Die Bundesländer gehören nicht zum Bundesgebiet

- Pressemeldung: Zum Konkordatsurteil des BVerfG vor 55 Jahren (26.03.1957) -
(Kirche zum Mitreden, 12.04.2012)
"Außerhalb der Tagesordnung berichtet der Bundesminister des Innern (Gerhard Schröder, CDU; 1910-1989; BmI 1953-1961) über das gestern verkündete Konkordatsurteil des Bundesverfassungsgerichts und seine möglichen politischen Auswirkungen. Einerseits sei es erfreulich, daß das Bundesverfassungsgericht das gültige Zustandekommen des Reichskonkordats und seine Fortgeltung bejaht habe, andererseits sei eine schwierige Situation dadurch entstanden, daß die Kulturhoheit der Länder die Durchsetzbarkeit gewisser Konkordatsbestimmungen sehr erschwere. [...] Der Bundesminister für Familienfragen (Franz-Josef Wuermeling, CDU; 1900-1986; BmF 1953-1962) meint, das Urteil laufe auf den Satz hinaus: Das Konkordat gilt im Bundesgebiet, aber nicht in den Ländern."
(bundesarchiv.de, Protokoll der "177. Kabinettssitzung am 27. März 1957"; www.webcitation.org/66kl9UcsY).
Zum Hintergrund: Unter Adolf Hitler wurde am 20.07.1933 das Reichskonkordat, d.h. der Staatskirchenvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich geschlossen. Das Konkordat wurde allerdings von deutscher Seite immer wieder gebrochen, u.z. sowohl unter Adolf Hitler als auch unter Konrad Adenauer. Im "Reichskonkordat"-Artikel von Wikipedia heißt es (15.03.2012; www.webcitation.org/66knJv2hZ):
"Auf Beanstandung des Apostolischen Nuntius beantragte die Bundesregierung, das Bundesverfassungsgericht möge feststellen, dass das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 in der Bundesrepublik Deutschland unverändert fortgeltendes Recht sei und dass das Land Niedersachsen durch Erlass der §§ 2, 3, 5, 6 und 8–15 des Gesetzes über das öffentliche Schulwesen in Niedersachsen vom 14. September 1954 gegen das in Bundesrecht transformierte Reichskonkordat verstoßen und damit das Recht des Bundes auf Respektierung der für ihn verbindlichen internationalen Verträge verletzt habe. Die Regierung des Landes Niedersachsen beantragte, den Antrag der Bundesregierung abzuweisen. Die Landesregierungen von Bremen und Hessen traten dem Verfahren bei und beantragten die Anträge der Bundesregierung zurückzuweisen. [...] Dabei stellte das Gericht zunächst fest, dass die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich identisch mit dem Deutschen Reich ist (vgl. Rechtslage des Deutschen Reiches nach 1945). Da ungeachtet der massiven Vertragsverletzungen seitens des nationalsozialistisch regierten Deutschlands das Konkordat nie gekündigt worden sei, sondern vielmehr diese Verletzungen gerügt wurden, bestehe das Konkordat nach wie vor fort und binde die Bundesrepublik. [...] Weil das Grundgesetz die Gesetzgebungskompetenz für das Schulrecht ausschließlich den Ländern zuweise, seien die Regelungen des Reichskonkordats insoweit Landesrecht geworden. Es frage sich also, ob die Länder bundesrechtlich gehindert seien, diese landesrechtlichen Regelungen im Widerspruch zu den völkerrechtlichen Bindungen zu ändern. [...] Zusammenfassend stellt sich die Rechtslage also so dar, dass zwar völkerrechtlich das Reichskonkordat Bund und Länder bindet. Das Grundgesetz hat aber – insoweit im Widerspruch zum Völkerrecht – den Ländern Möglichkeiten gegeben, von diesen Regelungen abzuweichen. Tun sie das, handeln sie möglicherweise völkerrechtswidrig, doch kann der Bund dies nicht verhindern. Nach innerstaatlichem Recht sind die Länder hierzu sogar verpflichtet, wenn Bestimmungen des Reichskonkordats im Widerspruch zu nationalem Verfassungsrecht stehen."
D.h. bereits sofort nach dem Konkordatsurteil wurde in aller Deutlichkeit von höchsten Politikern der BRD wie Bundesfamilienminister Würmeling die rigorose Schizophrenie des BVerfG erkannt und in aller Öffentlichkeit ausgesprochen: "Das Konkordat gilt im Bundesgebiet, aber nicht in den Ländern."
Und 1959 kommentierte der damals bedeutendste deutsche katholische Kirchenrechtler, i.e. Klaus Mörsdorf (1909-1989; Lehrbuch des Kirchenrechts, I. Band, München (10)1959, 70):
"Durch das im niedersächsischen Schulstreit ergangene Konkordatsurteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 26. März 1957 ist mit innerstaatlicher Wirkung die rechtliche Fortgeltung des RK anerkannt, die praktische Durchführung der Schulbestimmungen des RK aber in nebelhafte Ferne gerückt, weil nach der Meinung des Gerichts keine verfassungsrechtliche Pflicht der Länder bestehe, das RK bei ihrer Schulgesetzgebung zu beachten. In diesem Ja und Nein zeigt sich eine innere Widersprüchlichkeit des Urteils. [...] In den Ausführungen über die Bundestreue (III) kommt das Gericht abschließend zu der Feststellung, daß rechtliche Folgen aus einem den Bundesstaat verpflichtenden völkerrechtlichen Vertrag für die Gliedstaaten ausschließlich nach Maßgabe des Verfassungsrechtes entstehen. Das Gericht mißachtet dabei die anerkannte Lehre, daß sich kein Staat auf seine Verfassung berufen kann, um sich der Bindungen eines gültigen völkerrechtlichen Vertrages zu entledigen, wobei es keinen Unterschied zwischen übernommenen und überkommenen Bindungen geben kann. Die von dem Gericht unterstellte 'Dreiteilung des Bundesstaates', wonach Bund und Länder gleichsam Glieder eines imaginären Gesamtstaates sind, 'denaturiert den Bundesstaat zu einem schizophrenen Partner völkerrechtlicher Verträge', der nach innen nicht die Erfüllung der nach außen übernommenen Pflichten zu gewährleisten vermag. Das Gericht hat diese Zwiespältigkeit bewußt in Kauf genommen und den Ländern die verfassungsrechtliche Freiheit zum Konkordatsbruch eingeräumt. Es ist damit über das Verhältnis von Kirche und Staat hinaus eine ernste Lage geschaffen, weil das Vertrauen auf die Vertragstreue in seiner rechtlichen Grundlage erschüttert ist."
Kein Katholik kann ernsthaft diese Feststellung von derart hohen Autoritäten ablehnen: Der Bundesstaat BRD ist "rechtsbrecherisch", "denaturiert", "schizophren". Das Gericht verpflichtet zum Rechtsbruch, und dies in manifestem Widerspruch zu den Prinzipien des Völkerrechts und überhaupt der elementaren Logik: Das Teilgebiet ist kein Teilgebiet. Das ist eine direkte Kontradiktion, welche gemäß dem "Satz vom Widerspruch" unmöglich ist. Wikipedia (07.08.2011, www.webcitation.org/66rfBAH0n) zitiert dazu Aristoteles, Metaphysik 1005b: "Doch das sicherste Prinzip von allen ist das, bei dem eine Täuschung unmöglich ist [...] Welches das aber ist, wollen wir nun angeben: Denn es ist unmöglich, dass dasselbe demselben in derselben Beziehung zugleich zukomme und nicht zukomme. [...] Doch wir haben eben angenommen, es sei unmöglich, dass etwas zugleich sei und nicht sei."
Im Grunde ist bereits jeder Katholik vom Umgang des Staates mit der Kirche direkt und unmittelbar betroffen. Aber eigentlich kann es niemandem gleichgültig sein, wenn das höchste Gericht unter gröbster Missachtung fundamentaler Logik auf völkerrechtlicher Ebene Rechtsbrüche absegnet und sogar zu Rechtsbrüchen verpflichtet. Sicherlich, es gibt noch weitere massive Fehlentscheidungen des BVerfG, z.B. das Kruzifixverbot und die Abtreibungserlaubnis. Doch sind auch diese letztlich nur Konsequenzen einer fundamentalen Verirrung, i.e. des Rechtspositivismus, der die Autorität des Naturrechts leugnet. Cf. A. Göpfert, K. Staab, Moraltheologie, Erster Band, Paderborn (9)1923, 21f: "Es gibt keine Majestät des Gesetzes vor der göttlichen im Naturgesetze sich offenbarenden Majestät. Dies muß die katholische Moral festhalten gegenüber den Behauptungen der historischen Rechtsauffassung, der menschliche Gesetzgeber solle zwar seine Prinzipien und Ideen aus Gottes Weltordnung schöpfen, kein ungerechtes, gottwidriges Gesetz machen oder bestehen lassen; aber wenn er es doch tue, so habe sein Gesetz Rechtskraft und verpflichte den einzelnen ebenso wie ein gerechtes Gesetz."
Die Berufung auf eine "Verfassung", eine "staatliche Ordnung" oder sonst einen weltlichen "Vorgesetzten" kann dementsprechend niemals Erfolg haben, auch nicht bei einem Amtseid, cf. H. Jone, Katholische Moraltheologie, Paderborn (7)1935, 151:
"Der Treueid oder Verfassungseid, wie er von Beamten usw. verlangt wird, besagt, daß man den staatlichen Gesetzen unterworfen sein, das Amt nach den Vorschriften der Gesetze führen und nichts Verbotenes gegen die rechtmäßige Obrigkeit unternehmen wolle, nicht aber, daß man sich zur Beobachtung aller Staatsgesetze durch einen Eid verpflichten wolle. Enthalten die Staatsgesetze einige Bestimmungen gegen göttliches und kirchliches Recht, so darf man den Eid nur leisten mit der Einschränkung: unbeschadet der göttlichen und kirchlichen Gesetze. Diese Klausel aber muß gewöhnlich (weil schon hinreichend bekannt) nicht ausdrücklich hinzugefügt werden, außer es wäre notwendig zur Vermeidung von Ärgernis."
Folglich kann das Volk es nicht hinnehmen, wenn eine "staatliche Obrigkeit" sich in eklatanten Widerspruch zu elementarsten Prinzipien der Moral und der Logik setzt. Ein Volk, das nicht auf die Einhaltung der existenziellen Rechtsgrundlagen achtet, ein Volk, das die Verletzung der existenziellen Rechtsgrundlagen durch die staatliche Obrigkeit billigt und somit bestätigt, hat selbst versagt.
Sicherlich, seit dem Konkordatsurteil hat sich im Gebiet der BRD sehr viel getan. Zu den folgenschwersten Ereignissen gehörte der Eintritt der bislang längsten Sedisvakanz des Heiligen Stuhls mit dem Tod Papst Pius XII. i.J. 1958. Als Reaktion darauf erklärte die BRD dann eigenmächtig die Gruppe des sog. "Zweiten Vatikanischen Konzils" (V2) zur katholischen Kirche. Aber warum auch nicht: Wenn ein Staat höchstselbst sein höchsteigenes Wesen als "rechtsbrecherisch", "denaturiert", "schizophren" klassifiziert, dann ist ihm eigentlich alles zuzutrauen. Kurzum: Die BRD setzte dann mit der V2-Gruppe das eigentlich mit der Kirche geschlossene Konkordat "fortgesetzt" wurde. D.h. die BRD tauschte einfachhin ihren Vertragspartner aus, womit das Konkordat also nicht mehr bloß partiell, sondern absolut gebrochen wurde. Damit gesellte sich zu dem Rechtsbruch im Konkordatsurteil ein ungleich viel größerer Rechtsbruch. Wurden vorher scheinbar "nur" die Politiker "nur" zum Rechtsbruch in der Schulfrage verpflichtet, so werden jetzt alle Katholiken zum Abschwören von einem Dogma und damit zum Abfall vom katholischen Glauben gezwungen. Ob Amtsgerichte, Bundesgerichtshof oder Bundesverfassungsgericht: Auf allen Ebenen und immer wieder verhängt die BRD Strafen, wenn sich jemand zum katholischen Dogma bekennt, dass die Kirche dem Staat nicht unterworfen ist.
Das Versagen der Justiz, der Politik, ja eigentlich des Volkes beim Reichskonkordatsurteil hat die erwartungsgemäßen Früchte gebracht, und dies überreichlich.
Auch wenn das Konkordatsurteil also nun 55 Jahre alt ist, so zeigt es seine zerstörerische Kraft bis heute, ja sogar täglich stärker. Es ist nicht einfach "Vergangenheit", auch wenn es gerne Vergessenheit gedrängt wird. Mit seiner monumentalen Rechtswidrikeit und völkerrechtlichen Tragweite könnte es als Hebel dienen, an dem jeder, auch jeder Nichtkatholik, ansetzen könnte und sollte, um dem Rechtspositivismus mit seiner Justizwillkür Einhalt zu gebieten und rechtsstaatlichen Verhältnissen einen Weg zu bereiten.

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