Christus im Konzentrationslager

- Aus dem Büchlein von Leonhard Steinwender über das KZ Buchenwald -
(Kirche zum Mitreden, 22.09.2002)
christus im kz bei G.
Buch "Christus im Kz" bei Google

"Eine Heldengestalt der protestantischen Prediger in Buchenwald war Pastor Schneider. 'Sie sind ein Massenmörder!' ruft er dem Lagerkommandanten ins Gesicht. - 'Ich klage Sie an vor dem Richterstuhl Gottes!' - 'Christus sagt: Ich bin die Auferstehung und das Leben!' So rief Pastor Schneider ein andres Mal aus dem Bunkerfenster zum Zählappell. Weiter kam er nicht. Schon prasselten Schläge auf ihn herab. 'Keine heile Stelle war an seinem Körper, als man ihn (im Sommer 1939) tot aus dem Bunker trug.' So berichtet Kanonikus Steinwender in seiner weitverbreiteten Schrift über das KL Buchenwald 'Christus im KZ'"
(J.M. Lenz, Christus in Dachau oder Christus der Sieger, Wien (6)1957, 126).


Aus dieser "weitverbreiteten Schrift" von Leonhard Steinwender, Christus im Konzentrationslager. Wege der Gnade und des Opfers, Salzburg (2)1946, zitieren wir hier ca. die erste Hälfte (7-69 von 134). Die Wiedergabe endet mit den beiden Kapiteln über Pastor Schneider, wobei wir hier an das Dogma erinnern:
"[Die heilige römische Kirche ...] glaubt fest, bekennt und verkündet, daß 'niemand außerhalb der katholischen Kirche, weder Heide noch Jude noch Ungläubiger oder ein von der Einheit Getrennter - des ewigen Lebens teilhaftig wird, vielmehr dem ewigen Feuer verfällt, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist, wenn er sich nicht vor dem Tod ihr [der Kirche] anschließt. So viel bedeutet die Einheit des Leibes der Kirche, daß die kirchlichen Sakramente nur denen zum Heile gereichen, die in ihr bleiben, und daß nur ihnen Fasten, Almosen, andere fromme Werke und der Kriegsdienst des Christenlebens den ewigen Lohn erwirbt. Mag einer noch so viele Almosen geben, ja selbst sein Blut für den Namen Christi vergießen, so kann er doch nicht gerettet werden, wenn er nicht im Schoß und in der Einheit der katholischen Kirche bleibt" (DS 1351, zit. nach NR 1938, 350).
Pastor Schneider kann gerettet worden sein, weil er im unüberwindlichen Irrtum über die wahre Kirche gelebt hat. Wenn von katholischer Seite (Steinwender und Lenz) solche Zuversicht bzgl. der Rettung Schneiders ausgesprochen wurde, so darf man das nicht im Sinne der V2-Häresie sehen, dass andere Glaubensgemeinschaften als die katholische Kirche "Wege des Heiles" seien, sondern nur in der Weise, wie es auch Steinwender und Lenz gemeint haben, nämlich im Sinne des katholischen Dogmas.
Von dem Juden Walter Süß anzunehmen, dass er gerettet wurde, obwohl er das Taufsakrament nicht mehr in der abgesprochenen Art und Weise empfangen konnte, entspricht den katholischen Grundsätzen hinsichtlich Begierde- und Bluttaufe.

Doch geht es hier nicht eigentlich um den Protestantismus, sondern darum, endlich der Wahrheit über den Hitler-Terror zum Siege zu verhelfen. Weswegen wir so großzügig, wenngleich auch noch nicht vollständig das Buch von Steinwender zitieren, ist in den Ausführungen z.Th. Copyright dargelegt.
Es muss endlich Schluss sein mit dem "Tagebuch der Anne Frank", das bereits wegen der obszönen Passagen verboten IST (kirchliches Bücherverbot, wenn auch momentan nicht staatlich durchgesetzt). Dass die Anne-Frank-Propagandistin Iris Berben kürzlich vom Zentralrat der Juden in Deutschland mit dem Leo-Baeck-Preis (benannt nach dem 1956 gestorbenen Rabbiner Leo Baeck; 10 000 Euro; früher z.B. an Johannes Rau vergeben) wegen ihres "mutigen Einsatz gegen Antisemtismus und Fremdenhass und für Toleranz" ausgezeichnet wurde, dokumentiert nur einmal mehr die fürchterliche Verrohung unserer Gesellschaft.
Es muss endlich Schluss sein mit den verunglimpfenden Lügen z.Th. Kirche und Nationalsozialismus, die besonders von jüdischer Seite ungestraft verbreitet werden. Der Staat muss endlich seine Pflicht wahrnehmen, die jüdische antichristliche Propaganda abzustellen. Lügenpropaganda wie Hochhuths "Stellvertreter" muss wirksam aus dem Verkehr gezogen werden.

Die lachenden Dritten sind die Revisionisten, die den totalen Wirrwarr um den so gen. "Holocaust" raffiniert ausnutzen. Ein weiteres Beispiel dafür ist Ahmed Rami, der in seinem Text "Ein moderner Hexenprozess" einleitend schreibt:


Die Hexenjagd auf Radio Islam
Im Jahre 1977 begann der Kurzwellensender Radio Islam in Stockholm unter meiner Leitung mit seinen Sendungen. Ihr erklärtes Ziel bestand darin, über die Palästinafrage zu informieren und tabuisierte Themen hinsichtlich des Zionismus und der jüdischen Usurpierung und Besetz-ung Palästinas zu diskutieren.
Das Judentum mit seinen politischen Ansprüchen auf Palästina und seinen politischen Lobbys stellt eine politische Ideologie dar, dies ver-steht sich von selbst. In der Begründung und fortgesetzten Existenz des Staates Israel spielt das Judentum eine ganz entscheidende polit-ische Rolle. Folglich werden die Juden, auf Grund ihrer repräsentativen Organisationen und wegen ihrer politischen Unterstützung für Israel zu politischen Akteuren. Aus diesem Grund müssen Israel, das Judentum sowie die Juden sich damit abfinden, kritisch unter die Lupe genommen und auch von ihren Widersachern einer Analyse unterzogen zu werden.
Von Beginn an verfolgte ich das ehrgeizige Ziel, Radio Islam zum Forum für einen Dialog und zum gegenseitigen Verständnis von Islam, Christentum und Judentum zu gestalten. Zur Erreichung dieses Ziels habe ich in meinen Sendungen Führer und namhafte Vertreter ver-schiedener Kirchen und Gemeinden interviewt, wie den Erzbischof, den Bischof des Bistums Stockholm, den Leiter der religiösen Programme am schwedischen Radio, Krister Hedin, und Schwester Marianne vom Kloster Alsike.
Schwester Marianne wurde zum Opfer einer wüsten Hetzkampagne seitens der zionistisch gesteuerten Medien, wegen ihrer unverblümten und mutigen Stellungnahme für die Gerechtigkeit im Nahen Osten. Diese fromme Frau, welche für die schwedischen Medien früher eine Heilige gewesen war, wurde nach ihrem Interview mit Radio Islam de facto aus den schwedischen Medien verbannt. Kurz vor diesem Gespräch war sie bei einer Meinungsumfrage zum Thema, welche Persönlichkeiten die öffentliche Meinung in Schweden am nachhaltigst-en beeinflussen, hinter dem Staatsminister auf dem zweiten Platz gelandet!

Wenn Rami von Dialog spricht, so meint er damit, dass er anderen seine absurden Phantastereien aufzwingen will; in "Die Macht der Zionisten" liest sich das so:


Wir dürfen die christlichen Glaubenslehren, den Kapitalismus und den Marxismus nach Herzenslust kritisieren und verdammen. Wir dürfen die Gesellschaftsordnung der UdSSR, der USA und Südafrikas anprangern. Wir dürfen für die Anarchie oder die Monarchie die Werbetrommel rühren und uns auch gegen jede Form von Regierung und Gesellschaft wenden - und dies alles, ohne mehr zu riskieren, als dass man uns in einer Polemik oder Diskussion entgegentritt.
[...]
Ja, die Geschichte Palästinas, wie sie den Schulkindern in Israel eingetrichtert wird, ist eine Ansammlung von Fälschungen.
Aber auch die "heilige Geschichte" vom "heiligen Land", wie sie in katholischen Katechismuskursen und protestantischen Sonntagsschulen unterrichtet wird, ist gleichermassen bibelzentriert und stützt somit unfreiwillig die zionistische Propagandaversion. Dies führt dazu, dass unzählige Millionen Christen in aller Welt einen Mythos für die lautere Wahrheit halten, einen Mythos, der Entrechtung und Elend für die Palästinenser und eine ständige Bedrohung des Friedens nicht nur im Nahen Osten, sondern im Weltmassstab bedeutet. Diese Mythologie rechtfertigt nämlich auch die territorialen Annexionen sowie die Angriffskriege der Zionisten.

Hier wird mal eben die Glaubenslehre über die Wahrheit der Offenbarung des Alten Bundes weggewischt - der Alte Bund wird zum "Mythos" degradiert, wobei allerdings zu fragen wäre, was das Christentum überhaupt noch wert sein soll, wenn die zahlreichen Beweise im NT dafür, dass Jesus der im AT verheißene Messias ist, nur auf einem Mythos beruhen. Und was den Vorzug der Juden gegenüber den Heiden betrifft: "Wir alle sind durch die Taufe in einem Geist zu einem Leib geworden: ob Juden oder Heiden, Sklaven oder Freie" (1 Kor 12,13; s. auch den "Holcaust"-Mythus-Text).
Interessanterweise wird auch von der V2-Sekte der Bezug zwischen Judentum und Christentum geleugnet; man lese z.B. den Abschnitt "Gott des Alten Bundes, Gott des Neuen Bundes" in "Heil Hitler?". Während die V2-Sekte diesen Bezug des Christentums zum Judentum leugnet, spricht sie im selben Atemzug von "konvergierenden Linien" zwischen Judentum und V2-Sekte und erhebt das Verbot des Judenhasses zum Dogma. Christus sah sich angeblich nur "voll und ganz als Juden", seine "Auferstehung" war angeblich "kein historisches Ereignis" (hat also nicht wirklich stattgefunden), womit das Christentum sich sowieso erledigt hat, und dann ist es auch kein weiter Schritt mehr zu der V2-Erklärung, dass die Muslime, die bekanntlich die Dreifaltigkeit Gottes aufs heftigste bestreiten, denselben Gott anbeten wie die V2-Sektierer. Man kann leicht erkennen, welcher "Gott" da gemeint ist...

Wer sich lieber an dem Zwangsarbeiter-Schwindel, an den jüdischen Verunglimpfungen gegen die Kirche und sonstigen Ammenmärchen ergötzt, wird an dem Steinwender-Text wenig Gefallen finden, und es wird ihn erleichtern, dass die V2-Sekte mit fest entschlossener Skrupellosigkeit und erschreckend großem Erfolg alles daran setzt, die Bücher, in denen die Wahrheit steht, zu vernichten. Ein Buch, das vor weniger als fünfzig Jahren noch als "weitverbreitet" bezeichnet wurde, ist heute praktisch unauffindbar und vergessen. Da hier nur etwa die erste Hälfte veröffentlicht wird, empfehlen wir jedem, nach Möglichkeit noch ein Exemplar dieses kostbaren Büchleins zu kaufen. Wir haben zwar vor, auch den zweiten Teil einmal zu veröffentlichen, aber wann und ob uns dies möglich sein wird, wissen wir nicht genau.
Mit dieser Publikation leisten wir einen weiteren Beitrag gegen das Vergessen und / oder das Verzerren der Wahrheit über den Hitler-Terror. Möge der Text helfen, die Leiden der gegenwärtigen Zeit, z.B. den Terrorakt des Landgerichts Bonn, besser zu verstehen, und der Ausbreitung von Wahrheit und Gerechtigkeit in Liebe dienen.




 

VORREDE

Unmittelbar vor den Toren der Stadt Weimar erhebt sich der Thüringer Wald in sanften Wellen zu einer Anhöhe, die im großen Ettersberg das freundliche Tal 250 Meter überragt. Etwa sieben Kilometer von der Stadt der großen Dichter, Denker, Komponisten und Maler entfernt liegt die Kuppe des Aussichtsberges, in dessen grünen Waldhängen die Großen von Weimar einst Erholung und geistige Entspannung fanden. Seit dem Juli 1937 baute man auf diesen Höhen, auf denen der Geist versunkener Größe lebte, eine Stadt des Grauens, ein Konzentrationslager, das man nach den uralten Baumbeständen Buchenwald nannte. Mitten im Lager steht noch ein mächtiger Baum, die Goethe-Eiche, in deren Schatten der Dichterfürst oft geweilt.
Die ganze Welt ist gegenwärtig aufgerüttelt durch die Tatsachenberichte über die Konzentrationslager, von einer rohen und unmenschlichen Zeit kurzweg "K. Z." genannt. Bücher in ungezählten Auflagen, Filme und Rundfunkberichte werden der Menschheit das Inferno vor Augen halten, in das Millionen von Menschen verstoßen waren. Buchenwald, das ich vom November 1938 bis November 1940 erlebte, ist eine traurige Berühmtheit geworden. Dies kleine Buch hat sich nicht zur Aufgabe gesetzt, Qualen und Todesnot zu schildern, die blutigen Pfade entmenschter Brutalität wieder zu gehen. Es will den Versuch wagen, das religiöse Leben im K. Z. darzustellen, den Spuren der Gnade zu folgen, die gläubigen Menschen in den härtesten Jahren ihres Lebens eine geheimnisvolle Kraft gab. Diese Schilderung von Ereignissen und Erfahrungen, niedergeschrieben viereinhalb Jahre nach ihrem Erleben, soll nicht das religiöse Ringen und Erleben in seiner ganzen Tragik, auch nicht in der Größe der Gnade, die es durchflutete, darstellen. Sie kann auch nicht Anspruch darauf erheben, als allgemeingültiger Bericht zu gelten. Jedes Lager hatte ein anderes Gepräge. Selbst im gleichen Lager änderten sich alle Voraussetzungen oft schlagartig in Tagen, oder langsam während mehrerer Wochen. Sie soll nur eine Wiedergabe von Erlebnissen in einem verhältnismäßig kleinen Kreise sein, die auch wieder zeitbedingt waren. Sicher gab es Lager, in denen es noch schwieriger war, ein religiöses Leben zu gestalten als in Buchenwald und sicher gab es in Buchenwald Zeiten, die sich ganz anders auswirkten als die Jahre 1938 bis 1940, die ich kennenlernte. Man darf auch kaum einen Vergleich ziehen mit freiem seelsorglichem Wirken und sei es unter größten Hemmungen, unter äußeren und inneren Schwierigkeiten. Die seelsorgliche Betreuung der Häftlinge im K. Z. war niemals ein Problem menschlichen Könnens oder seelsorglicher Erfahrung, es war ein Geschenk der Gnade oder, wenn man so sagen will, des Charismas, einer außergewöhnlichen, übernatürlichen Gnadengabe, die einst Kennzeichen der Urkirche war. Mit heiliger Ehrfurcht fühlte die kleine Gemeinde oftmals die beglückende Gewißheit des Wortes: Der Geist weht, wo er will. Der gute Hirte ging seinen Schäflein auch in das Dorngestrüpp des K. Z. nach.
Es gibt nicht nur ein Christentum in der Bannmeile der Not in den Vorstädten der Großstadt, es gab auch in erschütternder Innigkeit ein Christentum im K. Z. Darum soll dieses Büchlein den Titel führen: "Christus im K. Z." Vor meinen Augen stehen die vom Geheimnis der Gottesnähe durchrauschten verborgenen Winkel des Buchenwaldes, die belebte Lagerstraße, wo neben einem dröhnenden Schwall gotteslästerlicher Flüche das Wort Gottes gehaucht wurde. Vor mir stehen die aufrechten Gestalten der Todgeweihten, die mit seelischer Größe dem qualvollen Ende entgegenschauten, begnadet mit dem Geiste des Martyriums. Ihnen, die von uns gingen in einem unsagbar einsamen Sterben, mit denen wir Priester Christus im K. Z. erlebten, sei dieses Büchlein gewidmet.
Nach einer knappen Darstellung allgemeiner Natur will ich versuchen, einzelne Erlebnisse zur Kennzeichnung des religiösen Lebens im K. Z. anzuführen. Es sind nur einige charakteristische Einzelschicksale, die sich tief in das Gedächtnis eingeprägt haben, die kein Abstand der Zeit in ihrem wesentlichen Inhalte abschwächen oder auslöschen kann. Zugleich sollen sie eine dankbare Erinnerung an markante Persönlichkeiten sein, die in der Glutesse dieses Lebens eine ganz besondere Prägung erhalten haben.
Die kurzen Aussprachen des dritten Teils wurden aus dem Gedächtnis aufgezeichnet, da man im K. Z. Notizen weder machen noch bei sich führen oder gar bei der Entlassung mit herausbringen konnte. Bei der Fortdauer der Überwachung, die immer wieder mit einer Hausdurchsuchung verbunden sein konnte, war es für mich auch nach meiner Entlassung und neuen Verbannung durch das Gauverbot des Gauleiters von Salzburg nicht ratsam, mit der schriftlichen Vorbereitung von Erinnerungen an das K. Z. zu beginnen. So konnte ich dies kleine Buch im stillen und freundlichen Petting am Waginger See, wo ich als vertriebener Flüchtling wirklich eine neue, liebe Heimat gefunden hatte, erst beginnen, als die Konzentrationslager mit allen Begleiterscheinungen auch für ihre ehemaligen Insassen ein Ende gefunden hatten. Aber trotz der Länge der Zeit lebten diese Stunden der edelsten brüderlichen Gemeinschaft so lebendig in mir, daß auch die Wiedergabe der Ansprachen ein treues Bild dessen bieten kann, was sie uns im Lager waren.
 
 

DER STEINBRUCH DES HERRN

Wollte man ein Lehrbuch der Pastoral als Grundlage für die seelsorgliche Betreuung im K. Z. auswählen, wollte man dort nach Leitsätzen und praktischen Anweisungen suchen, so würde man doch immer wieder vor Fällen stehen, an die niemand hat denken können. Denn alles, was als selbstverständliche Voraussetzung, als notwendige Vorbedingung zu einem geordneten religiösen Leben und damit zu einer gelenkten Seelsorge gehört und mit Recht verlangt wird, fehlte uns. Selbst die verzweigteste Kasuistik hätte seelsorgliche Fälle kaum vorgesehen, vor die man im K. Z. gestellt wurde.
Der Schutzhäftling im K. Z. war grundsätzlich ein rechtloser Mensch. Er hatte keinen Anspruch auf einen Rechtsbeistand und seinen Angehörigen stand nicht das Recht zu, über ihn irgendeine Auskunft zu erhalten. Er war vogelfrei. Daß unter dieser Voraussetzung auch keinerlei Rechtsanspruch auf religiöse Betreuung bestand, die in jedem halbwegs gesitteten Staatswesen keinem Schwerverbrecher verweigert wird, liegt auf der Hand, da die Einstellung des Dritten Reiches, das sein innerstes Wesen in der Gestapo und SS offenbarte, von vornherein jede Voraussetzung für irgendeine religiöse Betreuung der Schutzhäftlinge im K. Z. unterband. Ein System, das jede Grundlage der Menschlichkeit mit brutalem Zynismus zertrat, kümmerte sich nicht um seelische oder religiöse Bedürfnisse von Millionen Menschen und Volksgenossen, die nach Auffassung der Verantwortlichen der Vernichtung überantwortet werden sollten. So wurden die K. Z. der schlagende Beweis für eine der größten Propagandalügen, die immer wieder vom positiven Christentum des Dritten Reiches sprach. Die Prätorianer Neros in den mamertinischen Kerkern, die vielleicht die seelische Größe der Urchristen bewunderten, die den Apostel Paulus seine Briefe diktieren sahen, waren Idealgestalten gegenüber den Schergen der SS in den Katakomben des 20. Jahrhunderts, in den Konzentrationslagern.
Niemals wurde allerdings ein Verbot religiöser Betätigung oder seelsorglichen Wirkens erlassen. Das wäre ja unvereinbar gewesen mit der anfangs zur Schau getragenen positiven Einstellung zu den christlichen Kirchen. Aber in der praktischen Auswirkung des beabsichtigten und feige verschleierten Vernichtungsfeldzuges gegen das Christentum war religiöse Betreuung im K. Z. mit der Todesstrafe belegt, die ohne Verhandlung, ohne Gerichtsverhör, ohne Verantwortungsmöglichkeit in den Bunkern der SS oder in den Himmelfahrtskommandos vollstreckt wurde.
Ich erinnere mich noch klar an das letzte Beisammensein mit dem herzensguten und opferbereiten Pfarrer Otto Neuruhrer aus Götzens in Tirol. Ein Häftling war an ihn herangetreten mit der Bitte, mit der Kirche ausgesöhnt zu werden oder wieder in die Kirche eintreten zu dürfen. Neuruhrer war im Zweifel, ob er die notwendigen Vollmachten habe und wollte sich mit mir darüber beraten. Da aber jeder Schutzhäftling im K. Z. in ständiger Todesgefahr schwebte, war darüber kein vernünftiger Zweifel möglich. Ich machte den seeleneifrigen Kameraden noch aufmerksam, ob er auch gewiß sei, mit wem er es zu tun habe, ob ihm nicht irgend jemand eine Falle gelegt habe, um eine Unterstützung zu erhalten oder vielleicht noch Schlimmeres plane. Lächelnd schaute er mich mit seinen treuen Augen an und sagte in seinem priesterlichen Eifer und in der Freude über einen großen Erfolg priesterlichen Wirkens: "Ich bin mir ganz sicher." Ich wünschte ihm Glück und ahnte nicht, daß er mir zum letzten Mal die Hand gedrückt hatte. Er war einem Provokateur in die Hände gefallen.
Schon nach wenigen Tagen wurde er mit dem Pfarrer Spannlang aus Oberösterreich an das Tor gerufen. Da sonst nichts vorlag, hofften manche Freunde, es könnte für beide die Stunde der Freiheit schlagen. Mich befiel eine bange Ahnung um ihr Schicksal, die sich in wenigen Stunden bestätigte. Beide waren in den Bunker, das berüchtigte Lagergefängnis, übergeführt worden. Nach 48 Stunden ging schon wie ein Lauffeuer die Nachricht durch das Lager: Pfarrer Neuruhrer ist tot. Und einen Tag später ereilte den Pfarrer Spannlang das gleiche Schicksal. Niemand erfuhr, in welchem Zusammenhang sein tragischer Tod mit dem plötzlichen Hinscheiden Otto Neuruhrers stand. Als die braven Pfarrkinder in Götzens die Urne, die die Asche ihres Pfarrers barg, in geweihte Erde senkten, ahnten sie wohl nicht, daß ihr Seelenhirte sein Leben für die Erfüllung seiner priesterlichen Pflicht hingegeben hatte. Der Opfertod dieser beiden österreichischen Priester zeigt, wie seelsorgliches Wirken im K. Z. geahndet wurde.
Eine regelmäßige seelsorgliche Betreuung war nur möglich, wenn ein Priester oder ein wackerer Laienapostel als Häftling unter den Gefangenen war, wenn er das Unglück oder in diesem Falle das Glück hatte, von der Vorsehung in diesen Steinbruch des Herrn versetzt zu werden. Meist wurden die Priester, um die Pein des Lagerlebens zu erhöhen, von den übrigen Häftlingen abgesondert, in Strafkompanien und Isolierbaracken vom übrigen Lager getrennt, damit sie mit den Häftlingen des großen Lagers nicht in Berührung kamen. In Buchenwald hatte man von dieser Sonderbehandlung abgesehen und damit war eine größere Bewegungsmöglichkeit gegeben und gegenseitige Anknüpfungsversuche erleichtert.
Bei meiner Einlieferung in das Lager im November 1938 waren außer mir noch zwei katholische Priester in Buchenwald. Ein Kaplan der Diözese Paderborn hatte schon eine kleine Gemeinde um sich gesammelt. Er war im ganzen Lager, vor allem bei den politischen Häftlingen, sehr beliebt. Seine Erfahrung, sein kluges und mutiges Arbeiten bot wertvolle Anregungen. Ehe man, von Aussprachen unter vier Augen abgesehen, an eine systematische Tätigkeit schreiten konnte, mußte man sich in die Lebensgewohnheiten des Lagers einleben und alle Möglichkeiten und Voraussetzungen sorgfältig erwägen. Gefahren drohten ja von allen Seiten, nicht nur von der Lagerführung, auch von den Häftlingen.
Als ich am 16. November 1938 das Lager betrat, war ein Berufsverbrecher Lagerältester (Vertreter der Häftlinge gegenüber der SS-Lagerführung). Seine Roheit war lagerbekanat. Er verprügelte seine Mitgefangenen und trug immer einen Knüppel bei sich. Mit einer Flut von Beschimpfungen und nicht wiederzugebenden Anpöbelungen begrüßte er den Pfaffen Steinwender und teilte ihn dem Wohnblock zu. Alsbald stellte sich jedoch heraus, daß die politischen Gefangenen Kameradschaft zu halten wußten, wenn man sich selbst bemühte, ein guter Kamerad zu sein.
Etwa ein Viertel der zu meiner Zeit durchschnittlich 15.000 bis 20.000 zählenden Insassen des Lagers trug den roten Winkel der politischen Häftlinge. Sie stellten die eigentliche Klasse der "Staatsfeinde" und bestanden zu 80 Prozent aus Kommunisten. Die übrige Gesellschaft war mehr als gemischt. Vom harmlosen Bettler bis zum gemeingefährlichen Strolch trugen sie den schwarzen Winkel der Asozialen. Die zahlreichen Juden waren gekennzeichnet durch den gelben Zionsstern mit den Unterscheidungen in politische und asoziale Häftlinge.
Die besonders gehaßten Bibelforscher, etwa 400 durchweg aufrechte Menschen und willensstarke Charaktere, hatten den violetten Winkel. Dazu kamen noch die kleineren Gruppen der Zigeuner (brauner Winkel), Polen (brauner Winkel mit P), Homosexuellen (rosaroter Winkel), Emigranten (blauer Winkel), ehemaligen Mitglieder der SS (roter Winkel auf beiden Seiten der Bluse) und der Berufsverbrecher (grüner Winkel). In den Arbeitskommandos fanden sich Gefangene aller Kategorien, die Wohnblocks waren nach Winkeln gesondert. Das Zusammenleben mit den Menschen dieser mehr als bunten Zusammensetzung brachte naturgemäß oft besondere Härten. Und trotzdem schwebte bei aller Gegensätzlichkeit der Weltanschauung, der Erziehung, des Charakters und des Berufes über allen das erbarmungslose gemeinsame Schicksal. Daß Landsleute in besonders herzlicher Kameradschaft verbunden waren, liegt auf der Hand, ebenso kamen Stammesgegensätze besonders zwischen Norden und Süden oft drastisch zum Ausdruck. Zur Ehre der österreichischen Häftlinge sei gesagt, daß sie fast alle gute Kameraden unter sich und allen anderen gegenüber waren. Daß der Attentäter Jawurek, der am Wiener Südbahnhof Bundeskanzler Seipel angeschossen hatte und als asozialer Häftling im Lager war, öfter die Kameraden und Landsleute aus Österreich um eine Zigarette bat, mag als charakteristische Groteske des Lagerlebens verzeichnet werden.
Aus dieser Zusammenstellung allein ist schon ersichtlich, daß beim größten Teil der Gefangenen keinerlei oder nur wenig religiöses Bedürfnis vorhanden war. Einem von Staats wegen vorgesehenen Seelsorger wäre es sicher schwer gefallen, sich einigermaßen erfolgreich durchzusetzen.
Die ersten Kameraden, die sich zu einem religiösen Zirkel zusammenfanden, waren die Landsleute, in unserem Falle die Österreicher, unter ihnen die Salzburger, die für die Freiheit ihrer Heimat bis zur letzten Stunde gekämpft hatten, Kameraden, die zum Teil schon an den Sönntagsfeiern in den Zellen der Gestapo in Salzburg teilgenommen hatten. Dazu kamen Freunde und Bekannte aus Wien und den anderen österreichischen Bundesländern und neue Freunde aus dem Altreich. Einer fand bald zum andern und nach wenigen Wochen war der Plan einer gemeinsamen Gestaltung des Sonntages und eines gemeinsamen Erlebens des Kirchenjahres spruchreif und wurde mit bescheidensten Mitteln durchgeführt.
Wie groß die Schwierigkeiten waren, die sich der Durchführung dieses Planes entgegenstellten, geht daraus hervor, daß keinerlei seelsorgliche Mittel zur Verfügung standen. Wir hatten keine Kirche, keine Kapelle, keinen religiösen Raum für die 20.000 Häftlinge und es war ausgeschlossen, das bescheidenste Gelaß für Kultzwecke instandzusetzen. Wie froh wären wir nur um eine Scheune oder um einen leeren Schafstall gewesen! Es gab kein Kruzifix und kein religiöses Bild, weder ein Brevier, eine Heilige Schrift, ein Missale oder sonst ein religiöses Buch. Als wir nach langem Suchen die Sonntagsevangelien aus dem Gedächtnis zusammengestellt hatten, konnten wir zwei beim besten Willen nicht herausbringen. Der schon erwähnte Kaplan aus Paderborn brachte es zustande, durch eine verdeckte briefliche Anfrage in der Heimat auch diese letzte Lücke auszufüllen. Uns fehlte kurz gesagt alles, was sonst selbstverständliche Voraussetzung für religiöse Feiern ist, auch der Mittelpunkt religiösen katholischen Lebens, das Meßopfer, das Brot des Lebens und der Gnadenstrom der Sakramente. Die Abgelegenheit des Lagers auf dem Berge brachte es mit sich, daß wir auch aus den benachbarten Dörfern, deren Kirchtürme wir wohl sahen, niemals eine Glocke läuten hörten..
Die Lagerordnung und die Lagerarbeit erschwerten vor allem jede religiöse Zusammenkunft. Die Wochentage und die auf Wochentage fallenden kirchlichen Feste, wie Erscheinung des Herrn und Fronleichnam, waren restlos mit schwerer Arbeit oder sonstiger Lagerbeschäftigung ausgefüllt. Untertags war ein Zusammentreffen ausgeschlossen, ausgenommen die Arbeit, die Kameraden an derselben Arbeitsstätte zusammenführte. So blieb praktisch nur der Sonntag oder zu Ostern und Weihnachten der zweite Feiertag, der meistens arbeitsfrei war. Oft hatte man aber auch gerade am Sonntagvormittag eine "freiwillige Arbeit" angesetzt. Wer sich an dieser sogenannten freiwilligen Sonntagsfron nicht beteiligte, wurde mit schweren Strafen belegt. So marschierte der größte Teil der Lagerinsassen auch am Sonntagvormittag bei jedem Wetter in den Steinbruch und schleppte auf den Schultern schwere Steine oft kilometerweit zu irgend einem Straßenbau. So war eine kurze, besinnliche Sonntagsfeier am Morgen schon nicht mehr möglich und es fand sich nur noch in den wenigen Nachmittagsstunden Zeit, wenn nicht auch die durch einen Kleiderappell, durch ein strafweises Antreten auf dem Appellplatz oder eine andere Schikane ausgefüllt waren. Da uns ein ständig benutzbarer Raum fehlte, mußten wir mit größter Sorgfalt vorgehen, denn die Überwachung der Häftlinge war äußerst streng. Außerdem mußte man bei der Zusammensetzung des Lagers vor den Mithäftlingen auf der Hut sein. Es gab immer Denunzianten, die sich durch ihre Angeberei eine Verbesserung der eigenen Lage erhofften, und gehässige Menschen, denen der Zweck unseres Zusammenkommens ein Greuel war.
Es gab Spione und Lauscher, vor denen man besonders auf der Hut sein mußte. Es blieb daher nichts übrig, als ein verstecktes Plätzchen hinter einer Baracke oder im Walde zu suchen und den Ort der Zusammenkunft immer wieder zu wechseln. So saßen wir im Sonnenschein um irgend einen Baumstrunk oder standen im Regen oder Schneesturm unter den Bäumen und hielten unsere Sonntagsfeiern. Selbstverständlich waren immer Kameraden als Wachposten aufgestellt, die jedes verdächtige Nahen eines SS-Mannes oder eines unsicheren Häftlings melden mußten, denn der Zweck unseres Beisammenseins mußte getarnt werden. In möglichst nachlässiger und bequemer Haltung saßen wir herum und rauchten Zigaretten, wenn es welche gab, um den wirklichen Charakter unseres Treffens nach außen hin zu verschleiern. Die gute Kameradschaft mit den meisten der politischen Häftlinge, die großenteils Kommunisten waren, kam uns dabei zugute. Viele wußten genau, was uns zusammenführte, doch niemals wurde unser Kreis gestört oder gar verraten. Mehr als einmal kam es vor, daß jemand mir im Wohnblock sagte: "Deine Leute warten schon auf dich." Mehr als einmal wurde ich aufmerksam gemacht, auf diesen oder jenen Mithäftling zu achten, dem man eine schuftige Handlung zutrauen könnte. Nicht selten geriet auch unabsichtlich ein Unberufener in unsere Runde. Dann mußten wir sofort abbrechen und einen raschen, unverfänglichen Übergang auf ein harmloses Thema finden.
Die äußeren Hindernisse waren nicht immer gleich groß. War dicke Luft im Lager und zeigte das Stimmungsbarometer des Lautsprechers am Tore Sturm, dann war doppelte Vorsicht geboten. An solchen kritischen Tagen mußten sich die einzelnen Priester darauf beschränken, mit zwei oder drei Kameraden in der Form eines lässigen Spazierganges auf der stark begangenen Lagerstraße oder auf Waldwegen den Sonntag zu feiern. War .ein solcher Sonntag arbeitsfrei, dann waren fast alle Priester vom frühen Morgen bis zum späten Abend beschäftigt, um die meisten Mitglieder der kleinen Gemeinde erfassen zu können, denn mehr als sieben bis zehn Gefangene konnte man aus begreiflichen Gründen auch an ruhigen Tagen nicht zugleich erfassen. Eine Ausnahme bildete die Christkönigsfeier am Christkönigsfest 1939, wo 25 Kameraden in der Arbeitsbude eines Kommunisten zu einer besonders stimmungsvollen Feier beisammen waren.
Der Kreis der in dieses gemeinsame religiöse Leben Einbezogenen konnte nicht groß sein. Erst als bei Kriegsbeginn ein größerer Zugang von Priestern aus dem vorübergehend für andere Zwecke bestimmten Dachau erfolgte, bildete sich bald um jeden Priester eine kleine Gemeinde. Fast zur gleichen Zeit kamen mit etwa 800 tschechischen Intellektuellen auch 20 Priester in das Lager, die sich um ihre Landsleute kümmerten. Unter ihnen war ein Domherr aus Olmütz, der als Schutzhäftling von Buchenwald zum Weihbischof seiner Diözese ernannt und auf Grund dieser Ernennung entlassen wurde. Die Kriegsereignisse in Polen führten dann Hunderte von polnischen Priestern in das Lager, Hunderte wurden in der Heimat erledigt. Von diesen polnischen Priesterkameraden kehrten wohl die wenigsten in ihren Wirkungskreis in der Heimat zurück. Soweit es bei der außerordentlichen Härte der Behandlung möglich war, nahmen sie sich ohne Zweifel um die religiösen Bedürfnisse der Polen an, die fast alle mit dem Rosenkranz in das Lager kamen.
Alle, die sich zu solch einer kleinen, religiös ausgerichteten Gemeinschaft gefunden hatten, verband neben der großen Schicksalsgemeinschaft des Lagers eine besonders herzliche Freundschaft. Da gab es keinen Unterschied des Standes. Alle trugen nicht nur die gleiche Uniform des Gefangenen, sie waren wirklich, wie es in der Urkirche hieß, ein Leib und eine Seele.
War es auch ein gar karges Brot, das das religiöse Leben fristete, so barg es offensichtlich das Charisma des Geistes, der durch seinen besonderen Beistand in all den außerordentlichen Schwierigkeiten die Seele nicht untergehen ließ. In allen Stürmen des menschenunwürdigsten Lebens, das man sich denken kann, fanden sie sich wie Brüder in gemeinsamer Not zusammen. Ob sich ein Minister mit einem Bauer fand, ein Intellektueller mit einem Arbeiter, sie alle verband der gleiche Glaube, das gleiche Vertrauen auf die Vorsehung Gottes.
Nicht über jedem Sonntag lag Sonnenschein. Es gab Tage und Wochen, in welchen sich alle Widerwärtigkeiten wie ein Unwetter über allen oder einzelnen zusammenballten und die Widerstandskraft zu zermürben drohten. Zeiten des Hungers, wüster Ausschreitungen, sadistischer Quälereien sexuell pervers veranlagter Aufseher, ohne jede Aussicht auf Änderung. Im März 1939 erließ Himmler eine Verlautbarung über eine Amnestie für politische Häftlinge der Gestapo und in den Konzentrationslagern, die anläßlich des Jahrestages des Einmarsches in Österreich erfolgen sollte. Man sah uns Österreicher schon in der Heimat. Doch im Lager brach die Ruhr aus und brachte Sperre für Entlassungen. Im April 1939 wurden anläßlich des 50. Geburtstages des Führers in Buchenwald allein fast 2000 zumeist politische Häftlinge in Freiheit gesetzt. Ein Entlassungstaumel erfaßte das Lager, eine wilde Parole jagte die andere. Tagelang traten wir schon vor drei Uhr früh zum Morgenappell an, bei dem die langen Listen der Entlassenen verlesen wurden. Jeder wartete in fieberhafter Spannung auf seinen Namen. Immer leerer wurden die Wohnblocks, immer kleiner die Arbeitskommandos, der Appell und die Listen der Freiheit immer kürzer. Das Hoffnungsbarometer sank. In den leer gewordenen Wohnräumen bei den fast unbesetzten Tischen saßen die Zurückgebliebenen mit düsteren Mienen. In wenigen Tagen war die Aktion beendet. Zweimal war unsere Hoffnung enttäuscht. Nun mußten wir damit rechnen, lange Jahre lebendig begraben zu sein, wenn wir die Freiheit überhaupt erlebten. Bald kamen neue Zugänge, die leer gewordenen Plätze füllten sich wieder und all unsere Hoffnung war dahin.
Wer könnte es leugnen, daß solche Zeiten der bittersten Enttäuschung, besonders wenn Vernichtung und Peinigung mit erneuter Wut einsetzten, die härtesten Proben auch an die Glaubenskraft und an das Vertrauen auf ein göttliches Walten im Menschengeschehen stellten. Jeder Schutzhäftling im K. Z., der nicht zum dumpf dahinbrütenden Tier herabgesunken war, lebte eine menschliche Tragödie im wirklichen Sinne des Wortes.
Bald kam dieser, bald jener Kamerad mit weithin sichtbaren Spuren grober Mißhandlungen zu den schlichten sonntäglichen Feiern. Dann blieb lange die Post mit den Berichten der Angehörigen aus, auf die man wartete wie auf einen Sonnenstrahl nach langen, langen Regenwochen. Oder ein angetrunkener, übelgelaunter Scharführer warf vor den Augen der bange wartenden Häftlinge die Post in den brennenden Ofen. Dann wieder riß der grausame Lagertod Lücken in den Freundeskreis, wenn die Feme wütete, oder man bangte um das Leben eines guten Kameraden, von dem man spürte, daß seine Vernichtung beschlossen sei. Wie ein Tier instinktiv Gefahr und Todesnähe wittert, so fühlten auch manche, dem Tode geweihte Häftlinge, wenn sie in den Steinbruch oder in ein anderes Todeskommando versetzt wurden, wenn eine Vernehmung die andere jagte, die Todesschatten über ihrem Haupte. Es war, als ahnten sie es, wenn irgendeine Stelle in der Heimat aus Neid oder Furcht ihre "Erledigung" veranlaßte und es nicht erwarten konnte, bis die Urne mit der Asche als ungefährlicher Rest in die Heimat kam, begleitet von einer feigen Meldung, der Häftling sei an Herzschwäche nach Ruhr oder einer anderen harmlosen Krankheit gestorben. Dieses Bangen um das Leben der besten Freunde und Kameraden brachte uns bittere Stunden. Jeder Gefangene konnte ja der nächste sein, dessen Überreste dem Feuer des Krematoriums übergeben wurden. Doch daneben gab es auch erhebende Augenblicke in Stunden der Gnade. Sonntage und Festtage haben uns durch ihre ergreifende Schlichtheit manchmal tiefer ergriffen als die ganze Schönheit und Würde eines zur Gewohnheit gewordenen feierlichen Gottesdienstes in einer festlich geschmückten Kirche. Weihnachten erlebten wir, aller irdischen Habe beraubt, unbetreut von einer liebenden Hand, wie die Hirten vor der Krippe, und feierten Ostern, in denen uns das Alleluja des Auferstehungsmorgens in der Seele klang wie starkes Hoffnungsgeläute aus einer anderen Welt.
Aber es kamen dann wieder Zeiten, in welchen die Härte des Schicksals auch in die Tiefen der Seele fraß und alle lichten Sterne auszulöschen schien. Nur wer es an sich und vielleicht noch mehr an anderen erlebt hat, welche seelische Prüfung und Erschütterung das Lagerleben in seiner völligen Rechtlosigkeit und ständigen Todesdrohung mit sich bringen konnte, wird es verstehen, daß die seelsorgliche Betreuung oftmals nichts anderes war als eine Bewahrung vor dem Sturz in den Abgrund. Man denke sich hinein in die Lage eines braven Familienvaters, der als Wachebeamter nur seine Pflicht erfüllt, nie einem Menschen etwas zuleide getan hatte. Vom ersten Tage seiner Einlieferung an war er in der Strafkompanie. Während der jahrelangen Haft erhielt er keine Nachricht von seiner Familie, nicht die geringste Geldzuwendung für kleine, zusätzliche Bedürfnisse war ihm gestattet, er durfte den Seinen keinen Brief, kein Lebenszeichen senden. In der Strafkompanie oblag ihm die härteste Arbeit und er war der ärgsten Quälerei ausgesetzt. Jeden Sonntag stand er statt des Mittagessens stundenlang bei jeder Witterung am Tore, jede Arbeit mußte im Laufschritt erledigt werden. Drei Jahre trug er diese Qual, bis er sein Leben lassen mußte. Wenn ein solcher Häftling, wenn ein solcher bis ins tiefste Wesen katholischer Mann bei diesem Leben, dessen Not alle Grenzen des Ertragbaren übersteigt, noch die Seelengröße aufbringen kann, jede Möglichkeit zu suchen, um sich bei unseren schlichten Andachten einzufinden und das seelische Gleichgewicht nicht zu verlieren, so ist das ein Heldentum, vor dem man sich nur in Ehrfurcht beugen kann. Wie klein mußte man sich fühlen, wenn er in den letzten Minuten des Sonntags nach einer Strafarbeit mit durchnäßten Kleidern kam, um auch in diesen Sonntag noch einen Schimmer religiöser Erhebung zutragen. Als die Urne mit der Asche dieses Helden in die Heimat gekommen war und auf die Beisetzung in geweihter Erde harrte, hielten seine Söhne, die ihn jahrelang nicht gesehen, in der Uniform der deutschen Wehrmacht, geschmückt mit den Auszeichnungen für ihre Tapferkeit, die Totenwacht, ein erschütterndes Bild des tragischen Unheils, in das Volk und Heimat gestürzt worden waren. Das Leiden unseres unvergeßlichen Georg Lexer aus Kärnten möge zeugen dafür, daß es im Leben aller, die dort waren, manche Augenblicke gegeben hat, die ein hartes Ringen mit der Gnade waren, und wir dürfen den Herrn dankbar preisen, daß er keinen aus unserem Kreise in der höchsten Not, in den härtesten Jahren des Lebens seelisch zusammenbrechen ließ, daß keiner an seinem Herrgott irre geworden ist.
Wenn wir trotz der gewaltigen Schwierigkeiten doch noch in einem zur Größe des Lagers zwar verhältnismäßig kleinen Kreise ein wirklich religiöses Leben aufrechterhalten konnten, so war das nur ein Werk der Gnade und des Gebetes der Heimat, das in ungezählten Briefen als tröstliche Botschaft zu uns drang. Diese unzerreißbare, oft sichtbar erlebte Gemeinschaft war ein mächtiger Auftrieb unserer seelischen und körperlichen Kräfte. Es war daher eine Selbstverständlichkeit, diese mächtigen Trostgedanken möglichst stark einzubauen und auszuwerten. Wir waren ja keine Kirchengemeinde im gewohnten Sinne, wir hatten kein Gotteshaus, keinem Bischof war es möglich, uns seine Hirtensorge angedeihen zu lassen. Uns vereinte nur der gemeinsame Glaube und die gemeinsame Not.
Was konnte das Gemüt stärker erheben als der Gedanke der immerwährenden Zugehörigkeit zur Pfarrgemeinde in der Heimat? Der Schutzhäftling im K. Z. war polizeilich in der Heimat nicht abgemeldet. Noch weniger aus den Herzen derer entschwunden, die mit ihm fühlten, die mit ihm wußten, daß er ein großes Opfer für die Heimat brachte. Darum gab es kaum einen Gedankenaustausch, kaum eine Ansprache, die nicht an das Pfarrleben in der Heimatgemeinde, an die kirchlichen Heimatbräuche anknüpfte. Waren wir ohne Kirche, ohne Altar und ohne Meßopfer, so dachten wir daran, daß wir in die Gebetsmeinung der heimatlichen Pfarrmesse eingeschlossen waren, die jeden Sonntag und jeden Festtag für die ganze Pfarrgemeinde, also auch für uns abwesende Brüder gelesen wurde. So läutete auch uns eine Wandlungsglocke, so lebten auch wir in einer heiligen Gemeinschaft, die uns untrennbar mit der Heimat verband. Wir bauten die Gedanken, die uns über das trübe Elend hinausheben sollten, auf das Kirchenjahr auf und dieses suchten wir mit der Heimat zu erleben. Wir hörten die Adventglocken über die verschneiten Berge und Fluren zum Rorate laden, wir standen vor der Weihnachtskrippe der Heimatkirche, wir sahen in der Osternacht die Osterfeuer unserer Lungauer und Kärntner Heimat über die Höhen und in die Täler leuchten, wir machten den Gang zur Auferstehung mit und in unseren Seelen lebte die Osterfreude der Heimat. Wir baten um das tägliche Brot mit den Bauern der Heimat, wenn sie in den Bittgängen um den Segen für die Feldfrüchte flehten. Wir gingen mit der Fronleichnamsprozession durch die blühenden Ährenfelder und duftenden Wiesen, wir standen zu Allerseelen mit an den Gräbern der teuren Toten. Diese Gewißheit half uns bei der geistigen Erhebung aus dem Elende, das uns lauernd umgab. So wurden wir hinter den mit Starkstrom geladenen Drahtzäunen und den Maschinengewehrtürmen des K. Z. vielleicht treuere und dankbarere Glieder der Heimatpfarre als wir es waren, da wir ohne die Not eines harten Daseins ihre starken Lebenskräfte vielleicht viel zu wenig achteten.
Diese besonderen Voraussetzungen für das seelsorgliche Wirken im K. Z. stellten den Priester, der neben der Lagerarbeit und der Beanspruchung mit den eigenen Sorgen den ständigen Kontakt mit seiner kleinen Gemeinde aufrechterhalten wollte, ganz auf sich allein. Er hatte oft weder Zeit noch Gelegenheit zu einer eingehenden Aussprache mit einem Priesterkameraden. Er hatte weder Zeitschrift, noch Buch, noch lebendige Verbindung mit dem großen kirchlichen Leben. Es kam kein Hirtenbrief eines Bischofs zu uns, so gerne unsere Oberhirten uns ein Wort des Trostes geschickt hätten. Wir konnten keinen Bischof um Rat fragen oder um Entscheidung und Weisung bitten, sondern wir mußten in rascher Entschlußkraft selbst in schwierigsten Fällen alle Entscheidungen treffen, die in der normalen Seelsorge viel Studium oder manche Rückfrage beansprucht hätten. Die ständige Todesgefahr machte ja in jedem Falle die Frage nach der Vollmacht zur geringsten .Schwierigkeit. Sicher war der Grundsatz eines großen Theologen und Heiligen, der vielleicht zu wenig beachtet wird, kaum irgendwo angebrachter als im K. Z.: Epikie (selbstverantwortliche Entscheidung) ist eine Tugend.
Die eigene trostlose Lage brachte manche Belastung mit sich. Es kostete viel Kraft, sich selbst auf der Höhe zu erhalten, wenn auch ein besonderer Schutzengel treue Wache hielt. Über den Ereignissen des Lagerlebens zu stehen, das jeden Häftling bis in die kleinsten Dinge des täglichen Lebens einschneidend traf, ging oft fast über alles Vermögen. Und doch mußte man über diese inneren Schwierigkeiten hinwegkommen, wollte man anderen helfend und beratend . beistehen, wollte man einige Sonnenstrahlen in von Sorge und Not umdüsterte Herzen tragen. Aber gerade an solchen Tagen, an welchen das eigene innere Gleichgewicht ins Wanken zu geraten drohte oder eine persönliche Belastung aus dem Lagerleben eine lastende Stimmung schuf, pflegte oft ein anderer, der Tröster, den der Herr den Seinen für die Tage der Trübsal und der Verfolgung im Abendmahlsaale versprochen hatte, die Gabe des Trostes zu geben und die Gnade des richtigen Wortes zur richtigen Stunde zu schenken, denn es fehlten uns ja nicht nur die primitivsten Behelfe, es fehlte uns auch die Zeit zu einer längeren Vorbereitung. Wer hätte sich Notizen oder eine sichere Skizze machen können? So war das Gebet: Komm, Heiliger Geist! eine Anrufung, die wohl inständiger nie gebetet wurde als hier.
Der Verlauf unserer kurzen Sonntagsfeier war so einfach wie ihre Vorbereitung und Zurüstung. Nach einem schlichten Einleitungsgebet, manchmal nach einer besonderen Gebetsmeinung, die durch die Zeitumstände und persönliche Anliegen bestimmt war, folgte die kurze Ansprache. An sie schlössen sich wieder kleine, vielfach vom Augenblick und seiner Sorge diktierte Gebete, die mit dem Gebet des Herrn und dem Gedenken der Toten abgeschlossen wurden. Diese fast erschreckende Kargheit und Einfachheit allein schon läßt ermessen, wie stark die Gnade sein mußte, die unsere Sonntage im K. Z. durchströmte.
Trotz aller noch so großen Hemmungen und Mängel bot dieses Zusammenleben mit den Kameraden als gleichgestellte Häftlinge, gleichgestellt in allem, auch große Vorteile. Wir trugen die gleichen Kleider, an denen der Schmutz der Arbeit klebte, da sie ja nur zweimal im Jahre gewechselt wurden. Wir hatten den gleichen "Speckdeckel" auf dem Kopfe, schoben den gleichen Kohldampf, mußten alles miterleben, was nun einmal zum K. Z. gehört. Keiner von uns Priestern war sicher vor den Schlägen am Bock, vor dem grausamen Hängen am Baum, wir wälzten uns beim Strafexerzieren mit den übrigen Häftlingen über die spitzen Steinhaufen oder durch den Morast des Appellplatzes. Wir suchten wie die anderen über solche Situationen mit einem Stücklein guten Humors hinwegzukommen.
Bei den religiösen Zusammenkünften gab uns weder Stola noch Meßgewand ein Zeichen gottesdienstlicher Würde und Aufgabe. Wir waren, wenn wir so sagen wollen, wirklich in allem Brüder unter Brüdern. Wenn sich ein Priester Mühe gab, wirklich als guter Kamerad zu leben, nicht auf eigene kleine Vorteile zu schauen, die letzte Zigarette mit den Kameraden zu teilen, wenn er keine noch so schmutzige Arbeit scheute, dann war der Bann gebrochen, dann öffneten sich ihm die Herzen, die vielleicht vor einem ernsten Amtskleide verschlossen geblieben wären. So fanden Menschen unmittelbar in der gemeinsam erlebten Not zum Priester, Menschen, die ihn in der sauber eingerichteten Amtswohnung kaum gesucht oder gefunden hätten. Von allem Standesdünkel befreite uns die restlose Gleichheit in allem und die Tatsache, daß man auf uns Priester von oben ein besonderes Augenmerk geworfen hatte, das keineswegs von besonderem Wohlwollen zeugte. Für menschliche Eitelkeiten besonderer Standesrücksichten war hier wahrlich kein Platz und materielle Motive fielen von selber weg. Dazu kam, daß mancher Mitgefangene uns Priestern ein Beispiel von Glaubenskraft und Opferbereitschaft gab, das uns nur erbauen, und zur Nachahmung anspornen konnte.
So war das Leben im K. Z. eine harte, aber gute Schule für das Verstehen der Seelennot, für das Suchen und Finden von Wegen zu den Menschenherzen, die uns sonst verschlossen geblieben wären. Vielleicht haben wir nie in unserem ganzen priesterlichen Leben und Wirken mehr mit den Augen Christi in Menschennot, Menschenschuld und Menschenleid gesehen, als in diesen Jahren. Wenn irgend einmal in den Sorgen eines harten seelsorglichen Wirkens das Wort des Völkerapostels galt: "Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin", dann traf es auf unser Wirken im K. Z. zu.
 

EINZELERLEBNISSE UND EINZELSCHICKSALE

DER LAGERALTAR
Gute Kameradschaft brachte es mit sich, daß ein Häftling dem anderen gerne ein Zeichen der Aufmerksamkeit widmete. So dachte ein Kommunist mir eine Freude zu bereiten, als er irgendwo auf der Lagerstraße ein kleines Ding fand, für das er keine Verwendung hatte. Da es sich nach dem äußeren Anscheine um eine religiöse Sache handelte, brachte er es mir mit der Bemerkung: "Ich weiß mit dem Dreck nichts anzufangen, vielleicht bedeutet es dir etwas." Zu meinem größten und freudigen Erstaunen überreichte er mir eine kleine Reliquie vom Sarge des heiligen Bruders Konrad in Altötting. An der Echtheit war kein Zweifel. Unfaßbar war nur, wie dieses wertvolle kleine Heiligtum ausgerechnet nach Buchenwald kam.
Bei der nächsten religiösen Zusammenkunft am folgenden Sonntage sagte ich meinen Kameraden: "Wir haben jetzt einen Altar einem Patrone geweiht, der seine schützende Hand über unsere Heimat hält." Bei jeder Feier war nun diese Reliquie bei uns und ersetzte uns Altar und Gotteshaus. Schlichter und einfacher hätte das äußere Zeichen unseres Sonntagsgottesdienstes nicht sein können und doch strömte aus ihm der Hauch der Gnade, als stünden wir im Heiligtum von Altötting, zu dem Menschen von ferne her pilgern.
Ein Zufall gab es uns in die Hand, ein Zufall lüftete auch das Geheimnis seiner Herkunft. In unserem Block waren drei reiche Berliner Zigeuner, Vater, Sohn und Schwiegersohn. Alle drei waren überzeugte Katholiken. Niemals schnitt der alte Petermann ein Brot an, ohne vor allen Häftlingen drei Kreuze darüber zu machen. Ein zufälliges Gespräch mit ihnen kam auf die Bruder-Konrad-Reliquie. Mit großer Erregung fragte der kleine Zigeuner, wer sie habe. Als ich sie ihm zeigte, fiel er mir um den Hals und war überglücklich, daß sie in meiner Hand sei. Nun erfuhren wir ihre Geschichte. Alle drei Zigeuner waren von Berlin im eigenen Auto zur Seligsprechungsfeier Bruder Konrads nach Altötting gefahren. Als kostbares Andenken an diese erhebende Feier nahmen sie diese kleine Reliquie mit, die sie immer bei sich trugen und auch in das Lager einschmuggeln konnten. Gerne gab ich ihm sein Eigentum zurück, das er uns jeden Sonn- und Festtag bereitwillig zur Verfügung stellte, wenn wir unter irgendeinem Baume oder in einem verborgenen Versteck des Lagers unseren Bruder-Konrad-Altar brauchten.

DAS LAGERMISSALE
Oft äußerten die Kameraden den brennenden Wunsch nach einem Meßbuch, einem Missale oder einem Kleinen Schott, um das Kirchenjahr besser mitzuerleben, um die kraftvollen Gebete des Meßopfers in unseren darbenden Seelen wirken zu lassen. In die Zellen des Salzburger Gestapo-Gefängnisses konnten wir ein Missale hineinschmuggeln. Und wohl kaum einmal im geordneten bürgerlichen Leben hat der ernste und doch so zuversichtliche Geist der Kirchengebete so stark auf uns gewirkt, als bei den schlichten Sonntagsfeiern im Gebäude der Gestapo am Salzachkai in Salzburg. Das ferne Läuten der Kirchenglocken erinnerte uns an das gleichzeitige Meßopfer in irgendeinem Gotteshaus und wir erlebten es in unseren Gedanken mit.
Wesentlich anders war es im Lager. Ein Missale war nicht zu beschaffen und nie drang der feierliche Ton einer Kirchenglocke an unser Ohr. Unsere vollständig behelfslose Lagerliturgie war von geradezu erschütternder Einfachheit. Es war wahrlich oft nicht leicht, die eigene Seele zu erheben und die formlose Sonntagsfeier, besonders wenn das Barometer im Lager auf Sturm und Peinigung stand, wirkungsvoll zu gestalten und die seelische Sonntagsruhe und einigen Trost aus übernatürlichen Quellen in die Qual eines Lebens ohne Sonnenschein und Freude zu bringen.
Da kam ein treuer Kamerad aus unserer kleinen Gemeinde auf den Gedanken, es müßte doch möglich sein, die wesentlichen Gebete des Meßopfers aus dem Gedächtnis niederzuschreiben. Ich wollte ihm eine Freude machen und mir selbst eine gründliche Beschäftigung mit dem Text des Meßopfers verschaffen. Manche Stelle ging leicht. Eingangsgebete, Gloria und Kredo machten keine Schwierigkeit. Aber harte Proben an das Gedächtnis stellten die wechselnden Gebete der stillen Messe vor und nach der Wandlung. Mancher Satz, von dem man für sich glaubte, er müsse wortgetreu im Gedächtnisse haften, war einfach nicht zu finden. Auch zu zweit oder dritt kamen wir über verschiedene Klippen lange nicht hinweg. Oft eilte ich den langen Gang der Kaserne auf und ab und hoffte, durch lautes Aufsagen über den toten Punkt hinwegzukommen. Es war ein kalter Dezember im Jahre 1939. Wir Maler arbeiteten in der fensterlosen SS-Kaserne und konnten beim besten Willen, selbst wenn er vorhanden gewesen wäre, nicht viel Ersprießliches leisten. Um sich zu erwärmen, liefen die Häftlinge in der unbewachten Zeit durch die kalten langen Gänge und manche Zigarette ging verstohlen in Rauch auf. Bei diesen eigenartigen Spaziergängen nahmen wir durch halblautes Rezitieren immer wieder einen Anlauf, über die Gedächtnislücke hinwegzukommen. Schließlich gelang der Freundesdienst. Am Heiligen Abend konnte ich meinem Freunde als Weihnachtsgeschenk ein kleines, in den stillen Abendstunden geschriebenes Heftchen überreichen, das die gleichbleibenden Meßgebete vom Stufengebet bis zum letzten Evangelium enthielt. Der lateinische Text wurde noch ins Deutsche übertragen, eine Arbeit, die nicht minder Kopfzerbrechen machte. Endlich hatten wir unser Lagermissale, das uns gute Dienste leistete, wenn auch mancher zünftige Liturg über die waghalsige Übersetzungskunst den Kopf geschüttelt hätte.
Gerne hätte ich dieses kleine Lagermissale als Andenken mitgenommen, aber das war wegen der strengen Kontrolle nicht möglich. Vielleicht hat es auch nach meiner Rückkehr in die Freiheit seinen Zweck noch erreicht. Ich weiß nichts mehr von seinem weiteren Schicksale. Sicher aber haben wir den ehrwürdigen Text der Meßgebete, die im gleichen Wortlaute ununterbrochen durch den ganzen Erdkreis dringen, mit größerer Ergriffenheit gelesen, als aus manchem Prachtband eines Missales mit Goldschnitt und erlesener künstlerischer Ausgestaltung. Wir haben ohne Altar und ohne prachtvolles Meßgewand in der trostlosen Gleichheit der Zebra-Uniform der Häftlinge die ganze Tiefe und Weite der Kirchengebete gefühlt.

EGO TE ABSOLVO
Was ist eine Seelsorge ohne Sakramente, ohne den Blutstrom des Lebens vom göttlichen Weinstocke? Wie schwer ist es, in ausgeglichenen Zeiten das religiöse Leben aufrechtzuerhalten ohne die Kraftquellen der regelmäßigen Gnadenerneuerung durch die unmittelbare Wirkung Christi in der unausschöpflichen Gnadenvermittlung der Sakramente? Für die Gefangenen im K. Z. blieb jahrelang nur das Sakrament der Buße; und das nur dann, wenn zufällig ein Priester als Mithäftling im Lager lebte und die Möglichkeit hatte, mit den Kameraden in Verbindung zu kommen.
Daß die Häftlinge, die ihre gemeinsamen Sonntagsfeiern hielten, mit einer gewissen Regelmäßigkeit das Sakrament der Buße empfingen, wird niemand wundernehmen. Daß aber auch Kameraden den Weg zum Priester fanden, die draußen in der Freiheit bei einem Leben, das nicht unter der Last des K. Z. stand, jahre-, ja jahrzehntelang kaum in eine Kirche gekommen sind, viel weniger einen Beichtstuhl von innen gesehen, das gehört zu den Wundern der Gnade. Das waren die schönsten Erlebnisse des Seelsorgers, Werkzeug und Zeuge dieser außerordentlichen Gnadenvermittlung zu sein. Ein zufälliges Gespräch, vielleicht eine aus Kameradschaft geteilte Zigarette, gibt den Anlaß zu einer ersten Fühlungnahme. Der Kamerad weiß, daß er einen Priester vor sich hat und spürt das Bedürfnis zu einer Aussprache. Bald ist das gegenseitige Vertrauen gewonnen und es öffnen sich die Tiefen der Seele. Jahrzehnte ohne Christus, vielleicht Jahrzehnte gegen Christus leben wieder auf. Im tiefsten Grund einer vom Schicksal geläuterten Seele leuchtet der letzte Rest der anima naturaliter christiana (der von Natur aus christlichen Seele). Eine sorgenlose Jugend in einem christlichen Elternhause lebt wieder auf. Der Schimmer der Kerzen der ersten Kommunion glänzt wie ein frohes Flimmern aus weiten, seligen Fernen. Mitten unter den Trümmern eines scheinbar zwecklos gewordenen Lebens, das alles zerstörte, was einst schön und erstrebenswert schien, weht der Hauch der Gnade. Im wüsten Dorngestrüpp des K. Z. schreitet der gute Hirte und holt ein Schäflein heim zu seiner Herde, das ohne diese harte Prüfung kaum heimgefunden hätte. Lebensbeichten von Menschen, die seit 20 und mehr Jahren das Glück innerer Ruhe kaum mehr kannten, von Menschen, in deren Seele kaum mehr eine leise Ahnung von einem religiösen Bedürfnis gelebt hatte, solche Lebensbeichten waren nicht Menschenwerk, waren Stunden reinster, frei geschenkter Gnade. Wie befreiend klang das ego te absolvo unter irgendeiner Baumkrone oder in einem stillen Versteck des Waldes als Unterpfand für ein gutes Sterben oder als Wendepunkt für ein neues Leben, das Christus im K. Z. erweckte.
Aber wie seltsam waren die äußeren Umstände dieser wohl einzigartigen Beichtpraxis. Nicht das geheimnisvolle Dunkel einer anheimelnden Kirche mahnte zur Besinnung, kein verschwiegener Beichtstuhl lud zum befreienden Bekenntnis. Nirgendwo in den Baracken war ein kleiner Raum zu ungestörter längerer Aussprache unter vier Augen. Ein Gang durch den Wald, der immer wieder durch begegnende Kameraden gestört wurde, ein scheinbar zufälliges Spazierengehen auf der Lagerstraße, eine unauffällige Rast auf einem Baumstumpf, oftmals unterbrochen durch Witze oder Klagen vorübergehender Mitgefangener, das war das äußere Gepräge dieser Lagerbeichten. Nie in meinem Leben hätte ich mir vorgestellt, daß ein Beichthören unter solchen Umständen möglich wäre. Aber wenn wir auseinandergingen und die Augen beglückt leuchteten, wenn ein kräftiger Händedruck diese Stunde der Gnade abschloß, dann fühlten wir die Größe der Kraft und Gnade dieses einzigen Sakramentes, das wir im K. Z. spenden konnten.
Wohl hätte einem manchesmal bange werden können vor der Verantwortung, die plötzlich dem Priester an Gottes Statt auferlegt wurde. Fälle, die normaler Weise reichliches Studium erfordert hätten, drängten zur raschen Entscheidung. Kein Bischof konnte befragt oder um Entscheidung angegangen werden. Wären selbst Bedenken vorgelegen, wie hätte man sie achten können vor einem Menschen, den die barmherzige Hand des Herrn so offensichtlich berührt hatte. Niemals und nirgends konnte man tiefer in menschliche Schicksale schauen als im Konzentrationslager, niemals stärker fühlen, daß die verworrensten Knoten menschlicher Lebensrätsel nicht anders gelöst werden können als durch das für Zeit und Ewigkeit befreiende: "Ich spreche Dich los von Deinen Sünden". Diese Stunden der Mitwirkung mit der Gnade des Erlösers allein schon machten die harten Lagerjahre zu einem Erlebnis, das man nicht mehr missen möchte. Sie bewiesen aber auch, wie gut und verstehend mit den Schwächen der Menschen der sein muß, der als Bußrichter verzeihender göttlicher Gerechtigkeit und Liebe aufgestellt ist.

PRIESTERKAMERADEN
Es gab im Lager nicht nur Stunden tiefster Niedergeschlagenheit, im Gegenteil: es kamen auch solche befreienden Frohsinns. Der Mensch kann wahrlich bescheiden werden, wenn er sich damit abgefunden hat, alles hinter sich zu lassen, was sonst das Leben bequem und froh macht. Die Erfüllung eines bescheidenen Wunsches brachte uns schon eine warme Welle der Freude, die man in der Sattheit früherer Tage nie empfunden hätte. Ein paar Zigaretten nach langem Rauchverbot im Lager, ein unerwarteter freier Nachmittag in freundschaftlichem Beisammensein, einige Stunden Sonne nach langem, ödem Regen, ein Zusammentreffen mit Landsleuten, ein Gespräch über die Heimat stimmt uns so froh und glücklich, wie man es im K. Z. nicht vermutet hätte. Wie oft sagten wir in diesen geschenkten Stunden, wenn einer den andern in Witz und Scherzen zu überbieten suchte: Jetzt sollten unsere Angehörigen uns sehen, sie würden die Ungewißheit um unser Schicksal leichter tragen.
Die Priesterkameraden trafen sich im Lager natürlich öfter. Anfangs waren wir unser drei. Vor Kriegsbeginn kamen mit der vorübergehenden Räumung von Dachau auch Berufskollegen aus der Heimat nach Buchenwald. War das ein Begrüßen und Fragen, ein Austauschen von Erlebnissen und Erfahrungen. Gleichzeitig mit etwa 1000 tschechischen Intellektuellen kamen 20 tschechische Priester, unter ihnen der im ganzen Lager bald beliebte P. Anton, ein rundlicher Franziskaner, der monatelang in seinem Habit herumgehen mußte und von vielen im Lager anfangs wie ein Weltwunder angestaunt wurde. Die Lagerkost ließ sein Bäuchlein bald verschwinden, aber P. Antons Humor blieb nach wie vor lagerbekannt. Nach wenigen Tagen waren die freundschaftlichen Beziehungen zu den neu zugezogenen Mitbrüdern hergestellt. So bekamen wir nicht nur ein wirkliches Bild der Lage in den Ländern, nach denen der grausame Krieg greifen sollte, wir sprachen uns auch gründlich aus, wie sich nach diesen Erfahrungen die Neugestaltung des religiösen und sozialen Lebens anfassen ließ. Wir haben mit offenem Freimut auch manche Fehler und Irrwege besprochen, die wir selbst in der Seelsorge und in der Politik gegangen.
Der Zufall führte wie so oft im Leben auch hier Menschen aus entlegensten Gegenden zusammen, und auch im K. Z. sahen wir, wie klein die Welt ist. Der alte ehemalige Dekan von Prüm in der Eifel kam in das Lager, weil er den Reichsmarschall Göring in einer Waldgaststätte bei Maria Laach in der Eifel angeblich absichtlich nicht gegrüßt hatte. Er und sein Begleiter mußten in ihren Amtskleidern stundenlang über eigens aufgeschüttete spitze Steine schreiten und mit erhobener Hand eine SS-Mütze grüßen - ein moderner Geßlerhut zur Sühne einer Majestätsbeleidigung. Bald nach der ersten Begrüßung erinnerten wir uns an das schöne Prüm, wo ich seinerzeit in besseren Tagen nach einer wundervollen Autofahrt durch die Eifel einen Vortrag gehalten hatte.
Als nach Ausbruch des Krieges die Masseneinlieferung polnischer Geistlicher begann, begegnete ich bald einigen Mitbrüdern, die ich bei meinen Vorträgen vor den deutschen Katholiken in Polen in Kattowitz, Königshütte usw. kennengelernt hatte. Da die Zahl der eingelieferten polnischen Geistlichen in die Hunderte ging, war es kaum mehr möglich, mit allen näher bekannt zu werden. Sie übermittelten uns ein erschütterndes Bild des Ausrottungskampfes gegen die Kirche in ihrer Heimat, wo die Priester nicht nur verhaftet und in die Lager geschleppt, sondern zu Hunderten an Ort und Stelle getötet wurden. Bald begann auch bei uns das Sterben und viele wurden in andere Lager, wie in das Todeslager im Steinbruch von Mauthausen bei Linz an der Donau, versetzt. - Als eines Tages 50 gefangene polnische Feldkuraten gegen jedes Völkerrecht von einem Offiziersgefangenenlager in das K. Z. gebracht wurden, konnte ich mich trotz des Verbotes in ihre Baracke schleichen und ihnen den Gruß der Mitbrüder bringen. Wir sprachen von ihrer Heimat und von meinem Besuche im herrlichen Zakopane in der Hohen Tatra, Ich erzählte ihnen unter
anderem von einem wundersamen Volksliede der Goralen, der Bergbauern dieser Gegend, deren schmucke Heimattracht weitum bekannt ist. Da sagte plötzlich ein junger Feldkurat: "Ich will dieses Lied singen, es ist das Lied meiner Heimat, mein Vater ist Goral in der Nähe von Zakopane." Und in der dumpfigen Baracke des K. Z. erklang die sanfte, zarte Weise: "Goral, Goral, kennst du deine Berge ..." Alle saßen in tiefem Schweigen und dachten an die verlorene Heimat.
Wie bemühten wir uns, das Lagerleben gegenseitig zu erleichtern und uns gegenseitig mit allem auszuhelfen, vor allem den Mitbrüdern in der Strafkompanie, die jede unwürdige Arbeit leisten und dabei Hunger leiden mußten. Sonntags z. B. standen sie hungrig bei jedem Wetter während des Mittagessens am Tore. Diese gegenseitige Gastfreundschaft war ja arm und karg, aber manches Stücklein trockenes Brot wurde oft dankbarer entgegengenommen als früher ein Festessen an reichgedeckter Tafel.
Die Not des Lagerlebens, die sinnlose Zerstörung in aller Welt, der seelische Aufruhr der Völker bis in die innersten Tiefen des religiösen und sozialen Lebens gingen auch an uns Eingesperrten nicht spurlos vorüber. Denn wir erlebten ja die schlimmsten Verirrungen einer toll gewordenen Zeit und unser Verständnis, unsere Einstellung zu vielen Problemen der Zukunft wurden klarer und hellsichtiger. Viele Fragen von einschneidender Bedeutung wurden mit Freimut besprochen, da keinerlei Rücksicht eine klare Stellungnahme trübte. Jeder von uns im K. Z. hatte nicht nur gelernt tiefer in die Zusammenhänge seelischen und menschlichen Zusammenbruches zu schauen, sondern auch eine klarer umrissene Einstellung zu manchen Fragen bezogen, deren Größe und Bedeutung uns erst dann klar werden wird, wenn wir das ganze Trümmerfeld unserer Zeit überschauen können, in dessen Ruinen doch wieder neues, auch religiöses Leben erblühen wird. Von den Mitbrüdern aber, die der grausame Tod im K. Z. hinwegraffte, möge das Wort Wahrheit werden, das einst der Ruhm der Urkirche war: Sanguis martyrum, semen christianorum (Das Blut der Märtyrer ist der Same neuer Christen).

MAIANDACHT
Müde schleppten sich die Arbeitskolonnen in das Lager. Die Maisonne brannte schon heiß auf die Arbeitsstätten nieder und peinigte die ausgehungerten Körper. Fast verdrossen klang das Lagerlied durch die heimwärts ziehenden Reihen:
Halte Schritt, Kamerad, und verlier nicht den Mut,
Wir tragen den Willen zum Leben im Blut
Und im Herzen, im Herzen den Glauben.
War zufällig keine Nachtarbeit angesetzt, die vom Mittagessen (halb 5 Uhr) bis zur Morgendämmerung dauerte, dann blieb manchmal ein halbes Stündlein für eine besinnliche Lager-Maiandacht. Von einem versteckten Plätzchen des Waldes am Berge schauten ein paar gute Freunde mit brennenden Augen in die Weite. Ihre Gedanken eilten zu den Kirchen der Heimat, wo sie ihre Lieben um den Maialtar versammelt wußten. Und wenn die Sonne sich zur Scheide anschickte, hielten sie ihre Lager-Maiandacht. Keine Glocke lud sie zu weihevoller Andacht, kein Lied zur Maienkönigin klang durch einen traulichen Raum. Vielleicht daß ein Vöglein ein schüchternes Abendlied in die leere Öde dieses Maienabends sang. Und doch klangen in unseren Ohren die Abendglocken der Heimat, wir hörten das sanfte Echo ihrer Stimmen aus den Bergen und Tälern. Wir hörten, wie helle Kinderstimmen um den blumengeschmückten Altar den Lobpreis der Himmelskönigin sangen. Wir sahen die flackernden Kerzen um das Bild der Mutter aller Gnade. Es war uns, als knieten wir dort in einem stillen, verborgenen Winkel und beteten mit:
"Trösterin der Betrübten, bitt' für uns, Hilfe der Christen, bitt' für uns!"
Mit schlichter Innigkeit beteten die schmalen Lippen das Ave Maria. Leise sang der milde Abendwind im jungen Grün uralter Bäume. Schweigend, als fühlten wir die segnende Mutterhand auf den müden Scheiteln, beugten wir uns der starken seelischen Wirkung dieser schlichtesten Maiandacht, die wir je erlebt. "Jetzt werden daheim die Aveglocken läuten", unterbrach ein Kamerad die geheimnisvolle Stille. Ja, Glocken der Heimat, dachten wir, klingt auch uns und lehret uns mit starkem Willen, mit gläubigem Vertrauen und ungebrochener Ergebung in dieser Stunde beten: Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach Deinem Worte.
Der Postenwechsel an den Maschinengewehren der hohen Bewachungstürme und der schrille Ton der Signalpfeife vom Tore mahnte zum raschen Abbruch der in die Heimat träumenden Maiandacht. Doch wir wußten: auch unser Tag hatte seinen Sinn. Auf dem Wege zur Baracke sprachen wir noch davon: Jetzt werden sie daheim von uns reden, wie sie für uns gebetet haben. Vielleicht knien ein paar treue Menschen noch einsam in der Heimatkirche und empfahlen uns dem besonderen Schütze der Mutter der Gnade.
Ein Kamerad summte für sich das Marienlied: Maria, Maienkönigin, Dich will der Mai begrüßen... Keiner von uns wußte in dieser Stunde, was uns der Mai bringen werde. Doch lebte in uns das Vertrauen, daß, was immer in diesen Maiwochen kommen möge, in denen wir das Fürbittegebet der Maiandacht in der Heimat wie stärkenden Tau in unserem dürstenden Gemüte fühlten, wir nicht umsonst Maiandacht gehalten hatten.

AVE MARIA IM BUNKER
Jedes Konzentrationslager hatte seine Spezialitäten, die im Laufe der Zeit nach Laune oder besonderen Einfällen der Grausamkeit wechselten. Wenn man die Berichte von Kameraden, die mehrere Lager durchgemacht hatten, verfolgte, so mußte man zur Überzeugung kommen, daß die Lagerführungen sich gegenseitig überboten, um ihr Lager in einen möglichst berüchtigten Ruf zu bringen. Es ist hier nicht der Platz, die unvorstellbaren Grausamkeiten der "Sonderbehandlung" von Häftlingen in den Bunkern, den Gefängnissen der Lager, und die grausamen, teuflischen Quälereien entmenschter Henker zu schildern.
Wer nach einigen Wochen Bunkerbehandlung wieder in das Lager zurückkam, brauchte nicht viel zu erzählen, sein Aussehen verriet, was er erlebt hatte. Und dabei gab es Schutzhäftlinge, die Monate, sogar Jahre dieses traurige Leben im Bunker fristen mußten. Aber selbst in diesen Stätten des Grauens waren durch die Gnade Christi getragene Seelen stärker als aller Haß und satanische Bosheit der Menschen. Der erste Sekretär des Kanzlers Dr. Dollfuß, der nachmalige Präsident der Finanzlandesdirektion in Salzburg DDr. Otto Kemptner, erlebte monatelang die Bunkereinsamkeit in Dachau und die Strafkompanie in Buchenwald. In den sechs gemeinsamen Haftmonaten in der Polizeikaserne in Salzburg hat mir Freund Kemptner schon Andeutungen gemacht, er wolle nach seiner Freilassung Priester werden. Wohl in den Monaten der Sonderbehandlung des Bunkers ist dieser Ruf der besonderen Gnade zur Reife gelangt. Wenige Monate nach der Befreiung trat er als Kleriker in das Augustinerstift St. Florian ein. Aber er starb wenige Monate vor der Feier seines ersten heiligen Meßopfers an den Folgen der Entbehrungen des Lagerlebens.
Zu den Opfern des Bunkers gehörte auch der frühere Sicherheitsdirektor von Vorarlberg, dann von Salzburg, Gendarmerieoberst Bechinie, der in Dachau und in Buchenwald über 20 Monate Lagerbunker durchmachen mußte. Die letzten Wochen vor der Überführung in das Lager, wo er abgemagert bis zum Skelett ankam - wir hätten die einst so kraftvolle Gestalt nicht wieder erkannt -, verbrachte er zusammen mit einem Pfarrer der Salzburger Erzdiözese, Johann Schroffner aus Oberndorf bei St. Johann in Tirol. Diese beiden Männer, so verschieden geartet in Lebensart, Lebensauffassung, Abstammung und Charakteranlage, waren im Bunker gute Freunde geworden.
Mit allen Mitteln suchten sie sich über die Trostlosigkeit ihrer Lage hinwegzuhelfen. Und wenn keine Zerstreuung, keine Erinnerung an bessere Zeiten mehr helfen wollte, dann flüchteten ihre Gedanken und ihr Sinnen in eine andere Welt. Sie vertieften sich in religiöse Gespräche und suchten in gemeinsamem Gebet inneren Halt. Ihre besondere Zuflucht war die Mutter Gottes, die Trösterin aller Betrübten. Wie oft mögen sie miteinander den Rosenkranz gebetet haben! Als Oberst Bechinie zu uns ins Lager kam, kannte er die lauretanische Litanei auswendig. So oft hatten sie in ihrem grenzenlosen Elend gemeinsam diese Hilferufe der Christenheit zur Mutter Gottes emporgeschickt. Im Lager suchte Bechinie mit gerade kindlicher Begeisterung Anschluß an unsere Sonntagsfeiern, die uns in ihrer naiven Einfalt manche Gefahr hätte heraufbeschwören können.
Beide durch dasselbe grausame Los Freunde gewordene Bunkerkameraden, die ungezählte Ave Maria miteinander gebetet hatten, haben wohl nicht geahnt, daß ihr Bittruf, der durch die Bunkergitter drang: "Bitt' für uns arme Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes!", das letzte gemeinsame Abendgebet ihres Lebens war. Pfarrer Schroffner, den Oberst Bechinie verhältnismäßig wohlbehalten verlassen hatte, starb wenige Wochen später an uns unbekannter Todesursache. Ich habe meinen Landsmann und Mitbruder im Lager nie gesehen, habe ihm nie ein Trostwort sagen und mit ihm keine Erinnerungen an gemeinsame Studienjahre mehr austauschen können. Wir konnten nur von ihm reden und seiner gedenken. Bechinie, schon vom Tode gezeichnet, starb nach der Autofahrt zusammen mit mehreren Häftlingen. Man hatte an ihnen wohl eine der neuen Waffen zur Vernichtung wehrloser Menschen erprobt.
Das Ave Maria im Bunker war verstummt. Aber sicher war es denen, die es beteten, in der Stunde ihres grausamen Todes Trost und Hilfe.

"IST JEMAND KRANK UNTER EUCH,.."
Besonders schmerzlich war es für uns, daß unsere seelsorgliche Hilfe auch nicht einmal Kranken und Sterbenden zuteil wurde. Das Krankenhaus (Revier) diente ja nicht der Heilung und Betreuung, sondern gerade dort wütete der Tod. Die ins Auge springende Unzulänglichkeit des Häftlingskrankenhauses war schon ein äußerer Beweis dafür, daß man mit dem Lagergrundsatze, den man uns oft genug vorbrüllte, ernst machte: "Im Lager gibt es nur Gesunde oder Tote." Es war daher nicht verwunderlich, daß sich im Krankenhause Prügelszenen abspielten, daß die Stätte, die der Heilung gewidmet sein sollte, eine Versuchsstation für neue Todesarten wurde. Eine längere Beschäftigung im Revier, die mit größerem Einblick in dessen grauenhafte Geheimnisse verbunden war, konnte jedem Häftling lebensgefährlich werden. Ein Wissender war im Lager immer ein Gefährdeter.
Der natürliche Tod war eine Seltenheit. Wo hätte man dann Kranke oder Sterbende suchen sollen? Selbst wenn wir das heilige Öl für das Sakrament der Krankenölung hätten in das Lager schmuggeln können, so hätten wir trotzdem nur in besonderen Ausnahmefällen die Möglichkeit gehabt, den Auftrag des Apostels Jakobus zu erfüllen: "Ist jemand krank unter euch, so rufe er die Priester der Kirche..." Nur ein einzigesmal konnte ich durch einen Zufall einem Sterbenden beistehen, als er, in den letzten Zügen liegend, zum Morgenappell getragen wurde. Als ein Sterbender einmal im Krankenhause um den Beistand eines Priesters bat, bekam er unter zynischen Witzen die Antwort, ein Stück Weißbrot könne ihm auch ein SS-Mann reichen, wenn ihm dann leichter sei.
Wie aufgeschlossen für die letzten Tröstungen der Religion wären ungezählte Sterbende gewesen, mit welcher Innigkeit hätten sie die Wegzehrung für die Reise in eine bessere Heimat empfangen. Sie wäre ihnen das Unterpfand für einen friedlichen und glücklichen Ausklang eines, mit irdischem Maß gemessen, sinnlosen Lebens gewesen. Und dennoch wird der Hauch der Gnade, die wir so oft im Leben gespürt haben, vielen die Not des grauenvollen einsamen Todes verklärt haben. Die einzige Krankenseelsorge, die einzige Betreuung der Sterbenden, die eine Kugel getroffen oder die völlig ermattet zusammenbrachen und den Geist aufgaben, bestand in der Weckung der dauernden Bereitschaft und in ständigem Hinweis auf die vollkommene Reue in der Todesstunde mit dem Blick auf den Kreuzeshügel und dem erlösenden Wort des sterbenden Gottmenschen an den Mithäftling und Mitgekreuzigten: Heute noch wirst du bei mir im Paradiese sein!

BLUTTAUFE
Mit erbarmungsloser Härte wütete die Vernichtung gegen die jüdischen Häftlinge. Es gelang zwar verhältnismäßig zahlreichen vermögenden Juden die Pässe für Ausreise aus Deutschland zu erlangen. Gar mancher wurde plötzlich in der Nacht durch den Lautsprecher geweckt, wurde entlassen, mit einem Auto zum D-Zug nach Weimar gebracht, der ihn im Fluge zum Luxusdampfer in das Ausland führte. Diese Juden waren Zeugen des grausamen Geschehens im K. Z. für die ganze Welt. So wurden die Vorgänge in den deutschen Lagern auf der ganzen Erde bekannt. So kam es, daß man in Schanghai, in amerikanischen Städten, in Palästina, auf dem ganzen Erdkreis genau über Buchenwald und andere Konzentrationslager Bescheid wußte, während das deutsche Volk keine Ahnung davon hatte. Die Juden im Lager, die keine Möglichkeit hatten, die Ausreisepapiere zu erlangen, waren dem Tode geweiht und der Zionsstern auf ihren Häftlingskleidern war ein Mahnmal des Feuerofens.
Die Arbeit führte uns auch mit jüdischen Häftlingen zusammen. Daß sich ein Österreicher mit einem jüdischen Landsmann, der noch dazu ein Berufskollege war, schnell zusammenfand, liegt auf der Hand. Ein hartes, gemeinsames Schicksal führt die Menschen eben näher zusammen, als noch so viele gemeinsame Tage auf der Höhe eines interessanten Berufslebens.
So lernte ich auf dem Holzhof von Buchenwald den Wiener jüdischen Journalisten Walter Süß kennen. Er war ein echter Vertreter der Wiener Linksjournalistik.
Ein geistvoller Erzähler, ohne jede persönliche Beziehung zu christlicher Weltanschauung. Irgend etwas Geheimnisvolles zog ihn näher an mich. Nach manchen Streitgesprächen über religiöse Probleme war ich einigermaßen überrascht, als mein Kamerad zur Weihnachtszeit 1939 sagte, er beginne tiefer und ernster über religiöse Fragen und über christliche Weltanschauung nachzudenken. Ich maß dieser in meinen Augen wohl mehr schöngeistigen Anwandlung nicht allzutiefe Bedeutung bei. Wechsel im Arbeitskommando führte uns auseinander. Am Karsamstag suchte mich der Kamerad wieder. In langen, sorgenvollen und schlaflosen Nächten hatte ihn der einmal gefaßte Gedanke nicht mehr losgelassen. Er war so weit in seinem Entschlüsse, nach der Rückkehr aus dem Lager Christ zu werden. Als Halbjude sah er noch einen leisen Hoffnungsschimmer auf Befreiung vor sich. Wieder verloren wir uns aus den Augen. Auch war es ja für beide Teile nicht ganz unbedenklich, sich öfter zu treffen. Doch immer wieder beschäftigte mich diese aufgewühlte Seele, die so heftig um die Wahrheit über die Letzten Dinge rang.
Einige Tage vor Christi Himmelfahrt schlich sich Albert Süß zu mir. Der verhältnismäßig junge Mann war körperlich verfallen. In seiner angeborenen lässigen Körperhaltung sah er aus wie ein alter Mann. Doch aus seinem Auge leuchtete ein eigentümlich entschlossenes Feuer. Kurzweg sagte er mir: "Kamerad, ich bin mir nun klar, ich habe mich durchgerungen. Ich weiß, daß ich das Lager nicht mehr lebend verlassen werde. Der Traum meiner Taufe und meines Eintrittes in die katholische Kirche im Wiener Stephansdom kann nicht in Erfüllung gehen. Ich habe an dich eine große Bitte. Könntest du mich im Lager taufen? Ich weiß, daß ich es nicht mehr lange aushalten kann."
Eine Judentaufe im K. Z.! Was es bedeutet hätte, wenn dieser Schritt bekannt würde, war uns klar. Wir beugten uns in Ehrfurcht vor der Gnade des barmherzigen Gottes und empfahlen uns seinem Schütze. Einige Stunden geheimen Konvertitenunterrichtes angesichts der Todesgefahr gaben mir die Gewißheit, daß der Täufling innerlich reif sei für den Empfang des Sakramentes. Da der Nachmittag des Pfingstsamstages voraussichtlich einige freie Stunden bringen würde und an diesem Tage in den Heimatkirchen das Taufwasser geweiht wurde, sollte an diesem Tage die denkwürdige Taufe stattfinden. Ein verstecktes Plätzchen im Walde war als Taufort bestimmt. Kaplan Andreas Rieser aus Salzburg hatte die Stelle eines Taufpaten übernommen. Als ich dem Täufling diesen Entschluß mitteilte, nahm er meine beiden Hände fest in die seinen und mit Tränen in den Augen sagte er: "Jetzt habe ich meine Ruhe gefunden."
Als ich am Freitag vor Pfingsten in unserer SS-Kaserne bei der Arbeit war und mich in Gedanken mit einigen Worten beschäftigte, die ich bei der Taufe sprechen wollte, hörte ich plötzlich vor den Fenstern ein Geschrei. Nach wenigen Minuten keuchte Kaplan Rieser über die Stiege und stammelte atemlos: "Jetzt haben sie den Walter erschlagen." Vor den Fenstern unserer Arbeitsstätte hatte sich eine kleine jüdische Steinträgerkolonne dahingeschleppt, ein Bild namenlosen Elends wankender Gestalten. Ein brüllender Scharführer hatte Walter Süß, der nicht mehr weiter konnte, mit einem Knüttel erschlagen. Starr vor Entsetzen sahen wir vor unseren Fenstern die blutüberströmte Leiche liegen. Walter Süß war als Getaufter in die Ewigkeit gegangen. Er hatte die Begierdtaufe empfangen und sein Blut floß als Zeichen der Bluttaufe über das wundgeschlagene Haupt in die erloschenen Augen.

NIKODEMUSSTUNDEN
Im Lagerleben jedes Häftlings gab es Tage, an welchen das Maß des Leides und die Last der peinigenden Ungewißheit alle Widerstandskraft zu übersteigen drohte. Es kamen Stunden, in denen die Grenzen des für Gemüt und Körper Ertragbaren erreicht waren. Solchen Kameraden über die gefährlichen Klippen des drohenden Zusammenbruches hinwegzuhelfen, war eine harte und bittere Aufgabe. Aber wenn sie gelang, brachte sie uns das Geschenk wahrster Freundschaft. Und es war nicht Menschengeist und Menschenkraft, die uns die richtigen Gedanken, die rechten Worte finden ließen, wenn die zermürbte Seele völlig ausgeschöpft war. Es war ein Ringen um den Lebensmut, das man nicht schildern, das man nur erleben kann.
Dieses Ringen um die letzten Körnlein Hoffnung und Vertrauen führte uns in stillen Abendstunden auf langen, einsamen Gängen kreuz und quer durch den Buchenwald. Es war in seiner Offenbarung der letzten Tiefen christlicher Wahrheit und christlicher Lebensweisheit wie die Stunden, die der Herr dem Ratsherrn Nikodemus schenkte, als er in tiefer Nacht mit seinem Herrn und Meister von Seele zu Seele sprach. Düstere Wolken der Verzweiflung zogen da durch die Seele, Zweifel zerfraß das Vertrauen und das ganze mühsam gehütete Gebäude des Glaubens und des Gottvertrauens drohte zusammenzubrechen. Das Gewissen wurde unruhig und durchirrte das ganze frühere Leben. Wenn Worte nicht hinreichten, dann schritten wir schweigend nebeneinander oder unterbrachen das Gespräch und beteten ein kurzes Gebet. Und wenn dann die Gnade doch stärker war als unser Unvermögen und die verhängnisvollen Klippen durch unsichtbare Hilfe von oben überwunden wurden, dann gingen wir auseinander, klar und stark, wie Nikodemus den Herrn verließ, denn Christus war uns begegnet in den Stunden des Ringens. Eines Abends wurde ich zu einem guten und treuen Kameraden gebeten. Er glaubte, die Last und die Qual nicht mehr länger tragen zu können. Er war ein aufrechter Charakter, den sein starker Wille bisher nie verlassen hatte. In der Heimat hatte er eines der höchsten Ämter im öffentlichen Leben bekleidet. Harte und erniedrigende Behandlung hatten ihn bisher trotz seiner 65 Jahre nicht gebeugt. Nun schwebten Todesschatten über seinem Haupte. Nach der ganzen Behandlung der letzten Wochen war er wohl mit Recht der Überzeugung, daß man ihn "fertig machen" wolle. Tagelang mußte er im Steinbruch die schwersten Steine im Laufschritt den steilen Berg hinaufschleppen. Mehrmals brach er unter den Schlägen des Vorarbeiters zusammen, eines entarteten politischen Häftlings, der seine Kameraden schlug und gewissenlos in den Tod trieb. Einige Mithäftlinge haben ihn später eines Nachts in Ausübung einer Art Lagerjustiz erhängt. Diesem Unmenschen war unser Freund überantwortet und er fragte sich wohl mit Recht, wie lange er diese Tortur noch aushalten könne.
Ganz unmittelbar stellte er, einer der treuesten Teilnehmer an unseren Sonntagsfeiern, an mich die Frage: "Ist es Selbstmord, wenn ich in die Postenkette gehe?" Wenn ein Häftling nur ein paar Schritte über die Postenkette, die den Steinbruch oder ein anderes Außenkommando umstellte, ging oder absichtlich hinausgetrieben wurde, traf ihn die tödliche Kugel. "Vor dem Herrgott", meinte er, "ist es doch gleich, ob ich morgen einem Herzschlag erliege oder heute von einer Kugel getroffen werde. Mein Ende ist doch unabwendbar beschlossen." Es war wahrlich nicht die Stunde zu einer spitzfindigen Auseinandersetzung über diesen Grenzfall menschlicher Verantwortung und Willensfreiheit. Ich erinnerte ihn an die schönen und ergreifenden Stunden, in denen Christus auch im Lager bei uns war, und bat ihn schlicht und einfach: "Tue es nicht, überlass' dein hartes Schicksal dem Willen Gottes und seiner barmherzigen Gnade!" Ernst reichten wir uns die Hand und er sagte mir mit festem Händedruck: "Ich tue es nicht."
Am nächsten Morgen früh sah ich ihn beim Kommando Steinbruch antreten. Er grüßte mich durch einen freundlichen Blick und ein kurzes Winken mit der Hand. Kameraden erzählten mir später, er sei gefaßt und ohne den Eindruck eines seelischen Druckes zur harten Tagesarbeit gegangen. Es war ein Tag, an dem die geheim gefällten Urteile vollstreckt wurden. Im Laufe des Vormittags hörten wir in unserem Kasernenbau oberhalb des Steinbruches Schüsse knallen. Mir zuckte das Herz zusammen: "Mein guter Kamerad wird doch nicht gefallen sein?" Wenige Minuten später eilte ein Landsmann, mit dem ich die erschütternde Unterredung des vergangenen Abends besprochen hatte, zu unserer Arbeitsstätte. Ich sah es seinem starren Blicke an, was er brachte, und war nicht überrascht, als er sagte: "Er ist tot." Das Leben des Ministers Dr. Robert Winterstein war durch den Vernichtungswillen seiner Verfolger ausgelöscht. Am gleichen Vormittag traf im Steinbruch auch den Führer des Tiroler Heimatschutzes Dr. Richard Steidle die tödliche Kugel. Man hat der Welt wohl auch in diesem Falle weismachen wollen, ein zitternder Greis, dessen Knie unter der Last der schweren Steine wankten, habe einen Fluchtversuch gemacht und sei auf der Flucht erschossen worden. Als wir am Abend dieses Trauertages tiefbewegt beteten: Herr, gib ihm die ewige Ruhe!, waren wir überzeugt, daß der gute Hirte unseren toten Freund heimgeholt habe in eine bessere und gerechtere Welt. Unter dem Eindruck dieses gewaltsamen Sterbens standen die letzten Augenblicke unseres Beisammenseins unauslöschlich vor mir: es war die Nikodemusstunde eines Todgeweihten.

DIE STIMME DES RUFENDEN IN DER WÜSTE!
.Eine heroische Gestalt, zu der das ganze Lager mit ehrfürchtiger Bewunderung aufschaute, war der evangelische Pfarrer Schneider aus dem Hunsrück. Am l. Mai 1938 wurde am Turm über dem Eingangstore des Lagers erstmalig im Beisein der Häftlinge die Hakenkreuzfahne gehißt. In langen Reihen standen die Gefangenen. Es herrschte tiefes Schweigen, bis das Kommando erklang: "Mützen ab!" In den ersten Reihen seines Blocks, ganz in der Nähe des Tores, unmittelbar vor dem Diensthabenden der Lagerführung, hatte Pfarrer Schneider seinen Platz. Ein Zug harter und entschlossener Energie stand auf seinem markanten Gesicht. Er konnte es mit seinem Gewissen nicht vereinen, ein Symbol zu grüßen, das im innersten Wesen und nach, der letzten Ausstrahlung unchristlich war. So stand Pfarrer Schneider allein in strammer Haltung mit bedecktem Haupte vor der gehißten Flagge. Man mag über diese Haltung denken wie man will. Kein Häftling hatte schließlich einen freien Willen, keiner beugte sich mit innerer Zustimmung vor dem Geßlerhute. Für Pfarrer Schneider aber war diese Grußverweigerung bewußter Ausdruck seines Bekennermutes.
Er wurde in den Bunker geschleppt, das berüchtigte Gefängnis im Lager, das er nicht mehr verlassen sollte. Dreizehn Monate erlitt er die Qualen dieser sadistischen Sonderbehandlung. Häftlinge, die mit ihm vorübergehend die Zelle teilten, waren erschüttert von der Seelengröße dieses tapferen Mannes. Trotz der Hungerkost, die kaum hinreichte, das Leben zu fristen, verweigerte er am Freitag, dem Todestag des Herrn, jede Nahrungsaufnahme.
Vor dem einstöckigen Bunkergebäude war der große Appellplatz, an dem sich die Häftlinge täglich morgens und abends zum Zählappell, meist verbunden mit allerlei Schindereien, einzufinden hatten. An den höchsten Festtagen ertönte während der Stille des Abzählens plötzlich die mächtige Stimme Pfarrer Schneiders durch die dumpfen Gitter des ebenerdigen Bunkers. Er hielt wie ein Prophet seine Festtagspredigt, das heißt, er versuchte sie zu beginnen. Am Ostersonntag zum Beispiel hörten wir plötzlich die mächtigen Worte: "So spricht der Herr: Ich bin die Auferstehung und das Leben!" Bis ins Innerste aufgewühlt durch den Mut und die Kraft dieses gewaltigen Willens, standen die langen Reihen der Gefangenen. Es war, als hätte eine mahnende Stimme aus einer anderen Welt zu ihnen gerufen, als hörten wir die Stimme Johannes des Täufers aus den Kerkern des Herodes, die gewaltige Prophetenstimme des Rufenden in der Wüste.
Mehr als einige Sätze konnte er nie sprechen. Dann klatschten schon die Prügel der Bunkerwächter auf ihn nieder oder ein roher Faustschlag schmetterte seinen zermarterten Körper in eine Ecke des Bunkers. Mit seinem starken Willen und seiner unbeugsamen Härte wurde auch brutale Gewalt nicht fertig. Mehr als einmal schleuderte er dem gefürchteten Lagerkommandanten den furchtbaren Vorwurf in das Gesicht: "Sie sind ein Massenmörder! Ich klage Sie an vor dem Richterstuhle des ewigen Gottes! Ich klage Sie an des Mordes an diesen Häftlingen!" Und er zählte ihm die Namen der Opfer auf, die in den letzten Wochen ihr Leben lassen mußten.
Da man mit der granitenen Härte seiner Überzeugung nicht fertig werden konnte, stempelte man ihn zum Narren, den man durch Schläge zum Schweigen bringt. Über ein Jahr hatte er die Qualen des Bunkers getragen, bis auch seine Kraft der rohen Gewalt erlag. Keine heile Stelle war an seinem Körper, als man ihn tot aus dem Bunker trug. Die Todesnachricht wurde im ganzen Lager mit tiefer Bewegung aufgenommen.
Als wollte man eine furchtbare Schuld von sich abwälzen, verständigte man die Frau des Toten, die mit sieben Kindern auf die Heimkehr des Gatten wartete, von seinem Ableben. Man hatte die Leiche in einen Sarg gelegt, den geschlossenen Sarg mit Blumen geschmückt. Die Frau des Toten hörte Worte tiefen Bedauerns über das unerwartete Hinscheiden des Gatten, das ihn leider einige Tage vor der geplanten Entlassung dahingerafft hätte.
Uns war diese bodenlose Heuchelei der Mörder an der Bahre ihres Opfers keine Überraschung. Ein Hohngelächter ging durch das Lager, denn in diesem Beileid an die trostlose Witwe offenbarte sich der dämonische Geist von Buchenwald in seiner ganzen Feigheit. Sein heuchlerisches Beileid wurde gewaltig übertönt von den Worten der Anklage und des Bekenntnisses. Von der Stimme des Rufenden in der Wüste sprach das Lager noch nach Jahren in uneingeschränkter Bewunderung.

NACHSPIEL
Im Sommer 1939 erlosch das Kämpferleben Pfarrer Schneiders. Wenige Wochen vor Kriegsbeginn, als die Atmosphäre in der ganzen Welt zum Bersten geladen war und sich in einem aufgeregten Rundfunkkampfe auslebte, wurde ganz unerwartet mein Name mit Geburtsdaten zu ungewohnter Vormittagsstunde aufgerufen. Dieser Aufruf bedeutete erfahrungsgemäß entweder Entlassung oder sonst etwas Besonderes. Manche Kameraden glaubten mich beglückwünschen zu müssen. Ich hatte nicht das Gefühl, daß mir die Freiheit winkte. Ich wurde zum Lagerkommandanten Standartenführer Koch geführt, für einen gewöhnlichen Schutzhäftling etwas Außergewöhnliches. Solch ein Gang ließ nichts Gutes ahnen, denn die Kugel lag meist ziemlich locker im Revolver des Allgewaltigen von Buchenwald. Mancher Häftling wurde nach einer solchen Vorführung von den Leichenträgern abgeholt. Ich wurde jedoch wider Erwarten freundlich empfangen, über meine Stellung als Geistlicher und Journalist ausgefragt. Koch brachte eine Rede zur Sprache, die ich 1932 beim Katholikentage in Essen gehalten hatte. Ich konnte mir den Zweck dieser nicht unfreundlichen, etwas weitausholenden Fragen nicht denken. Da zeigte er mir eine Reihe von Zeitungen aus Polen und Holland, die mit großen Überschriften meldeten: Kanonikus Steinwender in Buchenwald bestialisch ermordet.
Ich war über diese Sensationsmeldungen begreiflicherweise erstaunt, wurde mir jedoch im Laufe der weiteren Aussprache klar, daß eine Verwechslung mit Pfarrer Schneider der Anlaß zu diesen Meldungen war. Sein heldenhaftes Schicksal war durch entlassene Häftlinge in Deutschland in einem kleineren Kreise bekannt. Aus Buchenwald ausgewanderte jüdische Häftlinge hatten es in der ganzen Welt verbreitet. Von Buchenwald wußte man in der weiten Welt ja mehr als etwa in den friedlichen Dörfern am Fuße unseres Ettersberges. Auch meine Einlieferung in das Lager war schon durch den Straßburger Sender gemeldet worden. Irgendeine Nachrichtenquelle hatte mich nun mit Pfarrer Schneider verwechselt. Sein grausames Schicksal und sein tragisches Ende sollte ich erlitten haben. So ging mein Name durch viele Sender der Welt. Zu ihrem nicht geringen Schrecken drang die Nachricht auch zu meinen Freunden und Angehörigen in der Heimat. Sie hörten die genaue Schilderung meines Todes in Buchenwald und glaubten mich tot, bis wieder eine Nachricht von mir kam.
Aus der Frage des Lagerkommandanten, ob ich mich einmal geweigert habe, die Mütze abzunehmen, ob ich im Bunker gesessen habe, entnahm ich, daß Schneiders heroisches Ende mit meinem Namen verknüpft wurde. Noch zwei Jahre später, als ich schon im stillen Petting am Waginger See weilte, brachte der Moskauer Rundfunk dieselbe Meldung wieder, wie mir Freunde aus Wien, Salzburg und Vorarlberg berichteten.
Ich verließ das Zimmer des Lagergewaltigen mit dem Auftrag, eine Erklärung niederzuschreiben, daß ich gesund sei und nie eine Lagerstrafe erhalten hätte. Damit wurde eine Berliner Stelle, die sich um mich gekümmert hatte, beruhigt und die offizielle Propaganda konnte in hellen Farben loslegen, wie über die K. Z. gelogen wird. Der Fall Steinwender war für sie zur Befriedigung erledigt, der Fall Schneider aber blieb ungeahndet. Unvergessen bleibt mir die gewaltige Stimme des Predigers aus den Tiefen des Bunkers den ich nie von Angesicht zu Angesicht gesehen. Sein Name ist mit goldenen Lettern in das Heldenbuch der Märtyrer von Buchenwald eingetragen. Ich lege mit diesen Zeilen den gebührenden Lorbeerkranz auf sein Märtyrergrab, das einen wahrhaften Blutzeugen seines Glaubens birgt.


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