Anläßlich der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" scheint es angebracht, eine kurze Zusammenstellung der katholischen Lehre zu dieser Frage im Internet zu veröffentlichen. Zur unfehlbaren kirchlichen Lehre über die Rechtfertigung gehören folgende Sätze (zit. nach Diekamp, Katholische Dogmatik nach den Grundsätzen des heiligen Thomas, Zweiter Band, Münster (10)1952:
Die beiden Wesensstücke der Rechtfertigung (Diekamp
527-533)
I. Die Rechtfertigung ist nach ihrer negativen Seite keine bloße
Nichtanrechnung und Zudeckung der Sünden, sondern ihre wahre
Nachlassung und Austilgung.
II. Die Rechtfertigung ist nach ihrer positiven Seite keine bloß äußere
Zurechnung der Gerechtigkeit Christi, sondern ein übernatürliche
Heiligung und Erneuerung des inneren Menschen.
Die Vorbereitung auf die Rechtfertigung, insbesondere der
rechtfertigende Glaube (Diekamp 536-545)
I. Für die Erwachsenen ist eine Vorbereitung auf die Rechtfertigung
notwendig.
II. Der erste unbedingt notwendige Akt der Vorbereitung ist der Glaube.
III. Der zur Rechtfertigung erforderliche Glaube besteht nicht in dem
sogenannten Fiduzial- oder Spezialglabuen, sondern in dem festen Fürwahrhalten
der göttlchen Offenbarungen und Verheißungen wegen der untrüglichen
Autorität Gottes.
IV. Außer dem Glauben sind noch andere Akte der Vorbereitung auf
die Rechtfertigung notwendig. Der Glaube allein rechtfertigt nicht.
Zum Beweis dieser Glaubenssätze lassen sich in Schrift
und Tradition eindeutige Stellen anführen; da die Protestanten einräumen,
sich nicht auf die Kirchenväter stützen zu können, und das
Lehramt sowieso ablehnen, erwähnen wir hier nur einige
Schriftstellen: Christus erklärt die Seinen für rein (Joh.
13,10; 15,3) und nennt die Rechtfertigung eine Wiedergeburt (Joh 3,5.8;
8,47). Christus fordert von den Sündern Umkehr und Buße (Mt
4,17; Nk 1,15; Lk 13,3.5). Christus betont die Notwendigkeit des Glaubens
(Joh. 20,31). Christus und die Apostel haben ausdrücklich die Annahme
der geoffenbarten Glaubenssätze als heilsnotwendig verlangt (Mk
16,16; Röm 6,17). Von den Sündern wird Reue und Buße
verlangt (Lk 7,47), zum Glauben müssen gute Werke hinzukommen (Gal
5,6). Symptomatisch für die Selbstherrlichkeit Luthers und seiner
Epigonen ist die Tatsache, daß diese die heilige Schrift ganz nach
Belieben zurechtgestutzt, falsch übersetzt und sinnentstellend
zitiert haben:
"Der eigentliche Erfinder der Solafides-Lehre war Martin Luther,
welcher zur Beschwichtigung seiner eigenen Gewissensängste zum
Zufluchtsmittel des "alleinseligmachenden Glaubens" griff und
die "Werkheiligkeit" als pharisäisch und den Verdiensten
Christ abträglich verwarf. Von ihm ging diese völlig neue Lehre
in die symbolischen Bücher der Lutheraner über [...] Mit der Hl.
Schrift trat Luther in offenen Widerspruch, wenn er Röm 3,28 durch
Einschwärzung des Wörtchens "allein" fälschte und
den Jakobusbrief als "ströherne Epistel" verwarf"
(Pohle-Gierens, Lehrbuch der Dogmatik, II. Band, Paderborn (9)1937,
500.503).
Eine besondere Stellung unter den Schriften gegen die Phantastereien des Protestantismus nimmt die Symbolik von J.A. Möhler (6.5.1796-12.4. (Gründonnerstag) 1838) ein, auf die auch in Werken des 20. Jh. noch oft verwiesen wird. Wir haben Möhler auch schon bei KzM zitiert (Protestantische Angriffe gegen den Katholizismus). Sehr schön weist Möhler nach, daß sich das protestantische Lehrgebäude als ein widersprüchliches Hirngespinst ohne Sinn und Verstand zeigt, was allerdings nicht verwundern kann, wenn man die Gestalt Luthers näher kennt. Im folgenden einige Passagen aus diesem Standardwerk: J. A. Möhler, Symbolik (oder Darstellung der dogmatischen Gegensäze der Katholiken und Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften), hg. von F. X. Kiefl, Regensburg (11)1924. Die Orthographie wurde (jedenfalls nicht absichtlich) nicht den heutigen Regeln angepasst, d.h. statt "bloß" steht "blos", statt "samt" steht "sammt" etc.
[Aus dem Vorwort zur zehnten Auflage, geschrieben von F. X. Kiefl 1921]
"Daß ein im Jahre 1832 erschienenes Buch im Jahre 1921 die zehnte Auflage erlebt, ist ein einzigartiges literarisches Ereignis. Möhlers Symbolik ist ohne Zweifel jenes katholische Werk, welches die geistigen Wurzeln der Reformation am tiefsten aufgefaßt und zur Darstellung gebracht hat. Was aber dem Buche unvergänglichen Wert verleiht, ist neben seiner tiefen spekulativen Begründung seine eigentümliche Anlage. [...] Möhlers Werk hat seinen klassischen Wert behalten, weil es nicht mit einer einzelnen Phase der Bewegung sich befaßte, sondern mit deren erstem Ursprung aus dem Geiste Luthers und seiner Nachfolger. Was den Kern von Möhlers Symbolik ausmacht, ist seine tiefinnerliche Überzeugung von der Verderblichkeit des Zwiespaltes, welcher die Kirche Deutschalnds in zwei Hälften auseinandergerissen hat. Aus diesem Grunde geht er den Gegensätzen bis zu ihrer tiefesten spekulativen Wurzel nach und verschmäht es, dieselben zu verkleiden oder zu verhüllen, weil er mit Recht der Meinung ist, daß es nur dem Frieden dienen kann, wenn die Überzeugung gefördert wird, daß diese Lebensinteressen der Religion durch den Gegensatz zwischen Protestantismus und Katholismus verteidigt werden und daß, so viel Menschliches auch in der Entstehung der traurigen Spaltung mitgewirkt hat, doch die treibende Kraft das Bestreben war, die Wahrheit, das reine und ungetrübte Christentum festzuhalten.
[Aus S. 33-38] Die lutherische Lehre vom Urstande des Menschen.
Luther stellte keineswegs in Abrede, daß Adam positiv heilig und
gercht gewesen sei; vielmehr kannte er die späteren negativen
Vorstellungen von einer blosen Unschuld, von einer Indifferenz zwischen
Gut und Bös nicht einmal, in welcher sich der paradiesische Mensch
befunden haben soll, und war somit weit von jenen Behauptungen entfernt,
welche die Lehre vom Sündenfalle zur Thorheit machen, und das
Menschengeschlecht einen Ausgang nehmen lassen, der der nothwendige
Eingang in die Verkehrtheit war, um der Durchgang zur selbstbewußten
Rückker zu werden! [ FN: Eine Prüfung Adams war nothwendig,
damit der Mensch sich selbst entscheiden und dadurch das Gute, das er
bereits besaß, besonders aber seine Freiheit, zum vollkommenen
Selbstbewußtseiten bringen möchte; aber keineswegs war der Fall
nothwendig. Allerdings bewirkte nun auch der Fall diese Erhebung zum
sellbstbewußten und freien Besitz des Wahren und Guten, weil durch
Gottes Gnade selbst das Böse zur Beförderung des Guten dienen muß;
aber die einfache Behauptung der Nothwendigkeit des Falles erhebt das Böse
selbst zum Guten] Unglücklicher Weise verfielt er aber in andere
Verirrungen, die in ihren Folgen betrachtet, die eben bezeichneten
wenigstens aufwiegen.
Ueber die ursprüngliche Gerechtigkeit brachte Luther an sich keine
neue, ihm eigenthümliche Ansicht in den Ideenumlauf seiner Zeit; er wählte
nur aus dem rechen Vorrathe von Theorien, welche die fruchtbare Scholastik
erzeugt hatte, die ihm besonders zusagende heraus, behandelte sie ziemlich
ungeschickt, und verflocht sie in jener Gestalt, welche sie unter seinen Händen
annahm, der Weise in sein ganzes Lehrgebäude, daß dieses ohne
dieselbe gar nicht verstanden werden kann. Ihre Bedeutung im ganzen
lutherischen Systeme wird sich daher auch erst weiter unten herausstellen.
Gegen jene Theologen, die Adams Gottgefälligkeit eine übernatürliche
nannten, behauptete Luther, sie sei eine natürliche; und im Gegensatz
zu den Scholastikern, von welchen sie als ein Accidens [eine "zufällige",
nicht notwendige Eigenschaft] aufgefaßt wurde, begriff er sie als
ein Essentiale [eine "wesentliche", notwendige Eigenschaft] der
menschlichen Natur, als einen die letztere mitconstituierenden, dieselbe
integrierenden Bestandteil (esse de natura, de essentia hominis) [FN:
Luther. in Genes. c. III. Op. ed. Jen. Tom. L p. 83. [...]]. Er wollte
sagen, die reine aus dem Machtworte des Schöpfers hervorgegangene
Natur des Menschen enthielt alle Bedingungen ihrer Gottgefällgkeit
lediglich in sich selbst; durch die den verschiedenen einzelnen Theilen
der Natur Adams einwohnende eigenste Kraft standen dieselben im schönsten
Gleichgewichte unser sich und der ganze Mensch im rechten Verhältnisse
zu Gott. Insbesondere blühte die religiöse Anlage des Urmenschen
vermöge der ihr angeschaffenen Kraftfülle gottgefälligst
auf, so daß er ohne jegliche übernatürliche Stütze
Gotte wahrhaft erkannte, an ihn glaubte, ihn vollkommen liebte und heilig
war. Die religiös sittliche Anlage Adams sammt ihrer lebendig
heraustretenden Entfaltung nannten die Reformatoren das Bild Gottes, ohne
zwischen Vermögen und dessen dem Willen Gottes entsprechenden Thätigkeitsäusserung
eine Unterscheidung eintreten zu lassen. Dadurch, daß Adam die
genannte Anlage hatte, war er auch wirlich religiös, wirklich gottesfürchtig,
in Allem Gott und seinem Willen ergeben und vollkommen geeinigt mit ihm
[FN: Apol. de. peccat. orig. §.7 p.56 [...]]. Die katholischen
Theologen unterschieden dagegen zwischen dem Einen und dem Andern sehr
genau, so zwar, daß sie, um den Unterschied recht zu fixieren, gewöhnlich
nur die religiöse Anlage "das Bild Gottes" nannte, die
gottgefällige Entwicklung derselben aber "Gottähnlichkeit"
[Bellarm. de gat. prim. hom. c. II. l. c. p. 7. [...]] [...] Die zweite
Hauptunterscheidung beider Bekenntnisse in dem vorliegenden Stücke
bildet die Lehre von der Freiheit. Luther behauptetete nämlich und
wollte diese Behauptung als Glaubenssatz festgehalten wissen, daß
der Mensch keine Freiheit besitze, daß alles (vermeintlich) freie
Handeln nur auf einem Scheine beruhe, daß eine unabweisbare göttliche
Nothwendigkeit Alles beherrsche, und alles menschliche Thun im Grunde nur
Gottesthat sei [FN: Luther de servo arbitrio adv. Eras. Roteror. Pool. ed.
lat. Jen. Tom. III. f. 170 [...]] .
[Aus S. 53-65] Katholische Lehre von der Erbsünde
Es ist eine der merkwürdigsten Erscheinungen in der Geschichte der
Religionsstreitigkeiten der drei letzten Jahrhunderte, daß die
Reformatoren1, nach deren Grundsätzen Adam bei seinem Falle einer
unwiderstehlichen Notwendigkeit, die über ihn ausgesprochen wurde,
erlag, Gott über diese Tat des ersten Menschen, die eigentlich nach
ihren Ansichten ein unbedingtes Leiden [d.h. Adam war dabei passiv, nicht
aktiv] desselben genannt werden muß, in einen so furchtbaren Zorn
ausbrechen und ein so erschreckliches Strafgericht halten lassen, daß
es keine geringe Aufgabe ist, zu erklären, wie so unzusammenhängende
Vorstellung in einem und demselben Kopfe verbunden werden konnten. Wenn
der umfassende Ausdruck "die Reformatoren" gebraucht wird, so
ist derselbe mit Bedacht gewählt; denn auch Luther und Melanchthon
hatten ihre Theorie von der Erbsünde schon vollkommen ausgebildet,
als beide noch ganz in die im vorigen Paragraphen beschriebenen
Vorstellungen verstrickt waren, welche Zwingli und Calvin nur aufnahmen
und weiter ausführten. Wie konnte Adam der Gegenstand eines so
furchtbaren Zornes werden, wenn er tat, was es thun mußte, wenn er
verübte, was er nicht unterlassen konnte [FN: Calvin. Institu. l.
III. c. I. §. 4. fol. 77.]]? Daher denn auch eine Auffassung der Erbsünde
von Seiten der Protestanten, welche beinahe nach allen Beziehungen hin,
man verzeihe den Ausdruck, ohne Sinn und Verstand ist. Durch die
ausschweifende Darstellung der Folgen der Sünde Adams scheinen sie
das Sündengefühl und das Bewußtsein der Schuld wieder schärfen
zu wollen, welches sie durch ihre Ansichten von dem Verhältnisse
Gottes zum Bösen zu tilgen im Begriffe waren. Und doch
verschlimmerten sie die Sache noch mehr, wie sich aus folgenden
Darstellungen ergeben wird, die sich abermal zuerst mit den Grundsätzen
der Synode von Trient beschäftigen.
Die Lehre der katholischen Kirche von der Sünde ist höchst
einfach und läßt sich auf folgende Sätze zurückführen.
Adam verlor durch die Sünde seine ursprüngliche Gerechtigkeit
und Heiligkeit, zog sich durch seinen Ungehorsam das Mißfallen und
die Strafgerichte Gottes zu, verfiel dem Tode, und wurde überhaupt in
allen seinen Theilen, sowohl dem Leibe als auch der Seele nach,
verschlimmert [FN: Concil. Trident. sess. V. decret. de peccat. orig.
[..]]. Dieser sein sündhafter Zustand geht auf alle seine Nachkommen über
zwar vermöge der Abstammung von ihm, mit der Folge, daß Niemand
durch sich selbst im Stande ist, nicht einmal mit Hilfe des
vollkommensten, ihm von außen dargebotenen Sittengesetzes, selbst
nicht des im alten Bunde geoffenbarten, Gott wohlgefällig zu handeln,
und in anderer Weise gerecht vor ihm zu werden, als allein durch das
Verdienst Jesu Christi, des einzigen Mittlers zwischen Gott und den
Menschen [FN: L. c. [...]]. Wird nun dem Gesagten noch hinzugefügt,
daß die Väter von Trient die Freiheit, obwohl sie dieselbe als
sehr geschwächt darstellen, doch den gefallenen Menschen noch
beilegen [FN: Concil. Trident. sess. VI. c. V. [..]] und deshalb lehren,
daß nicht alles religiös-sittliche Thun desselben notwendig Sünde,
wenn gleichwohl auch nie aus sich und durch sich gottgefällig und
irgend vollkommen sei [FN: L. c. VII. [..]], so haben wir alles und zwar
in der symbolischen Form mitgeteilt, was streng als Kirchenlehre
festzuhalten ist. Daß übrigens auch der gefallene Mensch noch
Träger des Bildes Gottes sei (§ 1), ergibt sich aus dem Gesagten
von selbst [Bellarmin. de gratia primi hom. c. II. [...]].
[Aus S. 66-81] Lehre der Lutheraner von der Erbsünde
Nach der lutherischen Orthodoxie verlor also der Mensch durch Adams Fall,
um uns noch einmal kurz und umfassend auszudrücken, den höchsten
und feinsten Theil seines geistigen Wesens, die gottverwandte Substanz
derselben, das anerschaffene zu seiner Natur gehörige Organ für
Gott und die göttlichen Dinge, so daß der Mensch nach dessen
Verlust zu einer blos irdischen Weltkraft herabsank, und nur mehr Organe für
die endliche Welt, ihre Gesetze, Ordnungen und Beziehungen hatte.
Ist es schlechterdings undenkbar, wie aus dem Organismus des menschlichen
Geistes ein Glied herausgenommen und vertilgt werden könne; wie ein
Vermögen einer einfachen Wesenheit, die nicht aus Theilen
zusammengesetzt ist, deren Vermögen nur für die Wissenschaft
auseinander gehalten werden, indem an sich Eines in Allen und Alle in
Einem sind, solle von allen übrigen abgelöst und vernichtet
werden mögen, so ist hiemit das Unbegreifliche in der lutherischen
Vorstellung von der Erbsünde noch nicht erschöpft [FN: Beza
Quaest. et Resp. p. 45. [...]]. Von dem Positiven, das an die Stelle des
Entzogenen trat, ist eben so wenig eine Vorstellung möglich. Luther
stellt in seinem Kommentaren über die Genesis, zum dritten Capital
derselben, eine Vergleichung zwischen der Erbsünde und der ursprünglichen
Gerechtigkeit, und zieht aus der Essentialität der Erbsünde Schlüsse
auf die Essentialität der ursprünglichen Gerechtigkeit [FN:
Luth. in Genes. c.. III. [...]]! Ist demnach Luthern die ursprüngliche
Gerechtigkeit das Vermögen, Gott zu lieben und zu erkennen, so wäre
ihm die Erbsünde das Vermögen, Gott nicht zu lieben und nicht zu
erkennen, oder vielmehr ihn zu hassen, und im Finstern über ihn zu
sein! Es ist dies ungefähr dasselbe, wie wenn man sagen wollte,
jemand besitze das Vermögen, nicht nur kein Vermögen, sondern überdies
noch Schulden zu haben. Luthern war es mithin nicht nur ausgemacht, daß
durch Adams Fall das gesamte Menschengeschlecht einen integrirenden Theil
seines geistigen Wesens verloren habe, sondern auch, daß im Menschen
ein entgegengesetztes Wesenhaftes dafür eingetreten sei; und dies
letztere war ihm in dem Grade über allem Zweifel erhaben, daß
er aus demselben, als einem schlechthin Unbestreitbaren, gleichsam an sich
Gewissen, ganz unbedenklich weitere Folgerungen zieht! Ist es
unbegreiflich, wie das Bild Gottes aus dem menschlichen Geiste mit der
Wurzel ausgerottet werden konnte, so ist es nun noch unbegreiflicher, wie
eine neue Essenz in den Geist eingefügt werden mochte! Und aus dem Bösen
etwas Wesenhaftes machen! Mit den Gnostikern und Manichäern waren
dergleichen Vorstellungen nach unsäglicher Anstrengung der Kirche
beinahe durchgängig verschwunden, und nun tauchten sie so mächtig
und so voll Anmaßung abermals auf.
Das Wesenhafte, das Luther in der Erbsünde fand, setzte sich übrigens
nach ihm im Geist und Leib des Menschen an. Folgende Stellen, die sich bei
ihm in verschiedenen Büchern finden, mögen als Beweise für
das eben Gesagten dienen, wie sie denn überhaupt die Beschaffenheit
seiner Vorstellungen über diesen Gegenstand außer Zweifel
setzen. Seine Ausdrücke sind: Sündigen sei die Natur des
Menschen, Sünde sei die Wesenheit des Menschen, die Natur des
Menschen sei nach dem Fall eine andere geworden, die Erbsünde sei
eben Das, was aus Vater und Mutter geboren wird (gleichbedeutend sind die
Formeln: der Leim, aus dem wir gebildet werden, sei verdammlich, der Fötus
im Mutterleibe sei Sünde); auch sagt er: "der Mensch, wie er von
Vater und Mutter geboren ist, mit seiner ganzen Natur und Wesen, sei nicht
nur Sünder, sondern die Sünde selbst" [Quenstedt theologia
didactico-polemica. Wittenberg. 1669 P. II. p. 134-135. [...]].
[Aus S. 99-103] Allgemeine Darstellung der Weise, in welcher der
Mensch nach den verschiedenen Confessionen gerechtfertigt wird.
Die Verschiedenheit der Auffassung des Falles der Menschheit ist
begreiflich von dem entscheidenden Einfluß auf die Lehre von der
Erhebung aus dem Falle. Die Behandlung dieser Lehre aber wird für uns
um so wichtiger, und nimmt alle Aufmerksamkeit um so mehr in Anspruch, als
die Reformatoren gerade in der vermeintlichen Verbesserung der
katholischen Betrachtungsweise von der Rechtfertigung des Menschen ihr
Hauptverdienst suchten, was besonders die Schmalkaldischen Artikel
hervorheben. Sie nennen diesen Gegenstand nicht nur den ersten und
wichtigsten, sondern auch denjenigen, ohne dessen Bestand die Widersager
des Protestantismus vollkommen Recht hätten und siegreich aus dem
Streit hervorgingen [FN: Pars II. §. 1 cf. Solid. Declar. III. p.
653.]]. Übereinstimmend hiermit sagt Luther in seinen Tischreden ganz
kurz und bündig: "fällt aber die Lehre, so ist es mit uns
gar aus."
Nach dem Concilium von Trient verhält es sich also: Der von Gott
entfernte Sünder wird, ohne irgend ein Verdienst aufweisen, d. h.
ohne irgend einen Anspruch auf Begnadigung, auf verzeihende Barmherzigkeit
machen zu können, zum göttlichen Reiche zurückgerufen [FN:
Concil. Trident. Sess. VI. c. 5. [..]]. Der göttliche, an ihn um
Christi willen ergehende Ruf spricht sich nicht blos durch die äußere
Einladung mittels der Verkündigung des Evangelium aus, sondern
zugleich durch eine innere Thätigkeit des heiligen Geistes, der die
schlummernden Kräfte des mehr oder weniger in sittlichen Todesschlaf
verfallenen Menschen erweckt, und denselben antreibt, sich mit der Kraft
von Oben zu verbinden, um eine entgegengesetzte Lebensrichtung zu gewinnen
und die Gemeinschaft mit Gott zu erneuern, (zuvorkommende Gnade). Hört
der Sünder auf den an ihn ergangenen Ruf, so ist der Glaube an Gottes
Wort die erste Folge der in genannter Weise zusammen wirkenden göttlichen
und menschlichen Tätigkeit. Der Sünder vernimmt das Dasein einer
höheren Weltordnung, und mit voller, früher nie geahnter Gewißheit
ist er von derselben überzeugt. Die höheren Wahrheiten und
Verheißungen, die er wahrnimmt, insbesondere die Kunde, Gott habe so
sehr die Welt geliebt, daß er seinen Eingebornen für sie
dahingab, und Allen Vergebung des Sünde um der Verdienste Christi
willen anbiete, erschüttern den Sünder. Indem er, Was er ist,
mit Dem vergleicht, was er nach dem geoffenbarten Willen Gottes sein soll;
indem er erfährt, so groß sei die Sünde und das Verderben
der Welt, daß es nur durch die Dazwischenkunft des Sohnes Gottes
getilgt werden könne, gelangt er zur wahren Selbstkenntnis, und wird
zugleich mit Furcht vor der Strafgerechtigkeit Gottes erfüllt. Er
wendet sich nun an die göttliche Barmherzigkeit in Christo Jesu, und
faßt die vertrauensvolle Hoffnung, daß auch ihn um der
Verdienste des Erlöses willen Gottes Huld und Vergebung der Sünde
zu Theil werden möge.
Aus demselben Blicke auf die unendliche Menschenfreundlichkeit Gottes entzündet
sich in der Brust des Menschen ein Funke göttlicher Liebe, der Haß
und derAbscheu gegen die Sünde erwachen, und der Mensch thut Buße
[FN: L. c. c. 6. [...]]. So wird durch die ineinanderwirkende Thätigkeit
des heiligen Geistes und des mit Freiheit sich ergebenden Menschen die
eigentliche Rechtfertigung eingeleitet. Bleibt nämlich dieser dem
begonnenen heiligen Werke treu, so theilt sich nun der göttliche
Geist, heiligend und sündenvergebend zugleich in seinerFülle
mit, und gießt die Liebe Gottes in das Herz des Menschen aus, so daß
dieser von der Sünde in ihrer tiefsten Wurzel befreit und innerlich
erneuert wird, ein neues, gottgefälliges Leben lebt, d. h. vor Gott
wirklich gerecht ist, wahrhaft gute Werke, als Früchte des erneuerten
Geistes, der geheiligten Gesinnung wirkt, von Gerechtigkeit zu
Gerechtigkeit fortschreitet, und in der Folge seiner jetzigen durch die
Verdienste Christi und dessen Geist erworbenen religiös-sittlichen
Beschaffenheit der himmlischen Sinnlichkeit theilhaftig wird [FN: L. c. c.
6. [...]]. Jedoch erfreut sich auch der Gerechte ohne besondere
Offenbarung der schlechterdings untrüglichen Gewißheit nicht,
daß er unter die Auserwählten gehöre.
Die lutherische Betrachtungsweise hingegen ist diese: Wenn der Sünder
durch die Predigt des Gesetzes, dessen Nichterfüllung sich ein jeder
bewußt ist, eingeschüchtert und der Verzweiflung nahe gebracht
ist, wird ihm das Evangelium verkündet, und in demselben der Trost,
daß Christus das Lamm Gottes sei, daß die Sünden der Welt
trägt. Mit einem von Schrecken und Furcht erfüllten Herzen
ergreift er die Verdienste des Erlöses durch den Glauben, der allein
gerecht macht. Gott erklärt den Gläubigen um der Verdienste
Christi willen für gerecht, ohne daß er es in der That ist;
obschon freigesprochen von der Schuld und Strafe, wird er doch von der Sünde
(Erbsünde) nicht befreit; die angeborne Sündhaftigkeit bleibt
vielmehr auch im Gerechten, obwohl nicht mehr in ihrer alten Kraft. Ist es
nämlich dem Glauben vorbehalten, allein vor Gott gerecht zu machen,
so ist er doch nicht allein; vielmehr schließt sich an die
Rechtfertigung die Heiligung an, und der Glaube offenbart sich in guten
Werken, die seine Früchte sind. Die Rechtfertigung vor Gott und die
Heiligung dürfen jedoch, ungeachtet ihrer engen Verbindung, durchaus
nicht als Eins und Dasselbe betrachtet werden, weil dies die Gewißheit
der Sündenvergebung und Seligkeit, eine Gewißheit, die eine
wesentliche Eigenschaft des christlichen Glaubens ist, unmöglich
machte. Das ganze Werk der Wiedergeburt ist endlich Gottes That allein,
und der Mensch verhält sich schlechthin leidend dabei. Gottes That
geht nicht nur dem Thun des Menschen voran, als müßte oder könnte
dieser nachkommen, als wirkte dieser mit jenem und sonach Beide zusammen;
der heilige Geist ist vielmehr ausschließend thätig, auf daß
Gott allein der Ruhm zukomme, und jede Anmaßung menschlichen
Verdienstes unmöglich werde [FN: Solid. Declar. V. de lege et
Evangel. §. 6. p. 678. [...]].
[Aus 105-116] Von dem Verhältnisse der Thätigkeit Gottes
zu der des Menschen bei der Wiedergeburt nach dem katholischen und
lutherischen Systeme.
Nach den katholischen Grundsätzen treffen im heiligen Werke der
Wiedergeburt zwei Thätigkeiten zusammen, die göttliche und die
menschliche und durchdringen sich, wenn dasselbe gelingt; so daß es
ein gottmenschliches Werk ist. Gottes heilige Kraft geht erregend,
erweckend und belebend voran, ohne daß jedoch der Mensch dieselbe
verdienen, oder herbeirufen, oder ersehnen könnte; aber der Mensch muß
sich aufregen lassen und mit Freiheit folgen [FN: Concil. Trident. Sess.
VI. c. V. [...]]. Gott bietet seine Hilfe an, um vom Falle zu erheben,
aber der Sünder muß einwilligen, und dieselbe in sich
aufnehmen; sie aufnehmend wird er vom göttlichen Geiste aufgenommen
und allmählig, wenn auch in diesem Leben niemals vollkommen, durch
treues Mitwirken zu jener Höhe wieder emporgebracht, von der er
herabgestürzt ist. Gottes Geist wirkt nicht absolut nöthigend,
obschon er dringend thätig ist; seine Allmacht setzt sich an der
menschlichen Freiheit selbst eine Schranke, die sie nicht durchbrechen
will, weil ein unbedingtes Eindringen in dieselbe eine Vernichtung der
moralischen Weltordnung herbeiführte, welche die ewige Weisheit auf
die Freiheit gegründet hatte. Mit Recht und ganz ihrem tiefsten Wesen
gemäß hat demnach auch die katholische Kirche den
Jansenistisch-Quesnell´schen Satz verworfen, daß der Allmacht
Gottes die menschliche Freiheit weichen müßte [FN: Constit.
Innocent. Pap. X. ap. Hard. Concil. Tom. XI. fol. 143. [...]]; ein Satz,
der unmittelbar die Lehre von einer ganz unbedingten Vorherbestimmung
Gottes zur Folge hat, und von jenen, die nicht zur Wiedergeburt gelangen,
aussagt, daß sie sich nicht selbst verworfen haben, sondern von Gott
schlechthin verworfen würden, da die Berührung derselben durch
Gottes Geist auch ihre Freiheit zum Glauben und zum heiligen Gehorsam würde
bestimmt haben.
Es ist unschwer einzusehen, daß diese vorgelegte Lehre der
katholischen Kirche durch ihre Betrachtungsweise der Erbsünde bedingt
sei; denn hätte sie eine völlige Vertilgung aller guten Keime
und eine Vernichtung der Freiheit des Menschen durch den Fall behauptet,
so könnte sie auch von keiner Mitwirkung derselben, von keinen Kräften
in ihm, die angeregt, neubelebt und unterstützt werden sollten,
sprechen. Der Mensch, der aller Verwandtschaft und alles Ebenbildlich mit
Gott verloren hätte, wäre nicht einmal mehr fähig, Gottes
Einwirkung zur Vollziehung einer Wiedergeburt aufzunehmen, da die göttliche
Thätigkeit keinen Anklang mehr finden würde, so wenig, als in
einem vernunftlosen Tiere.
Umgekehrt leuchtet nun auch aus der lutherischen Darstellung von der Erbsünde
ein, daß die Lutheraner keine Mitwirkung des Menschen annehmen können,
und zugleich, warum sie nicht können; deshalb nämlich nicht,
weil nach ihnen das Erbübel in einer Vernichtung des
Gottebenbildlichen im Menschen besteht, welches gerade das Vermögen
ist, das mit Gott wirken kann. Demnach wird gelehrt, der Mensch verhalte
sich ganz passiv, und Gott sei ausschließend thätig. Schon auf
der berühmten Disputation zu Leipzig verteidigte Luther gegen Eck
diese Lehre, und verglich den Menschen mit einer Säge, die sich in
der Hand des Werkmeisters leidend müsse hin und her bewegen lassen.
Späterhin gefiel er sich in den Vergleichungen des gefallenen
Menschen mit einer Salzsäule, einem Klotze, einem Erdkloße, der
auch nicht fähig sei mit Gott zu wirken [FN: Luther. in Genes. c.
XIX. [...]].