Quanta cura
- Enzyklika von Papst Pius IX., 08.12.1864: Verurteilung der
Religionsfreiheit
und anderer Häresien -
(Kirche zum Mitreden, 16.01.2004)
[PRHL] Der "Syllabus", der als Anhang zur Enzyklika "Quanta cura" von Papst
Pius IX. veröffentlicht wurde, ist bereits bei KzM dokumentiert.
Während bzgl. der theologischen Verpflichtung des Syllabus keine
volle
Einigkeit besteht, steht absolut außer Frage, dass die 16 in
"Quanta
cura" mit Unfehlbarkeit verworfen sind; zu den Sätzen cf. die
Übersicht
in M. Buchberger (Hg.), Kirchliches Handlexikon, Bd. 2, München
1912,
1638f, Artikel "Quanta cura":
(1-3) die beste Ordnung der menschlichen Gesellschaft
verlange absolute Religions-, Kultus-, Gewissens-, Rede- und
Preßfreiheit;
Frevel gegen die katholische Religion seien nie zu ahnden, es wäre
denn um der öffentlichen Ruhe willen.
(4-6) Der Staat sei die Quelle alles Rechtes; vollendete Tatsachen
als solche seien in der Politik rechtlich gültig, öffentliche
Almosen seien zu untersagen, das Verbot knechtlicher Arbeit an gewissen
Tagen sei aufzuheben.
(7) Jeder Einfluß auf Erziehung und Unterricht der Jugend sei
dem Klerus zu entziehen.
(8) Die Gesetze der Kirche verpflichten im Gewissen erst durch die
staatliche Promulgation,
(9) die Erlasse und Dekrete der römischen Päpste in
religiösen
und kirchlichen Angelegenheiten bedürfen der Bestätigung oder
Zustimmung des Staates.
(10) Der Kirchenbann gegen die geheimen Gesellschaften gilt dort nicht,
wo sie vom Staate geduldet sind.
(11) Der Kirchenbann gegen Usurpatoren geistlichen Rechtes und
Eigentums
sei auf Erreichung eines rein weltlichen Gutes gerichtet.
(12) Die Kirche dürfe über den Gebrauch zeitlicher Güter
keine Gewissenspflicht auferlegen,
(13) über die Verletzer ihrer Gesetze keine zeitliche Strafe
verhängen,
(14) das Eigentumsrecht an den Gütern der Kirche, religiöser
Genossenschaften und anderer frommer Stiftungen sei dem Staate
zuzusprechen.
(15) Die kirchliche Macht sei nicht nach göttlichem Rechte von
der bürgerlichen verschieden und unabhängig.
(16) Nur dogmatische Bestimmungen über Glaube und Sitten, nicht
aber andere Bestimmungen des Apostolischen Stuhles verpflichten im
Gewissen.
Enzyklika "Quanta cura"
An alle Ehrwürdigen Brüder, die Patriarchen, Primaten,
Erzbischöfe
und Bischöfe, welche die Gnade und die Gemeinschaft des
Apostolischen
Stuhles haben.
Ehrwürdige Brüder, Gruß und Apostolischen Segen!
Mit welcher Sorge und Hirtenwachsamkeit die Römischen Päpste,
Unsere Vorgänger, der ihnen von Christus, dem Herrn selbst, in der
Person des seligsten Apostelfürsten, des hochheiligen Petrus,
anvertrauten
Aufgabe und Amtspflicht, die Lämmer und Schafe zu weiden,
nachgekommen
sind, und es niemals unterlassen haben, die gesamte Herde des Herrn
sorgfältig
mit den Aussagen des Glaubens zu nähren, sie mit der heilsamen,
unverletzten
Lehre zu tränken und vertraut zu machen, und sie von vergifteten
Weiden
fernzuhalten, ist allen und besonders Euch, Ehrwürdige
Brüder,
wohlbekannt und offenkundig.
In der Tat, Unsere Vorgänger, die Vertreter und Verteidiger der
erhabenen katholischen Religion, der Wahrheit und der Gerechtigkeit,
kannten
in ihrer großen Fürsorge um das Heil der Seelen kein
wichtigeres
Anliegen, als mit ihren höchst weisen Hirtenbriefen und
Konstitutionen
alle Irrlehren und Irrtümer aufzudecken und zu verurteilen, die im
Widerspruch zu unserem Göttlichen Glauben, zur Lehre der
katholischen
Kirche, zur Ehrbarkeit der Sitten und zum ewigen Seelenheil der
Menschen
stehen, die häufig schwere Gefahren hervorgerufen und in
beklagenswerter
Weise die Kirche und die staatliche Gemeinschaft verheert haben.
Darum haben Unsere Vorgänger mit apostolischem Starkmut, den
ruchlosen
Umtrieben gegen die gottlosen Menschen, stets Widerstand geleistet. Den
Fluten der tobenden See gleich, schäumen diese ihre eigene
Verwirrung
und Ordnungslosigkeit aus und versprechen die Freiheit, während
sie
selbst Sklaven der Verderbnis sind. Mit ihren trügerischen
Meinungen
und höchst verderblichen Schriften waren sie bemüht, die
Grundlagen
der katholischen Religion und der bürgerlichen Gesellschaft zu
erschüttern,
jede Tugend und Gerechtigkeit aus der menschlichen Gemeinschaft
auszurotten,
die Seele und den Geist zu verderben, die Unvorsichtigen und die
unerfahrene
Jugend von den rechten Grundsätzen der Sitten abzubringen, sie
zugrundezurichten,
in die Fallstricke des Irrtums zu führen und sie schließlich
vom Schoß der katholischen Kirche gewaltsam zu entfernen.
Wie Euch wohlbekannt ist, Ehrwürdige Brüder, haben Wir, kaum
durch den verborgenen Ratschluß der Göttlichen Vorsehung und
ohne irgendwelche eigenen Verdienste, als Wir auf diesen Stuhl Petri
erhoben
wurden, zum unermeßlichen inneren Schmerz Unserer Seele, den
furchtbaren,
durch so viele verkehrte und verruchte Meinungen erregten Sturm und die
schweren, nie genug zu beweinenden Schäden gewahrt, die aus
derartig
vielen Irrtümern heraus das christliche Volk treffen. Nach der
Pflicht
Unseres Apostolischen Amtes, folgend der glorreichen Fährte
Unserer
Vorgänger, haben Wir Unsere Stimme erhoben und mit mehreren
veröffentlichten
Enzykliken, Apostolischen Ansprachen im Konsistorium und anderen
Apostolischen
Schreiben, die hauptsächlichsten Irrtümer unseres höchst
betrüblichen Zeitalters verurteilt.
Zugleich haben Wir Eure ausgezeichnete bischöfliche Wachsamkeit
angeregt und alle Unsere geliebten Kinder der katholischen Kirche immer
wieder ermahnt und ermuntert, die Wirkungen einer so grauenvollen Suche
absolut zu verabscheuen und zu vermeiden. Namentlich in Unserer ersten
Enzyklika, die Wir Euch am 9. November 1846 geschrieben haben, sowie
mit
den beiden, im Konsistorium gehaltenen Ansprachen vom 9. Dezember 1854
und 9. Juni 1862, in denen Wir die ungeheuerlichen Meinungen
verurteilten,
die vor allem in diesem Zeitalter zum allergrößten Schaden
der
Seelen und zum Nachteil der bürgerlichen Gesellschaft herrschen.
Diese
stehen im äußersten Widerspruch nicht nur zur katholischen
Kirche,
zu ihrer heilsamen Lehre und zu ihren ehrwürdigen Rechten, sondern
auch zu dem ewigen natürlichen Gesetz, das Gott in das Innere und
in das Herz aller Menschen eingegraben hat, sowie zu der rechten
Vernunft.
Aus ihnen erhalten fast alle anderen Irrtümer ihren Ursprung.
Obwohl Wir es nicht unterlassen haben, die wichtigsten
Hauptirrtümer
dieser Art häufig öffentlich zu verbieten und zu verwerfen,
so
verlangt dennoch das Interesse der katholischen Kirche, das Uns von
Gott
anvertraute Heil der Seelen und die Wohlfahrt der bürgerlichen
Gesellschaft,
daß Wir Eure Hirtensorgfalt wiederholt zur Bekämpfung
anderer
verkehrter Meinungen aufrufen, welche aus den erwähnten
Irrtümern
und aus ihrem Ursprung hervorbrechen. Diese falschen und verkehrten
Meinungen
müssen umso mehr verabscheut werden, als sie gerade danach
streben,
die heilsame Gewalt zu hemmen und zu beseitigen, welche die katholische
Kirche nach der Anordnung und dem Gebot ihres göttlichen Stifters
bis an das Ende der Zeiten, sowohl gegenüber dem einzelnen
Menschen,
als auch gegen die Nationen, Völker und ihre Herrscher,
unbehindert
ausüben muß, sowie die gegenseitige Gemeinsamkeit und
Eintracht
der Absichten zwischen Kirche und Staat abzuschaffen, die zu allen
Zeiten
dem geistlichen und bürgerlichen Bereich förderlich und
heilsam
war [FN: Gregor XVI., Enzyklika Mirari vos vom 15. August 1832.].
Ihr wißt sehr wohl, Ehrwürdige Brüder, daß es
heutzutage viele gibt, die das absurde und gottlose Prinzip des
sogenannten
Naturalismus auf die staatliche und bürgerliche Gesellschaft
anwenden
und zu lehren wagen. Die beste Staatsverfassung und der
bürgerliche
Fortschritt erforderten unbedingt, daß die menschliche
Gesellschaft
aufgebaut und regiert werde, ohne dabei irgendeine Rücksicht auf
die
Religion zu nehmen, als ob diese nicht existieren würde, oder
zumindest
keinen Unterschied zwischen der wahren und der falschen Religion zu
machen.
Im Gegensatz zur Lehre der Heiligen Schrift, der Kirche und der
heiligen
Väter behaupten sie ohne zu zögern: Der beste Zustand der
Gesellschaft
sei, der Staatsgewalt nicht die Verpflichtung zuzuerkennen, durch
gesetzlich
festgelegte Strafen die Übeltäter und Entehrer der
katholischen
Religion in Schranken zu halten, außer wenn die öffentliche
Ruhe dies erfordern sollte.
Von dieser absolut falschen Vorstellung über die Regierung des
Staates, scheuen sie sich nicht, die irrige Meinung zu
begünstigen,
welche für die katholische Kirche und das Heil der Seelen im
höchsten
Grad zum Untergang führt, die bereits Unser unmittelbarer
Vorgänger
seligen Andenkens, Gregor XVI., als Wahnsinn bezeichnet hat [FN: Ebd.],
und zwar, die Gewissens- und Religionsfreiheit sei das eigene Recht
eines
jeden Menschen. Dieses Recht müsse das Gesetz in jeder
wohlgeordneten
Gesellschaft proklamieren und sicherstellen. Für die Bürger
bestehe
ein Recht auf eine allgemeine Freiheit, die weder durch die kirchliche,
noch durch die staatliche Autorität eingeschränkt werden
darf,
und die ihnen erlaubt, ihre Ansichten und Empfindungen durch das
gesprochene
Wort, durch Druckschriften, oder auf andere Weise offen bekanntzugeben
und zu erklären. Während sie dies leichtfertig behaupten,
bedenken
und erwägen sie nicht, daß sie die Freiheit des Verderbens
[FN:
Augustinus, Epist. 105 al. 166.] verkünden. Es wäre ihnen
freigestellt,
alles mit den Mitteln menschlicher Überzeugung zu erörtern,
da
es an solchen Menschen niemals fehlen würde, die es wagen, der
Wahrheit
zu widerstehen und auf die Geschwätzigkeit der menschlichen
Weisheit
zu vertrauen. Der christliche Glaube und die christliche Weisheit
vermögen
es, aus der Lehre unseres Herrn Jesus Christus selbst zu erkennen, wie
sehr diese höchst lügenhafte Eitelkeit gemieden werden
muß
[FN: Leo, Epist. 164 al. 133, § 2 edit. Ball.].
Wo die Religion aus der bürgerlichen Gesellschaft verbannt sowie
die Lehre und Autorität der göttlichen Offenbarung verworfen
wurde, wird sogar der wahre Begriff der Gerechtigkeit und des
menschlichen
Rechts verdunkelt und geht verloren. Materielle Gewalt tritt an die
Stelle
der Gerechtigkeit und des gesetzmäßigen Rechts. Daher ist es
verständlich, weshalb einige Menschen, indem sie die sichersten
Grundsätze
der gesunden Vernunft mißachten und an die letzte Stelle setzen,
miteinander auszurufen wagen: Der Wille des Volkes, kundgegeben durch
die
sogenannte „öffentliche Meinung“ oder auf irgendeine andere Weise,
begründe das oberste Gesetz, unabhängig von jedem
göttlichen
und menschlichen Recht. In der politischen Ordnung haben vollendete
Tatsachen
bereits durch ihre Vollendung die Bedeutung einer Rechtskraft. Wer
versteht
und empfindet nicht ganz deutlich, daß die menschliche
Gesellschaft,
gelöst von der Bindung an die Religion und des wahren Rechts,
keine
andere Ausrichtung mehr haben kann, als sich den Erwerb und die
Anhäufung
von Reichtümern zum Ziel zu setzen? Sie folgen in ihren Handlungen
keinem anderen Gesetz mehr, als der ungezähmten Begierde des
Herzens,
den eigenen Gelüsten und dem persönlichen Vorteil zu dienen.
Deshalb verfolgen diese Menschen mit bitterem Haß die
Ordensgemeinschaften,
obgleich sie sich um die Kirche, die Zivilisation und die Wissenschaft
überaus verdient gemacht haben. Sie bekunden, daß diese
Gemeinschaften
keinen gesetzlichen Anspruch auf ihr Fortbestehen haben und stimmen den
Lügen der Irrlehrer zu. Unser Vorgänger seligen Andenkens,
Pius
VI., erklärte mit großer Weisheit: Die Aufhebung der Orden
verletzt
den Stand der öffentlichen Ausübung der Evangelischen
Räte
sowie die von der Kirche empfohlene Lebensweise, die im Einklang mit
der
Lehre der Apostel steht. Sie beleidigt die ausgezeichneten
Ordensgründer
persönlich, die Wir auf den Altären verehren, und die unter
der
Eingebung Gottes diese Gesellschaften gegründet haben [FN:
Schreiben
an Kardinal de la Rochefoucault vom 10. März 1791.].
Außerdem
verkünden sie in gottloser Weise, den Bürgern und der Kirche
die Befugnis zu entziehen, die diesen genehmigt, Almosen um der
christlichen
Liebe willen austeilen zu dürfen. Auch das Gesetz sei
abzuschaffen,
welches an gewissen Tagen die knechtliche Arbeit aus Rücksicht auf
den Gottesdienst verbietet, wobei sie höchst trügerisch
einwenden,
das Verbot und Gesetz stehe im Widerspruch zu den Grundsätzen
einer
guten Volkswirtschaft.
Nicht damit zufrieden, die Religion aus der Öffentlichkeit des
Staates zu verdrängen, wollen sie die Religion selbst aus dem
privaten
Bereich der Familien fernhalten. Diese Menschen lehren den
verderblichen
und todbringenden Irrtum des Kommunismus und des Sozialismus. Indem sie
sich dazu bekennen, vertreten sie den Irrtum, die häusliche
Gemeinschaft
oder die Familie leite den Grund ihres Bestehens nur aus dem
bürgerlichen
Recht ab. Alle Rechte der Eltern über ihre Kinder und an erster
Stelle
das Recht ihrer Unterweisung und Erziehung, stammen nur aus dem
bürgerlichen
Recht und hängen von diesem ab. Mit diesen gottlosen Meinungen und
Umtrieben beabsichtigen diese Betrüger, vor allem die
heilbringende
Lehre und die Gewalt der katholischen Kirche aus dem Unterricht und aus
der Erziehung der Jugend vollständig zu verbannen, und dadurch die
noch beeinflußbaren Gemüter der Jugend mit der
schädlichen
Irrlehre und jeglichen Lastern anzustecken und zu verderben.
Diejenigen, die sich das Ziel gesetzt haben, die Kirche und den Staat
in Verwirrung zu stürzen, die Ordnung in der Gesellschaft
umzustoßen
und alle göttlichen und menschlichen Rechte zu vernichten,
richten,
wie bereits erwähnt, alle ihre verruchten Pläne und
Künste,
ihr Handeln und ihr Tun, besonders auf die unerfahrene Jugend, um diese
zu betrügen und zu verderben. Stets haben diese Menschen gerade
alle
Hoffnung auf die Verführung der Jugend gesetzt. Darum hören
sie
niemals auf, dem Welt- und Ordensklerus, von welchem, wie es
zuverlässige
Urkunden und Denkmäler der Geschichte glänzend bezeugen,
viele
große Vorteile auf die christliche und bürgerliche
Gesellschaft
und auf die Wissenschaft ausgegangen sind, auf die schändlichste
Weise
übel mitzuspielen. Sie verkünden, dieser Klerus müsse
als
Feind der nützlichen Wissenschaft und des Fortschrittes der
Zivilisation
von jeder Sorge und Verantwortung für den Unterricht und der
Erziehung
der Jugend entfernt werden.
Andere hingegen wagen es, die ruchlosen und oft verurteilten Lügen
der Erneuerer wieder aufzugreifen und mit einer besonderen
Unverschämtheit
die höchste Gewalt der Kirche und des Heiligen Stuhles, die ihr
von
Christus dem Herrn übertragen wurde, der Willkür der
staatlichen
Macht zu unterwerfen und alle Rechte dieser Kirche und des Heiligen
Stuhles
zu leugnen, welche zur äußeren Ordnung gehören. Sie
schämen
sich nicht zu behaupten: Die Gesetze der Kirche verpflichteten nur dann
im Gewissen, wenn sie durch die staatliche Behörde
veröffentlicht
würden. Die Verfügungen und Dekrete der Römischen
Päpste,
welche die Religion und die Kirche betreffen, bedürften der
Bestätigung
und Billigung, zumindest aber der Zustimmung der Staatsgewalt. Die
Apostolischen
Konstitutionen [FN: Clemens XI., In eminenti; Benedikt XIV., Providas
Romanorum;
Pius VII., Ecclesiam; vgl. Leo XIII., Quo graviora.], durch welche die
geheimen Gesellschaften, ganz gleich, ob von ihnen der Eid auf
Geheimhaltung
verlangt wird oder nicht, und deren Anhänger und Begünstiger
mit dem Ausschluß aus der Kirche bestraft werden, hätten
keine
bindende Kraft in den Ländern des Erdkreises, wo solche
Vereinigungen
von der staatlichen Regierung geduldet werden. Die Exkommunikation, die
vom Konzil von Trient und von den Römischen Päpsten über
diejenigen verhängt wurde, die gegen die Rechte und
Besitztümer
der Kirche vorgehen und an sich reißen, beruhe auf einer
Vermischung
der geistlichen Ordnung mit der politischen und staatlichen Ordnung zur
Verfolgung eines rein weltlichen Gewissens. Die Kirche dürfe
nichts
verfügen und entscheiden, was die Gewissen der Gläubigen im
Hinblick
auf den Gebrauch der zeitlichen Dinge binden könnte. Der Kirche
stehe
nicht das Recht zu, die Verletzer ihrer Gesetze mit zeitlichen Strafen
zu bedrohen. Es entspreche den Grundsätzen der heiligen Theologie
und des öffentlichen Rechts, das Eigentumsrecht an Gütern,
welche
sich im Besitz der Kirche, der Ordensgemeinschaften und anderen frommen
Institutionen befinden, der Staatsregierung zuzuerkennen und für
sie
in Anspruch zu nehmen.
Sie schämen sich nicht, sich offen und vor der ganzen Welt zu
dem Ausspruch und Grundsatz der Irrlehrer zu bekennen, aus dem so viele
verkehrte Meinungen und Irrtümer hervorgehen. Sie erklären
nachdrücklich:
Die Gewalt der Kirche sei nicht kraft göttlichen Rechtes getrennt
und unabhängig von der staatlichen Gewalt. Eine solche Trennung
und
Unabhängigkeit könne nicht aufrechterhalten werden, ohne
daß
die Kirche in wesentliche Rechte der staatlichen Gewalt eingreifen und
dieselbe an sich reißen würde.
Ferner können Wir die Verwegenheit von denjenigen nicht
übergehen,
welche die gesunde Lehre nicht ertragen und behaupten: Den
Entscheidungen
und Dekreten des Apostolischen Stuhles, die das allgemeine Wohl der
Kirche,
ihre Rechte und Disziplin zum Gegenstand haben, sofern diese die
Glaubens-
und Sittenlehre nicht berühren, könne ohne Sünde und
ohne
irgendeine Gefährdung die Zustimmung und der Gehorsam des
katholischen
Bekenntnisses verweigert werden. Jeder muß klar und offen sehen
und
verstehen, wie sehr dies im Widerspruch zum katholischen Glaubenssatz
der
Vollgewalt steht, die dem römischen Papst durch Christus unserem
Herrn
selbst aus göttlicher Macht übertragen wurde, um die gesamte
Kirche zu weiden, zu regieren und zu verwalten.
Inmitten einer so großen Anzahl von verkehrten und entarteten
Meinungen haben Wir, im vollen Bewußtsein Unserer Apostolischen
Pflicht
und in Unserer höchsten Sorge um unsere heilige Religion, die
gesunde
Lehre und das Uns von Gott anvertraute Heil der Seelen sowie für
das
Wohl der menschlichen Gesellschaft selbst, erneut Unsere Apostolische
Stimme
erhoben. Deshalb verwerfen, verbieten und verurteilen Wir, kraft
Unserer
Apostolischen Autorität, alle und jede in diesem Schreiben einzeln
erwähnten verkehrten Meinungen und Lehren. Wir wünschen und
befehlen,
daß dieselben von allen Kindern der katholischen Kirche als
verworfen,
verboten und verurteilt betrachtet werden. Ihr selbst, Ehrwürdige
Brüder, wißt am besten, daß in diesen Zeiten die
Hasser
der Wahrheit und Gerechtigkeit sowie die verbissensten Feinde unserer
Religion
durch verderbliche Bücher, Flugschriften und Zeitungen, die auf
dem
ganzen Erdkreis verbreitet werden, die Völker betrügen und
mit
böswilligen lügenhaften Vorspiegelungen weitere gottlose
Lehren
aussäen. Ferner ist Euch bekannt, daß es auch in unserem
Zeitalter
einige Personen gibt, die, getrieben und aufgestachelt durch den Geist
Satans, bei dem Grad an Gottlosigkeit angelangt sind, daß sie
unseren
Herrn Jesus Christus leugnen und seine Gottheit mit unheilvoller
Frechheit
bekämpfen. Wir müssen Euch, Ehrwürdige Brüder,
Unser
höchstes und wohlverdientes Lob aussprechen. Ihr habt keineswegs
versäumt,
Eure bischöfliche Stimme gegen eine derartig große
Gottlosigkeit
zu erheben.
Daher wenden Wir Uns mit Unserem Schreiben wiederum liebevoll an Euch.
Ihr, die Ihr zur Teilnahme an Unserer Hirtensorge berufen, Uns in
Unserer
bitteren Trübsal, durch Eure vorzügliche Frömmigkeit und
Ergebenheit, zur Freude und zum Trost gereicht sowie durch Eure
außerordentliche
Liebe, Treue und Ehrerbietung, auf das engste mit Uns und diesem
Apostolischen
Stuhl verbunden seid, erfüllt Euer erhabenes und wichtiges
bischöfliches
Amt mit Kraft und Eifer. Von Eurem hervorragenden Hirteneifer erwarten
Wir, daß Ihr das Schwert des Geistes ergreift, welches das Wort
Gottes
ist, und gestärkt in der Gnade unseres Herrn Jesus Christus, mit
doppelter
Bemühung täglich mehr darauf achtet, daß sich die Eurer
Sorge anvertrauten Gläubigen der schädlichen Kräuter
enthalten,
die Jesus Christus nicht pflegt, da sie nicht vom Vater gepflanzt sind
[Ignatius Antioch., ad Philad. 3.]. Hört niemals auf, den
Gläubigen
einzuprägen, daß jedes wahre Glück auf die Menschen
unserer
hocherhabenen Religion, ihrer Lehre und Übung zuströmt, und
daß
selig ist das Volk, dessen Herr sein Gott ist [FN: Ps. 143.]. Lehret,
daß
die Reiche auf der Grundlage des katholischen Glaubens bestehen
[Coelestinus,
epist. 22 ad Synod. Ephes.], und daß nichts so tödlich, ins
Verderben stürzend und derartig der Gefahren ausgesetzt ist, als
wenn
wir der Meinung sind, es wäre für uns völlig
ausreichend,
bei unserer Geburt den freien Willen empfangen zu haben und daher
nichts
weiter von Gott verlangen. Das bedeutet, daß wir unseren Urheber
vergessen und Seiner Herrschaft abschwören, um zu zeigen,
daß
wir frei sind [FN: Innocentius I., epist. 29 ad episc. Conc. Carthag.].
Unterlasset auch nicht zu lehren, daß die Herrschergewalt nicht
nur
der Regierung der Welt, sondern besonders zum Schutz der Kirche
verliehen
wurde [Leo I., epist. 156 al. 125.]. Nichts kann den Oberhäuptern
und Königen der Staaten einen größeren Nutzen und Ruhm
erlangen, als wenn sie, wie Unser Vorgänger, der höchst weise
und starkmütige hl. Papst Felix, an Kaiser Zeno schrieb, die
katholische
Kirche von ihren Gesetzen Gebrauch machen lassen und niemandem
erlauben,
ihrer Freiheit entgegenzutreten. Es steht fest, daß es für
ihre
Angelegenheiten heilsam ist, sofern es sich um die Sache Gottes
handelt,
wenn sie sich nach seiner Anordnung bemühen, den königlichen
Willen den Priestern Jesu Christi zu unterwerfen anstatt vorzuziehen
[Pius
VII., Enzykl. Diu satis vom 15. Mai 1800.].
Ehrwürdige Brüder, es ist in jeder Beziehung notwendig, ganz
besonders während dieser großen Nöte innerhalb der
Kirche
und der bürgerlichen Gesellschaft, die einer gewaltigen
Verschwörung
der Feinde gegen die katholische Kirche und gegen den Heiligen Stuhl
sowie
dem Chaos der Irrtümer gegenüberstehen, mit Vertrauen dem
Thron
der Gnade zu nahen, um Barmherzigkeit zu erlangen und die Gnade in
rechtzeitiger
Hilfe zu finden. Daher hielten Wir es für notwendig, die
Frömmigkeit
aller Gläubigen aufzumuntern, damit sie ohne Unterlaß mit
Uns
und mit Euch den gütigsten Vater des Lichtes und Erbarmens
höchst
demütig mit inständigen Bitten anflehen, und in der
Fülle
des Glaubens immer zu unserem Herrn Jesus Christus fliehen, der uns in
Seinem Blut mit Gott versöhnt hat, um Sein teuerstes Herz, das
Opfer
Seiner glühenden Liebe zu uns, mit Eifer und Beständigkeit
anzurufen.
Möge Er mit Seiner großen Liebe alles an Sich ziehen, damit
alle Menschen durch Seine heiligste Liebe entflammt werden und nach
Seinem
Herzen würdig wandeln, um Gott in allem wohlgefällig zu sein
und Früchte in jedem guten Werk zu bringen.
Ohne jeden Zweifel sind jedoch für Gott die Gebete der Menschen
angenehmer, die mit reinen Seelen und ohne jeden Makel behaftet vor Ihn
treten. Mit Apostolischer Freigebigkeit haben wir es daher für
ratsam
erachtet, die Unserer Obhut anvertrauten himmlischen Schätze der
Kirche
zu ergründen, damit die Gläubigen, die in wahrer
Frömmigkeit
entbrannt und durch das Sakrament der Buße von ihren Sünden
gereinigt, mit großem Vertrauen ihre Gebete Gott darbringen und
dadurch
Seine Barmherzigkeit und Gnade erlangen können.
Kraft Unserer Apostolischen Autorität verleihen Wir daher durch
dieses Schreiben einen vollkommenen Jubiläumsablaß, der
jedem
einzelnen der Gläubigen beider Geschlechter auf dem ganzen
Erdkreis
zukommt, und von Euch, Ehrwürdige Brüder, sowie von den
rechtmäßigen
Ortsordinarien in der Frist eines Monats bis zum ganzen
zukünftigen
Jahre 1865, jedoch nicht darüber hinaus, anzusetzen ist. Dies
geschehe
in der gleichen Art und Weise, wie Wir es zu Beginn Unseres
Pontifikates
in Unserem Apostolischen Rundschreiben in Breve-Form, Arcano divinae
providentiae
consilio, erlassen am 20. November 1846 an den gesamten Episkopat,
verliehen
haben, sowie mit allen Vollmachten, die durch dieses Schreiben von Uns
erteilt wurden. Wir wollen jedoch, daß alles, was in dem
erwähnten
Breve geschrieben steht, beobachtet und das ausgenommen werde, was
durch
Uns als ausgenommen erklärt wurde. Dies verleihen Wir, ohne
daß
etwas Entgegenstehendes, auch wenn es einer speziellen und besonderen
Erwähnung
oder Derogation verdienen würde, dagegen aufkommen soll. Damit
jeder
Zweifel und jede Schwierigkeit ausgeräumt werde, haben Wir
befohlen,
ein Exemplar dieses Breves an Euch zu senden.
Ehrwürdige Brüder, flehen wir aus innerstem Herzen und mit
aller Kraft des Geistes die Barmherzigkeit Gottes an. Er selbst hat
hinzugefügt:
Meine Barmherzigkeit aber werde ich von ihnen nicht abziehen. Lasset
uns
bitten, und wir werden empfangen. Sollte sich jedoch die Gewährung
um eine Weile verzögern, da wir schwer gesündigt haben, so
lasset
uns anklopfen – denn wer anklopft, dem wird aufgetan werden, solange
nur
unsere Gebete, Seufzer und Tränen an den Pforten anklopfen, in
welchen
wir verharren und ausdauern müssen, und das Gebet einmütig
ist.
Ein jeder bete zu Gott, nicht nur für sich, sondern für alle
Brüder, wie der Herr uns zu beten gelehrt hat [FN: Cyprian, Epist.
11.].
Damit Gott umso eher Unsere, Eure und die Gebete und Wünsche aller
Gläubigen erhört, wollen Wir voll Vertrauen die Vermittlung
der
Allerseligsten und Unbefleckten Jungfrau und Gottesgebärerin Maria
anrufen, die alle Irrlehren in der ganzen Welt vernichtet hat. Unsere
liebreichste
Mutter ist ganz lieblich und voll von Erbarmen. Sie neigt sich allen
zu,
ist gütig und erbarmt sich der Nöte aller in ihrer
allumfassenden
Liebe [FN: Bernhard v. Clairv., Serm. de duodecim praerogat. B. M. V.
ex
verbis Apocal.. Da sie als Königin zur Rechten ihres Eingeborenen
Sohnes, Unseres Herrn Jesus Christus, im goldenen, vielfach
geschmückten
Gewande steht, gibt es nichts, was sie nicht von Ihm zu erlangen
imstande
wäre.
Rufen Wir auch die Fürbitte des heiligen Petrus, des
Apostelfürsten,
seines Mitapostels Paulus und aller Heiligen an, die bereits in das
himmlische
Reich gelangt, zu Freunden Gottes geworden sind und gekrönt die
Palme
besitzen. In ihrer Unsterblichkeit sind sie mit Sicherheit um das Heil
unserer Seelen besorgt.
Erbitten Wir für Euch schließlich aufrichtig die Fülle
aller himmlischen Gaben von Gott. Als besonderes Unterpfand Unserer
Liebe
erteilen Wir Euch, Ehrwürdige Brüder, allen Geistlichen und
den
Eurer Obhut anvertrauten gläubigen Laien, in aller Liebe und von
ganzem
Herzen den Apostolischen Segen.
Gegeben zu Rom bei Sankt Peter, am 8. Dezember 1864, im zehnten Jahre
seit der dogmatischen Erklärung von der Unbefleckten
Empfängnis
der Gottesgebärerin und Jungfrau Maria, im neunzehnten Jahre
Unseres
Pontifikates.
Pius PP. IX.
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