Im Katechismus (Gasparri, 2, 120) steht zu lesen: "Der Heilige Geist
ist am Pfingsttag sichtbar auf die Apostel herabgekommen; er hat sie im
Glauben gestärkt und sie mit dem Reichtum der Gnade erfüllt,
damit sie das Evangelium verkündeten und die Kirche in der ganzen
Welt verbreiteten." Und das Tagesgebet am Pfingstsonntag lautet: "Gott,
Du hast am heutigen Tage die Herzen der Gläubigen durch Erleuchtung
des Hl. Geistes belehrt; gib uns durch denselben Geist wahre Weisheit und
beständige Freude durch Seinen Trost."
Wen erleuchtet der Hl. Geist? Erleuchtet er die Apostel und macht er
sie so zu Verkündern des Evangeliums, oder erleuchtet er die Gläubigen
und belehrt er sie quasi direkt? Oder wenn man es noch weiter überspitzen
möchte: Was ist richtig? Die Lehre des Katechismus, dass die Apostel
den Hl. Geist empfangen und deshalb die Kirche verbreiten, oder die Formulierung
des Tagesgebetes, dass die Herzen der Gläubigen durch Erleuchtung
des Hl. Geistes belehrt werden? In der Tat gibt es immer wieder Menschen,
die einen Gegensatz in diese beiden Aussagen hineininterpretieren möchten.
Nimmt man an, dass Christus die Apostel und deren Nachfolger, also die
Päpste und Bischöfe, zu Verkündern des Evangeliums bestimmt
hat, dann wird man nicht um die Anerkennung der katholischen Kirche herumkommen,
denn nur die katholische Kirche hat die ununterbrochene Tradition in der
Lehre und den Sakramenten. Trotzdem gibt es Abspaltungen von der Kirche.
Üblicherweise berufen sich diejenigen, die sich von der Kirche trennen,
dafür auf die Heilige Schrift. So gen. evangelisch-lutherische Christen
haben einmal eine Schrift gegen die katholische Kirche herausgegeben, in
der es u.a. heißt: "Wir nennen uns evangelische Christen, weil wir
der Lehre Christi, wie solche in der Heiligen Schrift enthalten ist, anhangen;
weil aber diese seligmachende Wahrheit nach langer Verborgenheit durch
den Dienst des seligen Dr. Martin Luther wieder ans Licht gebracht wurde,
darum nennen wir uns evangelisch - lutherische Christen." Wenn dem so wäre,
wie die evangelischen Christen es behaupten, warum hat dann Petrus am Pfingstfest
gepredigt und nicht einfach Bibeln verteilt? Mit welchem Recht kann man
Martin Luther als Autorität hinstellen, während man den Päpsten
jegliche Autorität abspricht? Wie kann man überhaupt von der
Bibel sprechen, wenn doch die katholische Kirche es war, die bestimmt hat,
welche Schriften zur Bibel gehören und welche nicht? Und wenn man
die Bibel liest, dann liest man eben, dass Christus den Aposteln den Heiligen
Geist verheißen hat, dass der Heilige Geist die Apostel erfüllt
und damit zur Verkündigung des Evangeliums und zur Ausbreitung der
Kirche angeleitet hat. Indem der Heilige Geist die Apostel in fremden Sprachen
zu den Menschen in Jerusalem sprechen lässt, zeigt er, dass er will,
dass die Apostel das Evangelium verkünden und dass die Menschen auf
die Worte der Apostel hören.
Der Heilige Geist wirkt auch in denen, die das Wort Gottes hören.
Der Heilige Geist schenkt die Gnade der Heiligung, er leitet die Menschen
zur Tugend an, er schenkt ihnen Trost und Kraft, das Ziel der ewigen Seligkeit
zu erreichen. Der Heilige Geist belehrt tatsächlich die Herzen der
Gläubigen, indem er sie erkennen lässt, dass die Worte der Kirche
die Worte der Wahrheit sind. Was Petrus am Pfingsttag zu den Menschen in
Jerusalem spricht, ist wahr. Was die Kirche in den Dogmen lehrt, ist wahr.
Der Heilige Geist erleuchtet die Gläubigen, dass sie auf die Worte
der Kirche hören, dass sie in den Worten der Kirche die Wahrheit erkennen
und sie befolgen. Es gibt da also keineswegs einen Widerspruch zwischen
Glaubensverkündigung durch die kirchliche Obrigkeit einerseits und
Glaubenserkenntnis bei den Gläubigen anderseits. Vielmehr ist dies
die grundsätzliche Ordnung, dass der Glauben durch Verkündigung
und nicht durch direkte Erleuchtung empfangen und weitergegeben wird.
Nun ist es aber offensichtlich so, dass die Glaubensverkündigung
nicht immer die Glaubensannahme zur Folge hat. Auch wenn die Pfingstrede
des Petrus viele zur Kirche führt, so gibt es doch einige Zeugen des
Sprachenwunders, die über die Apostel spotten: "Sie sind voll süßen
Weines." Nach der Verteidigungsrede des Paulus vor Agrippa ruft Festus:
"Du bist von Sinnen, Paulus. Das viele Wissen bringt dich um den gesunden
Verstand". Nach der Rede vom guten Hirten sagen viele Juden über Christus:
"Er ist vom Teufel besessen und von Sinnen" (Joh 10,21). Und die Heilige
Schrift warnt immer auch vor den falschen Propheten, so schreibt Paulus
einmal über seine Gegner: "diese Leute sind Lügenapostel, hinterlistige
Arbeiter, die sich als Apostel Christi ausgeben. Und das ist kein Wunder;
denn der Satan selbst gibt sich als Engel des Lichtes aus" (2 Kor 11,13f).
Und an einer anderen Stelle schreibt Paulus: "Aber selbst wenn wir oder
ein Engel vom Himmel euch ein anderes Evangelium verkündeten, als
wir euch verkündet haben: er sei verflucht. Wie wir es schon früher
gesagt haben, so wiederhole ich es jetzt: Wenn jemand euch ein anderes
Evangelium verkündet, als ihr empfangen habt: er sei verflucht" (Gal
1,8f). In der Tat gab es schon eine ganze Menge von falschen Propheten,
ja sogar von Scheinpäpsten. Wie soll man angesichts solcher nicht
nur klar ausgesprochenen Gefahren, sondern auch bewiesenen Tatsachen noch
Vertrauen in eine kirchliche Obrigkeit aufbringen können oder auch
nur dürfen? Wäre es da nicht besser, wenn nicht gar die einzige
Möglichkeit, sich von jeglicher menschlicher Zwischeninstanz zu lösen
und nur noch auf die direkte Erleuchtung durch den Heiligen Geist zu vertrauen?
Wäre es nicht besser, mit Martin Luther das Papsttum als "vom Teufel
gestiftet" zu verdammen und nur noch "allein die Schrift" anzuerkennen,
ganz gleich, ob die Teile der Heiligen Schrift nun durch die Kirche festgelegt
wurden oder nicht? Nein. Denn auch wenn es manchmal schwierig scheinen
mag, zu erkennen, ob jemand nun ein von Gott bestimmter Verkünder
des Evangeliums ist oder ein Lügenapostel, ein Diener des Fürsten
dieser Welt, dürfen wir dennoch auf Gott vertrauen. Gott widerspricht
sich nicht. Gott hat die Kirche mit dem Heiligen Geist ausgestattet und
verheißen, dass die Pforten der Hölle sie nicht überwinden
werden. Das heißt: Wahre Lehre und wahre Kirche gehören untrennbar
zusammen. Es gibt keine Änderung der Wahrheit. Wer sich von der kirchlichen
Lehre trennt, der ist von der Kirche ausgeschlossen. Und zu der kirchlichen
Lehre gehört der Grundsatz, dass diese Lehre sich nicht ändert.
Was also die Anschuldigungen betrifft, Christus sei vom Teufel besessen,
Petrus sei betrunken und Paulus habe den gesunden Verstand verloren, haben
wir eben die Pflicht, nachzuprüfen, ob das, was gesagt wird, begründet
und widerspruchsfrei ist oder unbegründet und widersprüchlich.
Und man wird feststellen: Diese ganzen Anschuldigungen sind unbegründet
und widersprüchlich, während die Worte Christi und der Apostel
begründet und widerspruchsfrei sind.
Halten wir also an dem fest, was die Kirche unfehlbar und damit unwandelbar
lehrt. Prüfen wir, ob die Lehren, die uns vorgelegt werden, mit dem
vereinbar sind, was Vernunft und Geschichte uns lehren, auch wenn dieses
Prüfen anstrengend sein mag und uns die daraus resultierenden Erkenntnisse
vielleicht nicht immer sofort gefallen. Beten wir um die Erleuchtung durch
den Heiligen Geist, damit wir die Wahrheit erkennen, annehmen und treu
durch die Zeit tragen. Amen.
S. auch:
Predigt vom 31.05.98
Predigt am 08.06.2003
Controvers-Katechismus
Problemfall "Neue Osnabrücker Zeitung"
Chronik der KzM-Vernichtung