Was nun unsere "Verurteilung" durch die Bonner Christenschlächter
betrifft: Auch die Nazis waren nicht gerade zimperlich, wenn es darum ging,
ihre übergöttliche Allmacht scheinbar zu beweisen. Allerdings
sind die Nazis im Endeffekt auf die Nase gefallen, und wir können
nicht garantieren, dass die Bonner Richter einmal besser dastehen werden.
Den Richtern der Nazis ist immerhin noch zugute zu halten, dass sie das
Priestertum der von ihnen verurteilten Priester anerkannten. Selbst wenn
die Bonner Christenschlächter genau so viel von unserem Priestertum
wissen wollten wie von ihrer Zuständigkeit, d.h. gar nichts, wären
sie nicht leicht von ignorantia affectata zu
entschuldigen. Ferner haben die Nazis - im Gegensatz zu den Bonnern - keine
Verbrecherorganisation zur katholischen Kirche erklärt. Wir hegen
offen gestanden nicht übertrieben viel Zuversicht bzgl. des Urteils,
das einmal über die Bonner gesprochen werden wird.
Auch über die Rolle der Medien mit ihrer so gen. "Berichterstattung"
("Gerechte Strafe") sollte anhand dieses Textes nachgedacht werden dürfen
(s. auch Die weiße Rose).
Als Handreichung, damit jeder Leser sich selbst ein Urteil erlauben
kann, veröffentlichen wir hier den Schlussartikel (99-103) aus "K.
Hofmann (Hg.), Schlaglichter. Bilder und Belege aus dem Kampf gegen die
Kirche, Freiburg 1947: Das christliche Deutschland 1933-1945. Katholische
Reihe: Heft 8". Der Herausgeber hat dieser kleinen Artikelsammlung ein
Vorwort (5) hinzugefügt, das vollständig lautet:
Am Morgen des St. Georgentages 1945 bot das Innere des Regensburger
Domes einen erschreckenden Anblick. Die Fenster hatten zum größten
Teil dem Luftdruck von der Sprengung der Brücke (zum unteren Wöhrd)
nachgegeben, und so war der Boden vom Hochaltar zurück bis fast unter
die Türme übersät mit Glassplittern, Bleistäbchen und
der zerfetzten Notverkleidung, die nach dem Bombenangriff vom 20. Oktober
1944 an manchen Fenstern angebracht worden war. Da tat sich der Domprediger
- er war zum Luftschutzdienst im Dom eingeteilt - einen Schurz an und half
mit dem Besen den "Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte"
zu beseitigen. Sein Gesicht war todernst, und seit Tagen kam immer wieder
die Frage über seine Lippen: Quid ergo erit nobis? [Anm. PRHL: Aus
der berühmten Frage des Petrus an Jesus: "Wir haben alles verlassen
und sind dir nachgefolgt. Was also wird uns zuteil werden?" (Mt 19,27f)]
Regensburg soll verteidigt werden! Und so viele Verwundete sind in den
Lazaretten, so viele Kranke und Kinder und Frauen in den Bunkern und Kellern!
Werden Bomberwellen den Widerstand brechen? Dann wird die Stadt zum Schluß
noch das Los Würzburgs erleben. Die Kirche hat einst Italien vor der
Verwüstung durch Attila bewahrt; was kann jetzt kirchlicherseits geschehen,
um von der Stadt das Unheil abzuhalten? Man darf doch eine Bitte vorbringen!
Als am St. Georgentag in später Abendstunde 4 Bogen der 800jährigen
Steinernen Brücke in die Luft flogen, wartete der Domprediger im Polizeigebäude
am Minoritenweg auf das Zusammentreten des Standgerichtes. Er war sich
wohl darüber klar, was ihm bevorstand: In den Alarmstunden nach Ostern
hatte er mit großem Eifer das Buch von Rosadi "Der Prozeß Jesu"
durchgearbeitet; in einer Predigt vor Ostern hatte er gesagt: Keine von
den 14 Stationen bleibt dem Christen erspart; bei welcher Station werden
wir schon angelangt sein?
Vom Mittag des 23. April an war es von Mund zu Mund durch die Stadt
gegangen: abends 6 Uhr spreche beim Neuen Rathaus der Kampfkommandant,
es handle sich um die Freigabe der Stadt, besonders die Frauen sollten
da sein mit den Kindern. Auch Angehörige der Partei und der Polizei
gaben die Einladung weiter, so daß man annehmen konnte, es werde
die Volkskundgebung von oben gewünscht. Als gegen 6 Uhr der Zustrom
der Frauen und Mädchen begann und der Klarenanger vor dem Neuen Rathaus
sich füllte, heulten die Sirenen Fliegeralarm und bald darauf akute
Luftgefahr; am Rundfunk wurde von der Kreisleitung durchgesagt, Saboteure
hätten zu einer Kundgebung aufgerufen, und wer sabotiere, ende am
Strang. Die Massen ließen sieh aber wenig irremachen, auch nicht,
als ein Flugzeug ganz tief über den Platz hinwegdonnerte. Sie riefen
in immer stärkeren Chören: "Gebt die Stadt frei! Gott erhalte
unser Regensburg!" Als am Rathaus niemand sichtbar wurde, um zum Volke
zu sprechen, stieg die Erregung; die Scharen drängten einige hundert
Meter weiter die Straße hinab zur Kreisleitung. Da zwängten
sich Männer in Zivil, in SS- und in Volkssturmuniform in die Menge
hinein. Sie stießen und schlugen und verhafteten, auch alte Frauen.
Bei der Kreisleitung fielen Schüsse, die Feuerwehr machte Anstalten
zum Spritzen. Der Domprediger war wie manch andere Geistliche der Stadt
unter der Menge. Als es wild durcheinanderging und niemand beruhigte, ließ
er sich auf den Fenstervorbau eines Luftschutzkellers hinaufhelfen, winkte
längere Zeit um Ruhe und begann dann etwa so: Regensburger aller Glaubensgemeinschaften
und aller politischen Überzeugungen! Es wäre unser unwürdig,
einen Aufruhr zu stiften. Wir Christen machen keine Empörung, wir
haben erst gestern das Gotteswort gehört, daß wir der Obrigkeit
Gehorsam schulden. Wir sind mit einer Bitte gekommen - (Zwischenruf: "Wir
fordern") - nein, wir bitten um die Freigabe der Stadt aus folgenden vier
Gründen ... Da wurde er von einem Gestapomann in Zivil heruntergerissen,
SS-Männer drängten vor, die Maschinenpistole in der Hand. Bezirksinspektor
Michael Lottner, der gleich nachher in der Kreisleitung mit Genickschuß
"umgelegt" wurde, rief: "Laßt doch den Domprediger reden! ihr wißt
ja nicht, was er sagen will." Männer und Frauen versuchten, den Domprediger
freizukriegen, er winkte ihnen ab. Das Getümmel um ihn wurde so arg,
daß es schien, als käme er nicht mehr lebendig vom Platz. Schließlich
fuhr ein Lastauto mit Vollgas unter die Leute und machte den Weg frei.
Blaß, aber aufrecht und voll Würde ließ sich Dr. Maier
abführen zum Polizeigebäude.
Kaum zwei Stunden später stand er mit vier anderen Männern
vor Gericht. Der eine Angeklagte war ein Elsäßer, der wohl zufällig
zur Kundgebung hingeraten war. Der andere ein junger Soldat, der einen
Arm in der Schlinge trug und der vor der Kreisleitung zu den Frauen gesagt
hatte: Da braucht ihr euch nicht zu fürchten, die schießen nur
mit Platzpatronen. Der dritte, ein alter Fabrikarbeiter, der von rückwärts
auf einen Polizisten hinaufgestoßen und dann "wegen flegelhaften
Benehmens" gepackt worden war. Der vierte war der 64jährige, schwerhörige
Hausbesitzer Josef Zirkl, der zur Kundgebung gekommen war, "damit sein
Haus nicht bombardiert werde". Von den vier Gerichtsherren war einer ehemals
katholischer Verbindungsstudent, Bekannte bezeichneten ihn als maßlos
ehrgeizig; ein anderer war einst Student in einem katholischen Seminar,
jetzt voll gegen alles Kirchliche. Im Gerichtszimmer waren noch anwesend
der neue Gauleiter - der Vorgänger war wenige Tage zuvor "wegen Feigheit
vor dem Feind" erschossen worden - einige SS-Führer und anfangs auch
der Kreisleiter. Der Staatsanwalt beantragte nach einigen beißenden
Worten den Tod für alle fünf. Bei der Vernehmung wurde zuerst
der Domprediger gehört. Er trug in aller Ruhe vor, was er gesagt und
was er gewollt habe. Nach etwa halbstündiger Beratung im Räume
nebenan - auch der Staatsanwalt war mit hinausgegangen - wurde das Urteil
verkündet: Dr. Maier sei des Todes schuldig, als Priester gehöre
er in die Kirche, nicht auf die Straße, er müsse wissen, daß
der Führer diese Demonstrationen und jede Widerspenstigkeit verboten
habe; trotzdem habe er sich zum Sprecher gemacht, jetzt versuche er den
jüdischen Dreh und rede sich aus wie ein Jesuit. Der Domprediger nahm
das Todesurteil hin, "sehr ruhig, wie es halt die Jesuiten machen". Auch
der schwerhörige Mann wurde zum Tode verurteilt. Die übrigen
drei wurden freigesprochen, abgeführt und die Nacht über und
den folgenden Tag in einer Zelle im Kellerraum festgehalten. Gegen Mitternacht
wurden auch der Domprediger und der andere Todeskandidat in der Nähe
in Zellen gesperrt. Ein Polizist, der durch das Beobachtungsloch in der
Türe hineinschauen konnte, sah Maier sitzen, ruhig, bald vor sich
hin und bald zum Himmel blickend. Dann setzte sich ein Gestapomann vor
die Zellentüre und übernahm die Wache. Nach einiger Zeit wurden
dem Domprediger eine gewöhnliche dunkelbraune Joppe und eine schäbige
hellere Hose gebracht, und er mußte sein Priesterkleid ablegen. Vielleicht
gegen 2 Uhr früh begann der letzte Gang. Leider sind Augenzeugen hierfür
nicht zu ermitteln. Sicher ist, daß das Polizeigebäude nicht
durch das Haupttor verlassen wurde. Der Weg zur Richtstätte beträgt
ungefähr 200 Meter. Auf dem sogenannten Moltkeplatz - die Zugangsstraßen
waren abgesperrt und die wenigen Anwohner waren im Keller - wurde an zwei
Fahnenmasten, offenbar in aller Stille, eine Querstange festgebunden, knapp
in der Höhe, die unbedingt notwendig war ... Bei Tagesgrauen lief
die Schreckenskunde durch die Stadt. Es war zum Versteinern. Ein Pilgern
hob an. Beim Galgen aber stand ein Polizist Wache und verhinderte das längere
Stehenbleiben. Und die letzte Nummer des unseligen "Regensburger Kuriers"
brachte unter dem Titel "Gerechte Strafe für Volksverräter" die
Meldung: "Das I.Standgericht des Gaues Bayreuth verurteilte die beiden
Einwohner der Stadt Regensburg, Dr. Johann Maier und Josef Zirkl wegen
des Verbrechens der Wehrmachtzersetzung zum Tod. Das Urteil wurde in den
ersten Morgenstunden des 24. April am Tatort durch Erhängen vollstreckt.
Die beiden Verurteilten haben in den Stunden höchster vaterländischer
Not, in denen es darauf ankommt, durch härteste Entschlossenheit und
stärksten Widerstand des ganzen Volkes die dem Vaterland drohende
Todesgefahr zunichte zu machen, in aller Öffentlichkeit den Willen
des deutschen Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lahmen versucht."
Schon im Laufe des Vormittags meldete der amerikanische Rundfunk das
Verbrechen. Die drei Leichen (es war auch der Erschossene aus der Kreisleitung
herbeigebracht worden) durften tagsüber nicht angerührt werden.
Der Domprediger trug auf der Brust einen Pappendeckel mit der Aufschrift:
"Hier starb ein Saboteur." Das gesunde Volksempfinden klagte, wie Bischof
Buchberger beim ersten Jahrestag der Errettung der Stadt es ausdrückte:
"Was ist das für eine Rechtsprechung, die einen Priester zum schimpflichsten
Tode verurteilt, weil er das erregte Volk beruhigt und weil er bittet um
Erhaltung der Stadt und um das Leben ihrer Bewohner! Was ist das für
ein Gericht, das es mit der Vollstreckung dieses Urteils so eilig hatte,
daß es die Finsternis der Nacht dazu benützte!" - Erst bei Einbruch
der Dunkelheit brachte der Leichenwagen die Toten in den Oberen Friedhof,
wo Dutzende von Leichen seit längerem schon in einem Schuppen lagen.
Am Mittwoch mußte der Versuch einer Beerdigung wegen Alarms und Artilleriefeuers
aufgegeben werden, und den ganzen Donnerstag lag die Stadt unter schwerem
Beschüß. So konnten die Freunde erst am Freitag, nach dem Einmarsch
der Amerikaner, dem Domprediger das Meßgewand anziehen und in Gegenwart
von etwa 30 Trauernden den Sarg in einer Gruft an der südwestlichen
Ecke des Oberen Friedhofes vorläufig beisetzen. Es war der Tag des
hl. Petrus Canisius, der einst ebenfalls im Regensburger Dom predigte.
Am Sonntag darauf aber brannte auf der Domkanzel tagsüber eine Kerze
neben einem Blumenstöcklein. Die Stadt war verhältnismäßig
wenig zu Schaden gekommen; das Volk dachte ergriffen und dankbar an die
Fürsprache des gottseligen Bischofs Michael Wittmann und an das Opfer
des Dompredigers. Am 13. Mai hielt der Oberhirte im Dom den Gedächtnisgottesdienst
und die Gedenkrede vor etwa 6000 Teilnehmern, darunter vielen Andersgläubigen.
Er sagte darin unter anderem: "Wir sind heute hier, nicht um anzuklagen
und zu richten; das letzte Urteil und Gericht ist Gottes Sache. Wir sind
hier, um einen edlen Priester zu ehren und zu danken dafür, daß
er sich für die Stadt Regensburg und ihre Bewohner geopfert hat mit
der Liebe des guten Hirten, der sein Leben hingibt für seine Schafe."
Im Juni ordnete der neue Oberbürgermeister an, daß "zur Erinnerung
an den edlen und aufrechten Priester" die Ritter-von-Epp-Straße in
Dr.-Johann-Maier-Straße umbenannt werde. In Weiden, wo er über
ein Jahr Kaplan war, wurde die Dietrich-Eckart-Straße zur Domprediger-Dr.-Maier-Straße
umbenannt. Im Dom aber, in der Nähe seiner Kanzel, setzten ihm Bischof
und Domkapitel einen Gedenkstein mit der Inschrift: "Eine größere
Liebe hat niemand als diese, daß er sein Leben hingibt für seine
Freunde. (Joh. 15,13.) Zur dankbaren Erinnerung an Hochwürden Herrn
Dompredigsr Dr. Johann Maier, der am 24. IV. 1945 sein Leben opferte für
die Erhaltung der Stadt Regensburg. Als Apostel des Friedens bat er bei
einer Volkskundgebung die damaligen Machthaber um die kampflose Freigabe
der Stadt, weil eine Verteidigung aussichtslos war. Dafür wurde er
zum Tode verurteilt und auf öffentlichem Platz durch den Strang hingerichtet.
- Sein Mund ist zwar verstummt, aber seine Tat und sein Tod werden weiterpredigen."
Am Osterdienstag, 23. April 1946, wurde der Sarg des Dompredigers unter
dem Geläute aller Glocken der Stadt durch das Spalier der Kinder hindurch
in einem langen, würdigen Trauerzug zum Unteren Friedhof übergeführt.
Dort hatte sich Dr. Maier im Testament die letzte Ruhestätte gewünscht
bei seinem priesterlichen Freund, dem Jesuitenpater Dänischer. Bischof
und Regierungspräsident und Oberbürgermeister und der alte Vater
standen am Grab, der Generalvikar sprach die Gebete der Kirche, und der
Domchor sang ergriffenen Abschied.