Predigt am 28.12.2003

- Unschuldige Kinder, d II cl -
(Kirche zum Mitreden, 28.12.2003)
Offb 14,1-5; Mt 2,13-18

Am heutigen Fest der Unschuldigen Kinder wird von manchen Kreisen gerne auf die zahlreichen Abtreibungen hingewiesen, die seit Jahrzehnten massenweise und mit staatlicher Förderung in diesem unseren Lande stattfinden. So beschloss vor einigen Jahren eine Firma, jedes Jahr am 28. Dezember eine Viertelstunde lang die Glocken läuten zu lassen als eine Art "Demonstration gegen Abtreibungen". Was ist von diesem "Mahnläuten" zu halten?
Zunächst könnte es scheinen, als ob es letztlich um die gleiche Sache ginge: Kinder werden ermordet, in Bethlehem und in der Bundesrepublik. Aber die Unterschiede zwischen den Massenabtreibungen in Deutschland, denen jährlich ungefähr 300.000 Kinder zum Opfer fallen, und dem Kindermord in Bethlehem, dem vielleicht 20 Kinder zum Opfer fielen, sind doch recht erheblich. Der Evangelist Matthäus erinnert an das Wort aus dem Propheten Jeremias: "Ein Rufen hört man zu Rama, viel Weinen und Wehgeschrei: Rachel beweint ihre Kinder und läßt sich nicht trösten, denn sie sind nicht mehr." Wer beweint die Kinder, die durch Abtreibung getötet werden? In den seltensten Fällen weinen doch die Mütter über ihre toten Kinder, vielmehr sind es nicht selten die Mütter selbst, die die Ermordung ihrer Kinder ausdrücklich gewünscht oder wenigstens gebilligt haben. Die Unschuldigen Kinder sind Märtyrer, ihr Fest wurde bereits im 5. Jhd. gefeiert. Das Sterben der Kinder in Bethlehem war ein Sterben für Christus, ein Blutzeugnis, und die Kinder erfreuen sich der Seligkeit des Himmels. Die abgetriebenen Kinder hingegen haben üblicherweise gar keinen Bezug zu Christus, sie haben üblicherweise keine Taufe empfangen, d.h. sie sind noch mit der Erbsünde belastet. Die Theologen sprechen deshalb von einem eigenen Ort der ungetauften Kinder, dem Limbus. Während das Fegefeuer ein vorübergehender Zustand ist, ist der Limbus ein bleibender Zustand. Die Kinder im Limbus erlangen niemals die Seligkeit des Himmels. Sie sind jedoch frei von den Strafen der Hölle und besitzen eine natürliche Vollendung. Es mag also zunächst verwundern, dass ausgerechnet am Fest der Unschuldigen Kinder gegen Abtreibungen demonstriert wird, und sei es auch nur durch ein "Mahnläuten", wo es doch so grundlegende Unterschiede zwischen den Ereignissen in Betlehem und in der Bundesrepublik gibt. Blickt man hingegen etwas genauer hin, erkennt man in diesem Mahnläuten durchaus einen Grund. Die Gruppe, die da mahnläutet, zeichnet sich durch Handlungen und Lehren aus, die dem katholischen Glauben radikal zuwider sind. Die Lehre der katholischen Theologen über den Limbus wird von den Mahnläutern grundsätzlich abgelehnt. Weil die Lehre vom Limbus kein Dogma ist, meinen die Mahnläuter, man solle überhaupt nicht mehr vom Limbus sprechen. Dem ist zu entgegnen, dass die Lehre vom Limbus durchaus sinnvoll ist. Denn sie fügt sich gut in die Lehre von der Heilsnotwendigkeit der Taufe ein. Papst Innozenz III. legte ein Glaubensbekenntnis vor: "Wir billigen die Taufe der kleinen Kinder. Wir bekennen und glauben: wenn sie nach der Taufe sterben, bevor sie eine Sünde begehen, so werden sie gerettet. In der Taufe werden alle Sünden vergeben, die Erbsünde und die Sünden, die willentlich begangen sind" (NR 435). Dementsprechend hat die Kirche oft ihrem Wunsch Ausdruck gegeben, dass schon die kleinen Kinder getauft werden sollen, eben weil es die Erbschuld gibt. Von der Mahnläuter-Gruppe hingegen wird gerne versichert, dass auch die Ungetauften in den Himmel kommen, und fragt man die Mahnläuter, was denn mit der Lehre von der Erbsünde ist, erhält man die klare, wenngleich häretische Antwort: "Der Begriff der Erbsünde ist mißverständlich. Denn es wird dabei nichts 'vererbt'." Die katholische Lehre hingegen lautet: "Erbsünde ist die erbliche, wenn auch nicht persönliche Schuld der Nachkommen Adams, die in ihm gesündigt haben (Röm. 5, 12.), Verlust der Gnade und damit des ewigen Lebens, mit dem Hang zum Bösen, den jeder durch Gnade, Buße, Kampf, sittliches Streben zurückdrängen und überwinden muß." Also wollen die Mahnläuter die Unschuldigen Kinder und die abgetriebenen Kinder durchaus auf eine Stufe stellen, indem sie einerseits die Erbsünde leugnen und andererseits versichern, dass ungetaufte Abgetriebene die himmlische Seligkeit erlangen. Und wer die Fakten betrachtet, wird feststellen, dass die Mahnläuter nicht nur keine Gegner der Abtreibung sind, sondern energische Unterstützer der Abtreibung. Die Mahnläuter setzen sich aktiv für die Straffreiheit von Abtreibung ein, je nach Situation zwar auch mal ein wenig verdeckt, aber noch immer eindeutig. Dabei stören sich die Mahnläuter nicht im geringsten an der furchtbaren Schwere des Verbrechens, das eine Abtreibung ist, selbst wenn ein solches Lippenbekenntnis bisweilen abgegeben werden mag. Was zählt, ist die Realität, und was soll man davon halten, wenn hehre moralische Werte gepredigt werden, aber das Handeln im radikalen Gegensatz dazu steht? Das ist Heuchelei, bewusste Täuschung von Menschen, die oberflächlich genug sind, dass sie von der Wahrheit nichts wissen wollen.
Noch eine Anmerkung zum Ernst des heutigen Festes: Nur wenn das Fest der Unschuldigen Kinder auf einen Sonntag fällt, ist die Liturgie so wie bei anderen Märtyrerfesten auch, d.h. die liturgische Farbe ist Rot und das Gloria wird gebetet. Fällt das heutige Fest aber auf einen anderen Wochentag, ist die liturgische Farbe Violett, und das Gloria entfällt. Der Schott erklärt dazu: "Die Kirchenfarbe ist heute Violett (an Sonntagen Rot), die Farbe des Kummers und der Betrübnis; die Kirche fühlt gleichsam den Schmerz der bethlehemitischen Mütter nach, die ihre Kinder verloren haben. Deshalb versagt sie sich auch das Gloria, das sonst der Weihnachtszeit zu eigen ist." Also mitten in der Weihnachtsoktav ist gewissermaßen ein Tag des Kummers und der Betrübnis. Selbst in der Weihnachtsoktav dürfen wir nicht ganz vergessen, dass es im christlichen Leben auch Kummer und Betrübnis geben kann. Gott lässt es zu, dass Herodes die Anordnung des Kindermordes gibt, Gott lässt es zu, dass die Untergebenen des Herodes die Anordnung des Kindermordes ausführen. Immer wieder hat Gott es zugelassen, dass das Blut Unschuldiger vergossen wurde, und sehr, sehr oft war es die staatliche Obrigkeit, die damit äußerst schwere Schuld auf sich geladen hat. Wie verhalten wir uns, wenn wir selbst Zeugen oder gar Opfer staatlicher Verbrechen werden? Wie verhalten wir uns, wenn wir - und sei es auch am eigenen Leib - erfahren, wie der Staat seine Macht missbraucht und ganz bewusst gegen diejenigen vorgeht, die ihm die Grenzen seiner totalitären Willkür aufzeigen? Was wäre, wenn heute gerichtliche Verbote und Beschlüsse erlassen würden, die die Vernichtung des Christentums zum Ziel haben, so wie die Anordnung des Kindermordes durch Herodes die Vernichtung des göttlichen Kindes zum Ziel hatte? Die Vernichtung des Christentums wird nicht gelingen, so wie die Vernichtung des göttlichen Kindes nicht gelungen ist. Unschuldige Opfer wird es aber geben. Zeigen wir Christus also auch dann unsere Liebe, wenn dies mit großen Opfern verbunden ist, und sei es auch das Opfer unseres Lebens, damit wir dereinst teilhaben an der Freude des Himmels. Amen.

S. auch:
katholisch.net: Klageschrift und "Verurteilung"
Mundus vult decipi

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