1. Wendelin Rauch (Hg.), Lexikon des katholischen Lebens,
Freiburg 1952:
(478 (aus: Art. Heilende Führung))
Die große Gefahr der Seelenheilkunde ist der "profane (weltl.)
Raum". Die Psychotherapie setzt, soll sie wirksam sein, unbedingte Offenheit
voraus. Das bedeutet aber, daß der Hilfesuchende keinerlei Hemmung
für die Mitteilung auch noch so peinlicher Erinnerungen gelten lassen
darf. Die Macht, die dem Therapeuten mit zunehmender Preisgabe des Heilungsuchenden
erwächst, bedeutet eine Gefahr. Viele Therapeuten befleißigen
sich vornehmer Zurückhaltung in Bezug auf Gewissensbindungen od. welt-anschaul.
Glauben ihrer Pfleglinge. Das ist anzuerkennen, kann aber nicht darüber
hinwegtäuschen, daß die Seelenheilkunde ein zwiespältiges
Ding ist: ihrem Wesen u. ihrer Betätigung nach nähert sie sich
der Beichte u. Seelenführung; sie entbehrt jedoch des sakramentalen
Schutzes (Beichtgeheimnis) u. oft der unbedingten Wahrheiten u. Werte.
Eine volle u. dauernde Heilung kann die neurotisch gestörte u. leidende
Seele nur finden, wenn der Psychotherapeut (bewußt od. unabsichtlich)
seinen Kranken auf den Weg zur heilenden relig. Wahrheit u. Gnade führt.
(998 (aus: Art. Psychologie))
Es entspricht einer heute weit verbreiteten seelischen Unsicherheit,
einem Mangel an persönl. Selbstverständnis, daß viele Menschen
auf der Suche nach seelischem Halt begierig nach der P. greifen, die dann
auch zur vielbesprochenen Modewiss. geworden ist. Tatsächlich vermögen
psycholog. Erkenntnisverfahren in der Hand des Fachmannes, aber nur in
dieser, manche persönl. u. mitmenschl. Schwierigkeiten aufzuhellen
u. der Klärung u. vernünftigen Verarbeitung entgegenzuführen.
Die endgültige, echte Lösung von inneren Schwierigkeiten, die
Bewältigung u. Meisterung des Lebens u. seiner Aufgaben gelingt allerdings
allein im lebendigen Bezug zu Werten, welche dem Dasein einen Sinn geben,
letztlich in der relig. Bindung an den persönl. Gott. Es besteht heute
da u. dort die Gefahr, daß P. als Weltanschauung od. gar als Glaubensersatz
betrachtet wird. Die psycholog. Auffassungen des Katholiken sind umgekehrt
ihrerseits geprägt durch seine in den relig. Glauben mündende
Metaphysik, insb. durch sein christl. Bild vom /'Menschen. Der kath. Psychologe
wird gerade dort, wo er helfend u. heilend tätig ist (als Heilpädagoge,
Psychotherapeut, Psychagoge), die Arbeit des Seelsorgers vorbereiten u.
unterstützen können.
2. B. Häring:
(1035-1037)
Psychotherapie vermittels Psychoanalyse und Narkoanalyse
Eine Art geistiger Operation ist die moderne Psychotherapie vermittels
der Psychoanalyse. Die heutigen Methoden gestatten dem Psychotherapeuten
einen Eingriff in das seelische Leben des Patienten von ungeheurer Tragweite.
In der Hand eines gewissenhaften und erfahrenen Arztes kann die von SIGMUND
FREUD grundgelegte, von ALFRED ADLER und CARL GUSTAV JUNG weiterentwickelte
und gereinigte psychoanalytische Methode segensreich wirken. Ein psychotherapeutischer
Heilpfuscher kann schweren Schaden anrichten. Ist die psychoanalytische
Methode von ihrem pansexualistisch-materialistischen Ursprung her an sich
schon belastet, so wird die sittlich religiöse Gefahr einer Behandlung
furchterregend, wenn der Psychotherapeut selber auf dem weltanschaulichen
Boden von S. Freud steht [FN: Vergleiche Ansprache Pros XII. vor dem fünften
internationalen Kongreß für Psychotherapie vom 13.4. 1953 AAS
45 (1953) p. 278-286.]. Es ist immer gefährlich, sich einem Psychotherapeuten
zu überantworten, der nicht auf dem Boden des Christentums, ja nicht
einmal auf dem Boden des Glaubens an die sittliche Freiheit und Verantwortlichkeit
des Menschen steht. Jede Psychoanalyse, jede Deutung der seelischen Vorgänge
ist zugleich eine starke Beeinflussung, eine Festlegung der weiteren seelischen
Entwicklung. Der Psychotherapeut, dessen Behandlung eine »Sinnerfüllung
des Lebens« ermöglichen will, kann eben nicht absehen vom letzten
Sinn des Lebens. Die Behandlung durch einen areligiösen Psychotherapeuten
ist darum fast notwendig eine verhängnisvolle Ablenkung vom ewigen
Ziel, eine oft kaum überwindbare Festlegung auf rein innerweltliche
Sinnerfüllung des Lebens des Patienten, zumal dieser im Verlauf der
Behandlung seine Freiheit weithin an den behandelnden Psychotherapeuten
bindet. Die genannte Gefahr wird noch gesteigert, wenn für die Analyse
des Unterbewußten die Hypnose zu Hilfe genommen wird. Wenn audi heute
nicht mehr so oft die volle Hypnose zur Grundlage der Psychoanalyse gemacht
wird, so ist doch das Verhältnis, in dem der Patient zum Analytiker
steht, vielfach ein mehr oder weniger hypnotisches und damit auch voller
Gefahrenquellen für Fehldeutungen und seelisches Verfallensein. Neuerdings
ist in der Narkoanalyse ein Hilfsverfahren der Psychoanalyse erfunden worden,
wobei der Patient durch sehr fein dosierte Narkotika (Narkonumal, Evipan
undsoweiter) in einen Schwebezustand zwischen Wachbewußtsein und
Schlaf versetzt wird. Dadurch verliert er die Kontrolle über den Ablauf
seiner Vorstellungen und Äußerungen, da die zusammenhaltenden
Willenstendenzen zerfallen. Die Fähigkeit zur Kritik gegenüber
den aus dem eigenen Unterbewußtsein aufsteigenden Bildern wird vermindert
und die Suggestibilität gegenüber dem Psychoanalytiker wird so
erhöht, daß der Zustand des Patienten an Hypnose grenzt. Man
hat zu Unrecht von einem »Wahrheits-Serum« gesprochen. In Wirklichkeit
»steuert nicht die Droge, sondern die Befürchtungen und Erwartungen
des Untersuchten seine Gedanken«. Es bleibt freilich noch eine gewisse
Möglichkeit, zu verdrängen und zu verschweigen. Liegen schon
in der Psychoanalyse überhaupt zahlreiche Gefahrenquellen infolge
der bewußten oder unbewußten Gedankensteuerung und oft willkürlichen
Auslegung durch den Untersuchenden, dann erst recht in dem Verfahren der
Narkoanalyse. An den Psychotherapeuten, der glaubt, die Narkoanalyse anwenden
zu sollen, sind noch viel höhere sittliche, religiöse und fachliche
Anforderungen zu stellen als an den, der grundsätzlich auf jede narkotische
Herabdrückung des Bewußtseins des Patienten verzichtet. Muß
man also der Narkoanalyse schon in der ärztlichen Behandlung größtes
Mißtrauen entgegenbringen, falls es sich nicht um einen überaus
verantwortlichen, klugen und erfahrenen Psychotherapeuten handelt, so ist
das »Wahrheits-Serum« als ein unerhörter Eingriff in die
Freiheit, eine noch über die Folter hinausgehende Methode zur Erpressung
wahrer und falscher Geständnisse zu brandmarken, wenn es gerichtsmedizinisch
zur Anwendung kommt. Wenn gar die »Wahrheits-Droge« noch mit
ändern Methoden der planmäßigen Zerrüttung der Persönlichkeit
zusammen verwendet wird, so hat der moderne Staat den Gipfelpunkt seiner
Unmenschlichkeit erreicht [FN: Vergleiche P. DAL BIANCO, »Ich-Plastik«
durch politische Medizin; I. A. CARUSO, Entmenschlichung durch Tiefenpsychologie?,
in: Wort und Wahrheit 5 (1950) S. 450-456; G. TRAPP, »Das Wahrheitsserum«,
in: Stimmen der Zeit 147 (1950) S. 289-295.].