der Tröstung Überfülle", hier
geht es um die Freude daran, dass Gott den Menschen seine Gnade schenkt.
Unkontrollierter Alkoholmissbrauch und Unzucht haben hier keinen Platz.
Es geht nicht darum, dass der Mensch sich zum Vieh degradiert und sich
wie Vieh aufführt, es geht darum, dass man sich an der Gnade Gottes
erfreut und anderen etwa durch das Geschenk der Rose Wertschätzung
beweist. Dementsprechend braucht man sich auch nicht erst in einen hemmungslosen
Taumel hineinzusteigern, vielmehr ist ein wacher Verstand nötig, um
mit offenem Auge die Wohltaten dankbar zu erkennen, die Gott uns schenkt.
Und wenn man einer hochgeschätzten Persönlichkeit anlässlich
des heutigen Sonntags eine Rose schenkt, so sollte auch die Entscheidung
wohlüberlegt getroffen sein.
Ein Einwand mag lauten, dass die heutigen Zeiten doch nicht unbedingt
dazu einladen, sich froh der Freude zu überlassen und zu frohlocken.
Für den Heiden mag solch eine Weltsicht erklärlich sein, weswegen
er dann Hilfsmittel braucht, um sich kurzzeitig in eine bloß rauschhafte,
trügerische Freude zu versetzen. Für uns Christen hingegen gibt
es nicht nur keinen Grund, in Verzweiflung und Resignation zu versinken,
es gibt eben den Grund zur Freude, dass Gott sein Volk mit Gnade beschenkt.
Das heißt nicht, dass es nicht auch Momente der Traurigkeit geben
kann, aber die Trauer hat eben nicht das letzte Wort. Was könnte den
Menschen traurig machen? Vielleicht an erster Stelle der direkt erlittene
körperliche oder seelische Schmerz, ob nun aus Krankheit, aus Unfall,
aus Ungerechtigkeit; aber auch das Problem der eigenen Unzulänglichkeit,
das Scheitern an Aufgaben oder der häufige Fall in die Sünde;
dann auch das Leid in der Welt etwa bei Kriegen und Katastrophen, selbst
wenn man den betroffenen Personen weder örtlich noch verwandtschaftlich
nahe steht. Gerade angesichts all diesen Leides dürfen wir die göttliche
Tugend der Hoffnung nicht aufgeben, dürfen wir den Kampf gegen Ungerechtigkeit
nicht aufgeben, dürfen wir das Bemühen um ein Leben in der Freundschaft
mit Gott nicht aufgeben. Wir müssen aus dieser Freude leben, zu der
Jerusalem aufgerufen ist: "Freu dich, Jerusalem!"
Dann stellt sich natürlich die Frage: Wer ist Jerusalem? Die heutige
Lesung aus dem Galaterbrief spricht von dem Jerusalem des Alten Bundes
und dem Jerusalem des Neuen Bundes. Das Jerusalem des Alten Bundes ist
das irdische Jerusalem, das unter der Knechtschaft steht. Das Jerusalem
des Neuen Bundes ist das himmlische Jerusalem, das Reich Gottes, die Kirche,
die auf Erden noch in der Pilgerschaft ist und die im Himmel ihre Vollendung
findet. Das heutige Evangelium von der wunderbaren Brotvermehrung schließt
mit einer kurzen Darstellung, wie die Menge auf das Wunder reagiert: "Da
nun die Leute das Wunder sahen, das Jesus gewirkt hatte, sprachen sie:
'Dieser ist wahrhaft der Prophet, der in die Welt kommen soll!' Jesus aber
erkannte, daß sie kommen und Ihn mit Gewalt fortführen wollten,
um Ihn zum König zu machen. Er zog sich daher abermals auf den Berg
zurück, um allein zu sein."
Das irdische Jerusalem ist gefangen in rein irdischen Hoffnungen, es
träumt von einer politischen Herrschaft, krankt an überheblichem
Nationalstolz und verschließt die Augen vor dem eigentlichen Sinn
des Wirkens Jesu. Israel möchte einen politischen Herrschermessias,
und dieser politische Führer soll Israel die Weltherrschaft bringen.
Das Volk denkt daran, dass die Unterdrückung durch die römische
Besatzung ein Ende haben soll, aber es denkt nicht an den Ruf Christi zu
Umkehr und Buße. Später will das Volk vom Königtum Christi
nichts mehr wissen. Als Pilatus an das Volk die Frage stellt: "Euren König
soll ich kreuzigen", antworten die Hohepriester: "Wir haben keinen König
ausser dem Kaiser". Und wenn Pilatus auf dem Kreuz den Schuldtitel anbringen
lässt: "Jesus von Nazareth, der König der Juden", so tut er es,
um das jüdische Volk zu verhöhnen, und die Juden wollen ausdrücklich
nicht, dass Jesus als "König der Juden" bezeichnet wird.
So müssen wir den Sonntag Laetare mit seinem Aufruf "Freu dich,
Jerusalem!", als Aufruf sehen, uns von Verstrickungen in rein irdische
Dinge zu lösen. Wir dürfen nicht das Leben des irdischen Jerusalems
führen, dass sich in Knechtschaft befindet, wir sollen im himmlischen
Jerusalem leben, das frei ist vom alten Gesetz und das lebt im Gesetz der
Liebe. Politischer Herrscherwahn, übersteigertes Nationaldenken sind
Kennzeichen des irdischen Jerusalems, wir hingegen folgen dem König,
dessen Reich nicht von dieser Welt ist und der denen, die ihm folgen, die
Freude des Paradieses schenkt.
Deshalb können wir auch in schweren Zeiten den Aufruf vernehmen
und ihm folgen: "Freu dich, Jerusalem! Kommt alle zusammen, die ihr es
liebt; froh überlasst euch der Freude, die ihr traurig waret; frohlocken
sollet ihr und satt euch trinken an der Tröstung Überfülle,
die euch quillt." Amen.