Bericht von Dr. Konrad Hofmann
Wer von Dr. Feurstein spricht, nennt eine wahrhaft edle
Priestergestalt,
nennt einen Seelsorger von geistiger und sittlicher Größe.
Seine
Gelehrsamkeit und sein Kunstsinn stehen hier nicht zur Erörterung.
Er, der selbstlose Güte anderen erzeigte, übte gegen sich
selbst
die Strenge eines Aszeten. Äußerst bescheiden in den eigenen
Ansprüchen, spendete er sich und seine Habe aufs freigebigste bis
zur Selbstentäußerung. Kaum ein Haus, eine Familie gab es in
Donaueschingen, die nicht irgendeine Wohltat von ihm erhalten
hätten.
Obgleich er sich mit allem Ernste in der Pastoration mühte und
schöne
Erfolge darin erntete, quälte sich sein empfindliches
Verantwortungsbewußtsein
doch oft mit dem verzagenden Zweifel herum, ob er, "ewig nur ein armer
Triarier und Ruderknecht", den richtigen Kurs einhalte. Die bange
Frage,
ob er Kraft und Kunst genug daran setze, allen alles zu werden, ob er
den
rechten Weg gehe und führe, beschäftigte ihn erst recht, ja
durchrüttelte
ihn bis ins Mark seines Wesens in der Zeit, als im ganzen Reich jene
unseligen
Gewalten gegen Religion und Menschenwürde aufstanden und auch in
die
Hürde seiner Pfarrgemeinde einbrachen. Daß er, gehorsam der
Forderung seines Gewissens, ein tapferes Bekenntnis ablegte und in
Treue
zum inneren Anruf für seine religiöse Überzeugung
entschlossen
Kerker und Tod auf sich genommen hat: dieser Glaubensmut und Opfergang
ist das Erhabenste an ihm. Mit dem Siegel der Bewährung steht er
vor
uns, der Palmzweig des Überwinders schmückt sein Bild.
Unter dem kulturellen wie dem politischen Gesichtspunkt betrachtete
Dr. Feurstein die Entscheidung vom Jahre 1933, die zur
nationalsozialistischen
Machtergreifung führte, als unfaßbar und
verhängnisvoll.
Wie man bloß "diesen Hitler mit seinen diabolischen Augen, der
nur
Unheil bringt", wählen könne! In seinem teilnehmenden Geist
und
priesterlichen Herzen aufgeschreckt, verfolgte er mit wachem Sinn und
blutender
Seele die Entwicklung, um so leidvoller, je mehr sich die
Unmoralität
und Despotie, der Machtrausch und Kirchenhaß offenbarten. Er
ließ
sich ja nicht von den Scheingütern und Augenblickserfolgen
blenden.
An die Werte legte er die letzten Maßstäbe an.
Freimütig
und aktiv verfocht er, was die Geiststimme in ihm für recht und
heilig
erklärte. Es hätte seiner Art widersprochen sich entmutigt
und
tatenlos in ein fatalistisches Hinnehmen der Irrlehre und Gewaltmethode
zurückzuziehen. Was er von sich selbst verlangte und seinen
Pfarrkindern
predigte, war ein klares Stellungnehmen und starkes Handeln aus der
Kraft
und Richtschnur des christlichen Glaubens gegen die anbrandende Flut
des
Neuheidentums. Bei solcher Haltung mußte es zum Konflikt mit dem
nationalsozialistischen System und Staat kommen. Eine Predigt Dr.
Feursteins
vom 5.Oktober 1939 erweckte den ersten amtlichen Anstoß. Der
Oberstaatsanwalt
beim Sondergericht in Mannheim forderte ihren Text ein. Die Sache
verlief
diesmal noch im Sand. Aber Partei und Gestapo richteten seitdem ein
scharfes
Auge auf den markanten, bekenntnistapferen Pfarrherrn. Das Bespitzeln
und
Fallenstellen schüchterte diesen jedoch nicht ein. Seine innere
Not
über das Maß des Unrechts, der Unbußfertigkeit und
Gottlosigkeit
zwang ihn zum Reden. Auch daß viele Christen unter den
Prüfungen
des Krieges, statt sich zu läutern und religiös zu erstarken,
lauer wurden und inmitten der Bäche von Blut und Tränen das
Leben
gierig auskosteten, bedrängte ihn sehr. Daher sprach er in seiner
Neujahrspredigt 1941 ein unmißverständliches Wort:
"Man müßte von unserer Pfarrgemeinde erwarten, daß sie in diesen Tagen ernster Entscheidung religiös mehr anspricht, daß sie mehr Eifer zeigt im Besuch des Gottesdienstes, der Kriegsandachten, im Empfang der heiligen Sakramente. Viele von uns haben den Ernst der Lage noch nicht begriffen. Sie werden ihn begreifen, wenn es zu spät ist. Wieviele feige Mütter gibt es noch, die, anstatt ihre Jugend zur Pflicht aufzurufen, vor ihren eigenen Kindern kapitulieren und so diese kleinen Teufel heranziehen, die sie einmal peinigen werden in der ewigen Verdammnis, weil sie ihre eigenen Mütter verantwortlich machen für ihr zeitliches und ewiges Unglück! Alle, die unter uns, die in diesen Tagen im alten Schlendrian weiterleben, in bürgerlicher Sattheit, im üblichen Genießertum, sind die gewissenlosen Verlängerer dieses Krieges und damit die Feinde ihres Volkes und ihres Vaterlandes. Was von uns Christen heute gefordert wird, ist die heroische Haltung, die eiserne Pflichterfüllung, die Überwindung der Genußsucht, der Verzicht auf Tanzereien, sündhaften Geschlechtsgenuß, Nikotin und andere Rauschgifte und Genußmittel. Wir brauchen Menschen, die einer heroischen Haltung fähig sind. Sonst werden wir zum zweitenmal das traurige Schauspiel erleben, daß der Krieg... in der Heimat verspielt wird an den räsonierenden Biertischen, auf den Tanzdielen, von den leichtgeschürzten Damen an den Tischen unserer Kaffeehäuser, von den Kettenrauchern, den Säufern, Spielern und Kriegsgewinnlern. Wir Christen haben unseren Lebensstil, und der ist geprägt durch das Beispiel des gekreuzigten Christus. Man braucht uns keine Vorträge zu halten über heroische Lebensführung. Die haben wir, wenn wir unserer übernatürlichen Sendung bewußt sind und das ungebrochene katholische Lebensgefühl uns bewahrt haben, nicht nur mit der Muttermilch eingesogen, sondern längst als zweite Natur in uns ausgeprägt. Der Christ allein, der diesen Namen verdient, wird die kommenden Dinge zu meistern wissen; denn seine Kirche ist die in Kreuz und Leid geprüfte, bewährte und sieghafte Kirche. Für den Neuheiden unserer Tage dagegen ist, wenn sein Mißerfolg einmal offenbar wird, der Selbstmord die einzige und letzte Lösung oder vielmehr Nichtlösung der Rätsel seines Lebens, der letzte traurige Ausklang seiner sogenannten tragischen Lebensform".
In derselben geistlichen Rede trägt er dann das christliche Schuldbewußtsein und Anliegen in Form dieses ergreifenden Confiteor-Gebetes vor Christus, den Herrn und König der Zeiten:
"Du bist gekommen, um alle, die das Ebenbild Gottes an sich tragen, zu einer wundervollen Einheit zusammenzuschließen. Zu diesem Zwecke hast du uns zu deinen Brüdern eingeweiht und zu Kindern desselben Vaters und hast diese Weihe besiegelt mit deinem kostbaren Blute. Aber wir wissen es besser! Wir Menschen zerfleischen uns gegenseitig in jammervollen Bildern des Hasses, treten unsere christliche Würde mit Füßen und vertreten unsere Ansprüche mit der Ethik des Raubtieres. Das ist der Ablauf der Menschheitsgeschichte seit Jahrtausenden gewesen. Einst, vor deiner Ankunft, war es Unwissenheit und Mangel an sittlicher Kraft. Heute, in der Ära des Christentums, geschieht es trotz deinem Beispiel und entgegen dem Grundgesetz der Liebe, das du uns gegeben hast, und unter Mißachtung der Gnade, die uns zu ungeahnten Höhen emporführen sollte, und zur Schande unseres christlichen Namens. Wir verdienen daher unser Schicksal. Aber du bist die Güte, du bist das ewige Erbarmen. Du hättest einst um zehn Gerechter willen die Lasterstädte Sodoma und Gomorrha verschont. Du wirst dich auch deines heiligen Volkes erbarmen: um aller Heiligen willen, die je auf deutschem Boden ihre Nächte durchwachten, sich kasteiten, ihr Flehen zu dir hinaufschickten, ihre Liebe versprühten, ihr Blut vergossen; um der edlen und heiligen Seelen willen, die in diesen Tagen beten und büßen; um der 7000 willen, die ihre Knie nicht gebeugt haben vor dem Götzen Baal, die nicht das Zeichen der Bestie tragen, die sich trotz aller Verfolgung die Freiheit ihrer Entschließung und den Mut ihres Bekenntnisses bewahrt haben."
Ein Mann des Einklangs zwischen Wort und Tat, gesellte sich Dr.
Feurstein
selber in den bedrohten Vortrupp der Tapferen und Edeln hinein, "die
ihre
Knie nicht beugen vor dem Götzen Baal". Wider die Halbheit,
Passivität
und Verwirrung, denen allzu viele anheimfielen, ruft ihn sein Amt und
Inneres
auf. In privater Unterhaltung spricht er sich stets eindeutig gegen die
nationalsozialistische Lehre und Praxis aus. Immer stärker
ergreift
ihn der Gedanke, jene hinterlistigen Gewalten könnten nur durch
eine
geschlossene Front gegen sie überwunden werden; es müsse
etwas
geschehen, daß dem Volke die Augen aufgehen; die Bischöfe
möchten
sich einmütig und offen gegen Hitler und seine Regierung
erklären,
auch um den Preis vieler Martyrien, denn nur durch Blut lasse sich
diese
Blutschuld löschen. Es machte ihm viel zu schaffen, die Klugheit
und
Feigheit auseinanderzuhalten. Sein stürmischer Eifer und sein
heißes
Blut drängten ihn zum Kampf und zum Opfer. Sind wir nicht zu
furchtsam
und damit zu feige, fragte er sich oft. Müßte man den
bellenden
Hunden, statt ihnen ängstlich auszuweichen, nicht mit Prügeln
entgegentreten und sie bellen und schließlich beißen
lassen?
Zwar verschloß er sich nicht gegen die äußere Tatsache
der Vergeblichkeit der partiellen Vorstöße und hatte Sorge
für
seine Vikare, daß sie sich nicht in Predigt und Katechese
straffällig
machten und sich in nutzlosen Schaden brächten. Doch seiner selbst
wollte er auf die Dauer nicht schonen, sondern einmal losschlagen und
anstelle
des ewigen Leisetretens sich erheben gegen die Lüge und die
Verfolgung.
Ein schwerer Kampf, den Dr. Feurstein in sich ausfocht! Am meisten
gewährte er seinem engsten Freund, dem Pfarrer von Mindelaltheim,
in dessen stillem Pfarrhaus er gewöhnlich die Ferien verbrachte,
so
auch die letzten, Einblick in dieses Ringen seiner Seele. Es ließ
ihm keine Ruhe, er fühlte sich verpflichtet, auch auf der Kanzel
zum
offenen Angriff weiterzuschreiten. Gelegentlich der Glockenabgabe wagte
seine Predigt vom 7.Dezember 1941 gefährlich freie Worte.
Wohlgesinnte
mahnten Dr. Feurstein zu größerer Vorsicht, zu menschlicher
und pastoraler Klugheit; seine Worte hätten bei der Partei
böses
Blut gemacht. Allein die Einrede eines geistlichen Mitbruders wies er
kategorisch
zurück:
"In meiner Neujahrspredigt werde ich erst richtig mit ihnen abrechnen. Ich bin schon daran, Beweise für diese Predigt zu sammeln. Wenn sie mich dann abführen wollen - ich bin bereit!"
Also nicht in einer Augenblickswallung, sondern aus klarer Überlegung und längerer Vorbereitung sowie im vollen Bewußtsein der Folgen ist jene Ansprache priesterlichen Bekennermutes entstanden, die er am Neujahrsmorgen 1942 beim Achtuhr- und beim Zehnuhr-Gottesdienst in seiner Stadtpfarrkirche hielt. Sie war eine umfassende, auf den Grund stoßende Anklage gegen das antichristliche Toben des Nationalsozialismus. Leider können wir sie nicht wörtlich wiedergeben. Weder liegt uns im Augenblick das Original, noch eine zuverlässige Nach- oder Abschrift vor, sondern lediglich der handgeschriebene, schwer entzifferbare Entwurf zum ersten Teil. Darin bezeichnet Dr. Feurstein den Weltkrieg mit seinem Übermaß an Grausamkeit, Leiden und Anforderungen geradewegs als Wahnsinn. Während jedes höher organisierte Tier seine Art schone, töte der Mensch seine eigenen Artgenossen. Es sei ein einziger blutiger Hohn auf die Weihnachtsbotschaft vom ewigen Frieden. Dahin führe also der Abfall von Gott, und so müsse die Geschichte verlaufen, wenn der Mensch, das große Wagnis der Schöpfung, in Widerstreit seiner Triebverhaftung gegen den Geist zum Standpunkt des Raubtieres herabsinkt: ich bin stärker als du und du bist fetter, also fresse ich dich! Dann nahm die Ansprache Bezug auf die kurz zuvor gefallene Drohung Hitlers gegen eine mögliche Erhebung unter religiöser Tarnung. Der Prediger schloß eine gewaltsame Revolution für den überzeugten Katholiken aus. Er forderte unter Hinweis auf Römerbrief 13, 4 zur Hochachtung vor dem Staatsoberhaupt auf und zum Gebet für den Führer, daß
"er sich auf der Höhe seiner Aufgabe halte, daß er in Ehrfurcht stehe vor den Gesetzen Gottes, vor dem Rechte seiner heiligen Kirche, vor dem ungeschriebenen Rechte jedes Volkes und vor der persönlichen Freiheit jedes Menschen."
Im zweiten Teil - er sei nach der Bezeugung des Vikars, der die Predigt mitanhörte, wiedergegeben - verabschiedete sich Dr. Feurstein von seinen schönen Glocken, die, wie er prophezeite, nie mehr den Frieden einläuten würden. Er spricht über die Schmach und Schande des Gewissensterrors, dem immer mehr Menschen erliegen müßten, über die Kirchenverfolgung, den Priesterhaß und Klostersturm, über die Ermordung von unschuldigen,wehrlosen Menschen, von Krüppeln und Schwachsinnigen, und gab die damalige Zahl der so Beseitigten mit 1,25 Million im Altreich an. Er geißelte die Vergottung der Rasse und die Verdrängung alles Religiösen aus der Erziehung in Schule und Öffentlichkeit. Verständlich, daß die Predigt großes Aufsehen erregte. Die Partei und ihr Anhang schimpfte und drohte, die Getreuen fürchteten um ihren verehrten Stadtpfarrer. Er selbst behielt die Gelassenheit erfüllter Pflicht. Der bestürzten Haushälterin erwiderte er beim Heimkommen etwa so, einer habe mal die Wahrheit sagen müssen, das sei nun er, und wenn es ihm den Kopf koste. Es war denn auch nicht zu erwarten, einen solch enthüllenden Angriff werde die Gestapo hinnehmen. Am Dreikönigstag holte sie Dr. Feurstein zur Vernehmung aufs Rathaus. Dort diktierte er seine gehaltene Predigt zu Protokoll. Er begnügte sich nicht damit. Mündlich erläuterte und erweiterte er noch seine Anklage gegen das gottlose System. Auf die Frage des Beamten: "Nicht wahr, Herr Pfarrer, wenn auch manches Wort richtig ist, was Sie da ausführten, so war es doch wenigstens unklug, das jetzt zu sagen", gab er die Antwort des freien Mannes:
"Lieber wollte ich in meinem Leben hierin unklug gehandelt haben, als dauernd feig."
Und seinem Mindelaltheimer Freund schrieb er noch am Abend:
"Ich bin in die Klauen der Gestapo gefallen wegen einer Predigt. Bete für mich, daß ich alles gut überstehe, denn ich werde kaum mehr zurückkommen. Verbrenne alles, was Du von mir hast, damit Du meinetwegen nicht in Schwierigkeiten kommst! Und nun in Gottes Namen weiter! Möge das Opfer angenehm sein in den Augen Gottes und zum Nutzen der Kirche - das mein Suscipiat [Opfergebet (aus dem Ritus der hl. Messe), Anm. PRHL]! Dein treuer Heinrich.
Tags darauf am Nachmittag, als er seinen zum Dies [von lat. dies
(Vokale getrennt gesprochen: di-es), Tag / Versammlungstag, Anm. PRHL]
versammelten Konfratres eben eine ergreifende Ansprache zur Andacht
gehalten
hatte, verhafteten ihn zwei Gestapo-Leute und brachten ihn nach
Konstanz
in das Untersuchungsgefängnis. Das Karlsruher Kultusministerium
schickte
ihm ein Verbot zur Erteilung des Religionsunterrichtes in den Schulen
Badens
nach; völlig wahrheitswidrig behauptete es, die
"äußerst
gehässigen Ausführungen" der Predigt hätten viele
Besucher
des Gottesdienstes, darunter auch Wehrmachtsangehörige,
veranlaßt,
aus Protest die Kirche vor dem Ende der Predigt zu verlassen. Der
Unterstellung,
sie habe beunruhigend, statt befreiend und klärend gewirkt,
wollten
Bürger der Stadt durch ein Gesuch mit etwa 130 Unterschriften bei
der Landesstelle der Gestapo entgegentreten und die Haftentlassung
erwirken.
Es wurde alsbald beschlagnahmt, und die Sammlerin der Unterschriften
kam
von ihren fünf unmündigen Kindern weg längere Zeit ins
Gefängnis.
Der Leidensweg des Kämpfers für Kreuz und Kirche, für
Volk und Gemeinde, begann. Der Pfarrei, in der er 36 Jahre mit
apostolischer
Glut, mit der Vielseitigkeit seiner Geistesgaben und mit hochsinniger
Nächstenliebe
segensvoll gewirkt hatte, entriß man den, der ihr Hirte und
Vorbild
zugleich gewesen war. In der Not und Einsamkeit des Kerkers wird er
durch
Dulden und durch briefliche Anweisungen das Priesteramt für die
Gemeinde
fortsetzen, wird er vor allem ihr großer Beter und Opferer
bleiben.
Dr. Feurstein stand im 65. Lebensjahr; seine Gesundheit war durch
ein Magen- und Blasenleiden schwer angeschlagen; er besaß einen
aktiven
und agilen Geist, ansprechbare Nerven und den lebhaftesten Drang nach
seelsorgerlicher,
sozialer und wissenschaftlich-künstlerischer Betätigung. Auf
ihn mußte daher die Härte, Verlassenheit und Tatenruhe des
Gefängnisses
grausam wirken. Dazu verschärfte die Gestapo zwischendurch,
anscheinend
weil die erhoffte Zermürbung nicht eintrat, geflissentlich seine
Lage.
Er bekam zunächst das Brevier nicht mit in seine Zelle. Nur an
eine
Adresse durfte er schreiben und war bei dem, was er mitteilen wollte,
sehr
eingeengt. Besuche ließ man nicht zu. Eine Zeitlang wurden ihm
jede
Lektüre, der Verkehr mit dem Gefängnisgeistlichen, das
Beichten,
der Kommunionempfang und sogar die Teilnahme am
Gefängnisgottesdienst
verboten. Erst nachdem er, wie er sich dem Gefängnisgeistlichen
gegenüber
ausdrückte, "wahnsinnig gehungert" hatte, durfte er sich
zusätzliche
Kost schicken lassen, und er mußte erst völlig
heruntergekommen
sein, bis ihm der Gefängnisarzt wegen der Herz- und
Verdauungsschwäche
Wermutwein verordnete. Wie tief er die Not empfand, macht einer seiner
Briefe aus dem Konstanzer Gefängnis sinnfällig:
"... in diesem scheinbar gottverlassenen Hause, ohne Messe, ohne Kommunion, ohne jedes christliche Zeichen. Es ist klar, daß die Umwelt so stark niederziehende Wirkung ausübt. Man ist mindestens äußerlich einer dieser armen Menschen, die den Weg verfehlten, dieser Schmuggler, Deserteure, Schwarzschlächter, Landstreicher, Diebe, Verbrecher, Zuhälter. Minderwertigkeitsgefühle melden sich, man wird nicht nur durch die Nacht der Seele, sondern auch des Geistes geführt; man fühlt sich wie der Heiland in der ölbergsnacht mit dem Seelenschmerz aller Jahrtausende bedeckt, und es fällt schwer zu glauben, daß man in Wirklichkeit König ist und daß man als gekrönter Sieger das Feld behauptet. - Es ist dann weiter die Vereinsamung. Einzelhaft in einer kleinen Zelle von 21/4X41/4 m von morgens bis abends und von abends bis morgens ist ein bitteres Erlebnis. Die Nächte sind endlos lang, die Sonntage, da der Spaziergang und die Arbeit ausfällt, endlos und ohne jeden Reiz. Hier sind Gebet und Arbeit eine Erlösung. Der Gefangene unterliegt dem Arbeitszwang. Die Zuweisung täglicher Arbeit wird nicht als Zwang oder Entmündigung empfunden, sie ist eine Wohltat, bringt Ablenkung und Bewegung. - Dazu kommt der Bruch mit allen Beziehungen, Lebensgewohnheiten, eine ganz schlichte Form der Lebensführung, auf der ganzen Linie nur das unbedingt Notwendige, viele den Priester und den Gebildeten und den schuldlos Gefangenen beschämende Einzelheiten. Aber schließlich soll es der Gefangene nicht gut haben und muß auch die zahlreichen kleinen Unbequemlichkeiten groß sehen, aus den großen Zusammenhängen verstehen. Nicht nur die Krankheit ist ein Stand nach den Worten des heiligen Vinzenz von Paul, auch die Gefangenschaft, die Haft des nicht schuldig Gefangenen ist ein Stand, nicht teuflisches Verhängnis, sondern göttliche Fügung, nicht Schicksal, sondern Gnade, Anstoß und Möglichkeit zur letzten Reife, zu einer großen, wenn auch schmerzlichen Lösung und damit Schule der Heiligkeit. - Dazu kommt die Ungewißheit des eigenen Schicksals. Man fühlt sich vollkommen rechtlos, preisgegeben, überliefert, man spinnt ... ins Nichts, man sieht sich angenagt..."
Anfechtungen der Verzagtheit überkamen ihn. Er rang tapfer mit ihnen. Daß er für sich nie anspruchsvoll gewesen war, sondern sich beschieden und in Abtötungen geübt hatte, bedeutete für ihn eine aszetische Vorschule auf die Armseligkeit der Gefangenschaft. Zu ihr sagte er sein Ja, wie es am Schluß seines Briefes vom 10. Januar 1942 aufklingt:
"Ich habe nun jene schlichte Form des Lebens gefunden, die ich mir schon längst gewünscht habe. Ich bin zufrieden."
Und an die Haushälterin, die mit Sendungen ihm das Los zu erleichtern suchte, schrieb er einmal:
"Verwöhnt mich nicht! Ich will es nicht gut haben, sondern mich nur über Wasser halten; denn ich habe hier eine große Aufgabe zu erfüllen."
Es ist menschlich nur allzu begreiflich, daß sich Dr. Feurstein unbeschadet seines Martyrergeistes dann wieder aus der Bitterkeit seiner Gefangenschaft heraussehnte. Er wünschte dringend, daß er, sei es durch den zu früh erwarteten Zusammenbruch des Hitlerstaates, sei es durch die Bemühungen einflußreicher Gönner, sei es durch eine Aktion seiner Pfarrbevölkerung bald frei werde. Aber alle drei Hoffnungstaue rissen. Schmerzlich enttäuschte ihn das. Doch wurde er mit diesen geistigen, seelischen Bedrängnissen fertig. Er versank weder in Verzweiflung oder Hader mit Gott, noch in Lethargie oder Stumpfheit. Er maß seinem Leiden eine große Mission zu und war entschlossen, seinen Kreuzweg, so es Gottes Wille sei, zu Ende zu gehen. In den einsamen Stunden ging ihm aus eigenem Erleben auf, daß in christlicher Sicht das Leben ein langsames Losschälen vom Irdischen, das Leiden Läuterung und Gewinn ist. Jenes Sichfügen und Vertrauen strömten immer mehr in ihn ein, das aus einem von ihm verfaßten Gebetstext spridit, den man nach dem Tode in seinem Brevier fand:
"Je tiefer wir in Leid und Schmerz versenkt sind, desto näher
ist
uns der gütige Jesus, der Mann der Schmerzen, mit seinem Trost und
Frieden. Und auch Maria weiß, was Leiden heißt. Sie ist die
Trösterin der Betrübten, das Heil der Kranken, sie wird in
diesen
Tagen und Stunden am Herzen ihres Sohnes uns die Gnade der Geduld und
Gottergebenheit
erflehen.
Dein Wille, Herr, geschehe,
Wenn ich's auch nicht verstehe!"
Er suchte die Zeit und Werte seiner Haft zu verstehen und
auszunützen
in geistige Früchte. Deshalb erbat er sich in seine Zelle kostbare
Werke der Gefangenenliteratur: Dostojewski, Memoiren aus einem
Totenhaus;
Silvio Pellico, Meine Gefängnisse; Kraus, Im Kerker vor und nach
Christus.
Ebenso ließ er sich theologische und erbauliche Schriften kommen:
die Paulusmonographie von J.Holzner; Hallfeld, Wende zu Christus;
Leiprand,
Vinzenz von Paul; Zimmermann, Aszetik; Dantes Inferno; Johannes vom
Kreuz,
Aufstieg zum Berge Karmel; Friedrich Heiler, Das Gebet; Josef Schmid,
Das
Lukasevangelium. Besonders sehnlich erwartete er sein Brevier, das die
Gefängnisverwaltung ihm doch nicht dauernd vorenthalten konnte.
Während
er körperlich litt und schwächer wurde, hielt er mit Hilfe
dieser
gedruckten Freunde seinen Geist aufrecht, seine Seele stark und
gottverbunden.
Am meisten war er beglückt, als er nach einem längeren Verbot
unerwartet am Karsamstagmorgen die Sakramente empfangen konnte und er
zusammen
mit dem Gefängnisgeistlichen in der Öde seiner Zelle
ergriffen
die vere beata nox feierte.
Neben dem, was es für das Hauswesen zu regeln und anzuweisen
gab, war er in seinen Briefen vor allem für eine geordnete
Fortführung
der Pfarrgeschäfte besorgt. Er nahm darin regen Anteil an den
geistlichen
und persönlichen Vorgängen seiner Gemeinde. An den Vikar
schrieb
er, wie die abzuliefernden Glocken zu beschriften, die Gefallenen ins
Totenbuch
einzutragen, die Schulden zu tilgen, die Firmung zu gestalten, die
alten
gestifteten Messen zu behandeln, die Kirchendächer zu decken
seien.
Er beauftragte das Pfarrhaus, die von teilnehmenden Freunden ihm in die
Haft zugegangenen tröstenden Zeilen herzlich zu erwidern und die
Adressaten
seines Gebetes zu versichern. Seine mildtätige Hand, die, ohne zu
rechnen, bereits ein stattliches Vermögen den Notleidenden
zugeführt
hatte, öffnete sich auch vom Gefängnis aus weit der
christlichen
Caritas. Einer Frau, die ihr sechstes Kind bekam, läßt er
einen
Geldbetrag, einem Operierten eine Stärkung, mehreren Familien und
Bedürftigen zu Ostern und Pfingsten sowie einer Kranken auf jeden
ersten Freitag eine finanzielle Unterstützung zukommen. Einer
Person,
die ihn beleidigt hatte, schickt er seine Verzeihung und sein Gebet.
Einem
jungen Verwandten, der zur Marine einrückte, läßt er
diese
Abschiedsworte väterlicher Mahnung übermitteln:
"Ich habe in diesen 13 Jahren manches für Dich getan, vergiß es nicht! Halte Dich brav! In den Kneipen der Hafenstädte treiben sich allerlei schlimme Elemente herum. Vergreife Dich nie an einem schlechten Weibe, Du kannst Dich seelisch und körperlich für immer ruinieren! Dein tägliches Gebet sei das Geheimnis Deiner Kraft und Dein Trost fern der'Heimat. Gott segne und schütze Dich!"
Bis zum 5. Juni 1942 ward Dr. Feurstein zu Konstanz in Einzelhaft
gehalten. Obgleich seine gebrochene Gesundheit Lagerfähigkeit
ausschloß,
ordnete das Reichssicherheitshauptamt die Verbringung nach Dachau an.
Was
kümmerte Berlin schon ein solches Justizverbrechen! An dem Tage,
da
in seiner Pfarrei daheim die Firmung gespendet wurde, schleppte man den
abgezehrten Priestergreis über Bodensee und Allgäu ab. Nach
neuntägigem
Transport zog er am Feste des heiligen Johannes des Täufers, des
Patrons
seiner Pfarrkirche, der über das Unrecht seines Despoten auch
nicht
geschwiegen hatte, halb tot im Konzentrationslager als Gefangenennummer
30594 ein. Dachaus Entmenschung und Hunger mußten - und sollten
wohl
auch - seinen baldigen Tod herbeiführen. Der Ärmste hatte
nicht
einmal Schuhe und Strümpfe. Er wurde dazu bestimmt, die
Abortanlagen
der Stube l und 2 des Zugangsblocks sauber zu halten. Barfuß und
sterbenselend mußte er den ganzen Tag auf dem nassen Zementboden
herumlaufen, Wasser schleppen und die Böden reinigen. Freilich
gelang
es geistlichen Mithäftlingen, ihn am 11. Juli auf den Pfarrerblock
zu bringen. Ein badischer Mitbruder, der "Schlafsaalkapo"' war, nahm
ihn
zu sich auf die Stube, bettete seinen Strohsack neben den eigenen und
nahm
dem völlig Entkräfteten an Arbeit alles ab, was nur
möglich
war. Dr. Feurstein litt namenlos unter seinem körperlichen
Gebrechen.
Dabei mußte man seinen Zustand verheimlichen, sonst wäre er
alsbald bei der Zusammenstellung des nächsten
"Himmelfahrtskommandos"
mit anderen Unglücklichen in die Gaskammer geschickt worden. Die
Schmerzen
nahmen immer noch zu. Weil tagsüber die Benützung des
"Bettes"
streng untersagt war und er anderswo seinen Stubenkameraden im Wege
gewesen
wäre, legte er sich untertags oft unter den Tisch. Des Nachts
mußte
man den vor Qualen Stöhnenden beruhigen, auch um derjenigen
willen,
die tagsüber wieder zur Arbeit auszurücken hatten.
Die leibliche Gebrechlichkeit verlangte ihren Tribut. Aber seine
Seele blieb groß inmitten schlimmster Qualen. Alles wollte er den
ändern geben: sein kärgliches Brot, sein armseliges Essen. Er
begnügte sich mit ein paar Bissen, und die mußte man ihm
aufnötigen.
Seine Gedanken waren ganz auf Leiden und Sühne gerichtet.
Täglich ging er zur heiligen Messe und zur heiligen Kommunion.
Als jener priesterlich hilfsbeflissene Landsmann ihm einmal Mut
zusprach
und ihn aufmunterte, sein Leben als Opfer für die Rettung unseres
Vaterlandes vor der Gottlosigkeit Gott aufzuopfern, entgegnete er, das
habe er schon längst getan. Und ein anderesmal bekannte er ihm:
"Täglich opfere ich mich dem Herrgott auf für meine Pfarrgemeinde Donaueschingen, damit der liberale Geist verschwinde, die Lauheit weiche und alle meine Pfarrkinder eifrige Katholiken und ganze Katholiken sind."
Trotz aller Fürsorge seiner Mitpriester, wie sie freilich gerade in jenem schlimmsten Hungerjahre Dachaus nur beschränkt möglich war, ging es mit Dr. Feurstein rapid abwärts. Obschon man ihm abriet, sich krank zu melden, weil Aufnahme ins Revier für die meisten den Tod bedeutete, ließ er sich nicht davon abbringen. Offenbar vermochte er seinen Zustand nicht mehr auszuhalten. Am Freitag, den 31. Juli kam er ins Revier. Am Sonntagnachmittag 1 Uhr erfuhren die Kameraden seinen Heimgang. Ein schlesischer Priester hatte ihm heimlich noch die heilige Ölung gespendet. An ein gewaltsames Ende ist nicht unbedingt zu denken; denn die letzte körperliche Kraft war völlig aufgebraucht. Die amtliche, darum allerdings noch nicht zuverlässige Mitteilung gibt Darmkatarrh als Todesursache an. Feursteins Leiche wurde am 5. August in Dachau verbrannt, seine Asche am 30. September in der Donaueschinger Stadtkirche in einer Wandnische neben einem ehemaligen Beichtstuhl feierlich beigesetzt. Im Geiste des Opfers hat Dr. Feurstein seinen Tod hingenommen. Er hatte sein Fiat gesprochen und sich von der Verhaftung an die Dinge dieser Welt gelöst, bevor der Engel des Todes seine Stirne gezeichnet hat. Was seine Predigt vom Seelensonntag 1941 den Pfarrkindern gläubig und trostvoll kündete, das war ihm selbst zur Gewißheit, zur seelischenHaltung geworden:
"Der Tod ist nur scheinbar ein Verlust, in Wirklichkeit ein Gewinn, weil im Tode die hemmenden Schranken des Fleisches fallen und die Seele ungehindert hineinflammt in jenes andere Leben am Herzen Gottes, dessen kein Ende ist. Der Tod ist daher höchster Gewinn. So gesehen, verblassen alle Schrecken des Todes, und das Rätsel des Sterbens ist gelöst: der Tod - ist nicht mehr Grausamkeit der Natur, sondern eine der ganz großen Erbarmungen Gottes - Hingang zum Vater."
In jenen Tagen, da Dr. Feurstein in schwerster Auseinandersetzung mit sich selbst zu letzter Offenheit der Anklage gegen das nationalsozialistische Unwesen und damit in voller Kenntnis des herrschenden Terrorsystems zur klarbewußten Selbstpreisgabe sich durchrang, hat er in seiner Pfarrkirche am zweiten Weihnachtsfeiertag 1941 eine seiner tiefsten Predigten gehalten. Den heiligen Stephanus als Blutzeugen für seinen Glauben, als erste reife Frucht am Baume der jungen Kirche feiernd, verbreitete er sich darin ergriffen über die Größe, Notwendigkeit und Zeitgemäßheit des Martyriums. Seine Worte spiegelten seine tiefste Überzeugung und Gesinnung wider. Es glühte in ihnen seine eigene Bereitschaft, hierfür in Schmach und Tod zu gehen. Deshalb kennzeichnen sie ihn selbst und die gerade, eherne Konsequenz seines Handelns. Was er hier predigte, hat er, haben viele andere christuserfüllte Bekenner aus der jüngsten Vergangenheit in der Schule des Erzmartyrers der Kirche durch die Tat vorgelebt. Als Zeugnis über ihn und als religiöses Vermächtnis für uns seien daher die Stephanusworte Dr. Feursteins aufbewahrt:
"Das Martyrium ist etwas Großes als freiwillige Tat. Mancher
Kranke
leidet vielleicht mehr, als ein Märtyrer litt, aber die Krankheit
kommt über ihn als Verhängnis, ohne seinen Willen, und er hat
Stunden, wo er sein Joch abschütteln möchte. Andere tragen
schwer
unter der Last ihres Berufes, an Vermögensverlust, an den Folgen
des
Krieges, am Verlust lieber Menschen. Das ist Schicksal,
Verhängnis,
höhere Fügung, der man sich nicht entziehen kann. Aber der
Märtyrer
konnte anders! Er geht mit freier Entscheidung in den harten Tod, er
weiß,
daß seine Predigt, seine Lehre, sein Verhalten, sein offenes
Bekenntnis
zu Christus ihm das Leben kostet, und trotzdem setzt er die Tat, im
vollen
Bewußtsein der Tragweite seines Handelns. Gewiß nicht ohne
Bangen und Hangen, ohne den Reiz der Welt und des Lebens zu
verspüren,
ohne die Versuchung, irgendwie sein Leben zu retten. Aber er ringt sich
durch, und während rechts und links die Feigen sich ducken und
fallen,
bleibt er fest wie ein Fels. Er gehört zu den Gesiebten, die die
Probe
des Satans bestanden haben. Der Kranke kann nicht anders, er muß
seine Schmerzen aushalten. Aber Märtyrer sein, heißt, sich
selbst
in den Glutofen des Leidens stürzen, den Sturm kommen fühlen
und ihn über sich ergehen lassen als Ruf der Pflicht, um Christi
willen
und zur Ehre seiner heiligen Kirche.
Und noch ein Zweites! Das Martyrium ist uns groß, weil es ein
öffentlich schmachvolles Sterben ist, begleitet von dem wilden
Triumph
eines gehässigen Pöbels. Wenn wir Schmerzen haben,
können
wir sie friedlich zu Hause austragen, gehegt und gepflegt von liebenden
Menschen, und wenn es zum Sterben kommt, wird irgend ein guter Mensch
uns
die Augen zudrücken. Anders der Märtyrer. Er stirbt als
Gegenstand
des Hasses, er verfällt der allgemeinen Verachtung. Während
selbst
der Verbrecher manchmal Mitleid erntet, ist sein Ende verflucht. Aber
das
alles dauert nur einen Augenblick: in der kurzen Spanne eines heiligen
Todes besitzt er die Krone des Lebens, und nach kurzen Jahren und
Jahrzehnten,
wenn der Allmächtige die Verfolger mit dem Hauche seines Mundes
getötet
hat, beginnt sein Nachruhm auf ewige Zeiten, indes die Feigen, die ihre
Seele verkauften, der Vergessenheit anheimfallen.
Die langen Friedensjahre haben bei uns die Meinung hochkommen lassen,
als ob der Märtyrer der Vergangenheit angehört. Nichts ist
falscher
als das. Das Martyrium als Bekenntnis, als gefahrvolles Bekenntnis ist
mit jeder gesunden Entwicklungsspanne unserer heiligen Kirche
naturnotwendig
verbunden. Das *muß* so sein, weil das Christentum dem Geiste der
Welt entgegengesetzt ist, weil sich seine Auseinandersetzung mit der
Welt
dauernd in polaren Gegensätzen, in ewigen Spannungen vollzieht.
Die
Zeugenschaft, das Martyrium, das blutige und unblutige, gehört
daher
zu den Baugesetzen der Kirche und ist keine Ausnahme, sondern die
Regel.
Selig die Zeiten, in denen dieser Gegensatz lebendig ist, wo sich die
großen
Entscheidungen vollziehen, wo in mutigem Bekenntnis oder in feiger
Verleumdung
sich die Geister scheiden, wo die Spreu vom Weizen sich trennt und die
Kirche als die treue Braut Christi sich darstellt ohne Makel und
Runzel.
Auch unsere Zeit ist von dieser Art. Auch wir erleben eine Wiederkehr
des
Martyrertums in blutiger und unblutiger Form. Wir grüßen
sie,
alle die Märtyrer unserer Tage, auch die unblutigen Zeugen ihres
heiligen
Glaubens, die wegen ihrer heiligen Überzeugung aus ihrer Stellung
verdrängten Priester und Laien, alle die Abgesetzten, die
Strafversetzten,
die im Gefängnis und Konzentrationslager schmachtenden und
bekenntnistreuen
Laien. Vielleicht schlägt ihnen rascher die Stunde der Befreiung,
als es den Anschein hat. Auf alle Fälle werden sie in der
Geschichte
unserer Kirche fortleben als Confessores Christi, als Bekenner Chfisti.
Beten wir heute wieder um den Geist des heiligen Stephanus, daß
wir im Ernstfall als katholische Christen das tun, was die Stunde von
uns
verlangt. Amen."